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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.2002

Fußball kann die Welt nicht retten

Ob sich am gespannten Verhältnis zwischen Japan und Korea durch die Fußball-Weltmeisterschaft dauerhaft etwas ändert? Wenn sich die WM-Geschichte treu bleibt, dann wird es keinen Wandel durch Annäherung geben. Die Verbandspräsidenten und Marketingstrategen des Fußballs können erzählen, soviel sie wollen: Die WM überwindet keine Grenzen. Sie ist zwar ein globales Ereignis, ihre Auswirkungen sind jedoch immer national. Dietrich Schulze-Marmeling und Hubert Dahlkamp schreiben ihre "Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaft 1930-2006" daher nicht nur als Abfolge von Spielen, sondern auch als Summe von vielen nationalen Angelegenheiten. Sie widerstehen der Versuchung, sich dem großen Fußballrausch hinzugeben, und rücken die WM statt dessen kritisch zurecht.

Die Entmythisierung beginnt schon beim Beschluß des Internationalen Fußballverbandes (FIFA) 1928 in Amsterdam, von 1930 an alle vier Jahre ein Weltturnier auszutragen. Es war nicht sportlicher Internationalismus, der diesen Beschluß bewirkte. Der Deutsche Fußball-Bund enthielt sich beispielsweise der Stimme, und bis heute gilt wohl, was Schulze-Marmeling und Dahlkamp für das erste Turnier 1930 in Uruguay festgehalten haben: "Das Turnier stärkte den sportlichen Nationalismus, was einem liberalen und kosmopolitanem Klima zwar abträglich war, die Attraktivität des Wettbewerbs jedoch erhöhte." Dennoch ist das Buch kein Lamento über verpaßte Völkerverständigung im Fußball. Es ist ein Sach- und Fachbuch, in dem die Autoren erfolgreiche und erfolglose Mannschaften charakterisieren, über Spiele, Tore und Ergebnisse schreiben und große Stars in Erinnerung rufen.

Meist schildern die Autoren eher nüchtern, als daß sie farbig erzählen, und gerade die Entstehungsgeschichte des Fußballs in den Austragungsländern ist manchmal langweilig geraten. Auch wirken die Bilder oft lieblos ausgewählt. Aber je jünger die Weltmeisterschaft, desto lebendiger das Buch. Nach dem Turnier in Japan und Korea haben die Autoren ihre WM-Geschichte noch einmal aktualisiert.

Die Weltmeisterschaft ist auch eine Taktikmesse, bei der neue Konzepte vorgeführt werden wie das "WM-System" oder später der "totaal voetbal" der Niederländer 1974 mit ihrem Trainer Rinus Michels, der seine Spieler zur Vielseitigkeit erzog und von Stürmern auch Abwehrarbeit verlangte, genauso wie von den Abwehrspielern Angriffsfußball. Vielleicht war das der Beginn der Neuzeit in der Fußballtaktik.

Die WM 1974 dürfte ohnehin zu den epochemachenden Turnieren gehören. Zum erstenmal wurden Spiele unter Flutlicht ausgetragen, und mit dem brasilianischen Großgrundbesitzer João Havelange stand erstmals ein Quereinsteiger an der Spitze der FIFA, ein Fußball-Unternehmer und kein Funktionär mehr wie zuvor Sir Stanley Rous. Mit autoritären Methoden trieb Havelange die Kommerzialisierung und Globalisierung der Fußball-WM voran. Daß er mit der argentinischen Militärdiktatur 1978 kollaborierte, paßt in dieses Bild.

Manchmal waren die Mannschaften jedoch selbst schuld daran, daß nicht jede WM ein Fest wurde. Denn immer wieder kehrt die Defensivtaktik, manchmal gar die Zerstörungstaktik auf die größte Bühne des Fußballs zurück. Der Fußball erlebte beispielsweise 1990 in Italien eine besonders farbenfrohe WM mit kulturellem Rahmenprogramm. Auf dem Rasen fielen jedoch so wenige Tore wie noch nie und das einzige im Finale auch noch per Elfmeter.

Auch in taktischer Hinsicht ist die WM kein kontinuierlicher Prozeß hin zum Wahren, Schönen und Guten. Das einzige, was in der Geschichte der Weltmeisterschaften konstant verläuft, sind Globalisierung und Kommerzialisierung. Von ihrer Leistung her nähern sich die Länder einander an. Bei der WM 2002 standen zum erstenmal eine asiatische und eine afrikanische Mannschaft gemeinsam im Viertelfinale. Die Globalisierung spiegelt sich auch innerhalb vieler Teams, in denen mittlerweile Sportler mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund spielen wie in der französischen Weltmeistermannschaft von 1998.

Das erste WM-Spiel zwischen Frankreich und Mexiko 1930 sahen 1000 Zuschauer. 1970 verfolgten 800 Millionen Menschen die WM am Fernseher. Schon 1970 zeigte sich die Kehrseite des Fernsehdiktats. Weil die Spiele in Europa zu günstigen Zeiten ausgestrahlt werden sollten, fanden manche in der Mittagssonne von Mexiko statt. Die Gesundheit der Spieler und das Niveau des Spiels waren zweitrangig.

Das Fernsehen hat aus der Fußball-Weltmeisterschaft eine "Vollversammlung der Menschheit" gemacht, den deutschen Sieg gegen England im Halbfinale 1990 sahen weltweit mehr Frauen als Männer. Trotzdem ist die WM ein Ereignis geblieben, dessen Auswirkungen für jeden teilnehmenden und nicht teilnehmenden Staat ganz verschieden sind. Ein Tiefpunkt war die Ermordung des kolumbianischen Spielers Andrés Escobar, weil ihm 1994 gegen die Vereinigten Staaten ein Eigentor unterlaufen war. Ein Höhepunkt der WM-Sieg der Franzosen 1998, auf den die größte Freudenfeier Frankreichs seit dem Ende der deutschen Besatzung folgte. So ist die WM eher ein Großer Preis der Nationen. Der Fußball kann Länder verändern, aber nicht die Welt.

FRIEDHARD TEUFFEL

Besprochenes Buch: Dietrich Schulze-Marmeling, Hubert Dahlkamp: Die Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaft 1930-2006, Verlag Die Werkstatt Göttingen, 544 Seiten, 24,90 Euro.

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