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"Horizonterweiternd" Dennis Scheck
Eine neue Generation von Politiker:innen hat in unserem Land das Ruder übernommen, mitten in einer von Krisen und Konflikten geprägten Zeit. Dachten nach dem Fall der Mauer viele, die großen existenziellen Fragen seien entschieden, stapeln sich diese spätestens seit 2008 wieder, global und auf allen Ebenen: Finanzcrash, zunehmende Ungleichheit, Fluchtbewegungen, Demokratiefeindlichkeit, Klimakrise, neue Kriege und Blockbildungen ... Wie schlagen sich diejenigen, die jetzt in der Verantwortung stehen, angesichts dieser Herausforderungen? Wie wurden sie zu…mehr

Produktbeschreibung
"Horizonterweiternd" Dennis Scheck

Eine neue Generation von Politiker:innen hat in unserem Land das Ruder übernommen, mitten in einer von Krisen und Konflikten geprägten Zeit. Dachten nach dem Fall der Mauer viele, die großen existenziellen Fragen seien entschieden, stapeln sich diese spätestens seit 2008 wieder, global und auf allen Ebenen: Finanzcrash, zunehmende Ungleichheit, Fluchtbewegungen, Demokratiefeindlichkeit, Klimakrise, neue Kriege und Blockbildungen ... Wie schlagen sich diejenigen, die jetzt in der Verantwortung stehen, angesichts dieser Herausforderungen? Wie wurden sie zu dem, was sie heute sind? Und was können wir von ihnen erwarten?

"Als wacher politisch denkender Kopf analysiert Bossong die heutige Politik- neugierig, engagiert und nachdenklich. Ein Lesevergnügen!" Gerhart Baum
Autorenporträt
Nora Bossong, geboren 1982 in Bremen, lebt als freie Schriftstellerin in Berlin. Sie veröffentlicht Romane, Essays und Gedichte und meldet sich regelmäßig zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen zu Wort. 2019 gelangte ihr Roman Schutzzone auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. Bossong wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Thomas-Mann-Preis (2020) und dem Joseph-Breitbach-Preis (2020). Sie ist Kolumnistin des Philosophie-Magazins.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.03.2022

„Behütet war die Welt natürlich nie“
Die ab 1975 Geborenen haben nie rebelliert und überwiegend Frieden und Wohlstand erlebt.
Sind sie zu naiv für die kriegerische Gegenwart? Ein Gespräch mit der Schriftstellerin Nora Bossong
INTERVIEW: A. VON BLAZEKOVIC
An Generationenporträts herrscht auf dem Buchmarkt kein Mangel. Nora Bossong, 1982 geboren, hat sich in ihrem neuen Buch „Die Geschmeidigen“ mit ihrer Generation der zwischen 1975 und 1985 Geborenen beschäftigt, besonders mit den Politikern dieser Jahrgänge, mit Annalena Baerbock, Lars Klingbeil, Christian Lindner oder Jens Spahn, mit jenen also, die irgendwo zwischen den angeblichen Generationen X und Y stehen und nun erstmalig gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Was bedeutet der Krieg in der Ukraine für ihre Diagnose?
SZ: Frau Bossong, trinken Sie Bionade?
Nora Bossong: Ich habe während meines Studiums mal in einem Café ausgeholfen, war darin aber nicht sehr begabt. In der Zeit habe ich viel Bionade aus dem Café-Kühlschrank aufgebraucht. Seither habe ich sie ein bisschen über.
Bionade-Biedermeier ist so einer der Begriffe für Ihre Generation. Was an der Limo ist so typisch für sie?
Es ist die Abwendung vom klassischen Coca-Cola-Massenprodukt. Bionade tut zumindest so, als wäre sie gesund. Sie war auch erst ein Nischenprodukt und dadurch eins, mit dem man sich abheben konnte, ein nettes, regionales Produkt. In meiner Generation gucken wir, dass es uns gut geht, dass wir auch ein bisschen ökologisch leben, solange es nicht wehtut. Wir stilisieren gerne Konsumentscheidungen zu Lebensentscheidungen.
Was macht die 40-Jährigen in Ihren Augen zu „Geschmeidigen“?
Ich schaue mir in dem Buch vor allem diejenigen aus dieser Generation an, die an entscheidenden Stellen in Politik, Wirtschaft und Kultur gelandet sind. Auf dem politischen Parkett hat Geschmeidigkeit etwas Glattes. Wenn man noch etwas weiter ginge, käme der Opportunismus. Nicht anecken wollen, schön durchkommen. Ich finde aber, dass Geschmeidigkeit positive Seiten hat: sich in Situationen einzufügen, sich einzufühlen, was im Bereich der Politik eine neue Qualität wäre. Souverän zu bleiben und eine freundliche Form im Feld der politischen Machtkämpfe zu finden.
Nun ist in Europa ein Krieg ausgebrochen. Ist da noch irgendwas geschmeidig?
Im Buch komme ich auf den Moment zu sprechen, in dem Geschmeidigkeit nur noch Ausflucht wäre, und ja, der Moment ist jetzt da. Aber das heißt nicht, sie ganz aufzugeben. Denn das Ziel muss sein, dass es wieder zu diplomatischen Gesprächen kommt, und dafür ist Geschmeidigkeit nicht von Nachteil. Sie darf nur nicht naiv sein. Es wird darauf ankommen, ob wir mit Blick auf die Welt mit ihren Widersprüchen, ihren Krisen und ihrer Verletzlichkeit den Mut haben werden, „dennoch!“ zu sagen. Dieses „Dennoch“, darum geht es: Wir sind aktuell in mehreren so bedrohlichen Krisen, dass Gefühle der Ohnmacht und Depression leichtfallen oder schlicht der Wunsch, alles auszublenden. Wir müssen aber Handelnde bleiben, und wir müssen weiter und umso stärker für die freiheitliche Demokratie einstehen.
Wie fügen sich die Vierzigjährigen im Vergleich zu Älteren und Jüngeren ein?
Sie übernehmen eine Brückenfunktion. Sie sind leiser als die jüngere Generation, die sich mit Klima-Aktivismus und „Fridays for Future“, aber auch der extrem rechten „Identitären Bewegung“ früh mit professionellen Formen des Protests Gehör verschafft hat. Unsere Elterngeneration der Achtundsechziger war auch laut. Diejenigen, die Teil der Studentenbewegung waren, sowieso, aber anders auch die Konservativen, die sie ablehnten.
Und Sie eher leise?
Wir waren lange eher unscheinbar. Man kann das gut an der Person Baerbock sehen. Sie war vergleichsweise unbekannt, bis die Kanzlerinnenkandidatur verkündet wurde. Obwohl sie schon Parteivorsitzende war, stand sie nicht im Mittelpunkt. Robert Habeck war derjenige, der die Reden schwang. Das hat sich geändert. Bei der UN-Generalversammlung hielt sie gerade eine vielbeachtete Rede, gab sich kämpferisch. Vor wenigen Wochen hatte sie den ukrainischen Botschafter abblitzen lassen, der Deutschland um Defensivwaffen bat. Sie fühlte sich in einer historischen Verantwortung gegenüber Russland.
Die Generation scheint kein Problem damit zu haben, sich etwas zuzutrauen.
So habe ich es jedenfalls erlebt. Was ich der Generation eher nachsagen würde, ist, dass sie lange nicht entschieden genug war in ihrem politischen Engagement. Oder es wurde sehr auf sich geschaut und das zur politischen Haltung hochstilisiert. Dadurch wurden einige Dinge nicht so ernst genommen, wie man sie, glaube ich, hätte nehmen müssen. Das gilt für das Klima ebenso wie für Fragen der Sicherheitspolitik und auch für das Vorgehen gegen antidemokratische Entwicklungen. Da reicht es nicht, einen Aufkleber mit „Fuck AfD“ an eine Laterne zu kleben. Wir müssen gerade jetzt viel selbstbewusster die Demokratie verteidigen.
Im ersten Teil von „Die Geschmeidigen“ beschreiben Sie anhand Ihres eigenen Lebenslaufs das Aufwachsen in einer scheinbar behüteten Welt.
Behütet war die Welt natürlich nie. Sie wirkte Anfang der Neunziger nach dem Ende des Kalten Kriegs aber erst mal befriedeter als wenige Jahre davor. Es schien wie eine positive Wendung der Geschichte. Aber auch in den Neunzigerjahren war es weder global friedlich, mit den Balkankriegen, dem Irakkrieg, dem Genozid in Ruanda, noch auch nur in Deutschland, wo Asylbewerberheime brannten und es auch weiterhin relative Armut und Gewalt gab. Trotzdem, das habe ich in den Gesprächen für das Buch oft gehört, gingen wir von einer Behütetheit aus, in der man groß wird. Der Wechsel in den Krisenmodus kam dann viel unmittelbarer.
Wann sind Sie aufgewacht?
Der Brexit war ganz bestimmt ein wichtiger Punkt. Vielleicht war es nicht der Abschied von der Behütetheit, der kam sicher schon vorher. Aber von dem Glauben, dass es im letzten Moment doch gut ausgehen würde. Ähnlich war es bei der Wahl von Donald Trump. Es gab diese Überzeugung in dem linksliberalen Milieu, aus dem ich komme, dass es bei aller Knappheit immer so ausgeht, wie wir es uns gewünscht haben. Dass die Welt so abstimmen müsste, wie ich es für richtig halte. Das hat etwas sehr Anmaßendes.
Ist das auch ein Makel, dieser Glaube, dass alle schon wüssten, was richtig ist und wir uns da einig wären?
Zumindest ist das eine Tendenz, die ich nicht nur dieser Generation anlasten würde, die aber aktuell zunimmt. Am 24.2. dieses Jahres hieß es, wir seien in einer anderen Welt aufgewacht. Nein, die Welt zeigte uns nur, wozu manche in ihr fähig sind. Auch hier hielt man sich zu lange an der Hoffnung fest, es möge schon gutgehen.
Christian Lindner attestiert Ihrer, also seiner Generation im Buch fehlende charakterliche Reife. Wie verstehen Sie das?
Er meinte, was uns fehlen könnte, sei die Härte, unbequeme Entscheidungen durchzubringen. Er sagt das in Abgrenzung zur Generation Willy Brandt und Helmut Schmidt, die Kriegserfahrungen gemacht hat und noch ganz andere ideologische Kämpfe erlebte. Andere, mit denen ich sprach, haben durchaus existenzielle Krisen erlebt. Sicher nicht wie Schmidt und Brandt, aber eben doch nicht nur Nestwärme. Omid Nouripour von den Grünen hat Krieg erlebt, ist mit seinen Eltern, als er 13 war, nach Deutschland gekommen. Wer in Ostdeutschland sozialisiert wurde, hat zumindest einen tiefgreifenden Umbruch miterlebt und die Schattenseiten der Wiedervereinigung. Was aber bei allen Politikern im Buch auffällt, ist, dass sie als Berufspolitiker wenig berufliche Erfahrungen jenseits der politischen Laufbahn gemacht haben. Das macht sie zwar professionell, kann aber den Fokus verengen.
Nun treffen angeblich typische Merkmale von Generationen ja in Wirklichkeit immer nur auf ganz bestimmte Gruppen zu. Wie viel Sinn hat es eigentlich, über Generationen zu sprechen?
Jede Generationsbetrachtung hat ihre Grenzen, das ist klar. Ich habe sie als Form genutzt, weil ich bestimmte politische Fragen in den Fokus stellen wollte. Da schien mir die verengte Perspektive auf diese Generation nützlich. Wir reden hier über die Leute, die in den nächsten 20 Jahren entscheiden werden.
„Das Ziel muss sein, dass es
wieder zu diplomatischen
Gesprächen kommt.“
Die Angehörigen der Generation der „Geschmeidigen“ sind jetzt an der Macht. Und mit etwas konfrontiert, was in ihrem Leben nie vorkam: Krieg. Annalena Baerbock, Jahrgang 1980, spricht am 2. März 2022 vor der UN-Vollversammlung über den russischen Angriff auf die Ukraine.
Foto: Florian Gaertner/imago
Die Schriftstellerin
Nora Bossong ist 1982 in Bremen geboren. Sie schreibt Lyrik, Romane und Essays. Ihre Bücher erschienen überwiegend im Suhrkamp Verlag.
Foto: Jens Kalaene/dpa
Nora Bossong:
Die Geschmeidigen. Meine Generation und der neue Ernst des
Lebens.
Ullstein, Berlin 2022.
237 Seiten, 19,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensent Harry Nutt liest angeregt Nora Bossongs Erkundung ihrer Generation der um die vierzig Jährigen. Dabei nimmt die Autorin eine "gesellschaftliche Charakterisierung" derer, die in ihrem Wirken die heutige Politik, Wirtschaft und Kultur beeinflussen in den Blick und nimmt diese als Anhaltspunkt für ein weiter gefasstes Bild, erklärt der Rezensent. Dass die Autorin sich mit ihrem "feinen" Sprachgefühl und der "zeitdiagnostischen Wahrnehmung" kein typisch journalistisches Generationenporträt schreibt, sondern sich, ohne anzuklagen, auf einen "Verfallsprozess demokratischer Prinzipien und Gewissheiten" konzentriert, für den diese Generation symptomatisch stehe, gefällt dem Rezensenten. Allerdings hätte sich Nutt eine differenziertere Betrachtung der Lebenslage dieser Generation gewünscht, die keinesfalls nur in stabile und sichere Strukturen hineingeboren sei, wie er meint.

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