»Ein brillant geschriebener Roman, der einem in seiner Gnadenlosigkeit den Atem stocken lässt.« WDR2
Maurice Swift ist Schriftsteller. Er hat Stil, kann brillant erzählen, doch ihm fehlen die Geschichten. In Westberlin trifft er auf sein Idol, Erich Ackermann, der gerade mit einem großen Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Ackermann verfällt dem charmanten jungen Mann, der sich für alles, was er sagt, interessiert. Er nimmt ihn mit auf Lesereise durch Europa und erzählt ihm sein Geheimnis. Es ist diese Geschichte, für die Maurice endlich als Autor gefeiert wird. Und die Ackermanns Karriere beendet. Maurice dagegen ist schon auf der Suche nach dem nächsten Stoff...
Psychologisch raffiniert, hochspannend und mit funkelndem Humor erzählt John Boyne von der verführerischen Macht des Vertrauens und von einem, der für Ruhm alles tut.
»Ein Roman wie Der talentierte Mr. Ripley, voll von gieriger Täuschungslust« - New York Post
Maurice Swift ist Schriftsteller. Er hat Stil, kann brillant erzählen, doch ihm fehlen die Geschichten. In Westberlin trifft er auf sein Idol, Erich Ackermann, der gerade mit einem großen Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Ackermann verfällt dem charmanten jungen Mann, der sich für alles, was er sagt, interessiert. Er nimmt ihn mit auf Lesereise durch Europa und erzählt ihm sein Geheimnis. Es ist diese Geschichte, für die Maurice endlich als Autor gefeiert wird. Und die Ackermanns Karriere beendet. Maurice dagegen ist schon auf der Suche nach dem nächsten Stoff...
Psychologisch raffiniert, hochspannend und mit funkelndem Humor erzählt John Boyne von der verführerischen Macht des Vertrauens und von einem, der für Ruhm alles tut.
»Ein Roman wie Der talentierte Mr. Ripley, voll von gieriger Täuschungslust« - New York Post
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Martin Halter hat Sympathie für John Boyne und seinen Schwindler-Schriftsteller Maurice Swift. Dass der Autor seiner Figur jede Menge authentische Erfahrung aus dem Literaturbetrieb mitgibt, ist dem Text laut Halter anzumerken. Der Genuss, den Boyne beim Erschaffen der für den Erfolg vor nichts zurückschreckenden Figur und seiner verräterischen Praktiken empfunden haben muss, teilt sich dem Rezensenten ganz offensichtlich mit. Dass sich viele Schriftsteller mit fremden Federn schmücken, wird Halter beim Lesen ebenso klar, wie ihn die Frage umtreibt, ob darin also ein Frevel liegt oder professionelle Notwendigkeit. Boynes intime Kenntnis von Jargons und Eitelkeiten der Literaturszene machen jedenfalls Spaß, findet er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2021Der talentierte Mr. Swift
Fremde Federn können ungemein putzen: John Boynes mit behaglichem Sarkasmus ausgebreitete Literaturbetriebssatire "Die Geschichte eines Lügners"
Autoren, von Martin Suter ("Lila, Lila") bis Delphine de Vigan ("Nach einer wahren Geschichte"), spielen immer wieder gern den beunruhigenden Gedanken durch, worin die Originalität und Authentizität ihres Schreibens eigentlich besteht, wenn dahergelaufene Amateure und dreiste Schwindler in die Haut eines Schriftstellers schlüpfen und mit unrechtmäßig angeeigneten Manuskripten Ruhm und Geld absahnen können. Im angelsächsischen Raum ist die literarische Selbstreflexion im Spiegelkabinett erzählerischer Lügen und postmoderner Volten geradezu eine Kunstform; nirgends lässt sich besser über das Verhältnis von Fiktion und Wahrheit, Schreiben und Leben nachdenken als dort, wo das Fremde zum Eigenen und das Vertraute fremd wird. John Boyne, bisher eher als Autor von historischen Romanen und Jugendbüchern (sein "Junge im gestreiften Pyjama" wurde fast zehn Millionen Mal verkauft) bekannt geworden, genießt es offensichtlich, in seinem Roman "Die Geschichte eines Lügners" einen Schriftstellerkollegen stellvertretend die Grenzen des Erlaubten bei Geschichtenakquisition und Selbstdarstellung ausreizen zu lassen.
Dieser Maurice Swift ist ein pathologischer Schwindler, krankhaft ehrgeizig, egoistisch, skrupellos. Um die literarischen Verdienste, derer er sich rühmt, öffentlich sichtbar zu machen, ist ihm jedes Mittel recht: Lüge, Betrug, Diebstahl, ja sogar Mord. Und Swift ist kein in seiner Lügenwelt verkapselter Horrorclown wie der verflossene amerikanische Präsident, sondern ein weltweit gefeierter Schriftsteller, begabt mit Charme, gewinnendem Äußeren und einigem Talent als Stilist. Was ihm fehlt, sind starke Geschichten; Erzählen und Erfinden gehören nämlich nicht zu seinen Talenten.
Umso besser kann Swift, mit allen Wassern des Literaturbetriebs gewaschen, dafür Leser manipulieren, Kritiker instrumentalisieren, Verleger hinhalten. Niemand weiß, dass der berühmte Autor seinen Ruhm hauptsächlich fremden Federn und eigener Chuzpe verdankt. Und wenn schon: Ein Roman ist ja keine Doktorarbeit. Anders als Politiker muss ein Dichter nicht seine Quellen offenlegen und darf ruhig auch mal aus fremden Brunnen Inspiration schöpfen. Die Erlebnisse und Erzählungen anderer ausleihen, osmotisch einatmen, weiterdenken oder auch plagiieren gehört seit jeher zum literarischen Schreiben.
Alle Schriftsteller klauen also irgendwie, irgendwo; aber Maurice Swift treibt es wirklich schlimm. Den Durchbruch schaffte er mit seinem Roman "Zwei Deutsche", in dem er einem berühmten Kollegen dessen tragikomische Lebensgeschichte stahl. Erich Ackermann, ein schwuler Großschriftsteller wie Thomas Mann, hatte Swift, geschmeichelt von dessen blendendem Aussehen und untertänigster Bewunderung, zu seinem Privatsekretär gemacht und ihm auf einer Welttournee sein dunkelstes Geheimnis offenbart: 1939 hat Ackermann, obwohl selbst Jude, seinen besten Freund an die Gestapo verraten, weil der sich seinen sexuellen Avancen verweigert hatte. Swift wurde nach Erscheinen seines Skandalromans als schonungsloser Wahrheitssucher gefeiert, Ackermann fiel als Monster in Ungnade.
Als sein erstes eigenes Werk floppte und die Karriere ins Stocken geriet, klaute Swift seiner - literarisch begabteren - Frau ihren fast fertigen ersten Roman und stieß sie die Treppe hinunter, als die ruchlose Tat aufzufliegen drohte; den "Unfall" verkaufte der trauernde Witwer als Tragödie, den gestohlenen Roman als postume Liebeserklärung. So schwindelte sich Swift durch, ehe er bei seinem letzten Streich der eigenen Eitelkeit auf den Leim ging: Theo, ein junger Literaturstudent, der sich ihm als Bio- und Hagiograph andiente, war nicht der naive Bewunderer, als der er Swift im Dämmerlicht der Pubs erschien, sondern ein Neffe Ackermanns, ein Rächer aller Betrogenen und Bestohlenen. Am Ende wird Maurice Swift Creative-Writing-Kurse im Gefängnis leiten und seinem Leiden sein letztes, bestes Werk abringen.
Aber ist diese Figur wirklich ein durch und durch amoralischer Schurke? Dass sich ein Autor fremde Geschichten aneignet, ist legitime literarische Praxis, vor allem wenn er sie, wie Swift sich durchaus zu Recht zugutehält, sprachlich verfremdet, verdichtet und damit quasi neu erfindet. Diese "Geschichte eines Lügners" basiert angeblich auf Boynes eigenen Erfahrungen: Der neunundvierzigjährige Ire fiel selbst einmal auf einen ehrgeizigen jungen Mann herein, der seine Zuneigung nur als Sprungbrett für die eigene Karriere benutzte; "komplett blind", habe er nicht mehr wahrhaben können oder wollen, wovor alle Freunde ihn warnten.
Boyne ist, wie sein Held, ein glänzender Stilist, der hinreißend witzig aus dem Nähkästchen plaudern kann. Er kennt die Eitelkeiten des Literaturbetriebs zwischen New York, Berlin und Rom, er kann virtuos Töne und Jargons imitieren und Bosheiten über lebende und tote Autoren fallenlassen; sehr gelungen etwa seine Satire auf den amerikanischen Großschriftsteller Gore Vidal, der in seiner Villa an der Amalfiküste Gift und Galle spritzt und gerade wegen seiner grotesken Eitelkeit nicht auf Swifts aalglatte Komplimente hereinfällt. Nicht nur deshalb erinnert der schreibende Hochstapler gelegentlich an den talentierten Mr. Ripley: Man leidet mit dem charmanten Scheusal und zittert um den begnadeten Dieb.
Wer mit behaglichem Sarkasmus Geheimnisse des Literaturbetriebs ausplaudert, hat bei Kritikern meist mehr Erfolg als beim Publikum: Man liebt den Verrat, nicht die Verräter, und der ehrliche Erzähler gilt mehr als der raffinierte Lügner. Boynes Kunst besteht darin, dass er mit erfundenen und gestohlenen Geschichten die Dämonen in der eigenen Brust beschreibt.
MARTIN HALTER
John Boyne: "Die Geschichte eines Lügners". Roman.
Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch und Michael Schickenberg. Piper Verlag, München 2021. 428 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fremde Federn können ungemein putzen: John Boynes mit behaglichem Sarkasmus ausgebreitete Literaturbetriebssatire "Die Geschichte eines Lügners"
Autoren, von Martin Suter ("Lila, Lila") bis Delphine de Vigan ("Nach einer wahren Geschichte"), spielen immer wieder gern den beunruhigenden Gedanken durch, worin die Originalität und Authentizität ihres Schreibens eigentlich besteht, wenn dahergelaufene Amateure und dreiste Schwindler in die Haut eines Schriftstellers schlüpfen und mit unrechtmäßig angeeigneten Manuskripten Ruhm und Geld absahnen können. Im angelsächsischen Raum ist die literarische Selbstreflexion im Spiegelkabinett erzählerischer Lügen und postmoderner Volten geradezu eine Kunstform; nirgends lässt sich besser über das Verhältnis von Fiktion und Wahrheit, Schreiben und Leben nachdenken als dort, wo das Fremde zum Eigenen und das Vertraute fremd wird. John Boyne, bisher eher als Autor von historischen Romanen und Jugendbüchern (sein "Junge im gestreiften Pyjama" wurde fast zehn Millionen Mal verkauft) bekannt geworden, genießt es offensichtlich, in seinem Roman "Die Geschichte eines Lügners" einen Schriftstellerkollegen stellvertretend die Grenzen des Erlaubten bei Geschichtenakquisition und Selbstdarstellung ausreizen zu lassen.
Dieser Maurice Swift ist ein pathologischer Schwindler, krankhaft ehrgeizig, egoistisch, skrupellos. Um die literarischen Verdienste, derer er sich rühmt, öffentlich sichtbar zu machen, ist ihm jedes Mittel recht: Lüge, Betrug, Diebstahl, ja sogar Mord. Und Swift ist kein in seiner Lügenwelt verkapselter Horrorclown wie der verflossene amerikanische Präsident, sondern ein weltweit gefeierter Schriftsteller, begabt mit Charme, gewinnendem Äußeren und einigem Talent als Stilist. Was ihm fehlt, sind starke Geschichten; Erzählen und Erfinden gehören nämlich nicht zu seinen Talenten.
Umso besser kann Swift, mit allen Wassern des Literaturbetriebs gewaschen, dafür Leser manipulieren, Kritiker instrumentalisieren, Verleger hinhalten. Niemand weiß, dass der berühmte Autor seinen Ruhm hauptsächlich fremden Federn und eigener Chuzpe verdankt. Und wenn schon: Ein Roman ist ja keine Doktorarbeit. Anders als Politiker muss ein Dichter nicht seine Quellen offenlegen und darf ruhig auch mal aus fremden Brunnen Inspiration schöpfen. Die Erlebnisse und Erzählungen anderer ausleihen, osmotisch einatmen, weiterdenken oder auch plagiieren gehört seit jeher zum literarischen Schreiben.
Alle Schriftsteller klauen also irgendwie, irgendwo; aber Maurice Swift treibt es wirklich schlimm. Den Durchbruch schaffte er mit seinem Roman "Zwei Deutsche", in dem er einem berühmten Kollegen dessen tragikomische Lebensgeschichte stahl. Erich Ackermann, ein schwuler Großschriftsteller wie Thomas Mann, hatte Swift, geschmeichelt von dessen blendendem Aussehen und untertänigster Bewunderung, zu seinem Privatsekretär gemacht und ihm auf einer Welttournee sein dunkelstes Geheimnis offenbart: 1939 hat Ackermann, obwohl selbst Jude, seinen besten Freund an die Gestapo verraten, weil der sich seinen sexuellen Avancen verweigert hatte. Swift wurde nach Erscheinen seines Skandalromans als schonungsloser Wahrheitssucher gefeiert, Ackermann fiel als Monster in Ungnade.
Als sein erstes eigenes Werk floppte und die Karriere ins Stocken geriet, klaute Swift seiner - literarisch begabteren - Frau ihren fast fertigen ersten Roman und stieß sie die Treppe hinunter, als die ruchlose Tat aufzufliegen drohte; den "Unfall" verkaufte der trauernde Witwer als Tragödie, den gestohlenen Roman als postume Liebeserklärung. So schwindelte sich Swift durch, ehe er bei seinem letzten Streich der eigenen Eitelkeit auf den Leim ging: Theo, ein junger Literaturstudent, der sich ihm als Bio- und Hagiograph andiente, war nicht der naive Bewunderer, als der er Swift im Dämmerlicht der Pubs erschien, sondern ein Neffe Ackermanns, ein Rächer aller Betrogenen und Bestohlenen. Am Ende wird Maurice Swift Creative-Writing-Kurse im Gefängnis leiten und seinem Leiden sein letztes, bestes Werk abringen.
Aber ist diese Figur wirklich ein durch und durch amoralischer Schurke? Dass sich ein Autor fremde Geschichten aneignet, ist legitime literarische Praxis, vor allem wenn er sie, wie Swift sich durchaus zu Recht zugutehält, sprachlich verfremdet, verdichtet und damit quasi neu erfindet. Diese "Geschichte eines Lügners" basiert angeblich auf Boynes eigenen Erfahrungen: Der neunundvierzigjährige Ire fiel selbst einmal auf einen ehrgeizigen jungen Mann herein, der seine Zuneigung nur als Sprungbrett für die eigene Karriere benutzte; "komplett blind", habe er nicht mehr wahrhaben können oder wollen, wovor alle Freunde ihn warnten.
Boyne ist, wie sein Held, ein glänzender Stilist, der hinreißend witzig aus dem Nähkästchen plaudern kann. Er kennt die Eitelkeiten des Literaturbetriebs zwischen New York, Berlin und Rom, er kann virtuos Töne und Jargons imitieren und Bosheiten über lebende und tote Autoren fallenlassen; sehr gelungen etwa seine Satire auf den amerikanischen Großschriftsteller Gore Vidal, der in seiner Villa an der Amalfiküste Gift und Galle spritzt und gerade wegen seiner grotesken Eitelkeit nicht auf Swifts aalglatte Komplimente hereinfällt. Nicht nur deshalb erinnert der schreibende Hochstapler gelegentlich an den talentierten Mr. Ripley: Man leidet mit dem charmanten Scheusal und zittert um den begnadeten Dieb.
Wer mit behaglichem Sarkasmus Geheimnisse des Literaturbetriebs ausplaudert, hat bei Kritikern meist mehr Erfolg als beim Publikum: Man liebt den Verrat, nicht die Verräter, und der ehrliche Erzähler gilt mehr als der raffinierte Lügner. Boynes Kunst besteht darin, dass er mit erfundenen und gestohlenen Geschichten die Dämonen in der eigenen Brust beschreibt.
MARTIN HALTER
John Boyne: "Die Geschichte eines Lügners". Roman.
Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch und Michael Schickenberg. Piper Verlag, München 2021. 428 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»'Die Geschichte eines Lügners ist amüsant, originell - kurz: Ein großer Lesespaß!« ZDF "Morgenmagazin" 20210408
Der talentierte Mr. Swift
Fremde Federn können ungemein putzen: John Boynes mit behaglichem Sarkasmus ausgebreitete Literaturbetriebssatire "Die Geschichte eines Lügners"
Autoren, von Martin Suter ("Lila, Lila") bis Delphine de Vigan ("Nach einer wahren Geschichte"), spielen immer wieder gern den beunruhigenden Gedanken durch, worin die Originalität und Authentizität ihres Schreibens eigentlich besteht, wenn dahergelaufene Amateure und dreiste Schwindler in die Haut eines Schriftstellers schlüpfen und mit unrechtmäßig angeeigneten Manuskripten Ruhm und Geld absahnen können. Im angelsächsischen Raum ist die literarische Selbstreflexion im Spiegelkabinett erzählerischer Lügen und postmoderner Volten geradezu eine Kunstform; nirgends lässt sich besser über das Verhältnis von Fiktion und Wahrheit, Schreiben und Leben nachdenken als dort, wo das Fremde zum Eigenen und das Vertraute fremd wird. John Boyne, bisher eher als Autor von historischen Romanen und Jugendbüchern (sein "Junge im gestreiften Pyjama" wurde fast zehn Millionen Mal verkauft) bekannt geworden, genießt es offensichtlich, in seinem Roman "Die Geschichte eines Lügners" einen Schriftstellerkollegen stellvertretend die Grenzen des Erlaubten bei Geschichtenakquisition und Selbstdarstellung ausreizen zu lassen.
Dieser Maurice Swift ist ein pathologischer Schwindler, krankhaft ehrgeizig, egoistisch, skrupellos. Um die literarischen Verdienste, derer er sich rühmt, öffentlich sichtbar zu machen, ist ihm jedes Mittel recht: Lüge, Betrug, Diebstahl, ja sogar Mord. Und Swift ist kein in seiner Lügenwelt verkapselter Horrorclown wie der verflossene amerikanische Präsident, sondern ein weltweit gefeierter Schriftsteller, begabt mit Charme, gewinnendem Äußeren und einigem Talent als Stilist. Was ihm fehlt, sind starke Geschichten; Erzählen und Erfinden gehören nämlich nicht zu seinen Talenten.
Umso besser kann Swift, mit allen Wassern des Literaturbetriebs gewaschen, dafür Leser manipulieren, Kritiker instrumentalisieren, Verleger hinhalten. Niemand weiß, dass der berühmte Autor seinen Ruhm hauptsächlich fremden Federn und eigener Chuzpe verdankt. Und wenn schon: Ein Roman ist ja keine Doktorarbeit. Anders als Politiker muss ein Dichter nicht seine Quellen offenlegen und darf ruhig auch mal aus fremden Brunnen Inspiration schöpfen. Die Erlebnisse und Erzählungen anderer ausleihen, osmotisch einatmen, weiterdenken oder auch plagiieren gehört seit jeher zum literarischen Schreiben.
Alle Schriftsteller klauen also irgendwie, irgendwo; aber Maurice Swift treibt es wirklich schlimm. Den Durchbruch schaffte er mit seinem Roman "Zwei Deutsche", in dem er einem berühmten Kollegen dessen tragikomische Lebensgeschichte stahl. Erich Ackermann, ein schwuler Großschriftsteller wie Thomas Mann, hatte Swift, geschmeichelt von dessen blendendem Aussehen und untertänigster Bewunderung, zu seinem Privatsekretär gemacht und ihm auf einer Welttournee sein dunkelstes Geheimnis offenbart: 1939 hat Ackermann, obwohl selbst Jude, seinen besten Freund an die Gestapo verraten, weil der sich seinen sexuellen Avancen verweigert hatte. Swift wurde nach Erscheinen seines Skandalromans als schonungsloser Wahrheitssucher gefeiert, Ackermann fiel als Monster in Ungnade.
Als sein erstes eigenes Werk floppte und die Karriere ins Stocken geriet, klaute Swift seiner - literarisch begabteren - Frau ihren fast fertigen ersten Roman und stieß sie die Treppe hinunter, als die ruchlose Tat aufzufliegen drohte; den "Unfall" verkaufte der trauernde Witwer als Tragödie, den gestohlenen Roman als postume Liebeserklärung. So schwindelte sich Swift durch, ehe er bei seinem letzten Streich der eigenen Eitelkeit auf den Leim ging: Theo, ein junger Literaturstudent, der sich ihm als Bio- und Hagiograph andiente, war nicht der naive Bewunderer, als der er Swift im Dämmerlicht der Pubs erschien, sondern ein Neffe Ackermanns, ein Rächer aller Betrogenen und Bestohlenen. Am Ende wird Maurice Swift Creative-Writing-Kurse im Gefängnis leiten und seinem Leiden sein letztes, bestes Werk abringen.
Aber ist diese Figur wirklich ein durch und durch amoralischer Schurke? Dass sich ein Autor fremde Geschichten aneignet, ist legitime literarische Praxis, vor allem wenn er sie, wie Swift sich durchaus zu Recht zugutehält, sprachlich verfremdet, verdichtet und damit quasi neu erfindet. Diese "Geschichte eines Lügners" basiert angeblich auf Boynes eigenen Erfahrungen: Der neunundvierzigjährige Ire fiel selbst einmal auf einen ehrgeizigen jungen Mann herein, der seine Zuneigung nur als Sprungbrett für die eigene Karriere benutzte; "komplett blind", habe er nicht mehr wahrhaben können oder wollen, wovor alle Freunde ihn warnten.
Boyne ist, wie sein Held, ein glänzender Stilist, der hinreißend witzig aus dem Nähkästchen plaudern kann. Er kennt die Eitelkeiten des Literaturbetriebs zwischen New York, Berlin und Rom, er kann virtuos Töne und Jargons imitieren und Bosheiten über lebende und tote Autoren fallenlassen; sehr gelungen etwa seine Satire auf den amerikanischen Großschriftsteller Gore Vidal, der in seiner Villa an der Amalfiküste Gift und Galle spritzt und gerade wegen seiner grotesken Eitelkeit nicht auf Swifts aalglatte Komplimente hereinfällt. Nicht nur deshalb erinnert der schreibende Hochstapler gelegentlich an den talentierten Mr. Ripley: Man leidet mit dem charmanten Scheusal und zittert um den begnadeten Dieb.
Wer mit behaglichem Sarkasmus Geheimnisse des Literaturbetriebs ausplaudert, hat bei Kritikern meist mehr Erfolg als beim Publikum: Man liebt den Verrat, nicht die Verräter, und der ehrliche Erzähler gilt mehr als der raffinierte Lügner. Boynes Kunst besteht darin, dass er mit erfundenen und gestohlenen Geschichten die Dämonen in der eigenen Brust beschreibt.
MARTIN HALTER
John Boyne: "Die Geschichte eines Lügners". Roman.
Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch und Michael Schickenberg. Piper Verlag, München 2021. 428 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fremde Federn können ungemein putzen: John Boynes mit behaglichem Sarkasmus ausgebreitete Literaturbetriebssatire "Die Geschichte eines Lügners"
Autoren, von Martin Suter ("Lila, Lila") bis Delphine de Vigan ("Nach einer wahren Geschichte"), spielen immer wieder gern den beunruhigenden Gedanken durch, worin die Originalität und Authentizität ihres Schreibens eigentlich besteht, wenn dahergelaufene Amateure und dreiste Schwindler in die Haut eines Schriftstellers schlüpfen und mit unrechtmäßig angeeigneten Manuskripten Ruhm und Geld absahnen können. Im angelsächsischen Raum ist die literarische Selbstreflexion im Spiegelkabinett erzählerischer Lügen und postmoderner Volten geradezu eine Kunstform; nirgends lässt sich besser über das Verhältnis von Fiktion und Wahrheit, Schreiben und Leben nachdenken als dort, wo das Fremde zum Eigenen und das Vertraute fremd wird. John Boyne, bisher eher als Autor von historischen Romanen und Jugendbüchern (sein "Junge im gestreiften Pyjama" wurde fast zehn Millionen Mal verkauft) bekannt geworden, genießt es offensichtlich, in seinem Roman "Die Geschichte eines Lügners" einen Schriftstellerkollegen stellvertretend die Grenzen des Erlaubten bei Geschichtenakquisition und Selbstdarstellung ausreizen zu lassen.
Dieser Maurice Swift ist ein pathologischer Schwindler, krankhaft ehrgeizig, egoistisch, skrupellos. Um die literarischen Verdienste, derer er sich rühmt, öffentlich sichtbar zu machen, ist ihm jedes Mittel recht: Lüge, Betrug, Diebstahl, ja sogar Mord. Und Swift ist kein in seiner Lügenwelt verkapselter Horrorclown wie der verflossene amerikanische Präsident, sondern ein weltweit gefeierter Schriftsteller, begabt mit Charme, gewinnendem Äußeren und einigem Talent als Stilist. Was ihm fehlt, sind starke Geschichten; Erzählen und Erfinden gehören nämlich nicht zu seinen Talenten.
Umso besser kann Swift, mit allen Wassern des Literaturbetriebs gewaschen, dafür Leser manipulieren, Kritiker instrumentalisieren, Verleger hinhalten. Niemand weiß, dass der berühmte Autor seinen Ruhm hauptsächlich fremden Federn und eigener Chuzpe verdankt. Und wenn schon: Ein Roman ist ja keine Doktorarbeit. Anders als Politiker muss ein Dichter nicht seine Quellen offenlegen und darf ruhig auch mal aus fremden Brunnen Inspiration schöpfen. Die Erlebnisse und Erzählungen anderer ausleihen, osmotisch einatmen, weiterdenken oder auch plagiieren gehört seit jeher zum literarischen Schreiben.
Alle Schriftsteller klauen also irgendwie, irgendwo; aber Maurice Swift treibt es wirklich schlimm. Den Durchbruch schaffte er mit seinem Roman "Zwei Deutsche", in dem er einem berühmten Kollegen dessen tragikomische Lebensgeschichte stahl. Erich Ackermann, ein schwuler Großschriftsteller wie Thomas Mann, hatte Swift, geschmeichelt von dessen blendendem Aussehen und untertänigster Bewunderung, zu seinem Privatsekretär gemacht und ihm auf einer Welttournee sein dunkelstes Geheimnis offenbart: 1939 hat Ackermann, obwohl selbst Jude, seinen besten Freund an die Gestapo verraten, weil der sich seinen sexuellen Avancen verweigert hatte. Swift wurde nach Erscheinen seines Skandalromans als schonungsloser Wahrheitssucher gefeiert, Ackermann fiel als Monster in Ungnade.
Als sein erstes eigenes Werk floppte und die Karriere ins Stocken geriet, klaute Swift seiner - literarisch begabteren - Frau ihren fast fertigen ersten Roman und stieß sie die Treppe hinunter, als die ruchlose Tat aufzufliegen drohte; den "Unfall" verkaufte der trauernde Witwer als Tragödie, den gestohlenen Roman als postume Liebeserklärung. So schwindelte sich Swift durch, ehe er bei seinem letzten Streich der eigenen Eitelkeit auf den Leim ging: Theo, ein junger Literaturstudent, der sich ihm als Bio- und Hagiograph andiente, war nicht der naive Bewunderer, als der er Swift im Dämmerlicht der Pubs erschien, sondern ein Neffe Ackermanns, ein Rächer aller Betrogenen und Bestohlenen. Am Ende wird Maurice Swift Creative-Writing-Kurse im Gefängnis leiten und seinem Leiden sein letztes, bestes Werk abringen.
Aber ist diese Figur wirklich ein durch und durch amoralischer Schurke? Dass sich ein Autor fremde Geschichten aneignet, ist legitime literarische Praxis, vor allem wenn er sie, wie Swift sich durchaus zu Recht zugutehält, sprachlich verfremdet, verdichtet und damit quasi neu erfindet. Diese "Geschichte eines Lügners" basiert angeblich auf Boynes eigenen Erfahrungen: Der neunundvierzigjährige Ire fiel selbst einmal auf einen ehrgeizigen jungen Mann herein, der seine Zuneigung nur als Sprungbrett für die eigene Karriere benutzte; "komplett blind", habe er nicht mehr wahrhaben können oder wollen, wovor alle Freunde ihn warnten.
Boyne ist, wie sein Held, ein glänzender Stilist, der hinreißend witzig aus dem Nähkästchen plaudern kann. Er kennt die Eitelkeiten des Literaturbetriebs zwischen New York, Berlin und Rom, er kann virtuos Töne und Jargons imitieren und Bosheiten über lebende und tote Autoren fallenlassen; sehr gelungen etwa seine Satire auf den amerikanischen Großschriftsteller Gore Vidal, der in seiner Villa an der Amalfiküste Gift und Galle spritzt und gerade wegen seiner grotesken Eitelkeit nicht auf Swifts aalglatte Komplimente hereinfällt. Nicht nur deshalb erinnert der schreibende Hochstapler gelegentlich an den talentierten Mr. Ripley: Man leidet mit dem charmanten Scheusal und zittert um den begnadeten Dieb.
Wer mit behaglichem Sarkasmus Geheimnisse des Literaturbetriebs ausplaudert, hat bei Kritikern meist mehr Erfolg als beim Publikum: Man liebt den Verrat, nicht die Verräter, und der ehrliche Erzähler gilt mehr als der raffinierte Lügner. Boynes Kunst besteht darin, dass er mit erfundenen und gestohlenen Geschichten die Dämonen in der eigenen Brust beschreibt.
MARTIN HALTER
John Boyne: "Die Geschichte eines Lügners". Roman.
Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch und Michael Schickenberg. Piper Verlag, München 2021. 428 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main