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Leid, Arbeit, Sexualität - der Körper im Mittelalter Welche Stellung hatte der menschliche Körper in der mittelalterlichen Gesellschaft? Warum wird er einmal verurteilt, ein anderes Mal verehrt und glorifiziert? Jacques Le Goff gibt in dieser ersten Gesamtdarstellung zur Geschichte des Körpers im Mittelalter Antworten auf diese Fragen. Auf anschauliche Weise zeigt er, wie die Auffassungen von Körperlichkeit mit den Verhaltensnormen und Wertvorstellungen verknüpft waren.
Traum, Arbeit, Sexualität ... Hin- und her gerissen zwischen Unterdrückung und Freiheit, Fastenzeit und Karneval, war der
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Produktbeschreibung
Leid, Arbeit, Sexualität - der Körper im Mittelalter
Welche Stellung hatte der menschliche Körper in der mittelalterlichen Gesellschaft? Warum wird er einmal verurteilt, ein anderes Mal verehrt und glorifiziert?
Jacques Le Goff gibt in dieser ersten Gesamtdarstellung zur Geschichte des Körpers im Mittelalter Antworten auf diese Fragen. Auf anschauliche Weise zeigt er, wie die Auffassungen von Körperlichkeit mit den Verhaltensnormen und Wertvorstellungen verknüpft waren.
Traum, Arbeit, Sexualität ... Hin- und her gerissen zwischen Unterdrückung und Freiheit, Fastenzeit und Karneval, war der Körper des Menschen im Mittelalter Schauplatz von Grundgegensätzen wie kaum ein anderer im Abendland. Diese umfassende Geschichte des Körpers, von der Kasteiung der Priester zu den Wonnen des Schlaraffenlandes, vom Aufstieg des Christentums zum gleichzeitigen zähen Verharren heidnischer Bräuche, vom Lachen bis zur"Gnadengabe der Tränen", von der Kleidermode bis zu den Essgewohnheiten, vom Zölibat bis zur höfischen Liebe, vermittelt uns ein Verständnis der Codes, die uns das abendländische Mittelalter bis heute als Vermächtnis hinterließ. Dabei steht die Geschichte des ganzen Menschen, seines Alltags, seiner Kultur und Mentalität im Mittelpunkt.
Aus dem Inhalt:
- Das Tabu von Sperma und Blut
- Die Sexualität: tiefste Erniedrigung
- Der Dünne und der Dicke
- Anatomie: Leichenöffnung
- Tote und Sterbende: erhöht und gequält
- Zwei Ernährungsweisen, zwei Kulturen
- Die guten Manieren
- Der Körper als Metapher
Autorenporträt
Jacques Le Goff, geboren 1924, war Professor für mittelalterliche Geschichte und Direktor der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris. Er wurde unter anderem mit der 'Goldmedaille des CNRS' (1991), dem 'Historikerpreis der Stadt Münster' (1993) und dem 'Hegel-Preis der Stadt Stuttgart' (1994) ausgezeichnet. Jacques Le Goff verstarb am 1. April 2014.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.2007

Nur in der Missionarsstellung kommt man in den Himmel
Die Schwierigkeit der Religion, ein Verhältnis zum Leib zu gewinnen: Jacques Le Goffs Geschichte des Körpers im Mittelalter

Wie kann man totale Geschichte schreiben, eine Geschichte, in der das historische Dasein der Menschen im Gefüge ihrer Bedingtheiten und mit den Spielräumen ihrer Freiheiten deutlich wird, ohne die Wechselfälle zu kennen, denen die Körper unterworfen waren? "Es ist ziemlich einfältig zu behaupten, man könne die Menschen verstehen, ohne zu wissen, in welchem Gesundheitszustand sie sich befinden", konstatierte nüchtern, aber auch hellsichtig der französische Mediävist Marc Bloch 1939; er musste freilich für seine "Feudalgesellschaft", eine Gesamtdarstellung des lateinischen Mittelalters, diese Lücke in Kauf nehmen, weil ihm die Forschung seiner Zeit nichts Genügendes anzubieten hatte.

Siebzig Jahre später hat sich die Geschichtswissenschaft zwar dem Körper - Gender und Gesten - zugewandt, doch neigen die meisten Fachleute dazu, eine Geschichte des Denkens und der Ideen eher als passenden Schlüssel zur Geschichte überhaupt anzusehen. Jacques Le Goff, Blochs Enkelschüler in der Tradition der "Annales", mochte sich damit nicht abfinden und fügte seinem umfangreichen und wirkmächtigen OEuvre nun eine Körpergeschichte des Mittelalters an.

Wie gewohnt, bewegt sich auch das jüngste Werk Le Goffs zwischen Essay und Erzählung, anschaulichem Quellenreferat, assoziationsreichem Räsonnement und pointiertem Urteil; wohl nie zuvor hat er sich dabei so oft von deutschen Philosophen - Kant und Nietzsche, Hannah Arendt, Horkheimer und Adorno - inspirieren lassen, wenngleich er die Beiträge der hiesigen Fachwissenschaft beiseiteließ. In seinem schmalen Buch schlägt er souverän vier Blickschneisen durch das weitläufige, noch kaum bekannte Material der Überlieferung: Er traktiert die Ambivalenz der Normen ("Fastenzeit und Karneval"), die Körpergeschichte auf dem Lebensweg ("Leben und Sterben im Mittelalter"), die Erziehung, Darstellung und Wahrnehmung des Leibes ("Körper und Manieren") und schließlich die Bedeutungen, die man diesem und seinen Gliedern zuschrieb ("Der Körper als Metapher"). Der Leser kann sich der Fülle der Zeugnisse überlassen und mit dem Buch zwei kurzweilige Stunden verbringen, doch wenn er über manche Erkenntnis ins Grübeln kommt, bleiben verstörende Fragen offen.

Nirgendwo ist Le Goff klarer, als wenn es um die Abgrenzung des mittelalterlichen vom antiken Körper geht. Leitmotivisch durchzieht sein Buch die Feststellung, dass dem Körper im Mittelalter kein eigener Raum geblieben war, wie ihn das Altertum, vor allem das griechische, in Stadion und Gymnasion, auch im Theater, ausgespart hatte. Zwar gab es im Mittelalter Spiele mit dem Einsatz körperlicher Kraft - die ritterlichen Turniere, die Ringkämpfe der Bauern, verschiedene Ballspiele, darunter den Vorläufer des Fußballs -, aber dafür wurden keine speziellen Plätze geschaffen, sondern Felder, freie Flächen und Dorfanger in Anspruch genommen, die sonst anderen Zwecken dienten. Der Sport mit seiner festen Mannschaftsbildung, mit Regeln, administrativen Strukturen und dem "Prinzip der Konkurrenz" sei erst eine Erscheinung seit dem neunzehnten Jahrhundert, das dabei, man denke an die Olympischen Spiele, wieder bei der Antike anzuknüpfen suchte.

Unter den Voraussetzungen des modernen Mentalitätswechsels mit einschneidenden Folgen für weite Bereiche des täglichen Lebens bis heute nennt Le Goff beiläufig, also nicht in kohärenter Argumentation, das Aufkommen der "Vernunftlehre" im siebzehnten Jahrhundert; diese habe die grundsätzliche Trennung von Körper und Seele und den Durchbruch der neuen wissenschaftlichen Medizin herbeigeführt, die "die spirituelle und symbolische Dimension" des Körpers "endgültig hinter sich ließ". Viel schärfer markiert der Autor die Epochenwende in der Spätantike. Obgleich vorbereitet im römischen Heidentum, habe "das Mittelalter seit dem vollständigen Sieg des Christentums im 4. und 5. Jahrhundert eine Quasi-Revolution in den Vorstellungen über den Körper und im Umgang mit dem Körper" ausgelöst. Diese Umwälzung habe aber nicht bloß das Mittelalter geprägt, das nach Le Goffs Lehre nicht mit Reformation und Renaissance, sondern nach einer langen Dauer erst im Zeitalter der Revolutionen endete. Vielmehr behauptet Le Goff: "Das Mittelalter wirkt mehr als jede andere Epoche wie ein Prägestempel unserer modernen Gegenwart. Ein großer Teil unserer Mentalitäten und unseres Verhaltens wurde im Mittelalter erworben. Genauso verhält es sich mit den Gewohnheiten in bezug auf den Körper." Diese Wirkung bis auf unsere Tage rechtfertige, ja gebiete die Auseinandersetzung mit den mittleren Zeiten, hier eben mit den mittelalterlichen Veränderungen in der Körpergeschichte.

Etwas ratlos fragt man sich, was nun gelten soll: Die Zäsur der Moderne oder die Nachhaltigkeit des Mittelalters? Alles aber, was Le Goff mit reichen Belegen und klarem Urteil über den Körper in den älteren Zeiten vor Augen führt, spricht eher für einen Gegensatz von Mittelalter und Moderne. Seit dem Mittelalter darf zwar das Christentum als Grundelement "unserer kollektiven Identität" gelten; dass aber auch die mittelalterlich-christliche Auffassung vom Körper weiterwirkt, hat Le Goff weder gezeigt, noch erscheint es plausibel. Denn im Mittelalter war "das Christentum in der Frage des Körpers völlig zerrissen: Es hat ihn zugleich glorifiziert und unterdrückt, gepriesen und gedemütigt".

In der Explikation dieser These, und nicht in der allgemeinhistorischen Einordnung seiner Befunde, liegt tatsächlich der Wert des Buches. Eindrucksvoll zeigt Le Goff, dass im Mittelalter von einer allgemeinen Abwertung des Leibes nicht die Rede sein kann, auch nicht von einem jemals durchgehaltenen Vorzug des "Geistes" oder der "Seele" gegenüber dem "Körper", sondern dass überall Widersprüche herrschten, oft zwischen Norm und Wirklichkeit, oft genug aber auch zwischen konkurrierenden Normen selbst.

"Der Körper ist das abscheuliche Gewand der Seele", so lautet ein Mustersatz des Papstes Gregors des Großen (gestorben 604), aber hatte nicht selbst der Apostel Paulus an den leidenden Leib Christi mit den Worten erinnert: "Der Körper ist das Tabernakel des Heiligen Geistes"? Die Erbsünde, in der Schöpfungsgeschichte als Sünde des Hochmuts und des Ungehorsams gegen Gott beschrieben, wurde zwar im Mittelalter als geschlechtliche Sünde umgedeutet - Zeichen und Instrument einer Abwertung der Sexualität; aber hatte nicht auch der heilige Bonaventura gelehrt, dass die Geschlechtlichkeit zur Vollkommenheit der menschlichen Natur beitrage und selbst nach der Auferstehung des Fleisches erhalten bleibe?

Und hatte nicht gar sein Zeitgenosse Thomas von Aquin (gestorben 1274) behauptet, die sinnlichen Leidenschaften beflügelten die spirituelle Kraft? Wie konnte überhaupt von einer Abwertung des Leibes und einer Tabuisierung des Blutes die Rede sein, wenn doch Christus selbst mit seinem Körper die Menschheit erlöst hatte, sein Gedächtnis als Vergegenwärtigung von Leib und Blut begangen sehen wollte und am Jüngsten Tag zur Rechten seines Vaters die Toten mit ihren Leibern rufen und richten würde?

Gewiss hat das Mönchtum, seinem Ursprung nach aus den Wüsten des Orients stammend, die Abtötung des Leibes und seiner Bedürfnisse angestrebt, vorgemacht und als asketisches Ideal auch an Klerus und Laienschaft vermittelt. Der heilige Franz von Assisi (gestorben 1226) aber, der den Körper als Werkzeug der Sünde und sogar als "Feind" betrachtete, den man disziplinieren und abtöten müsse, hat doch zugleich auch liebevoll vom "Bruder Leib" gesprochen, den er den Ärzten zur Heilung oder Linderung seiner Leiden anvertraute. Wie für viele andere war ihm Christus selbst "der Arzt" (medicus).

Geist und Körper, Leibfeindlichkeit und Leibbejahung standen im Mittelalter in einer unaufhörlichen Spannung. Man kann in dieser Polarität der Gegensätze und Alteritäten den grundlegenden Mechanismus der europäischen Geschichte seit dem Mittelalter überhaupt sehen. Insofern die mittelalterliche Ambivalenz gegenüber dem Körper an dieser Spannung teilhatte, könnte Le Goff am Ende doch recht haben, dass die mittelalterliche Körpergeschichte mit der Gegenwart in Verbindung steht.

MICHAEL BORGOLTE

Jacques Le Goff, Nicolas Truong: "Die Geschichte des Körpers im Mittelalter". Aus dem Französischen von Renate Warttmann. Klett-Cotta, Stuttgart 2007. 230 S., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dankbar stellt Michael Borgolte diese "Körpergeschichte des Mittelalters" herkömmlicher Ideengeschichte zur Seite. Jacques Le Goffs Stil "zwischen Essay und Erzählung" und seine Bezugnahme auf deutsche Philosophen von Kant bis Horkheimer scheinen für den Rezensenten die fachwissenschaftlichen Defizite der Arbeit aufzuwiegen. Als "souverän" bezeichnet Borgolte Le Goffs Vorgabe vierer "Blickrichtungen" in die Überlieferung. In die vorgenommene Scheidung von mittelalterlichem und antikem Körper liest er sich ein und in die Auseinandersetzung darüber, was in Sachen Körperbegriff nun gelten soll: Die "Zäsur der Moderne" oder die "Nachhaltigkeit des Mittelalters". Nicht schlimm, wenn der Autor hier nicht zu einer klaren Entscheidung findet, der Rezensent fühlt sich entschädigt durch "assoziationsreiches Räsonnement und pointiertes Urteil". Borgolte erkennt in der "Explikation dieser These" eines möglichen Gegensatzes von Mittelalter und Moderne den Wert des Buches und macht sich seine eigenen Gedanken dazu.

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