Produktdetails
- Herder Spektrum
- Verlag: Herder, Freiburg
- Abmessung: 15mm x 120mm x 190mm
- Gewicht: 188g
- ISBN-13: 9783451041464
- Artikelnr.: 24381609
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2016Heiraten ist einfach ein Dauerbrenner
Wo steht eigentlich geschrieben, dass es den Zölibat geben muss? Der Historiker Georg Denzler meldet Bedenken gegen die verpflichtende Ehelosigkeit katholischer Priester an.
Kardinal und Nonne: unter diesem Titel läuft ein Gemälde von Egon Schiele, einem der großen Maler der Wiener Moderne. Es zeigt eine männliche Gestalt, durch roten Talar und rotes Käppchen als Kardinal erkennbar, in enger Umschlingung mit einer Frau. In schwarzen Habit gehüllt und aus dem Schleier den Betrachter ängstlich anblickend, erkennen wir sie sofort als Klosterfrau. Beide Gestalten knien. Ihre nackten Beine lassen die Gewänder als Attribute erscheinen, die den in Wirklichkeit nackten Körper dem Blick entziehen. Schiele bringt die verborgene Sexualität der unverheirateten, zur Keuschheit verpflichteten Priester und Ordensfrauen zur Anschauung. Das Bild entstand 1912. Musste es zu seiner Entstehungszeit noch als skandalös erscheinen, so wirkt es auf heutige Betrachter nur noch wenig befremdlich, hat sich die Gesellschaft doch an das Thema "Sexualität und katholische Kirche" gewöhnt.
Das Bild prangt auf dem Umschlag eines im katholischen Verlag Herder in Freiburg erschienenen Taschenbuchs mit dem Titel "Die Geschichte des Zölibats". Erstmals 1993 erschienen und nun in aktualisierter Gestalt wieder aufgelegt, erinnert es an ein vielverhandeltes und unerledigtes Thema der katholischen Kirche: Soll die Verpflichtung des katholischen Priesters zur Ehelosigkeit beibehalten werden? Ist der Zölibat noch zeitgemäß? Ist er schuld an den katastrophal geringen Zahlen von Priesteramtskandidaten und überhaupt am Priestermangel? Bildet er vielleicht das offensichtlichste Symptom der kirchlichen Abwertung von Ehe und Geschlechtlichkeit? Bietet er den natürlichen Nährboden für Homosexualität und vielleicht sogar Pädophilie?
Die "offizielle" katholische Antwort auf solche Fragen, etwa dem Artikel "Zölibat" im "Lexikon für Theologie und Kirche" zu entnehmen, ist ebenso deutlich wie zu erwarten: Die priesterliche Ehelosigkeit wird verteidigt und sogar als spirituell besonders wertvoll verteidigt. Nur nebenbei kommt in dem Lexikonartikel auch eine weiterführende Perspektive in den Blick: Angesichts des Priestermangels wäre die Weihe von in Beruf und Ehe bewährten Männern zu erwägen. Das sei möglich, weil die priesterliche Ehelosigkeit nur eine veränderbare Festlegung der kirchlichen Rechtsordnung sei, nicht jedoch ein Erfordernis des unveränderlichen christlichen Glaubens. Anders gesagt: Eine Abschaffung der Verpflichtung zur Ehelosigkeit wäre also denkbar.
Von der Verteidigung traditioneller katholischer Positionen ist der Bamberger Historiker Georg Denzler ebenso weit entfernt wie von dem - noch unverwirklichten - Projekt einer unparteiischen Kulturgeschichte der Ehelosigkeit in der katholischen Kirche. Denzler schreibt als engagierter Historiker, der seiner Kirche mit historischen und theologischen Argumenten die Unangemessenheit der priesterlichen Zölibatsverpflichtung nachzuweisen sucht. Er zieht dabei alle Register, die dem Historiker zu Gebote stehen.
Der Befund ist eindeutig: Die Verpflichtung der Priester zur Ehelosigkeit stand nicht von Anfang an fest. Das Neue Testament äußert sich eher gegen als für die Ehelosigkeit der Amtsträger; der erste Timotheusbrief fordert sogar ausdrücklich den verheirateten Bischof. Die Päpste haben oft versucht, die priesterliche Ehelosigkeit gegen Widerstand durchzusetzen, jedoch die Sache selbst nicht ernst genommen und sogar Kinder gezeugt - das jüngste gut belegte Beispiel eines Papstes mit unehelichen Kindern ist Gregor XIII. (gestorben 1585). Das Bestehen auf der Ehelosigkeit des Klerus war zu keiner Zeit wirklich berechtigt.
Unter den neueren Argumenten, die gegen den priesterlichen Zölibat vorgebracht werden, spielt die Psychologie eine große Rolle. Zumal im jugendlichen Alter sind Männer auf Partnerschaft, nicht auf Einsamkeit angelegt. Entfacht, oder wieder entfacht, hat die entsprechende Debatte Eugen Drewermann mit seinem Buch "Kleriker. Psychogramm eines Ideals" (1989). Im Jahr 1991 folgte ein Vorstoß deutschsprachiger Pastoraltheologen wie Ottmar Fuchs, Norbert Greinacher und Norbert Mette. Diese Initiative blieb ebenso erfolglos wie ähnliche Initiativen in den Vereinigten Staaten oder Stellungnahmen kirchenkritischer Gruppen in Deutschland und Österreich.
An letzter Stelle nennt Denzler den verdienten Theologen und Psychotherapeuten Wunibald Müller. Der aus den Diskussionen um pädophile Priester bekannte Therapeut hat mit kirchlicher Unterstützung jahrelang mehrwöchige Kurse für Priester mit Lebensproblemen durchgeführt. In den letzten Jahren hat er sich mehrfach an Papst Franziskus gewandt mit dem Vorschlag, Priestern die Wahl der Lebensform - ehelich oder ehelos - freizustellen. Offenbar gibt es aus Rom bisher keine relevante Antwort auf diesen Vorschlag, dem sich Denzler vorbehaltslos anschließt.
Denzler bietet einen bewusst Partei ergreifenden Beitrag zu einer Frage, die heute viele Katholiken bewegt. Nur die deutschen Bischöfe scheinen dem Thema beharrlich auszuweichen. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Wurden in den letzten Jahren nur konservative, auf den Zölibat fest eingeschworene Priester zu Bischöfen bestellt? Oder fehlt es ihnen einfach an Mut und pastoraler Phantasie? Das in einem kirchennahen Verlag erschienene wohlinformierte Buch von Georg Denzler liefert den Bischöfen eine Steilvorlage. Und erinnert sie an ein Bild von Egon Schiele, das sich zur Meditation eignet.
BERNHARD LANG
Georg Denzler:
"Die Geschichte des Zölibats". 2., aktualisierte und erweiterte Auflage.
Herder Verlag, Freiburg 2016. 256 S., br., 14,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wo steht eigentlich geschrieben, dass es den Zölibat geben muss? Der Historiker Georg Denzler meldet Bedenken gegen die verpflichtende Ehelosigkeit katholischer Priester an.
Kardinal und Nonne: unter diesem Titel läuft ein Gemälde von Egon Schiele, einem der großen Maler der Wiener Moderne. Es zeigt eine männliche Gestalt, durch roten Talar und rotes Käppchen als Kardinal erkennbar, in enger Umschlingung mit einer Frau. In schwarzen Habit gehüllt und aus dem Schleier den Betrachter ängstlich anblickend, erkennen wir sie sofort als Klosterfrau. Beide Gestalten knien. Ihre nackten Beine lassen die Gewänder als Attribute erscheinen, die den in Wirklichkeit nackten Körper dem Blick entziehen. Schiele bringt die verborgene Sexualität der unverheirateten, zur Keuschheit verpflichteten Priester und Ordensfrauen zur Anschauung. Das Bild entstand 1912. Musste es zu seiner Entstehungszeit noch als skandalös erscheinen, so wirkt es auf heutige Betrachter nur noch wenig befremdlich, hat sich die Gesellschaft doch an das Thema "Sexualität und katholische Kirche" gewöhnt.
Das Bild prangt auf dem Umschlag eines im katholischen Verlag Herder in Freiburg erschienenen Taschenbuchs mit dem Titel "Die Geschichte des Zölibats". Erstmals 1993 erschienen und nun in aktualisierter Gestalt wieder aufgelegt, erinnert es an ein vielverhandeltes und unerledigtes Thema der katholischen Kirche: Soll die Verpflichtung des katholischen Priesters zur Ehelosigkeit beibehalten werden? Ist der Zölibat noch zeitgemäß? Ist er schuld an den katastrophal geringen Zahlen von Priesteramtskandidaten und überhaupt am Priestermangel? Bildet er vielleicht das offensichtlichste Symptom der kirchlichen Abwertung von Ehe und Geschlechtlichkeit? Bietet er den natürlichen Nährboden für Homosexualität und vielleicht sogar Pädophilie?
Die "offizielle" katholische Antwort auf solche Fragen, etwa dem Artikel "Zölibat" im "Lexikon für Theologie und Kirche" zu entnehmen, ist ebenso deutlich wie zu erwarten: Die priesterliche Ehelosigkeit wird verteidigt und sogar als spirituell besonders wertvoll verteidigt. Nur nebenbei kommt in dem Lexikonartikel auch eine weiterführende Perspektive in den Blick: Angesichts des Priestermangels wäre die Weihe von in Beruf und Ehe bewährten Männern zu erwägen. Das sei möglich, weil die priesterliche Ehelosigkeit nur eine veränderbare Festlegung der kirchlichen Rechtsordnung sei, nicht jedoch ein Erfordernis des unveränderlichen christlichen Glaubens. Anders gesagt: Eine Abschaffung der Verpflichtung zur Ehelosigkeit wäre also denkbar.
Von der Verteidigung traditioneller katholischer Positionen ist der Bamberger Historiker Georg Denzler ebenso weit entfernt wie von dem - noch unverwirklichten - Projekt einer unparteiischen Kulturgeschichte der Ehelosigkeit in der katholischen Kirche. Denzler schreibt als engagierter Historiker, der seiner Kirche mit historischen und theologischen Argumenten die Unangemessenheit der priesterlichen Zölibatsverpflichtung nachzuweisen sucht. Er zieht dabei alle Register, die dem Historiker zu Gebote stehen.
Der Befund ist eindeutig: Die Verpflichtung der Priester zur Ehelosigkeit stand nicht von Anfang an fest. Das Neue Testament äußert sich eher gegen als für die Ehelosigkeit der Amtsträger; der erste Timotheusbrief fordert sogar ausdrücklich den verheirateten Bischof. Die Päpste haben oft versucht, die priesterliche Ehelosigkeit gegen Widerstand durchzusetzen, jedoch die Sache selbst nicht ernst genommen und sogar Kinder gezeugt - das jüngste gut belegte Beispiel eines Papstes mit unehelichen Kindern ist Gregor XIII. (gestorben 1585). Das Bestehen auf der Ehelosigkeit des Klerus war zu keiner Zeit wirklich berechtigt.
Unter den neueren Argumenten, die gegen den priesterlichen Zölibat vorgebracht werden, spielt die Psychologie eine große Rolle. Zumal im jugendlichen Alter sind Männer auf Partnerschaft, nicht auf Einsamkeit angelegt. Entfacht, oder wieder entfacht, hat die entsprechende Debatte Eugen Drewermann mit seinem Buch "Kleriker. Psychogramm eines Ideals" (1989). Im Jahr 1991 folgte ein Vorstoß deutschsprachiger Pastoraltheologen wie Ottmar Fuchs, Norbert Greinacher und Norbert Mette. Diese Initiative blieb ebenso erfolglos wie ähnliche Initiativen in den Vereinigten Staaten oder Stellungnahmen kirchenkritischer Gruppen in Deutschland und Österreich.
An letzter Stelle nennt Denzler den verdienten Theologen und Psychotherapeuten Wunibald Müller. Der aus den Diskussionen um pädophile Priester bekannte Therapeut hat mit kirchlicher Unterstützung jahrelang mehrwöchige Kurse für Priester mit Lebensproblemen durchgeführt. In den letzten Jahren hat er sich mehrfach an Papst Franziskus gewandt mit dem Vorschlag, Priestern die Wahl der Lebensform - ehelich oder ehelos - freizustellen. Offenbar gibt es aus Rom bisher keine relevante Antwort auf diesen Vorschlag, dem sich Denzler vorbehaltslos anschließt.
Denzler bietet einen bewusst Partei ergreifenden Beitrag zu einer Frage, die heute viele Katholiken bewegt. Nur die deutschen Bischöfe scheinen dem Thema beharrlich auszuweichen. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Wurden in den letzten Jahren nur konservative, auf den Zölibat fest eingeschworene Priester zu Bischöfen bestellt? Oder fehlt es ihnen einfach an Mut und pastoraler Phantasie? Das in einem kirchennahen Verlag erschienene wohlinformierte Buch von Georg Denzler liefert den Bischöfen eine Steilvorlage. Und erinnert sie an ein Bild von Egon Schiele, das sich zur Meditation eignet.
BERNHARD LANG
Georg Denzler:
"Die Geschichte des Zölibats". 2., aktualisierte und erweiterte Auflage.
Herder Verlag, Freiburg 2016. 256 S., br., 14,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main