Für den Tisch Es gibt da dieses Video auf Youtube, in dem sieht man Umberto Eco mit seiner kugeligen Figur in einer gemalten Traumlandschaft herumsitzen, er erzählt von seinem neuen Buch. Es heißt "Die Geschichte der legendären Länder und Städte" und ist, wie er erklärt, sein neuester Streich aus der Reihe illustrierter Populärsachbücher, etwa "Die Geschichte der Schönheit", "Die Geschichte der Hässlichkeit" und "Die unendliche Liste". Er könne einfach nicht aufhören, meint Umberto Eco dann, fast so, als müsse er sich jetzt doch mal für all diese Bücher entschuldigen: "Es macht mir einfach so wahnsinnigen Spaß." Aber für die üppigen 480 Seiten, die er dem Leser vorlegt, muss er sich, anders als einige Verfasser langatmiger Romane, nun wirklich nicht entschuldigen, im Gegenteil: Auf den Spuren von Atlantis und anderen buntesten Hirngespinsten, gutgläubigsten Annahmen und wildesten Träumen, die die Menschen seit Jahrhunderten dazu antreiben, sich auf die Suche nach einer fremden, natürlich viel glorreicheren Welt aufzumachen, würde man endlos weiterlesen wollen. Eco hat sein Thema (wie immer) klug gewählt, denn was könnte schöner, aufregender, verrückter sein als eine Reise durch die Phantasien, Sagen und Mythen, die das Weltbild unterschiedlichster Epochen und Kulturen prägten. Das verlorene Paradies zum Beispiel, erfährt man, jener Ort der Vollkommenheit, an dem Menschen und Tiere und überhaupt alles in Unschuld und Glückseligkeit zusammenlebten, wird je nach Epoche und Religion an einem anderen Punkt der Weltkarte angesiedelt: Der biblische Garten Eden etwa lag lange Zeit ganz klar im äußersten Orient - wo die Sonne aufgeht, meinte man, liegt auch das Glück. Spätestens ab dem Mittelalter wurde die Lokalisierung dann aber offensichtlich zur Verhandlungssache. Dante Alighieri setzt es entschlossen auf die Spitze seines Läuterungsberges, Thomas von Aquin spricht vage von einem "gemäßigten Ort", und als Christoph Kolumbus 1492 durch Zufall den amerikanischen Kontinent entdeckte, vermutete man das Paradies kurzzeitig in der schönen Neuen Welt. Egal ob vom irdischen Paradies, von Atlantis, der Heimat der Königin von Saba oder dem Königshof von Camelot die Rede ist - jeder von Eco hier besprochene Ort ist einer, an den Menschen irgendwann einmal geglaubt haben oder teilweise sogar heute noch glauben. Zum Beispiel all die Orte, über die Jules Vernes so lebendig schrieb, dass wir als Leser meinen, dort wirklich gewesen zu sein. Am besten sind am Ende aber dann doch die Utopien, die Nicht-Orte, die sich schon immer und für immer jeder geographischen Zuordnung entziehen.
anhi
Umberto Eco: "Die Geschichte der legendären Länder und Städte". Hanser-Verlag, 480 Seiten, 39,90 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
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