Ein verhängnisvoller Besuch
Mit seinem 1939 posthum erschienenen Roman «Die Geschichte der 1002. Nacht» hat Joseph Roth der morgenländischen Sammlung von Erzählungen eine ironische Ergänzung hinzugefügt. Das Buch wurde von Peter Beauvais 1969 für das Fernsehen verfilmt und gehört heute zu den
zahlreichen Klassikern aus der Feder des österreichischen Autors, der für seinen vom Journalismus…mehrEin verhängnisvoller Besuch
Mit seinem 1939 posthum erschienenen Roman «Die Geschichte der 1002. Nacht» hat Joseph Roth der morgenländischen Sammlung von Erzählungen eine ironische Ergänzung hinzugefügt. Das Buch wurde von Peter Beauvais 1969 für das Fernsehen verfilmt und gehört heute zu den zahlreichen Klassikern aus der Feder des österreichischen Autors, der für seinen vom Journalismus geprägten Erzählstil bekannt ist.
Mit großem Gefolge reist der Schah von Persien nach Wien, besucht also ein aus seiner Sicht exotisches Land. Auf einem zu seinen Ehren veranstalteten Ball entdeckt er unter den illustren Gästen eine wunderschöne blonde Frau. Der über einen Harem von 365 Frauen verfügende Potentat gibt seinem Großwesir den Auftrag, ihm diese Schönheit noch heute Nacht zuzuführen. Gräfin W. ist eine verheiratete Dame, die von allen Männern verehrt wird. Undenkbar für den entsetzten Polizeipräsidenten, an den sich der Großwesir gewandt hat, der Dame ernsthaft einen solchen Wunsch vortragen zu lassen. Stattdessen wendet er sich ratsuchend an Baron Taittinger, ein zur besonderen Verwendung bei Hofe abgestellter Rittmeister. Dem gelingt es zunächst, Graf und Gräfin W. zum sofortigen Verlassen des Balls zu bewegen. Eine ehemalige Geliebte von ihm hat eine frappante Ähnlichkeit mit der Gräfin, sie könnte deren Zwillings-Schwester sein. Die einfältige Mizzi arbeitet im Kurzwarengeschäft ihres Vaters und gelegentlich auch noch in einem anrüchigen Etablissement, also die Idealbesetzung für das von Taittinger vorgeschlagene Täuschungs-Manöver. Der Polizeipräsident ist begeistert, kümmert sich um alles weitere, und der Schah ist nach der ersehnten Liebesnacht so zufrieden, dass er seiner blonden Bettgefährtin eine sündhaft teure Perlenkette als Geschenk zukommen lässt, sie ist über Nacht eine reiche Frau.
Damit nimmt das Unglück seinen Lauf. In einer gekonnt angelegten, turbulenten Handlung beschreibt Joseph Roth das Unheil, welches sowohl bei Mizzi als später auch bei Taittinger, von dem sie ein missratenes Kind hat, und bei vielen weiteren Figuren durch dieses monströse Geschenk ausgelöst wurde. Ein mieser Schreiberling der Zeitung versucht aus der peinlichen Geschichte Profit herauszuschlagen, ein Betrüger schmeichelt sich bei Mizzi ein und wird nicht nur ihr Liebhaber, sondern auch ihr Geschäftspartner. Er verkauft in ihrem Laden gefälschte Brüsseler Spitzen, überredet auch Mizzis geldgierige Bordellmutter, sich finanziell zu beteiligen und plündert die kleine Firma planmäßig aus. Als schließlich alles auffliegt, landet auch Mizzi im Gefängnis. Und sogar auf Taittiger fallen die Schatten der Affäre zurück, er muss den Dienst quittieren. Leichtsinnig wie er ist, hat er zudem sein Gut sträflich vernachlässigt, ist überschuldet und findet sich auch im Privatleben nicht mehr zurecht. Als er sich Jahre später für eine Rückkehr in den Dienst bewirbt, wird bekannt, dass der Schah einen weiteren Besuch in Österreich plant, die deshalb hervorgeholten, alten Akten werden ihm nun erneut zum Verhängnis.
Die Ende des 19ten Jahrhunderts angesiedelte Geschichte ist eine ironische Gesellschafts-Studie der k. u. k-Monarchie mit ihrer Doppelmoral. Geld allein macht nicht glücklich, ist die Devise von Joseph Roths letztem Roman. Als großer Moralist seziert er die Verstrickungen der damaligen Gesellschaft und ihre typischen Verhaltensmuster, wobei seine Ironie nicht ins Amüsante abgleitet, sondern eher melancholisch die bedauernswerten Zustände beleuchtet. Die berechtigte Frage manch männlichen Lesers, was den Schah so an den Frauen seiner Gastgeber gereizt habe, wird im Roman sehr einleuchtend beantwortet: «Jede einzelne war lockender als ein ganzer Harem, angefüllt mit 365 rätsellosen, geheimnislosen, gleichgültigen Leibern. […] Welch vertrackte Raffiniertheit, die Gesichter der Frauen nicht zu verhüllen! […] Jede einzelne ein behüteter Edelstein». Dieses Buch mit dem originellen Titel ist auch heute noch eine lohnende Lektüre!