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Seine Geschichte beginnt vor ziemlich genau 150 Jahren, im New York der 1850er Jahre. In amerikanischen Hotels der Ostsküste sind Fahrstühle bereits zehn Jahre später die Regel, in Europa verläuft die Ausbreitung etwas langsamer. Doch einige Jahrzehnte später ist er hier wie dort eine urbane Selbstverständlichkeit. So unscheinbar sich diese Neuerung auf den ersten Blick ausnimmt: Sie hatte mannigfache Auswirkungen, von der Umstrukturierung der Häuser bis zur literarischen Imagination, die sich mit diesem beweglichen Ort verband. Andreas Bernard verbindet in seiner Darstellung dieser Geschichte…mehr

Produktbeschreibung
Seine Geschichte beginnt vor ziemlich genau 150 Jahren, im New York der 1850er Jahre. In amerikanischen Hotels der Ostsküste sind Fahrstühle bereits zehn Jahre später die Regel, in Europa verläuft die Ausbreitung etwas langsamer. Doch einige Jahrzehnte später ist er hier wie dort eine urbane Selbstverständlichkeit. So unscheinbar sich diese Neuerung auf den ersten Blick ausnimmt: Sie hatte mannigfache Auswirkungen, von der Umstrukturierung der Häuser bis zur literarischen Imagination, die sich mit diesem beweglichen Ort verband. Andreas Bernard verbindet in seiner Darstellung dieser Geschichte auf elegante und anregende Weise Technikgeschichte, Architektur, Prozesse der Modernisierung und Urbanisierung, Alltagsphänomene und Literatur- und Filmanalyse.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Andreas Bernard ist Redakteur des "Magazins" der der Süddeutschen Zeitung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2006

Welcher Stock, bitte?
Katastrophenverhüter: Andreas Bernard sieht im Fahrstuhl den eigentlichen Ort der Moderne / Von Heinrich Wefing

Als die Fahrstühle fuhren, stieg das Ansehen der oberen Etagen, und die Chefs und die Reichen packten ihre Sachen und zogen nach oben.

Es scheint so etwas wie eine zivilisatorische Konstante zu sein, daß technische Neuerungen kurz vor ihrer Durchsetzung erst einmal Angstschübe auslösen. Heute schürt der weltumspannende Daten- und Geldfluß die Sorgen vor einem Niedergang Westeuropas, vor fünfundzwanzig Jahren ging die Furcht vor der Atomkraft um, und in der Frühzeit der Mobilisierung wurde ernsthaft angenommen, die Geschwindigkeit von Dampfzügen könne den Passagieren den Verstand rauben.

Sogar die Einführung des Aufzugs wurde von umwölkten Mienen und erhobenen Zeigefingern begleitet. Endlose Abhandlungen liegen in den Archiven der Technikgeschichte, deren Autoren sich über die Absturzsicherung von Aufzügen ergehen, und um die Reißfestigkeit der frühen Fahrstuhlseile haben sich Legionen von Staatsbeamten verdient gemacht. Paradoxerweise datiert die Aufzugindustrie in ihrer Unternehmensgeschichte die Geburtsstunde des Fahrstuhls nicht auf seine Jungfernfahrt, sondern auf den Moment, da erstmals ein zuverlässiges Bremssystem für abstürzende Aufzüge präsentiert wurde. "Am Anfang der Fahrstuhlgeschichte", schreibt Andreas Bernard in seiner faszinierenden Studie, "steht die aufwendig präsentierte Verhütung einer Katastrophe". Erst als die Gefahr demonstrativ gebannt schien, konnte sich der Aufzug durchsetzen.

So kurios derlei Ängste heute anmuten, da Fahrstühle allenfalls noch in einfallslosen Spielfilmen abstürzen, so sehr ist auch in Vergessenheit geraten, wie verwirrend neu die schwebende Bewegung in der Vertikalen einst war, und welch tiefe Spuren sie in unserer Welt hinterlassen hat, in Bauplänen und Verhaltensmustern, in Literatur und Werbespots, und in unserer Vorstellung von oben und unten. Eben diese Spuren zu suchen und zu entziffern ist das Anliegen von Bernards Buch.

Man erfährt vieles über uralte Hebevorrichtungen, die es lang vor den modernen Aufzügen gab, man liest interessiert über die Ablösung von Handkurbeln durch Druckknöpfe und deren psychologische Konsequenzen oder kann die Ausbreitung von Fahrstühlen in Berliner Hotels nachvollziehen und, viel früher und erheblich erfolgreicher, in Geschäftshäusern in New York, die eine Weile lang der technischen Neuerung wegen "elevator buildings" hießen. Diese sachliche Aufklärung über den Fortschritt der Ingenieure ist nur die erste Erkenntnisschicht des Buches, die Grundlage, von der aus der Autor sich an eine Archäologie verschütteter Begriffsverschiebungen, Einstellungsänderungen und Sensationen macht: "Die folgenden Seiten bemühen sich, dem im zwanzigsten Jahrhundert matt und unscheinbar gewordenen Gegenstand des Fahrstuhls den Glanz der Fremdheit zurückzugeben", heißt es in der Einleitung, und die Mühe trägt funkelnde Früchte.

Andreas Bernard nutzt dabei weit verstreute Quellen. Er liest mit der gleichen Neugier amtliche Bauordnungen wie Werbefibeln von Fahrstuhlherstellern, Wohnungsannoncen oder Hygienetraktate, Kafka und Foucault, lauscht den geheimen Botschaften der vielen Werbespots, die in Aufzügen spielen, decodiert Filme und wertet vergilbte Preislisten von Hotels aus. Hinweise auf die Verwandtschaft des Aufzugs mit dem Beichtstuhl finden sich in dem Buch ebenso wie die Erinnerung daran, daß der Fahrstuhl anfangs nur für den Transport nach oben genutzt wurde, was in den Worten "Aufzug" oder "ascenseur" anklingt, während der Weg hinunter selbstverständlich zu Fuß zurückgelegt wurde; derart selbstverständlich gar, daß in der zweiten Fallgeschichte aus Freuds und Breuers "Studien über Hysterie" der Neurose-Schub der Patientin "Emmy v. N." noch damit erklärt werden konnte, sie mache sich Vorwürfe, ihre Kinder gezwungen zu haben, den Lift auch einmal für die Fahrt abwärts zu benutzen.

Derart überempfindlich darf der Leser von Bernards Buch nicht sein, das munter hin und her saust. Aus der simplen Feststellung etwa, daß Baron Haussmanns rücksichtslose Umgestaltung von Paris und die Gründung der "Otis Elevator Company", ins selbe Jahr fallen, 1853, entwickelt Bernard auf wenigen Seiten die anregende These, der Aufzugsschacht habe eine "ähnliche Bresche durch die Ebenen des Hauses" geschlagen "wie der Boulevard durch die Straßen der Stadt"; er habe "eine vertikale Haussmannisierung ins Werk" gesetzt: "Es ist nicht übertrieben, die Jahrzehnte zwischen 1820 und 1880 als Zeitalter der Begradigungen zu bezeichnen; vielleicht könnte man sogar sagen, daß sich das Projekt der Moderne architektur- und städtebauhistorisch als Praxis des Breschelegens äußert."

Gelegentlich mag es mit Bernards Begeisterung für seinen Gegenstand ein wenig durchgehen. So wird man gewiß der von ihm vorgetragenen, aber nicht neuen Feststellung zustimmen können, erst der Fahrstuhl habe den Wolkenkratzer möglich gemacht. "Die gesamte Geschichte des Hochhauses ist eine Hommage an die Erfinder des Aufzugs", heißt es bei dem Architekturhistoriker Francisco Mujica über die Entstehung des "skyscrapers". Bernard geht einen Schritt weiter und behauptet, der Einbau von Aufzügen in Geschäftshäusern habe eine "disziplinierende Funktion" für deren innere Organisation und die Regelhaftigkeit ihrer Grundrisse gehabt. Plausibler ist es, an die von Bernard kaum erwähnten, aber mächtigen Kräfte von statischer Optimierung, Standardisierung und Rationalisierung des Bauens zu denken, die das Hochstapeln immer gleicher Stockwerke hervorgebracht haben.

Aber letztlich prallen derlei Einwände an dem Buch ab, denn entscheidend kommt es Bernard nicht auf die architektonische Umgestaltung von Bürobauten an, sondern auf die völlige Umkehrung ihrer symbolischen Hierarchie, die sich innerhalb von sechzig Jahren vollzog. Jahrhundertelang war das erste Stockwerk eines Hauses, die "Bel Etage", der Ort der Wohlhabenden. Dort wohnte die Herrschaft, dort mußte man im Hotel die höchsten Preise zahlen. Unter dem Dach, wohin man nur über Stiegen und Gänge gelangte, hausten die Dienstboten und die lausigsten Pensionsgäste. Ein, zwei Generationen später haben sich die Dinge auf den Kopf gestellt, mit unterschiedlicher Geschwindigkeit auf beiden Seiten des Atlantiks. Schon im Jahre 1897 kann ein amerikanischer Artikel deshalb jauchzen, es gebe einen neuen Typus von Geschäftsleuten, die "Hoch-Lebenden" ("high livers"), die ihr Büro oben haben, "wo die Luft kühl und frisch ist, die Aussicht weit und schön, und wo Ruhe herrscht im Trubel der Stadt". Fortan, bis heute, bildet sich das soziale Prestige in der räumlichen Lage ab: Wer oben angekommen ist, wohnt und arbeitet auch oben, die "Chefetage" liegt im höchsten Stockwerk, und das "Penthouse" ist geradezu Synonym für Luxus und Ausschweifung geworden. Eine Entwicklung, die ohne den Fahrstuhl nicht vorstellbar wäre.

Der Aufzug, der uns heute so langweilig erscheint, war einst ein Vehikel des Wandels von bezwingender Kraft. Das ist, in einem Satz, die Einsicht, die Andreas Bernhards elegante "Geschichte des Fahrstuhls" nahelegt. Wer das Buch gelesen hat, wird sich immer daran erinnern, wenn er einen Aufzug betritt.

Andreas Bernard: "Die Geschichte des Fahrstuhls". Über einen beweglichen Ort der Moderne. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2006. 335 S., mehrere Abbildungen, br., 16,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wer dies Buch gelesen hat, wird die Fahrstühle der Welt mit anderen Augen sehen, verspricht Rezensent Heinrich Wefing. Denn diese Geschichte ist weit mehr als eine Sammlung von Fakten zur Entwicklung einer neuen Technik - freilich erfährt man dazu offenbar auch eine Menge. Der Aufzug, das kann Andreas Bernard belegen, hat vielmehr Kulturgeschichte geschrieben. Nicht zuletzt hat er das Leben in Häusern grundlegend verändert. Vor dem Aufzug nämlich war unten, die Beletage, das Höchste. Heutzutage gönnt man sich im Penthouse, zu dem einen der Fahrstuhl transportiert, den Luxus der Erdenthobenheit. Wolkenkratzer wären ohne Fahrstuhl selbstredend unmöglich, ja, Bernard spricht sogar von einer "Hausmannisierung" des Häuserbaus im Gefolge der Gründung der "Otis Elevator Company" im Jahre 1853. Auch wenn, wie Wefing kurz anmerkt, der Autor gelegentlich vom eigenen Deutungsschwung ein wenig aus der Kurve getragen werde: Eine Augen öffnende und "faszinierende Studie" ist das allemal.

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