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In der Endphase des Zweiten Weltkrieges entstand die Oder-Neiße-Linie, die heutige deutsch-polnische Grenze. Folge der Verschiebung der deutsch-polnischen Grenze nach Westen an Oder und Lausitzer Neiße waren Flucht und Vertreibung von etwa 10 Millionen Deutschen.
Das vorliegende Buch von Michael Hartenstein beschäftigt sich im wesentlichen mit folgenden Fragen: Wie kam es zur Oder-Neiße-Linie? Wer wollte diese Grenze seit wann und aus welchen Gründen? Wer hat die Oder-Neiße-Linie tatsächlich als Staatsgrenze durchgesetzt und verwirklicht? War im Grunde Hitler schuld an der Oder-Neiße-Grenze…mehr

Produktbeschreibung
In der Endphase des Zweiten Weltkrieges entstand die Oder-Neiße-Linie, die heutige deutsch-polnische Grenze. Folge der Verschiebung der deutsch-polnischen Grenze nach Westen an Oder und Lausitzer Neiße waren Flucht und Vertreibung von etwa 10 Millionen Deutschen.

Das vorliegende Buch von Michael Hartenstein beschäftigt sich im wesentlichen mit folgenden Fragen: Wie kam es zur Oder-Neiße-Linie? Wer wollte diese Grenze seit wann und aus welchen Gründen? Wer hat die Oder-Neiße-Linie tatsächlich als Staatsgrenze durchgesetzt und verwirklicht? War im Grunde Hitler schuld an der Oder-Neiße-Grenze und damit an der Vertreibung der Ostdeutschen? Gab es je eine Möglichkeit der Revision dieser Grenze? War die neue deutsch-polnische Grenze als gemeinsamer Beschluss der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges eine Folge der Potsdamer Konferenz?Der Autor stellt die Geschichte der Oder-Neiße-Linie erstmals zusammengefaßt von ihrer Vorgeschichte im 19. Jahrhundert bis zur völkerrechtlichen Anerkennung im Jahr 1990 dar. Schwerpunkt des Buches sind die Jahre 1939 bis 1950.Hartenstein kommt zu einem fundierten und pointierten Ergebnis, das der derzeitigen offiziellen Geschichtslesart in Deutschland und Polen nicht gerade entspricht: Die Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens verbunden mit der Umsiedlung war keine Polen bei der Potsdamer Konferenz verordnete alliierte Lösung eines Grenzproblems, sondern die energisch betriebene Verwirklichung von lange bestehenden und öffentlich formulierten Zielen des polnischen Nationalismus. Der von Deutschland verlorene Zweite Weltkrieg öffnete mit Hilfe der Sowjetunion der Verwirklichung dieser polnischen Ziele ab Jahresbeginn 1945 Tür und Tor.

Inhaltsverzeichnis:
Vorwort. 9

1. Die Entstehung der Oder-Neiße-Linie. 17

1.1 Die Vorgeschichte der Oder-Neiße-Linie. 17
1.1.1 Entstehung und Charakter des polnischen Nationalismus. 18
1.1.2 Die Entstehung polnischer Gebietsansprüche bis zum Ausgang des Ersten Weltkrieges. 25
1.1.3 Die deutsch-polnische Grenzregelung nach dem Ersten Weltkrieg. 34
1.1.4 Polnische Revisionsforderungen und Gedanken zur Westgrenze 1920 bis 1939. 41

1.2 Die Zeit vom Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bis zur Konferenz von Teheran. 53
1.2.1 Forderungen der polnischen Exilregierung. 53
1.2.2 Die Entstehung der Kompensationstheorie. 57
1.2.3 Die Atlantik-Charta. 60
1.2.4 Die Konferenz von Teheran. 62

1.3 Von Teheran nach Jalta. 65
1.3.1 Die polnische Reaktion auf die Ergebnisse der Konferenz von Teheran. 65
1.3.2 Die "innerkommunistische" Festlegung auf die Nachkriegsgrenzen Polens. 68
1.3.3 Abnehmende Bedeutung der Exilregierung in London. 74
1.3.4 Festlegung der "Anti-Hitler-Koalition" auf die "Westverschiebung" Polens. 76
1.3.5 Das "Londoner Protokoll" vom 12. September 1944. 78
1.3.6 Amerikanische und britische Vorstellungen zur deutsch-polnischen Grenze vor der Konferenz von Jalta. 78

1.4 Die Konferenz von Jalta. 83
1.4.1 Die Schlußerklärung von Jalta. 85
1.4.2 Die Bedeutung des Ergebnisses der Konferenz von Jalta. 86

1.5 Von Jalta nach Potsdam. 88
1.5.1 Polen und die Sowjetunion schaffen östlich von Oder und Lausitzer Neiße vollendete Tatsachen. 88
1.5.2 Die Kapitulation des Deutschen Reiches und die "Berliner Erklärung". 92
1.5.3 Vorbereitungen zur Konferenz von Potsdam. 93
1.5.3.1 Die amerikanische Ausgangsposition. 93
1.5.3.2 Die britische Ausgangsposition. 95
1.5.3.3 Die polnische Ausgangsposition. 97

1.6 Die Potsdamer Konferenz. 100
1.6.1 Der Verlauf der Potsdamer Konferenz - die Diskussionen über die deutsch-polnische Grenze. 101
1.6.2 Zusammenfassung der Argumentation der Delegationen. 117
1.6.3 Die Ergebnisse der Potsdamer Konferenz. 119
1.6.4 Das Potsdamer Protokoll und Stettin. 121
1.6.5 Die politische und rechtliche Bedeutung des Potsdamer Protokolls. 123

1.7 Begründungen für die Oder-Neiße-Linie als Grenze. 129
1.7.1 Die Kompensationstheorie. 129
1.7.2 "Rückkehr" Polens in "urpolnisches Gebiet"? 133

1.8 Die Vertreibung und Deportation der deutschen Bevölkerung. 136

2. Die Oder-Neiße-Linie nach der Konferenz von Potsdam. 143

2.1 Die Haltung der Westmächte. 143
2.1.1 Die Haltung Frankreichs. 143
2.1.2 Die Haltung Großbritanniens. 144
2.1.3 Die Haltung der USA. 145
2.1.4 Die Entstehung des "Kalten Krieges" als Wendepunkt für die Haltung der Westmächte. 146
2.1.5 Amerikanische und britische Revisionsvorstellungen der Jahre 1946/47. 148
2.1.6 Die Gründung des "Weststaates". 154

2.2 Die Haltung der UdSSR. 160

2.3 Die Haltung der Katholischen Kirche. 164

2.4 Die Haltung in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands bzw. in der Deutschen Demokratischen Republik und die Haltung in der Volksrepublik Polen. 170
2.4.1 Polen 1945 bis 1949. 170
2.4.2 Sowjetische Besatzungszone Deutschlands (SBZ) 1945 bis 1949. 177
2.4.3 Die Haltung in der DDR und in Polen von 1949 bis 1989. 183

2.5 Die Haltung in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands bzw. in der Bundesrepublik Deutschland. 189
2.5.1 1945 bis 1949. 189
2.5.2 Die Haltung der Regierungen Adenauer und Erhard (1949 bis 1966). 193
2.5.3 Die Haltung der Regierungen Kiesinger, Brandt, Schmidt und Kohl (1966 bis 1989). 198

2.6 Die völkerrechtliche Anerkennung der Oder-Neiße-Linie im Zuge der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. 203
2.6.1 Deutschland: freiwillige Anerkennung der Oder-Neiße-Linie oder Anerkennung als Folge von Druck? 203
2.6.2 Vertragliche Schritte zur völkerrechtlichen Anerkennung der Oder-Neiße-Linie. 207
2.6.2.1 Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands. 207
2.6.2.2 Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland. 208
2.6.2.3 Der deutsch-polnische Grenzbestätigungsvertrag vom 14. November 1990. 209

2.7 Nach der Grenzanerkennung. 211
2.7.1 Annexion und Vertreibung im Bewußtsein von Deutschen und Polen. 213
2.7.2 Restitution von Eigentum. 226

3. Zusammenfassung und Bewertung. 237

4. Quellen und Literatur. 253
I. Quellenveröffentlichungen, Dokumentationen und Vertragstexte. 253
II. Literatur und Memoiren. 256

Verzeichnis der Landkarten

Karte 1: Polens Grenzen 1916-1939. 39

Karte 2: Die Grenzvorstellung der polnischen Exilregierung im Oktober 1939 und im Februar 1942. 56

Karte 3: Die Grenzvorstellung der polnischen Exilregierung vom 7. Dezember 1943 und des "Rates der Nationalen Einheit" (RJN) vom 15. März 1944. 67

Karte 4: Der geheime sowjetisch-polnische Grenzvertrag vom 27. Juli 1944. 72

Karte 5: Die Grenzvorstellungen der Alliierten vor der Konferenz von Jalta. 82

Karte 6: Die deutsch-polnische Grenze auf der Konferenz von Potsdam. 112

Karte 7: Die Oder-Neiße-Linie bei Stettin. 122

Karte 8: Deutschland und Polen 1937 und 1945/90. 132

Karte 9: Amerikanische Revisionsvorstellungen der Jahre 1946/47. 151

Karte 10: Die Oder-Neiße-Grenze seit dem Abkommen von Görlitz 1950. 185

Vorwort:
Von Deutschland wurde am Ende des Zweiten Weltkriegs etwa ein Viertel seines Staatsgebietes innerhalb der Grenzen vom 31. Dezember 1937, mithin also des Staatsgebietes der vormaligen "Weimarer Republik", abgetrennt. Neue deutsch-polnische Grenze wurde eine willkürliche Linie an Oder und Lausitzer Neiße.

Das Thema "Oder-Neiße-Grenze" scheint heute, zumal nach den deutsch-polnischen Verträgen der Jahre 1990/91, uninteressant geworden zu sein. Weite Teile der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland können sachlich oder emotional mit diesem Thema heute kaum noch etwas anfangen. Nach den politischen Umbrüchen in den sechziger und siebziger Jahren in Westdeutschland, der daraufhin dort folgenden weitgehenden Ausblendung der Thematik im Geschichtsunterricht sowie nach der jahrzehntelangen Tabuisierung der Problematik in der DDR assoziieren viele Deutsche mit den Begriffen Oder-Neiße, Pommern, Schlesien oder Ostpreußen diffus allenfalls etwas "Ewiggestriges" bzw. "Heimattümelei" - oder wittern gar immer noch "Revanchismus". Für andere heutige Deutsche liegen Breslau, Stettin, Danzig, die Marienburg, Masuren, das Riesengebirge schlicht in "Polen", ohne daß sie wissen, daß diese und andere Stätten jahrhundertelang von Deutschen bewohnt waren und zu Deutschland gehört haben. Die einseitige historische Erinnerungskultur in der Bundesrepublik Deutschland und die damit einhergehende notorische Geschichtsvergessenheit konnte, wie in Gesprächen manchmal festzustellen ist, sogar dazu führen, daß es heute Deutsche (darunter sogar Nachfahren von Ostvertriebenen) gibt, die ernsthaft glauben, die alten Ostgebiete Deutschlands seien 1939 von Hitler erobert worden - und 1945 mußten diese Gebiete nach solcher Auffassung eben gerechterweise wieder zurückgegeben werden. Die früher angewandte polnische Propagandaformel von den "wiedergewonnenen Gebieten" mag dazu das Ihrige auch bei den Deutschen von heute beigetragen haben. Die verbreitete Tabuisierung, die in der deutschen Öffentlichkeit über den endgültigen Verlust der deutschen Ostgebiete nach wie vor vorherrscht, gehört wohl mit zu den eigenartigsten Phänomenen in der Bundesrepublik Deutschland. Daran haben auch Fernsehserien über die Vertreibung oder Günter Grass' Buch "Im Krebsgang" sowie die Diskussion um das "Zentrum gegen Vertreibungen" wenig geändert.

Entsprechend unbekannt sind heute in Deutschland (und übrigens auch in Polen!) die Umstände und Abläufe, die 1945 dazu führten, daß diese Grenze entstehen konnte, sowie die Folgen dieser Grenzziehung.

Das vorliegende Buch soll eine übersichtliche geschichtswissenschaftliche Darstellung der Vorgänge sein, die zur Faktizität der heutigen deutsch-polnischen Grenze führten.

Die Zeit der konkreten Entstehung der "Oder-Neiße-Grenze" fällt eigentlich in den Zeitraum des Zweiten Weltkrieges. In dessen Endphase führten die Alliierten USA, Großbritannien und Sowjetunion auf "Kriegskonferenzen" in Teheran, Jalta und Potsdam von 1943 bis 1945 intensive Verhandlungen zum Thema polnische Nachkriegsgrenzen, in die direkt und indirekt auch die polnische Exilregierung bzw. die von Moskau unterstützte kommunistische polnische Regierung einbezogen waren. Für die Entstehung einer deutsch-polnischen Grenze an Oder und Lausitzer Neiße, soviel sei als Ergebnis schon vorausgeschickt, kam damals dem "innerkommunistischen" Verhältnis Stalins zu "seinen" Polen eine besondere, ja entscheidende Bedeutung zu.

Die Entstehungsgeschichte der Oder-Neiße-Linie als Grenze war mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges jedoch noch nicht abgeschlossen, da es auch noch eine lange Geschichte der völkerrechtlichen Anerkennung dieser Grenze gab. Auch existierte ein polnischer "Drang nach Westen" nicht erst seit dem Zweiten Weltkrieg, eine Tatsache, die bisher nicht genügend Aufmerksamkeit seitens der Historiographie erhalten hat.

In diesem Buch wird demzufolge die Geschichte der Oder-Neiße-Linie von ihrer "Vorgeschichte" in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg bis zu ihrer endgültigen völkerrechtlichen Anerkennung 1990/92 im Zuge der Wiederherstellung der deutschen Einheit erstmals in diesem Umfang zusammenfassend dargestellt. Ein eindeutiger Schwerpunkt der Darstellung liegt dabei in der Zeit der schon erwähnten "Kriegskonferenzen" von Teheran, Jalta und Potsdam, in der für die neue deutsch-polnische Grenze die Entscheidungen getroffen und verwirklicht wurden. Ferner werden jedoch ausführlicher die für die Entstehung dieser Grenze wichtige, lange vor dem Zweiten Weltkrieg entstandene polnische Ideologie des "Westgedankens" behandelt, sowie für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg westliche Revisionsvorstellungen der unmittelbaren Nachkriegszeit und die Haltung zur Oder-Neiße-Linie in den direkt davon betroffenen Staaten sowie bei den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges.

Für die Darstellung der Entstehungsgeschichte der Oder-Neiße-Linie konnte eine große Zahl von Quellenveröffentlichungen und Literatur herangezogen werden, die insbesondere in der Zeit von 1949 bis in die siebziger Jahre hinein erschienen sind. Hauptbearbeitungsgrundlage waren für den Schwerpunkt dieser Arbeit amerikanische und britische Quellenveröffentlichungen, die u. a. Protokolle über die "Kriegskonferenzen" der Alliierten enthalten. Von herausragender Bedeutung waren hierbei die von der Regierung der Vereinigten Staaten schon in den fünfziger und sechziger Jahren herausgegebenen materialreichen Aktenveröffentlichungen im Rahmen der Serie "Foreign Relations of the United States". Weiter wurden die von "Her Majesty's Stationery Office" erst seit 1984 herausgegebenen Bände der Serie "Documents on British Policy Overseas" (hier nur Material zur Potsdamer Konferenz), die offiziöse Darstellung Sir Llewellyn Woodwards "British Foreign Policy in the Second World War" und - als Ergänzung - die von Alexander Fischer bzw. vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR veröffentlichten sowjetischen Konferenzprotokolle verwendet. Wichtige Fundstellen für die Entscheidungsprozesse der Großmächte waren außerdem die die Großmächte und die polnische Frage behandelnde Quellensammlung von Antony Polonsky (1976) und - für Großbritannien - die 1989 herausgegebene Habilitationsschrift von Lothar Kettenacker über die Deutschlandplanung der britischen Regierung während des Zweiten Weltkrieges. Die Erinnerungen verschiedener an den Kriegskonferenzen beteiligter Personen, so die von Winston S. Churchill, Stanislaw Mikolajczyk oder Harry S. Truman, wurden ergänzend herangezogen. Wichtige Aufschlüsse brachten auch die 1991 veröffentlichten, aber schon Anfang der fünfziger Jahre verfaßten Erinnerungen des polnischen Generals Zygmunt Berling. Zu nennen sind schließlich die schon 1956 von Gotthold Rhode und Wolfgang Wagner herausgegebenen "Quellen zur Entstehung der Oder-Neiße-Linie".

Es mag - quellenkritisch angemerkt - als ein gewisser Mangel gelten, daß von den für die Entstehung der Oder-Neiße-Linie bedeutsamen "Kriegskonferenzen" keine offiziell von allen Teilnehmern gemeinsam genehmigten Protokolle angefertigt wurden. In den wesentlichen Teilen stimmen die amerikanischen, britischen und sowjetischen Aufzeichnungen jedoch überein. Wo Unterschiede von Bedeutung erkennbar waren, wurde dies vermerkt.

Für die wichtigen Vorgänge, die innerhalb des kommunistischen Machtbereichs letztlich zur Entscheidung geführt haben, die Oder-Neiße-Linie als deutsch-polnische Grenze durchzusetzen, konnten keine Originaldokumente bzw. Dokumenteneditionen eingesehen werden. Hier konnte jedoch auf aufschlußreiche Literatur zurückgegriffen werden, von der für diese Darstellung insbesondere die schon 1965 erschienene polnische Bearbeitung von Wlodzimierz Kowalski "ZSSR a granica na Odrze i Nysie Luzyckiej" (Die UdSSR und die Grenze an der Oder und Lausitzer Neiße), die in heiklen Punkten zwar lückenhaft und oft propagandistisch überzeichnet ist, in der der polnische Anteil an der Entstehung der Oder-Neiße-Linie jedoch nicht verschwiegen, sondern positiv herausgehoben wird, sowie die deutsche Bearbeitung von Viktoria Vierheller "Polen und die Deutschlandfrage 1939-1949" aus dem Jahr 1970, zu erwähnen sind. Was neuere Erkenntnisse über die Geschichte des "innerkommunistischen" Entscheidungsprozesses über die Oder-Neiße-Linie angeht, so sind für diese Darstellung Veröffentlichungen von Alexander Uschakow und wiederum Berlings Erinnerungen zu nennen. Für eine objektive Beurteilung der "Vorgeschichte" der Oder-Neiße-Linie ist in jüngerer Zeit der Darstellung von Roland Gehrke "Der polnische Westgedanke bis zur Wiedererrichtung des polnischen Staates nach Ende des Ersten Weltkrieges", die 2001 erschienen ist, außerordentlich viel zu verdanken, sowie die historischmentale Dimension der deutsch-polnischen Problematik betreffend den Veröffentlichungen von Georg W. Strobel. Für die Darstellung jüngster Aspekte der deutsch-polnischen Grenzgeschichte bin ich den sachlichen Artikeln von Autoren der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die oft genug als zuverlässige Informationsquelle dienten, sehr dankbar.

Die grobe Zweiteilung der vorliegenden Darstellung in die Zeit einer reinen Entstehungsgeschichte und die Zeit der "Anerkennungsgeschichte" der Oder-Neiße-Linie soll den sachlichen Unterschied zwischen einerseits der eigentlichen Entstehungsgeschichte der Grenzlinie vor allem in der Zeit der "Anti-Hitler-Koalition" und andererseits dem späteren politischen und völkerrechtlichen "Oder-Neiße-Konflikt" verdeutlichen. Der zeitliche Schnitt wurde dabei an der Zeit nach der Potsdamer Konferenz angelegt, da schon kurz nach dem Ende dieses interalliierten Gipfeltreffens das die Niederringung des "Dritten Reiches" und damit auch die Oder-Neiße-Linie ermöglichende Zweckbündnis "Anti-Hitler-Koalition" im beginnenden "Kalten Krieg" zerbrach, nachdem seine Hauptaufgabe erfüllt war.

Dieses Buch will im wesentlichen folgende Fragen beantworten: Wie kam es zur Oder-Neiße-Linie? Wer wollte diese Grenze seit wann und aus welchen Gründen? Wer hat die Oder-Neiße-Linie tatsächlich als Staatsgrenze durchgesetzt und verwirklicht? War im Grunde Hitler schuld an der Oder-Neiße-Grenze und damit an der Vertreibung der Ostdeutschen? Gab es je eine Möglichkeit der Revision dieser Grenze? Welche Bedeutung für die Entstehung der Oder-Neiße-Linie hatte eigentlich die Konferenz von Potsdam, die kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa stattfand, wirklich? War die neue deutsch-polnische Grenze tatsächlich als gemeinsamer Beschluß der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges eine Folge der Potsdamer Konferenz?

Da das Problem der Entstehung der Oder-Neiße-Linie sehr umfangreich ist, mußte für die Beantwortung dieser Fragen im Rahmen eines relativ knapp gehaltenen Buches eine Beschränkung auf das Wesentliche und Exemplarische erfolgen. Es wurde versucht, konkrete Entscheidungen, die Schritte in die Richtung der neuen deutsch-polnischen Grenze erbrachten, im Rahmen der teils auseinanderlaufenden, teils deckungsgleichen übergeordneten Interessen der Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkrieges darzustellen, da zwar die Polenfrage für die Alliierten ein zentrales Problem der Nachkriegsordnung war, die Grenzfrage demgegenüber jedoch eine vergleichsweise untergeordnete Bedeutung besaß, Entscheidungen oder Kompromisse in der Grenzfrage also immer in Zusammenhang mit für die Sieger übergeordneten Interessen gesehen werden müssen.

Jede in diesem Buch getroffene Aussage wird durch einen oder mehrere Fundstellennachweise belegt, wodurch nicht nur eine Überprüfbarkeit, sondern auch der Anreiz zu weiterem Nachlesen oder zu weiteren Forschungen gegeben werden soll. Hierzu dient auch das Literaturverzeichnis am Ende des Buches, in dem die in den Fundstellennachweisen nur in Kurzform aufgeführten Titel bibliographisch vollständig aufgeführt sind.

Mehrere Kartenskizzen verdeutlichen das im Text Dargestellte.

Diese Untersuchung möchte über die reine Darstellung historischer Tatsachen hinaus auch eine Auseinandersetzung mit der schwierigen und tragischen deutsch-polnischen jüngeren Vergangenheit leisten. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist jedoch nur möglich, wenn man diese auch kennt. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die nichts ausspart, auch keine unbequemen Wahrheiten, ist darüber hinaus eine wichtige Voraussetzung dafür, daß eine zukunftsweisende deutsch-polnische Verständigung, die diesen Namen verdient, überhaupt stattfinden kann. Auch hier gelten die Worte Richard von Weizsäckers, der im Zusammenhang mit der Ermordung der Juden durch das NS-Regime am 8. Mai 1985 ausführte, "daß es Versöhnung ohne Erinnerung gar nicht geben kann".1 Anschließen möchte ich mich an dieser Stelle auch den Worten des Historikers Michael Wolffsohn, der zum Volkstrauertag 1996 in der Frankfurter Paulskirche u. a. ausführte, daß man seelische Abwehrreaktionen erzeuge, "wenn aufgrund der verbrecherischen Nationalgeschichte des sogenannten "Dritten Reiches" das millionenfache individuelle Leid von Deutschen, zum Beispiel Flucht, Vertreibung oder der Bombenhagel auf Zivilisten, tabuisiert, minimiert oder nicht ernstgenommen wird. Die Rache an Deutschen war nach dem Zivilisationsbruch von Deutschen ihrerseits ein Rückfall ins vorzivilisatorische Zeitalter der Selbst- und Lynchjustiz. Mit "Aufrechnung" oder gar Verharmlosung der vorangegangenen deutschen Verbrechen hat dies nichts zu tun, alles aber mit Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, Vollständigkeit, Seele und Mitgefühl. Ohne Mitgefühl kein Miteinander, ohne Miteinander kein innerer, seelischer Frieden und neues Gegeneinander. Wer nicht die Toten des eigenen Volkes betrauert, wird erst recht nicht die Toten anderer Völker betrauern. Wer eigenes Leid kennt und öffentlich nennt, wird das Leid anderer eher nachfühlen können - und wollen. Ausschließlichkeit des nationalen oder individuellen Leids verhärtet Herz und Verstand den anderen gegenüber."2

Möge dieses Buch ein wenig dabei mithelfen, daß ein besonders dunkles Kapitel der europäischen Geschichte - immerhin wurden infolge der Aufrichtung der Oder-Neiße-Grenze Millionen von Menschen getötet, vertrieben oder umgesiedelt - vor dem Vergessenwerden oder vor der Verharmlosung bewahrt bleibt.
Autorenporträt
Dr. Michael Hartenstein, Jahrgang 1964, studierte als Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung Geschichte, Historische Geographie und Staatsrecht in Bonn und promovierte über nationalsozialistische Raum-, Siedlungs- und Landschaftsplanung im Osten. Hartenstein lebt und arbeitet heute in Österreich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.2007

Verschärfte Botschaft
Michael Hartenstein widmet sich wieder der Oder-Neiße-Linie

Mit Geschichtsdarstellungen auf aktuelle politische Diskussionen einzuwirken reizt manchen Autor und Verlag. Dabei wird nicht gescheut, jahrealte Thesen neu aufzuwärmen. Anhaltende Diskussionen um die Einrichtung eines nationalen "Zentrums gegen Vertreibungen" in Berlin kommen gerade recht, das Bild von dem Oktroy der alliierten Siegermächte zu korrigieren, die 1945 die Oder-Neiße-Linie vereinbarten, deutsche Ostgebiete unter polnische Verwaltung stellten und somit Schuld für Vertreibung der deutschen Bevölkerung tragen. Damit wird Kritik aus Polen begegnet, die Deutschen könnten eine selektive Erinnerungskultur betreiben und ein falsches Geschichtsbewusstsein produzieren. Nicht erst in jüngster Zeit bedienen sich polnische Politiker antideutscher Ressentiments zur eigenen Profilierung und belasten die bilateralen Beziehungen. Doch Michael A. Hartenstein publiziert hier kaum Neues. Bis auf das Eingangs- und Schlusskapitel entspricht der Text seiner 1997 veröffentlichten Schrift "Die Oder-Neiße-Linie. Geschichte der Aufrichtung und Anerkennung einer problematischen Grenze" - ohne es zu vermerken. Abgedrucktes Kartenmaterial ist identisch, Quellen- und Literaturverzeichnis sind auf dem Stand von vor zehn Jahren und älter, mit Ausnahme einiger neu aufgenommener Titel, die keineswegs den zeitgeschichtlichen Forschungsstand widerspiegeln.

Vorrangig geht es dem Autor darum, seine Behauptung von der Mitschuld des polnischen Nationalismus an der Entstehung der Grenzlinie zu untermauern. Mit ausführlichen Zitaten aus polnischer Literatur, Publizistik und Wissenschaft wird belegt, wie im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts das Streben der Polen nach Wiederherstellung eines eigenständigen Staates mit weitreichenden Expansionsvorstellungen nach Westen auf deutsche Reichsgebiete einherging. Infolge des Versailler Vertrages von 1919 bekam Polen durch erzwungene Abtretungen Teile der preußischen Provinzen Posen, Westpreußen, Niederschlesien und Ostpreußen. Danzig wurde "Freie Stadt". Die Siegermächte entsprachen zumeist Forderungen der polnischen Nationaldemokraten, beschnitten jedoch Polens Ostgrenze zu Russland an der Curzon-Linie. Deutsche Revisionsansprüche mündeten in den Hitler-Stalin-Pakt mit Plänen zur erneuten Teilung Polens. Aber schon vor Kriegsbeginn 1939 liebäugelten Anhänger der Piastenzeit unter Diplomaten und Militärs mit territorialen Ausdehnungen nach Ostpreußen und Breslau zur Schaffung eines Groß-Polen. Darin sieht Hartenstein den Beweis, dass der polnische Nationalismus und Stalins Annexion ostpolnischer Gebiete die eigentlichen Urheber der Oder-Neiße-Linie waren und nicht Hitlers Angriff auf Polen oder alliierte Entscheidungen.

Mitte 1944 vereinbarte Stalin hinter dem Rücken der Londoner Exilregierung mit polnischen Kommunisten in Moskau die "Westverschiebung", der Churchill und Roosevelt aus Nachgiebigkeit in Jalta und Potsdam 1945 zustimmten. Mit Billigung Stalins begannen in den eroberten Gebieten bis zur Oder und Neiße im Juni/Juli Säuberungsaktionen und Vertreibungen der deutschen Bevölkerung sowie Neubesiedlungen mit teils aus deren ehemaligen Ostgebieten vertriebenen Polen. Das Deutschen wie Polen zugefügte Leid wird kaum thematisiert, dafür aber umso ausführlicher geschaffenes Unrecht und materielle Überkompensation durch die bis zum Abschluss eines deutschen Friedensvertrages den Polen unterstellten Gebiete jenseits von Oder und Neiße. Auf den Vier-Mächte-Konferenzen der Nachkriegszeit unterblieb die endgültige Klärung der deutschen Ostgrenze, primär weil keine Einigung über Reparationen zustande kam und nicht weil sie kaum mehr revidierbar war.

Weit hinter bekanntem Wissensstand bewegt sich auch die oberflächlich geratene Wiedergabe der Diskussionen um die Grenzfrage von den fünfziger Jahren bis zur deutschen Einheit 1990. Kein Wort über die Hintergründe des Görlitzer Abkommens von 1950, in dem die DDR die Oder-Neiße-Grenze völkerrechtlich anerkannte. Bundeskanzler Adenauer wollte wie alle seine Nachfolger darüber erst bei konkreten Aussichten auf die Wiedervereinigung entscheiden. Dass er schon 1952 und später Helmut Kohl das Problem nur im gesamteuropäischen Kontext für lösbar hielten, bleibt unerwähnt, ebenso weitere triftige Gründe, die bei der endgültigen völkerrechtlichen Grenzanerkennung auch noch eine Rolle spielten.

Im abschließenden Kapitel zeichnet Hartenstein die teils in dieser Zeitung geführte Diskussion über das "Zentrum gegen Vertreibung" und die Restitution von Eigentum nach. Darin verschärft er seine Botschaft: Schuld an der Vertreibung der Deutschen ist die Grenzziehung, neben der Sowjetunion vom polnischen Nationalismus betrieben. Das unterminiert den nationalen Mythos von Polen als ewiges Opfer zwischen Deutschland und Russland und das nationale Selbstbild vom Volk widerständiger Helden.

HANNS JÜRGEN KÜSTERS

Michael A. Hartenstein: Die Geschichte der Oder-Neiße-Linie. "Westverschiebung" und "Umsiedlung" - Kriegsziele der Alliierten oder Postulat polnischer Politik? Olzog Verlag, München 2006. 271 S., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Im Osten nichts Neues. Was in Michael A. Hartensteins Buch geschrieben steht, kennt Hanns Jürgen Küsters schon aus anderer Quelle. Aus Hartensteins 1997 veröffentlichter Schrift "Die Oder-Neiße-Linie" und aus den in den Zeitungen geführten Debatten um das Berliner "Zentrum gegen Vertreibung". Richtig ungehalten scheint der Rezensent über das Publizieren von zehn Jahre alten Erkenntnissen, Karten- und Quellenmaterial, die mit dem neuesten Stand der Forschung nichts zu tun haben. Neu verfasste Eingangs- und Schlusskapitel genügen ihm nicht. Die These des Autors zur Rolle des polnischen Nationalismus bei der Grenzziehung möchte Küsters so, ohne Einbezug aktuellen Wissens, offenbar nicht mehr hören.

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