Die Geschichte des Traditionsunternehmens Bahlsen bietet einen seltenen Einblick in die ansonsten verborgene Welt des deutschen Mittelstandes.Bahlsen, das steht nicht nur fast synonym für das Genussmittel Keks, sondern ist tatsächlich auch dessen »Erfinder« in Deutschland. Es war der Firmengründer Hermann Bahlsen, dessen Wortschöpfung »Keks« (vom englischen »Cakes«) es 1915 in den Duden schaffte. Bis heute verfügt das in Hannover ansässige Traditionsunternehmen über einige der bekanntesten Marken für Nahrungsmittel in Deutschland. Dabei steht es aber auch für einen Unternehmenstyp, der zwar zentral für die deutsche Wirtschaft ist, über dessen Geschichte wir jedoch wenig wissen: Den Mittelstand. Wie hat er sich zum Nationalsozialismus gestellt? Wie denken und handeln Familienunternehmer angesichts der politischen und ökonomischen Erschütterungen des 20. Jahrhunderts? Wie gestalteten sie das Verhältnis zu ihren Mitarbeitern? Unter welchen Bedingungen wurden insbesondere die ausländischen Zwangsarbeiterinnen im »Dritten Reich« behandelt?Hartmut Berghoff und Manfred Grieger gehen diesen Fragen auf Grundlage bislang nicht ausgewerteter Quellen nach. Die Autoren behandeln die Geschichte des Hauses Bahlsen vom späten Kaiserreich bis zur Bundesrepublik und bieten damit detaillierte Einblicke in die Wirtschafts- und Politikgeschichte sowie die Sozial- und Konsumgeschichte einer Zeit voller herausfordernder Umbrüche.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Ein Stück schmerzhafte deutsche Wirtschaftsgeschichte legen die Historiker Hartmut Berghoff und Manfred Grieger hier laut Rezensent Bastian Brandau vor. Entlang des Buches zeichnet Brandau nach, wie die Bahlsen-Chefs - Söhne des Firmengründers Hermann Bahlsen - früh in die NSDAP eintraten, beziehungsweise gar die SS unterstützten. Eine Keksmischung für eine Reichsmark wurde zum Erfolgsprodukt, überhaupt stieg der Umsatz in der NS-Zeit, bis nach Kriegsausbruch Arbeiterinnen fehlten, die durch Zwangsarbeiterinnen ersetzt wurden. Diese Arbeiterinnen wurden keineswegs so gut behandelt, wie die Bahlsen-Erben lange behauptet hatten, stellt Brandau mit Berghoff und Grieger klar, Bezahlung und Verpflegung waren schlecht, und dass die Arbeiterinnen mit der Straßenbahn zur Arbeit fahren durften, lag nur daran, dass die Chefs ihre Arbeitskraft erhalten wollten. Das Buch ist auch deshalb lesenswert, weil es etwas über die deutsche Wirtschaftsgeschichte nach dem Krieg aussagt, meint der Rezensent, auch mit Blick auf die Anwerbung spanischer Gastarbeiterinnen nach Kriegsende. Ein wichtiges Stück Aufarbeitung, das freilich nur nach öffentlicher Kritik zustande kam, resümiert Brandau die Lektüre.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»(eine) differenzierte Studie« (Simon Benne, Hannoversche Allgemeine Zeitung, 15.08.2024)# »Eine überfällige Arbeit.« (National Geographic History Nr. 15, 1/25) »Die bisher kaum untersuchte Rolle, die Bahlsen im Rahmen des Eroberungskriegs in der Ukraine zukam, wird in der Untersuchung von Hartmut Berghoff und Manfred Grieger präzise nachgezeichnet.« (Magnus Klaue, FAZ, 23.11.2024)