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Die USA sind die einzige westliche Demokratie, die bis heute an der Todesstrafe festhält. Von der Kolonialzeit bis zur Gegenwart zeigt dieses Buch, daß die verordnete Tötung von Menschen nicht nur ein Instrument des Strafrechts ist, sondern zugleich ein Ausdruck der amerikanischen Gesellschaftsordnung und ihrer Weltbilder. So ist es beispielsweise alles andere als ein Zufall, daß weit überproportional afroamerikanische Männer aus sozial benachteiligten Milieus zum Tode verurteilt werden. Auch die Praxis der Todesstrafe - etwa die Abschaffung der öffentlichen Hinrichtung oder die Einführung des…mehr

Produktbeschreibung
Die USA sind die einzige westliche Demokratie, die bis heute an der Todesstrafe festhält. Von der Kolonialzeit bis zur Gegenwart zeigt dieses Buch, daß die verordnete Tötung von Menschen nicht nur ein Instrument des Strafrechts ist, sondern zugleich ein Ausdruck der amerikanischen Gesellschaftsordnung und ihrer Weltbilder. So ist es beispielsweise alles andere als ein Zufall, daß weit überproportional afroamerikanische Männer aus sozial benachteiligten Milieus zum Tode verurteilt werden. Auch die Praxis der Todesstrafe - etwa die Abschaffung der öffentlichen Hinrichtung oder die Einführung des elektrischen Stuhls - spiegelt ebenso wie ihre Darstellung in den Medien und der Literatur allgemeine Entwicklungen in den USA. Jürgen Martschukats Buch ist eine kenntnisreiche und kritische Einführung in eines der brisantesten Themen der amerikanischen Gesellschaft.

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Autorenporträt
Jürgen Martschukat, Dr. phil. habil., ist Privatdozent für Neuere Geschichte an der Universität Hamburg. Er hat zuletzt das Werk Inszeniertes Töten. Eine Geschichte der Todesstrafe vom 17. bis zum 19. Jahrhundert (2000) vorgelegt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2002

Schwarz + arm = tot
Ungleichgericht: Die Geschichte der Todesstrafe in den USA
Seit George W. Bush ins Weiße Haus eingezogen ist, scheinen die Unterschiede in den Einstellungen und Überzeugungen, die Europa von den USA trennen, größer geworden zu sein als je zuvor. Angefangen bei der Ökologie und den Kernwaffentests über die Haftstrafe bis zu militärischen Ausgaben, zur Wiedergeburt ihres Patriotismus und dem Einsatz ihrer Militärmacht scheinen die USA heute nicht nur ein anderer Kontinent, sondern eine andere Welt zu sein.
Einer der sichtbarsten Unterschiede ist die Frage der Todesstrafe. Während die europäischen Länder die Todesstrafe abgeschafft haben, und zwar in den meisten – allerdings nicht in allen – Fällen mit Zustimmung einer Mehrheit ihrer Bürger, haben die USA die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen. Zwischen 1977 und Ende 2000 wurden in den USA 683 Straftäter hingerichtet, eine Politik, die Mitte der 1990er Jahre von achtzig Prozent der amerikanischen Bevölkerung unterstützt wurde. Ende des zwanzigsten Jahrhunderts saßen rund 3700 zum Tode verurteilte Gefangene in den Todeszellen, und die Regierung versprach, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um deren Wartezeit zu verkürzen.
Wie Jürgen Martschukat zeigt, ist das nicht immer so gewesen. Nach 1945 wandte sich die öffentliche Meinung in den USA zunehmend gegen die Todesstrafe. Ende der 1960er Jahre ordnete der Oberste Gerichtshof praktisch eine Einstellung der Hinrichtungen an, woraufhin fast ein Jahrzehnt lang keine mehr vollstreckt wurden. Warum aber wurden die Hinrichtungen dann zu einem Zeitpunkt wieder aufgenommen, als die meisten europäischen Staaten entweder dabei waren, die Todesstrafe abzuschaffen, oder sie schon längst abgeschafft hatten?
Dafür waren verschiedene Faktoren ausschlaggebend, von der Besetzung des Obersten Gerichtshofs der USA mit konservativen Richtern unter den Präsidenten Nixon und Reagan bis hin zum Aufstieg des christlichen Konservatismus mit seiner Doktrin von der gottgesegneten Vergeltungsgerechtigkeit für Mörder. Da in den USA Richter und Staatsanwälte nicht ernannt, sondern gewählt werden, konnten sie vom Umschwung der öffentlichen Meinung nicht unberührt bleiben. Demokraten wie Bill Clinton und Al Gore sind ebenso für die Todesstrafe wie ihre republikanischen Gegner.
Schließlich haben auch die tödlichen Injektionen, die an die Stelle des elektrischen Stuhls und der Gaskammer getreten sind, die Wiedereinführung der Todesstrafe erleichtert. Die vermeintliche Abkoppelung des Todes von physischem Schmerz beruhigte das öffentliche Gewissen, das die seelische Qual des Delinquenten geflissentlich ignorierte.
Die Hingerichteten in den USA sind in der Mehrheit männliche Arme von geringem Bildungsgrad, die wenig Chancen auf einen fairen Prozess hatten, da sich achtzig Prozent von ihnen keinen Verteidiger leisten konnten. Die Pflichtverteidiger rühren oft keinen Finger für eine wirksame Verteidigung. Vierzig Prozent der Hingerichteten sind Schwarze, obwohl Afroamerikaner nur zwölf Prozent der Bevölkerung ausmachen. Es ist in Georgia 22 mal wahrscheinlicher, dass ein Schwarzer hingerichtet wird, der einen Weißen getötet hat, als dass ein Weißer exekutiert wird, der einen Schwarzhen auf dem Gewissen hat.
Die Todesstrafe ist immer überwiegend gegen die Armen und gegen Afroamerikaner eingesetzt worden. Sie sei, argumentiert Martschukat, immer ein Instrument der Klassen- und vor allem der Rassenunterdrückung gewesen. Dementsprechend haben Bundesstaaten mit einem nur geringen Anteil an Afroamerikanern die Todesstrafe relativ bald abgeschafft, während Südstaaten wie Georgia und Alabama sie beibehalten haben. Auch in jüngster Zeit marschierte der Süden bei der Wiederaufnahme der Hinrichtungen an der Spitze.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass die treibende Kraft hinter dem Kampf zur Abschaffung der Todesstrafe die Bürgerrechtsbewegung war und dass der Zeitraum der faktischen Aussetzung der Todesstrafe in den siebziger Jahren mit der Zeit der größten Erfolge dieser Bewegung zusammenfiel. Hierin lag jedoch zugleich der Keim ihres Scheiterns.
Die Argumente, die gegen die Todesstrafe vorgebracht wurden, stützten sich wie die Argumente der Bürgerrechtsbewegung generell auf verfassungsrechtliche und legalistische, mitunter sogar auf recht technische Punkte, und nicht auf grundsätzliche Überlegungen. So wurde zu viel Nachdruck auf Fälle von fälschlichen Hinrichtungen gelegt, die es freilich in großer Zahl gab. Als die DNS-Analyse einige dieser Fälle aufdeckte, wurde das Prinzip der Todesstrafe hierdurch keineswegs zusätzlich in Frage gestellt, sondern gestärkt. Künftig, so der Glaube, kann die DNS-Analyse die Gewissheit liefern, dass der Hingerichtete wirklich derjenige ist, der das Verbrechen begangen hat. Sie bekräftigt das Prinzip der Todesstrafe, indem sie die juristischen Verfahren, die ihrer Verhängung vorausgehen, zu perfektionieren verspricht.
Jürgen Martschukat hat ein informatives Buch geschrieben, reich an nützlichen und zuverlässigen Daten zur Todesstrafe wie zur kulturellen Aufbereitung von Hinrichtungen in Film, Fernsehen und Presse. Dagegen trägt sein Buch nicht viel zur Klärung der Frage bei, warum die USA in diesem Punkt einen so anderen Weg eingeschlagen haben als Europa. Dieses Manko liegt hauptsächlich am Foucaultschen Ansatz Martschukats, der alles auf eine Frage der Macht reduziert. Natürlich ist es richtig, dass es massive soziale und ethnische Ungleichheiten bei der Verhängung der Todesstrafe in den USA gegeben hat. Aber das allein erklärt noch nicht viel. So bauen europäische Gesellschaften noch heute auf einem beträchtlichen Maß an sozialer und ethnischer Ungleichheit auf. Trotzdem verzichtet die weiße Mittelschichtsmehrheit in Europa auf die Todesstrafe als Herrschaftsinstrument.
Nichts gegen Gewalt
In Martschukats Darstellung fehlt jede Überlegung darüber, dass die Todesstrafe in den USA mit Struktur und Häufigkeit der Kriminalität – über die wir so gut wie nichts erfahren – oder mit einem Strafvollzug zusammenhängen könnte, der die Gefängnispopulation der USA zur prozentual höchsten in der ganzen Welt macht; oder dass diese Dinge besonders mit Problemen der Drogensucht zu tun haben. Abgesehen von einer Bemerkung zu Beginn des Buches, wonach die amerikanische Kultur eine auf die Tage der frontier zurückgehende, hohe Toleranz für zwischenmenschliche Gewalttätigkeit aufweise, hat der Autor wenig oder nichts über die kulturellen Werte zu sagen, die diese Eigentümlichkeiten der amerikanischen Gesellschaft bewirken.
Gerade der kulturelle Hintergrund ist wohl von entscheidender Bedeutung für die Erklärung der Strukturen, die dieses Buch aufdeckt. So ist der Aufstieg der religiösen Rechten in den USA nicht zu verstehen, wenn man nicht weiß, dass es zu den Säkularisierungsprozessen, welche die europäischen Gesellschaften seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts durchgemacht haben, kaum Parallelen in den USA gegeben hat. Die Religion, und vor allem die fundamentalistische Religion, war und bleibt in vielen Gesellschaften die stärkste Befürworterin der Idee der Vergeltungsgerechtigkeit. Je größer die Priorität, die dem Leben im Jenseits beigelegt wird, desto geringer die Wichtigkeit, die die Erhaltung des Lebens auf Erden genießt, wie das Beispiel der katholischen Zentrumspartei in Deutschland, während der Zeit ihres Bestehens eine eifrige Befürworterin der Todesstrafe, zur Genüge beweist.
Martschukat, so scheint es, ist an diesen generellen Aspekten der amerikanischen Kultur kaum interessiert, nicht bloß, weil ihn sein Foucaultscher Ansatz für alles andere als die Wirkungsweise der Macht blind macht, sondern auch, weil er – wie man nach der Lektüre nicht umhin kann festzustellen – die USA eigentlich nicht mag. Der hauptsächliche Beweggrund für das Schreiben dieses Buches scheint moralische Entrüstung gewesen zu sein, nicht aber das, was der Hauptzweck jeder historischen Wissenschaft ist oder sein sollte: der Wunsch zu verstehen. Moralische Entrüstung ist bei diesem Thema allzu leicht für den Autor wie für den Leser. Verstehen ist schwieriger. Dass Martschukat diese Mühe nicht auf sich genommen hat, ist ein weiteres kleines Indiz für die immer breiter werdende Kluft des Verstehens zwischen Europa und Amerika.
RICHARD EVANS
JÜRGEN MARTSCHUKAT: Die Geschichte der Todesstrafe in Nordamerika. Von der Kolonialzeit bis zur Gegenwart. Verlag C. H. Beck, München 2002. 224 Seiten, 12,90 Euro.
Richard J. Evans ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Cambridge.
Deutsch von Holger Fliessbach.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Andreas Eckert nimmt die Studie, die die Geschichte der Todesstrafe in den USA vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart aufarbeitet, gegen einen möglichen Vorwurf des "Anti-Amerikanismus" in Schutz und unterstreicht, dass das Buch eine wichtige "Lücke" schließt. Er lobt den Autor nachdrücklich für seine "nüchterne" und dabei "gut lesbare" Arbeit und sieht überzeugend dargelegt, dass vor allem afroamerikanische Bürger von der Todesstrafe betroffen sind und damit Rassismus in der amerikanischen Rechtsprechung nachgewiesen werden kann. Nicht selten würden nämlich fehlerhafte Verfahren vor allem gegen schwarze Häftlinge zur Todesstrafe führen, wie der auch in Deutschland bekannte Fall des Abu-Jamal zeigt, so der Rezensent betroffen. Eckert betont, dass das Buch einen "wichtigen Beitrag zur Historisierung eines der brisantesten Themen" von heute leistet, das er durch den Autor gründlich und überzeugend dargelegt sieht.

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