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Wie die mechanische Uhr das europäische Wirtschaftsleben veränderte und schließlich als erster Exportartikel chinesische Könige und Eunuchen gleichermaßen begeisterte. Vom 14. bis zum 18. Jahrhundert untersucht der italienische Wirtschaftshisoriker und -detektiv die Geschichte der Uhr und den soziokulturellen Hintergrund der Uhrmacher in Genf, Paris, Augsburg und Nürnberg. Seine kleine Kulturgeschichte beschreibt die handwerkliche Entstehung der mechanischen Uhr und ihre Rolle im Tauschhandel: Wie im 14. Jahrhundert aus Schmieden, die erst Kanonen herstellten, durch die Verfeinerung der…mehr

Produktbeschreibung
Wie die mechanische Uhr das europäische Wirtschaftsleben veränderte und schließlich als erster Exportartikel chinesische Könige und Eunuchen gleichermaßen begeisterte. Vom 14. bis zum 18. Jahrhundert untersucht der italienische Wirtschaftshisoriker und -detektiv die Geschichte der Uhr und den soziokulturellen Hintergrund der Uhrmacher in Genf, Paris, Augsburg und Nürnberg. Seine kleine Kulturgeschichte beschreibt die handwerkliche Entstehung der mechanischen Uhr und ihre Rolle im Tauschhandel: Wie im 14. Jahrhundert aus Schmieden, die erst Kanonen herstellten, durch die Verfeinerung der Verarbeitungstechniken Uhrmacher wurden, wie die Nachricht von 'Glocken, die zu jeder Stunde von selbst schlagen' bis nach China gelangt und die Uhr schließlich im 18. Jahrhundert, mit der Massenproduktion, zum hochkarätigen Exportartikel wird. Die mechanische Uhr war nicht nur der erste Präzisionsgegenstand, sondern läutete eine neue Zeit ein.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.1997

Wer hat an der Uhr gedreht?
Kommt Rad, kommt Zeit: Carlo Cipolla zählt die Stunden des mechanischen Chronometers in Europa und Ostasien

Gar nicht so wenige geraten immer noch zweimal pro Jahr über das Rätsel der Zeit ins Grübeln. Wenn man zum Sommer, um in der Zeit zu bleiben, seine Uhren eine Stunde vorstellt, fragt man sich, wo die sechzig Minuten dann bleiben, bis sie im Winter dann wieder hervorgeholt werden. Wer von Kindesbeinen an gelernt hat, Zeit auf einem Zifferblatt als räumliche Bewegung zweier Zeiger zu begreifen, hat es eben schwerer als andere, die schon mit digitalisierten Zeitanzeigen groß geworden sind, Zeit als Konvention und nicht doch als einen realen Strom der Minuten und Stunden zu erleben, den die Gesetze der Natur, nicht der Menschen bestimmen.

Neuerdings gibt es nun Uhren, die allen, die mit dem Zifferblatt ihr Zeitgefühl gelernt haben, das Grübeln ersparen. Per Funksignal werden Wecker und Armbanduhren nun auch in Privatwohnungen von der Sommer- auf die Winterzeit und umgekehrt korrekt eingestellt. Ein begeisterter Berliner Professor erzählte neulich, daß er eigens nachts aufgeblieben sei, um dieses zeittechnische Wunder an seinem Wecker zu beobachten. Die Frage, ob sich durch elektronische Uhren und digitalisierte Zeitanzeigen das Zeitgefühl verändert, regt Carlo M. Cipolla mit seiner eleganten Studie über die mechanische Uhr wohl an, stellt sie aber nur indirekt durch den Bericht über die Abwege und Umwege, welche der mechanischen Uhr in Westeuropa und Ostasien beschieden waren.

Der schmale, aber gehaltvolle und souveräne Text, verständlich auch allen, denen Technikgeschichte bislang öde und unverständlich erschienen ist, stellt aber auch selbst und direkt bedeutsame Fragen. So wie ihre antiken Vorgänger in China oder Griechenland, meint Cipolla, sind die heutigen Eliten in einem defensiven Pessimismus gegenüber technischen Neuerungen befangen, mit dem sie sich selbst sinnlos entmächtigen. Es gibt aber, um im Bild der Zeit zu bleiben, kein Zurück und keinen Stillstand.

Bloß drei kurze Kapitel braucht Cipolla, um uns an der mechanischen Uhr zu erläutern, wie Technikgeschichte mit Kultur- und Gesellschaftsgeschichte verknüpft ist. Im ersten beschreibt er, wie und warum der Fortschritt vom Morgen- ins Abendland gewandert ist und dann vom Süden, nämlich Italien, in den Norden. An der Uhr und ihrer Verbreitung lassen sich alle Faktoren sauber trennen, die überhaupt bei der Verbesserung und Vermarktung von Erfindungen mitgespielt haben. Die Uhrenherstellung erscheint als mittelalterliche und frühneuzeitliche Schlüsselindustrie. Wenige Handwerker, Mathematiker und andere Wissenschaftler, ein paar findige Unternehmer entschieden in Genf, Paris, London, Augsburg und Nürnberg über ökonomische Blüte oder Niedergang.

Im zweiten Kapitel folgt Cipolla den Wanderwegen der Handwerker, die durchweg lesen und schreiben konnten und deshalb häufig Anhänger der Reformation waren. Die religiöse Verfolgung anderswo verhalf London und Genf zu Zuwanderern, bedeutsam auch wegen der Anregungen für andere Handwerke. Das dritte Kapitel beleuchtet die unterschiedliche Aufnahme der Uhren in China und Japan. Im Handel mit China waren Uhren die einzigen Güter, die sich im Austausch absetzen ließen. Am Kaiserhof entstand eine riesige Sammlung von Uhren und anderen Apparätchen, die als schöne Spielzeuge betrachtet wurden. Das Handwerk galt nichts, und für eine Zeitmessung im öffentlichen Raum bestand, anders als in den europäischen Städten des Mittelalters, kein Bedarf. Das kleinere Japan war auf Aufnahme und Anpassung der Uhr an einheimische Gebräuche besser vorbereitet. Da der Tag unabänderlich sechs Stunden lang war, mußten die Uhren lange Sommer-und kurze Winterstunden messen können.

Wer bislang die riesigen Uhren mit angeschlossenen Kalenderanzeigen, Sternenbahnen, Mond- und Sonnenumläufen für die Spitzenleistung des Uhrenhandwerks gehalten hat, wird von Cipolla eines Besseren belehrt. Nachdem man das Prinzip des Rädchens einmal verstanden hatte, konnte man leicht weitere Mechaniken mit weiteren Rädchen anschließen. Viel schwieriger war es, bis man das System der Hemmung so vervollkommnet hatte, daß die Uhren genau gingen und keinen Wärter mehr brauchten, der diese Kunstwesen täglich zur Räson brachte.

Haben sich beim Leser dieser dichten, aber niemals pedantischen Seiten alle Details gesetzt, dann bemerkt er vielleicht, daß der italienische Professor mehr im Sinn hatte, als ein interessantes Kapitel Technik- und Wirtschaftsgeschichte zu schreiben. Mit dem listigen Rückweg in die Historie liefert Cipolla uns nämlich Anregungen, wie die allerorten gegenwärtig populäre "Standortdebatte" intelligenter geführt werden kann. KATHARINA RUTSCHKY

Carlo M. Cipolla: "Gezählte Zeit". Wie die mechanische Uhr das Leben veränderte. Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1997. 124 S., geb., Abb., 36,- DM.

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