Einen leichten Einstieg in die Welt der abendländischen Malerei bietet diese preiswerte Kunstgeschichte. 455 Meisterwerke aus acht Jahrhunderten werden in farbigen Abbildungen vorgestellt; begleitende Texte, Fotos, Zeichnungen und Dokumente beleuchtenEntstehungsgeschichte, Symbolik und die historischen Hintergründe.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.12.1995Spürst auch du die Einsamkeit?
Schwester Wendy Beckett erklärt die Kunst des Abendlandes
Natürlich ist dies Buch oberflächlich, natürlich verkürzt es große Zusammenhänge auf unzulässige Weise, und natürlich ist es in höchstem Maße unwissenschaftlich. Dennoch ist Sister Wendy Becketts "Geschichte der Malerei", die jetzt auf deutsch erschienen ist, ein wichtiges Buch. Es bedient nämlich jene kunstinteressierten Massen, die sich zwar seit Jahren vor den Toren der großen Ausstellungen drängeln, aber spätestens bei der Lektüre der begleitenden Ausstellungskataloge von der essayistischen Bedeutungshuberei und rastlosen Einzelforschung wieder verschreckt werden. Wendy Beckett hingegen, die in einem Karmeliterinnenkloster in Norfolk lebt, stellt laut Untertitel "8 Jahrhunderte in 455 Meisterwerken" auf 400 Seiten vor: eine von allem Ballast befreite Armenbibel der abendländischen Malerei.
Die angelsächsische Tradition, eine "Story of Art" zu schreiben, hat nicht erst mit Gombrich begonnen. Während er und viele seiner Kollegen dabei oft Überblicksvorlesungen zu Büchern zusammenfassen, greift Wendy Beckett, die dank ihrer für die BBC produzierten Fernsehreihen zur Kunst in England bekannt ist wie ein bunter Hund, einen viel älteren Faden wieder auf. Beckett knüpft an die Schriften der in Deutschland unbekannten Anna Jameson und Lady Callcott an, die mit populären Kunstbüchern und Führern im viktorianischen England zu Bestsellerehren kamen. Neben der Thematik und der Popularität verbindet die Nonne aus Norfolk mit ihren Vorgängerinnen auch ein gewisser Hang zur Emotionalität.
"Vielleicht", so schreibt sie in ihrer Würdigung Murillos, "verstehen wir das Wort gefühlvoll inzwischen zu negativ" - für sie selbst gilt das offenkundig nicht. Sie versucht, Kunst wieder als elementares Erlebnis faßbar zu machen, mit einer Aktivierung aller Sinne. Bei Gemälden Tizians etwa "spüren wir die Einsamkeit und müssen uns fragen, ob es nicht die des Künstlers ist", und aus den Werken vieler gotischer Meister spricht für sie "ein geradezu rührendes, glückliches inneres Sicherheitsgefühl". Sie stellt dem Prinzip einer positivistischen Kunstwissenschaft bewußt das einer interessierten Amateurhaftigkeit gegenüber. Über Botticellis "Frühling" etwa äußert sie: "Mögen die Gelehrten auch streiten, der Betrachter kann auf Interpretationen verzichten."
Doch das geht natürlich nicht überall so leicht wie im Falle Botticellis, der bei aller Rätselhaftigkeit eben auch jene gefälligen Primärreize aussendet, über die eine rein ästhetische und nicht tiefer schürfende Aneignung möglich ist. Im Falle von Poussins Selbstbildnis aus dem Louvre, einem Lieblingsbild der Kunstgeschichte, muß Becketts schwärmerische Simplifizierung allerdings zu kurz greifen: Daß die Leinwände im Hintergrund "leer" sind, ist deutlich sichtbar Unsinn, und die umarmte Frau am linken Rand, über die mehrere hundert Seiten gewichtiger Analysen die Regale füllen, als Hinweis auf den "romantischen Charme" Poussins zu deuten ist töricht.
Aber wahrscheinlich ist es ebenso unsinnig und töricht, darauf beckmesserisch hinzuweisen. Denn Wendy Beckett betreibt ja eben sehr erfolgreich eine bewußt unintellektuelle, im guten Sinne schlichte Form der Kunstvermittlung, bei der aus jeder Seite mehr ehrliche Freude über die besprochenen Werke herauszulesen ist als aus einem ganzen Regalmeter angestrengter kunstwissenschaftlicher Literatur.
Der Bildteil in Wendy Becketts Malereigeschichte ist reich und gut reproduziert. Die Geschichte der Malerei bis etwa zum Jahre 1965 erzählt die Autorin unter künstlerischer Beratung von Patricia Wright auf konventionelle, prägnante Weise. In den Randleisten werden in aller Kürze relevante Begriffe, Personen und kulturelle Entwicklungen vorgestellt. Nichts wird als bekannt vorausgesetzt, alles mit einer warmen, einfachen Sprache erklärt, aber immer nur so weit, wie es nötig ist, denn Beckett spottet über "den zutiefst menschlichen Drang, alles verstehen zu wollen".
Dieser Drang hat sie vor allen in bezug auf die Kunst der letzten dreißig Jahre verlassen. Aus den Schlußkapiteln spricht Ratlosigkeit: Es gebe längst keine Hauptströmungen mehr, schreibt sie, alles sei in einem großen Meer zusammengeflossen. Doch sie ist keineswegs entsetzt, sondern eher von heiterer Gelassenheit: Dieser Zustand sei "durchaus sinnvoll, denn wir leben in einer Welt, die sich in ständigem Fluß befindet". Wie eine Geistesverwandte von Caspar David Friedrichs Mönch steht die Nonne an diesem Meer der Kunst und sucht nach Orientierung.
Konnte sie sich bei der Vergangenheit noch auf einen Kanon stützen, so muß sie bei der modernen Kunst selbst danach suchen, was tragfähig ist. Dabei wird dann etwa Beuys leider ebenso vergessen wie der Fotorealismus. Statt dessen steigert sich ihre Freude über Lucian Freud zur Ekstase: "Danach schuf er einige der kraftvollsten und originellsten Aktbilder, die die westliche Malerei je gesehen hat." Doch schnell macht sich wieder Unsicherheit breit: Im Führen ist sie nicht so sicher wie im Fühlen. Über die Bedeutung von Baselitz und Anselm Kiefer will sie dann doch lieber "die Zeit" entscheiden lassen. Und das ist wohl auch gut so, denn da, wo nur sie selbst zu entscheiden hatte, auf der letzten Doppelseite nämlich, da hat sie mit Robert Natkin, Joan Mitchell und Albert Herbert ein solch willkürliches Trio zu Gralshütern der abendländischen Malerei erkoren, daß man verstehen könnte, wenn sich die Kunst danach mit einem bündigen, angelsächsischen "The End" entsetzt in die ewigen Jagdgründe verziehen würde. FLORIAN ILLIES
Wendy Beckett: "Die Geschichte der Malerei". Acht Jahrhunderte in 455 Meisterwerken. DuMont Verlag, Köln 1995. 400 S., geb., 69,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schwester Wendy Beckett erklärt die Kunst des Abendlandes
Natürlich ist dies Buch oberflächlich, natürlich verkürzt es große Zusammenhänge auf unzulässige Weise, und natürlich ist es in höchstem Maße unwissenschaftlich. Dennoch ist Sister Wendy Becketts "Geschichte der Malerei", die jetzt auf deutsch erschienen ist, ein wichtiges Buch. Es bedient nämlich jene kunstinteressierten Massen, die sich zwar seit Jahren vor den Toren der großen Ausstellungen drängeln, aber spätestens bei der Lektüre der begleitenden Ausstellungskataloge von der essayistischen Bedeutungshuberei und rastlosen Einzelforschung wieder verschreckt werden. Wendy Beckett hingegen, die in einem Karmeliterinnenkloster in Norfolk lebt, stellt laut Untertitel "8 Jahrhunderte in 455 Meisterwerken" auf 400 Seiten vor: eine von allem Ballast befreite Armenbibel der abendländischen Malerei.
Die angelsächsische Tradition, eine "Story of Art" zu schreiben, hat nicht erst mit Gombrich begonnen. Während er und viele seiner Kollegen dabei oft Überblicksvorlesungen zu Büchern zusammenfassen, greift Wendy Beckett, die dank ihrer für die BBC produzierten Fernsehreihen zur Kunst in England bekannt ist wie ein bunter Hund, einen viel älteren Faden wieder auf. Beckett knüpft an die Schriften der in Deutschland unbekannten Anna Jameson und Lady Callcott an, die mit populären Kunstbüchern und Führern im viktorianischen England zu Bestsellerehren kamen. Neben der Thematik und der Popularität verbindet die Nonne aus Norfolk mit ihren Vorgängerinnen auch ein gewisser Hang zur Emotionalität.
"Vielleicht", so schreibt sie in ihrer Würdigung Murillos, "verstehen wir das Wort gefühlvoll inzwischen zu negativ" - für sie selbst gilt das offenkundig nicht. Sie versucht, Kunst wieder als elementares Erlebnis faßbar zu machen, mit einer Aktivierung aller Sinne. Bei Gemälden Tizians etwa "spüren wir die Einsamkeit und müssen uns fragen, ob es nicht die des Künstlers ist", und aus den Werken vieler gotischer Meister spricht für sie "ein geradezu rührendes, glückliches inneres Sicherheitsgefühl". Sie stellt dem Prinzip einer positivistischen Kunstwissenschaft bewußt das einer interessierten Amateurhaftigkeit gegenüber. Über Botticellis "Frühling" etwa äußert sie: "Mögen die Gelehrten auch streiten, der Betrachter kann auf Interpretationen verzichten."
Doch das geht natürlich nicht überall so leicht wie im Falle Botticellis, der bei aller Rätselhaftigkeit eben auch jene gefälligen Primärreize aussendet, über die eine rein ästhetische und nicht tiefer schürfende Aneignung möglich ist. Im Falle von Poussins Selbstbildnis aus dem Louvre, einem Lieblingsbild der Kunstgeschichte, muß Becketts schwärmerische Simplifizierung allerdings zu kurz greifen: Daß die Leinwände im Hintergrund "leer" sind, ist deutlich sichtbar Unsinn, und die umarmte Frau am linken Rand, über die mehrere hundert Seiten gewichtiger Analysen die Regale füllen, als Hinweis auf den "romantischen Charme" Poussins zu deuten ist töricht.
Aber wahrscheinlich ist es ebenso unsinnig und töricht, darauf beckmesserisch hinzuweisen. Denn Wendy Beckett betreibt ja eben sehr erfolgreich eine bewußt unintellektuelle, im guten Sinne schlichte Form der Kunstvermittlung, bei der aus jeder Seite mehr ehrliche Freude über die besprochenen Werke herauszulesen ist als aus einem ganzen Regalmeter angestrengter kunstwissenschaftlicher Literatur.
Der Bildteil in Wendy Becketts Malereigeschichte ist reich und gut reproduziert. Die Geschichte der Malerei bis etwa zum Jahre 1965 erzählt die Autorin unter künstlerischer Beratung von Patricia Wright auf konventionelle, prägnante Weise. In den Randleisten werden in aller Kürze relevante Begriffe, Personen und kulturelle Entwicklungen vorgestellt. Nichts wird als bekannt vorausgesetzt, alles mit einer warmen, einfachen Sprache erklärt, aber immer nur so weit, wie es nötig ist, denn Beckett spottet über "den zutiefst menschlichen Drang, alles verstehen zu wollen".
Dieser Drang hat sie vor allen in bezug auf die Kunst der letzten dreißig Jahre verlassen. Aus den Schlußkapiteln spricht Ratlosigkeit: Es gebe längst keine Hauptströmungen mehr, schreibt sie, alles sei in einem großen Meer zusammengeflossen. Doch sie ist keineswegs entsetzt, sondern eher von heiterer Gelassenheit: Dieser Zustand sei "durchaus sinnvoll, denn wir leben in einer Welt, die sich in ständigem Fluß befindet". Wie eine Geistesverwandte von Caspar David Friedrichs Mönch steht die Nonne an diesem Meer der Kunst und sucht nach Orientierung.
Konnte sie sich bei der Vergangenheit noch auf einen Kanon stützen, so muß sie bei der modernen Kunst selbst danach suchen, was tragfähig ist. Dabei wird dann etwa Beuys leider ebenso vergessen wie der Fotorealismus. Statt dessen steigert sich ihre Freude über Lucian Freud zur Ekstase: "Danach schuf er einige der kraftvollsten und originellsten Aktbilder, die die westliche Malerei je gesehen hat." Doch schnell macht sich wieder Unsicherheit breit: Im Führen ist sie nicht so sicher wie im Fühlen. Über die Bedeutung von Baselitz und Anselm Kiefer will sie dann doch lieber "die Zeit" entscheiden lassen. Und das ist wohl auch gut so, denn da, wo nur sie selbst zu entscheiden hatte, auf der letzten Doppelseite nämlich, da hat sie mit Robert Natkin, Joan Mitchell und Albert Herbert ein solch willkürliches Trio zu Gralshütern der abendländischen Malerei erkoren, daß man verstehen könnte, wenn sich die Kunst danach mit einem bündigen, angelsächsischen "The End" entsetzt in die ewigen Jagdgründe verziehen würde. FLORIAN ILLIES
Wendy Beckett: "Die Geschichte der Malerei". Acht Jahrhunderte in 455 Meisterwerken. DuMont Verlag, Köln 1995. 400 S., geb., 69,80 DM.
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