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Vor zweihundert Jahren versuchte ein Prinz, auf ganz ausgefallene Weise Unsterblichkeit zu erlangen. Er schlug keine siegreichen Schlachten, sondern beauftragte Architekten, Kartographen, Philologen und andere Spezialisten, eine imaginäre perfekte Stadt zu entwerfen, die aus einem Museum und einer Bibliothek bestehen sollte, in der das gesamte Wissen der Menschheit vereinigt sei. Ein schwieriges Unterfangen. Die Schöpfer der Stadt verlieren sich in ihrem eigenen Werk, können Realität und Fiktion nicht mehr auseinander halten. Auch der Leser wird in das Verwirrspiel hineingezogen und muß am Ende die Aufdeckung eines grausigen Geheimnisses miterleben.…mehr

Produktbeschreibung
Vor zweihundert Jahren versuchte ein Prinz, auf ganz ausgefallene Weise Unsterblichkeit zu erlangen. Er schlug keine siegreichen Schlachten, sondern beauftragte Architekten, Kartographen, Philologen und andere Spezialisten, eine imaginäre perfekte Stadt zu entwerfen, die aus einem Museum und einer Bibliothek bestehen sollte, in der das gesamte Wissen der Menschheit vereinigt sei. Ein schwieriges Unterfangen. Die Schöpfer der Stadt verlieren sich in ihrem eigenen Werk, können Realität und Fiktion nicht mehr auseinander halten. Auch der Leser wird in das Verwirrspiel hineingezogen und muß am Ende die Aufdeckung eines grausigen Geheimnisses miterleben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.07.1997

Pfitz, der Fatalist
Das Buch als Welt: Andrew Crumeys philosophischer Roman

Daß das Leben ein Traum sei, ist oft gesagt worden. Es ist eine vieldeutige Botschaft: Das Dasein soll als Illusion erkannt werden; oder es enthüllt sich als Fest, das in knapper Frist, hier und jetzt, genossen sein will. Das Gedankenspiel ist manieristisch und mag deshalb reizvoll erscheinen in einer Zeit, die ihre Vorliebe für das Barock und seine Gebrochenheiten kaum verhehlt. Andrew Crumey hat jedenfalls keine Mühe, der alten Metapher zu neuem Glanz zu verhelfen. In seinem jüngsten Roman erzählt der britische Autor von den Schicksalen einer kühnen Vision, in der die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Phantasie, zwischen Leben und Traum ihre Eindeutigkeit verliert.

Zweihundert Jahre ist es her, da verfällt ein Prinz auf den Gedanken, durch den Bau einer Stadt Unsterblichkeit zu erlangen. Rasch werden Fachleute einbestellt und Pläne geschmiedet, doch die Arbeiten wollen nicht vorankommen. Nach Jahren immer neuer Aufbrüche und Fehlschläge wagt der Prinz das Äußerste. Er faßt den Plan zu einer idealen Stadt als Enzyklopädie, die in ihren Mauern eine riesige Bibliothek und einen ebenso gewaltigen Museumsbau beherbergt. Es soll eine hypothetische Stadt sein, die nur als Entwurf und Phantasie existiert, aber als eine Phantasie im Maßstab eins zu eins.

Das Vorhaben ist wahrhaft monströs: Die Idealstadt soll ein eigenes Gesicht haben, ebenso eine eigene Geschichte, sogar ein eigenes Klima und selbstverständlich eine eigene, rein fiktive Einwohnerschaft. Damit all dies erschaffen werde, mobilisiert der Prinz sämtliche Ressourcen des Reichs. Das Land nimmt Schaden, ja es verfällt, doch der Prinz scheint zu diesem Opfer bereit. "Rreinnstadt" ist geboren.

Crumeys Geschichte ist einfach, und sie ist solide genug, um die Ideenlast eines philosophischen Romans zu tragen. Die eigentliche Handlung beschränkt sich auf die Verwirklichung des Prinzentraums und die allmähliche Veränderung der Welt. Vertraute Gegensätze wie Realität und Fiktion, wie Sprache und Wirklichkeit treten zurück, und schon bald scheinen sie vollends aufgehoben zu sein. Crumeys Roman ist eine große, kunstvoll erzählte und genau kalkulierte Parabel über die Welt als Fiktion.

Wie andere Bücher ist auch "Die Geliebte des Kartographen" ein Buch, das andere Bücher voraussetzt. Aber das Buch als solches ist sein Thema. Es erzählt von einer Welt, die das totale, von ungezählten Autoren verfaßte Buch hervorbringt, das Buch als Welt. Wie einst die "Idee" der idealistischen Philosophen soll Rreinnstadt imaginär und doch wirklicher sein als jene Wirklichkeit, die jedermann vor Augen liegt.

Einen Unterschied freilich gibt es: Anders als die Idee der Philosophen ist Rreinnstadt nicht immer schon gegeben, sondern es entsteht erst, es wird "gemacht". Einer dieser Macher und Ausführenden ist Schenck, die Hauptfigur des Romans. Als Kartograph hilft Schenck, imaginäre Wohnhäuser wirklichkeitsgetreu zu modellieren. Da Rreinnstadt ein Kollektivunternehmen ist, gilt das Gesetz der Unumkehrbarkeit. Wer zeichnet oder schreibt, legt stets zugleich fest, und zwar für immer und alle Zeit. Ist erst einmal entschieden, können die Fakten nicht mehr geändert oder ausgelöscht werden. Schenck ist diese Bedingung zur zweiten Natur geworden. Ihm stellt sich die Welt als ein gewaltiges, immer präziser auszugestaltendes Schaubild dar.

Bezeichnend die Szene, als Schenck die Frau trifft, durch die sich alles ändert: seine Kollegin Estrella, eine Biographin. Mit leichter Hand - und nicht ohne Ironie - geleitet Crumey das innere Auge des Lesers auf die Blickbahn seiner Figur. "Sie trug Grün. Ihr Haar war rot, ihre Haut blaß und stellenweise" - wir folgen dem Auge des Kartographen - "mit einem feinen Netzwerk violetter Adern durchzogen, vor allem dort, wo die Haut am dünnsten ist, beispielsweise wo sie sich über die Erhebung eines Schlüsselbeins spannt." Estrella wird an dieser Stelle zu Schencks Entwurf. Der disziplinierte Mitarbeiter am Gesamtkunstwerk Rreinnstadt wandelt sich zum Autor, der, angestoßen durch das denkwürdige Zusammentreffen, nun eigene Geschichten zu schreiben beginnt. Anfänglich hofft er, auf diese Weise die Gunst der Biographin zu erringen. Doch bald muß er feststellen, daß seine Geschichten sich verselbständigen und ein Eigenleben führen. Freiwillig-unfreiwillig ist Schenck zum Schriftsteller geworden.

Anders als der deutsche Buchtitel verspricht, wird Estrella niemals die Geliebte des Kartographen. Die einzige Szene, die den Ausdruck rechtfertigen könnte, wird jäh unterbrochen. Ohnedies sind Estrellas Motive zweifelhaft. So bleibt sie seine Erfindung, Schencks Traum. Irgendwann wird er bemerken, daß es zwei Estrellas gibt, jene Mitarbeiterin von Rreinnstadt und die von seiner Liebe genährte Illusion. Diese Einsicht der Hauptfigur ist exemplarisch, sie entspricht dem konsequenten Perspektivismus des Romans. Die Horizonte der Figuren überschneiden einander, doch niemals kommt es zur "Begegnung". Der Perspektivismus ist unversöhnlich, er betont die Differenz.

Nachdem seine Kreativität einmal freigesetzt ist, erfindet Schenck eine Figur, deren Biographie in die Vergangenheit Rreinnstadts eingefügt ist und deshalb von der Biographin Estrella nicht ignoriert werden kann. Nacht für Nacht schreibt Schenck an der Geschichte von Pfitz und formt eine Figur, die offenkundig Diderots Jacques le Fataliste nachempfunden ist. Abermals und nicht zum letzten Mal in diesem Roman öffnet sich der Blick auf neue Wirklichkeiten. Daß Pfitz nie existiert hat, nicht einmal in der fiktiven Welt Rreinnstadt, schadet der Farbigkeit und Überzeugungsstärke dieser Figur nicht. Wie Diderots Jacques ist auch Pfitz respektlos und geistreich, und wie sein literarisches Vorbild (und wie sein eigener Autor Schenck und wie dessen Autor Crumey) erfindet er immer neue, grotesk-amüsante Geschichten.

"Pfitz" ist der lapidare Titel der englischen Originalausgabe, und tatsächlich ist es Pfitz, diese Phantasiegestalt einer Phantasiegestalt, der Crumey seine poetologische Konfession in den Mund legt. Die Welt stecke voller seltsamer Geschichten, läßt er ihn erklären, und jede sei auf ihre Art wahr. Wie die Barockbühne einst auf ihren Brettern eine Welt repräsentierte, um bei jeder Vorstellung mitzusagen, daß die Welt nur eine "Vorstellung" sei, so will auch Crumeys philosophischer Roman nicht bloß Ausdruck, sondern vor allem ein Gleichnis sein. Die Welt wird zum Text, der Text wird Welt. Diese eine Formel trägt den ganzen Roman, sie trägt ihn inhaltlich, stilistisch und formal.

Was ihn zu einem intellektuellen Genuß macht, ist die ironische Balance zwischen Utopie, Liebesgeschichte, Krimi und Farce, die Crumey bis zum Ende durchhält. In dieses Mosaik sind Betrachtungen zum Problem der Autorschaft eingelassen, hübsche Einfälle wie die von der tragenden Idee ohnehin provozierte Frage, ob auch ein talentloser Autor in der Lage sei, die Biographie eines Genies zu schreiben.

Die Qualitäten, die der Schriftsteller Andrew Crumey in diesem Roman entfaltet, sind beachtlich. Ein Autor müsse so aufrichtig wie möglich berichten, heißt es einmal in einem Pfitz-Dialog. Auf elegante Beschreibungen könne verzichtet werden, da die Welt aus Dingen und nicht aus Wörtern bestehe. Die Realität in Worte zu bannen aber sei so bedeutungslos, wie zu versuchen, "einen Schmetterling aus Sand zu machen". Am Ende ist dieses Bild, wie der ganze Roman, ein philosophisches Credo und, mehr als alles andere, ein Bekenntnis zur Literatur. RALF KONERSMANN

Andrew Crumey: "Die Geliebte des Kartographen". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Klaus Pemsel. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1997. 221 S., geb., 39,80 DM.

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