Günther Lottes (1951–2015) war ein skeptischer Europäer und ein brillanter Historiker. An den intellektuellen Entwicklungen der deutschen Geschichtswissenschaft nahm er seit der Spätphase der alten Bundesrepublik intensiv teil. Zugleich rezipierte er bereits als Student in den Post-68er-Jahren die innovativen Trends der englischen Sozialgeschichte und der französischen Annales-Schule. Deswegen fehlte seinen Arbeiten zur deutschen und zur europäischen Geschichte von Beginn an alles Provinzielle und das Altfränkische, das für deutsche Historiker während der langen Nachkriegszeit oftmals noch Voraussetzung für eine akademische Karriere war. Charakteristisch blieb für den Sozial-, Ideen- und Kulturhistoriker Lottes bis an sein Lebensende die innovative Lust, mit der er gängige Auffassungen und dominante Thesen der Forschung in Frage stellte. Die vielfältigen Themen und Denkanstöße eint ein europäischer Blickwinkel, der bei Günther Lottes noch einen ausgeprägt westeuropäischen Akzent hatte und deutsche Geschichte quasi als Teil bzw. in Auseinandersetzung mit diesem Westeuropa verstand. So betonte er auch die Unterschiede der politischen Entwicklungen in Europa und relativierte ein allzu optimistisches Europa-Bild. Signatur dieser europäischer Kultur waren für Lottes immer Vielfalt und Streitkultur. Die in diesem Band vorgelegten Artikel und Essays spiegeln biographische Arbeitsphasen und zentrale Arbeitsbereiche von Günther Lottes wider: I. Aufklärung und Revolution; II. Volkskulturen und der moderne Staat; III. Neue Ideengeschichte; IV. Erinnerungskulturen.