Kein Genre im Fernsehen ist so beliebt wie Talkshows. Doch was wir heute als Dauerreden am Nachmittag wahrnehmen, hat eine lange Geschichte. Harald Keller zeichnet sie nach: von den amerikanischen Vorbildern über die Gesprächssendungen im NS-Rundfunk, die Klassiker aus der Anfangszeit der Bundesrepublik bis hin zu den Shows von heute. Anhand umfangreicher Recherchen in viele Archiven ist ein unterhaltsames, faktenreiches Stück Kulturgeschichte entstanden - und ein Einblick in die deutsche Fernsehmentalität.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2009Reden auf Sendung
Wer an den Talkshows wieder einmal verzweifeln möchte, kann zu einem Buch greifen, das sich ihnen widmet: Harald Keller hat eine Geschichte des quotenträchtigen Genres in Deutschland vorgelegt.
Laut Umschlagtext handelt es sich um die erste umfassende Kulturgeschichte der Talkshow. Eine "Talkshow" ist aber keine "talk show", und es geht hauptsächlich um die deutsche Lokalisierung des Genres. Dass sich bisher noch niemand dieses Themas angenommen hat, das könnte zwei Gründe haben: Entweder es interessiert niemanden, oder es ist besonders schwierig, darüber zu schreiben.
Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte. Fernsehsendungen, deren Hauptinhalt darin besteht, dass diverse Personen miteinander parlieren, sind wie der Wetterbericht nicht für die Ewigkeit bestimmt. "Die Familie Hesselbach" bekommt man auf DVD, der "Internationale Frühschoppen" ist nur noch im Archiv seines Senders zu finden. Oder auch dort nicht, denn vom Fernsehen der Frühzeit existieren manchmal gar keine Aufzeichnungen mehr. Videorecorder kamen erst 1958 in Deutschland in Gebrauch, und die teuren Magnetbänder wurden gern gelöscht und wiederverwendet. Harald Keller kann deshalb viele der ganz alten Sendungen nur anhand von schriftlichen Quellen beschreiben.
Die Talkshow kommt aus den Vereinigten Staaten. Die Idee war naheliegend, schon weil solche Sendungen relativ billig zu produzieren waren. In Deutschland wurden regelmäßig Formate ausprobiert, die in Amerika bereits erfolgreich waren. Weshalb es auch sinnvoll ist, dass Keller mit einem Überblick über die Entwicklung in Amerika beginnt.
Bahnbrechend im Bereich der Late-Night-Show war in den Jahren 1954 bis 1957 "Tonight" mit Steve Allen. Vier Jahrzehnte später bedienten sich Jay Leno und seine Kollegen immer noch bei Allens Ideen. Und natürlich auch Thomas Gottschalk, der 1992 in Deutschland als Erster eine klassische Late-Night-Show hatte.
Das deutsche Fernsehen begann nach einer längeren Testphase im Jahr 1952 mit seinen Sendungen. Am Anfang war noch vieles an den Mustern des Hörfunks orientiert. Der hatte sich in den tausend Jahren des Dritten Reichs nicht gerade als Ort für freie Gespräche ausgewiesen. Nach dem Ende des Krieges sollte sich das ändern. Werner Höfer formulierte das einmal so: "Dieses Land war so etwas wie ein einziger großer Hyde Park, und an jeder Ecke baute jemand seine Apfelsinenkiste auf und ergriff das Wort."
Höfer bestritt zwar später immer, dass sein Sonntagsritual "Internationaler Frühschoppen mit sechs Journalisten aus fünf Ländern" (oder ähnlich) eine frühe Talkshow gewesen sei, aber die Sendung enthielt doch schon verschiedene ihrer Elemente: Die Gespräche waren tagesaktuell und boten eine effektive Mischung aus Information und Unterhaltung. Schon damals hatten solche Programme Markencharakter, die Moderatoren bürgten für gleichbleibende und vorhersehbare Qualität.
So ganz reif erwies sich das deutsche Publikum aber am Anfang noch nicht. So hatte die Sängerin und Schauspielerin Margot Hielscher 1955 in ihrer Sendung "Prominente - fast privat!" einmal Maurice Chevalier zu Gast. Die Zuschauer aber reagierten wütend, weil Chevalier auf Französisch sang und dazwischen englisch redete.
In den sechziger Jahren wurde das Klima rauher. Das Bundesverfassungsgericht verhinderte das "Adenauer-Fernsehen", stattdessen entstand das ZDF. Politische Fragen drängten in den Vordergrund. Schon früh gehorchte die Sendereihe "Pro + Contra" einem antagonistischen Prinzip. Hier wurde abgestimmt. Asylrecht verschärfen? sechzehn dafür, zehn dagegen.
Im nächsten Jahrzehnt wurden bei uns schließlich echte Talkshows nach amerikanischem Muster eingeführt. Zunächst brachte man in den dritten Programmen ein paar Beispiele der "Dick Cavett Show" in englischer Sprache, was aber eher zu Missverständnissen über den Fernsehalltag in den Vereinigten Staaten führte, denn es handelte sich um untypische Highlights. Aber bald konnte man das Wesen der Talkshow ohnehin anhand der einheimischen Praxis studieren. Dietmar Schönherr machte 1973 den Anfang mit "Je später der Abend": Wir waren endlich in der großen Welt angekommen. Es dauerte aber noch, bis sich die populären Formate herausgemendelt hatten.
1984 kam das Privatfernsehen. Es entstanden Blödel-Talkshows, Konfrontations-Talkshows am Nachmittag und schließlich wie in den Vereinigten Staaten die werktäglichen Late-Night-Shows, Gottschalk, Schmidt und Kerner. Diese Sendungen verloren durch ihre Häufigkeit den Ereignischarakter. Es war normal, dass sie im Niveau schwankten. Von 1999 an wurden die Talkshows am Nachmittag dann gern durch Gerichtsshows ersetzt. Das ist dasselbe in Grün, nur gibt es am Ende noch eine autoritäre Instanz, die stellvertretend für die Zuschauer eine Bewertung trifft. Die anvisierten Zuschauer mögen das offenbar.
Womit Kellers Buch auch schon fast am Ende ist. Es kommen nur noch zwei Anhängsel: über "Big Brother" und über die Gesprächssendungen in der DDR, wo die freie Konversation, man kann es sich denken, nicht so recht erblühte. Der Autor kommt auf alle möglichen Gegenstände im weiteren Umfeld der Talkshow, ausgewählte Sendungen werden im Detail beschrieben, liebevoll ausgewählte, wenn auch viel zu wenige Fotos kommen hinzu. Die Lektüre des stattlichen Bandes ist auf jeden Fall anregender als die meisten heutigen Sendungen in jenem Format, dessen Geschichte er beschreibt.
ERNST HORST.
Harald Keller: "Die Geschichte der Talkshow in Deutschland". Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2009. 476 S., Abb., br., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer an den Talkshows wieder einmal verzweifeln möchte, kann zu einem Buch greifen, das sich ihnen widmet: Harald Keller hat eine Geschichte des quotenträchtigen Genres in Deutschland vorgelegt.
Laut Umschlagtext handelt es sich um die erste umfassende Kulturgeschichte der Talkshow. Eine "Talkshow" ist aber keine "talk show", und es geht hauptsächlich um die deutsche Lokalisierung des Genres. Dass sich bisher noch niemand dieses Themas angenommen hat, das könnte zwei Gründe haben: Entweder es interessiert niemanden, oder es ist besonders schwierig, darüber zu schreiben.
Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte. Fernsehsendungen, deren Hauptinhalt darin besteht, dass diverse Personen miteinander parlieren, sind wie der Wetterbericht nicht für die Ewigkeit bestimmt. "Die Familie Hesselbach" bekommt man auf DVD, der "Internationale Frühschoppen" ist nur noch im Archiv seines Senders zu finden. Oder auch dort nicht, denn vom Fernsehen der Frühzeit existieren manchmal gar keine Aufzeichnungen mehr. Videorecorder kamen erst 1958 in Deutschland in Gebrauch, und die teuren Magnetbänder wurden gern gelöscht und wiederverwendet. Harald Keller kann deshalb viele der ganz alten Sendungen nur anhand von schriftlichen Quellen beschreiben.
Die Talkshow kommt aus den Vereinigten Staaten. Die Idee war naheliegend, schon weil solche Sendungen relativ billig zu produzieren waren. In Deutschland wurden regelmäßig Formate ausprobiert, die in Amerika bereits erfolgreich waren. Weshalb es auch sinnvoll ist, dass Keller mit einem Überblick über die Entwicklung in Amerika beginnt.
Bahnbrechend im Bereich der Late-Night-Show war in den Jahren 1954 bis 1957 "Tonight" mit Steve Allen. Vier Jahrzehnte später bedienten sich Jay Leno und seine Kollegen immer noch bei Allens Ideen. Und natürlich auch Thomas Gottschalk, der 1992 in Deutschland als Erster eine klassische Late-Night-Show hatte.
Das deutsche Fernsehen begann nach einer längeren Testphase im Jahr 1952 mit seinen Sendungen. Am Anfang war noch vieles an den Mustern des Hörfunks orientiert. Der hatte sich in den tausend Jahren des Dritten Reichs nicht gerade als Ort für freie Gespräche ausgewiesen. Nach dem Ende des Krieges sollte sich das ändern. Werner Höfer formulierte das einmal so: "Dieses Land war so etwas wie ein einziger großer Hyde Park, und an jeder Ecke baute jemand seine Apfelsinenkiste auf und ergriff das Wort."
Höfer bestritt zwar später immer, dass sein Sonntagsritual "Internationaler Frühschoppen mit sechs Journalisten aus fünf Ländern" (oder ähnlich) eine frühe Talkshow gewesen sei, aber die Sendung enthielt doch schon verschiedene ihrer Elemente: Die Gespräche waren tagesaktuell und boten eine effektive Mischung aus Information und Unterhaltung. Schon damals hatten solche Programme Markencharakter, die Moderatoren bürgten für gleichbleibende und vorhersehbare Qualität.
So ganz reif erwies sich das deutsche Publikum aber am Anfang noch nicht. So hatte die Sängerin und Schauspielerin Margot Hielscher 1955 in ihrer Sendung "Prominente - fast privat!" einmal Maurice Chevalier zu Gast. Die Zuschauer aber reagierten wütend, weil Chevalier auf Französisch sang und dazwischen englisch redete.
In den sechziger Jahren wurde das Klima rauher. Das Bundesverfassungsgericht verhinderte das "Adenauer-Fernsehen", stattdessen entstand das ZDF. Politische Fragen drängten in den Vordergrund. Schon früh gehorchte die Sendereihe "Pro + Contra" einem antagonistischen Prinzip. Hier wurde abgestimmt. Asylrecht verschärfen? sechzehn dafür, zehn dagegen.
Im nächsten Jahrzehnt wurden bei uns schließlich echte Talkshows nach amerikanischem Muster eingeführt. Zunächst brachte man in den dritten Programmen ein paar Beispiele der "Dick Cavett Show" in englischer Sprache, was aber eher zu Missverständnissen über den Fernsehalltag in den Vereinigten Staaten führte, denn es handelte sich um untypische Highlights. Aber bald konnte man das Wesen der Talkshow ohnehin anhand der einheimischen Praxis studieren. Dietmar Schönherr machte 1973 den Anfang mit "Je später der Abend": Wir waren endlich in der großen Welt angekommen. Es dauerte aber noch, bis sich die populären Formate herausgemendelt hatten.
1984 kam das Privatfernsehen. Es entstanden Blödel-Talkshows, Konfrontations-Talkshows am Nachmittag und schließlich wie in den Vereinigten Staaten die werktäglichen Late-Night-Shows, Gottschalk, Schmidt und Kerner. Diese Sendungen verloren durch ihre Häufigkeit den Ereignischarakter. Es war normal, dass sie im Niveau schwankten. Von 1999 an wurden die Talkshows am Nachmittag dann gern durch Gerichtsshows ersetzt. Das ist dasselbe in Grün, nur gibt es am Ende noch eine autoritäre Instanz, die stellvertretend für die Zuschauer eine Bewertung trifft. Die anvisierten Zuschauer mögen das offenbar.
Womit Kellers Buch auch schon fast am Ende ist. Es kommen nur noch zwei Anhängsel: über "Big Brother" und über die Gesprächssendungen in der DDR, wo die freie Konversation, man kann es sich denken, nicht so recht erblühte. Der Autor kommt auf alle möglichen Gegenstände im weiteren Umfeld der Talkshow, ausgewählte Sendungen werden im Detail beschrieben, liebevoll ausgewählte, wenn auch viel zu wenige Fotos kommen hinzu. Die Lektüre des stattlichen Bandes ist auf jeden Fall anregender als die meisten heutigen Sendungen in jenem Format, dessen Geschichte er beschreibt.
ERNST HORST.
Harald Keller: "Die Geschichte der Talkshow in Deutschland". Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2009. 476 S., Abb., br., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Ernst Horst scheint zufrieden mit Harald Kellers Geschichte der Talkshow im deutschen Fernsehen. So wie offenbar der Autor erzählt auch der Rezensent ausführlich die Entwicklung des Formats von den Anfängen bis heute nach. Unklar bleibt, welche neuen Erkenntnisse Horst aus dem Buch gezogen hat. Er hebt hervor, dass Keller ausgewählte Sendungen detailliert beschreibt. Besonders gefallen haben ihm auch die "liebevoll" ausgewählten Fotos, von denen er sich allerdings mehr gewünscht hätte. Die Lektüre des Bandes scheint ihm "anregender als die meisten heutigen Sendungen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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