Die Gezeitentaucher Die Nordsee, eines der wohl rauesten Gewässer unseres Planeten. Für eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren ist sie Lebensraum, für die Menschen Nahrungsquelle, Rohstofflieferant und die wichtigste Seeverkehrsstraße der Welt. Die Bedingungen: starke, stetig wechselnde Strömung, auch im Sommer stets niedrige Temperaturen, hohe Wellen und Wetterextreme. Ein Grund dafür, dass die Nordsee eines der wrackreichsten Gewässer unserer Erde ist. Genau diese Wracks sind es, die eine Gruppe erfahrener Taucher aus Ostfriesland regelmäßig auf die hohe See treibt. Mit ihrem sieben Meter langen, 225 PS starken Schlauchboot, begeben sich die Hobbytaucher von Mai bis Oktober immer wieder in die Region vor die ostfriesischen Inseln zum Wracktauchen. Sie nennen sich die „Gezeitentaucher“. Oliver Hirsch und Dr. Dirk Terbeek aus Emden haben diese Gruppe 2007 gegründet. Die Idee dafür gärte jedoch schon Jahre vorher in ihren Köpfen. Ein solches Unterfangen bedurfte großer Vorbereitung von der ersten Idee bis zur tatsächlichen Umsetzung. Die nötige Zeit musste man sich neben Beruf und Familie freischaufeln. Es war der Traum vom kleinen Abenteuer zwischendurch, der sie nicht losließ. Hirsch, der seinen Tauchschein 1987 absolviert hatte, lebte einige Jahre in England. Sein dortiger Tauchverein ging regelmäßig im Ärmelkanal tauchen. Hier sammelte Hirsch Wracktaucherfahrung, die er nun für die Planung und Durchführung der Tauchgänge auf der Nordsee nutzt. Mittlerweile wird auch moderne Technik zum Aufspüren der Wracks genutzt, wie zum Beispiel Side-Scan-Sonar. Nun haben sie zusammen mit einem weiteren Gezeitentaucher, Holger Buss, ein Buch geschrieben. Neben praktischen Hinweisen, der Planung und Durchführung solcher Tauchgänge, beschreiben sie einige der betauchten Wracks und recherchierten ihre Geschichte. Gleich im ersten Jahr ihrer Aktivitäten auf der Nordsee, entdeckten sie ein Wrack, dass unbekannt zu sein schien, sie nannten es „Wrack X“. Auch das Bundesamt für Schifffahrt und Hydrographie konnte bei der Identifizierung nicht helfen. Ein Kurs in Unterwasserarchäologie bei dem renommierten Archäologen und Forschungstaucher Dr. Florian Huber, brachte ihnen das nötige Rüstzeug, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Schritt für Schritt wurden die Überreste auf dem Grund des Meeres vermessen, kartographiert und identifiziert, bis sich das erste Phantombild des circa 60 Meter langen Dampfschiffes erstellen ließ. Wie nah sie dabei dem wirklichen Schiff schon kamen, sahen sie erst später. Holger Buss war es auch, dem der entscheidende Durchbruch nach stundenlanger Recherche am heimischen Bürotisch gelang. Mit seiner Hilfe stellten sie den Kontakt zum Enkel des Kapitäns und ehemaligen Eigners her und konnten sein Schicksal ergründen. Der Kapitän war kein unbekannter Seemann. Auch die Geschichte des Unterganges vom Minensuchboot M 307 der ehemaligen deutschen Kriegsmarine, konnten sie anhand eines alten Augenzeugenberichtes entschlüsseln. Im Buch sind noch weitere Schicksale der Schifffahrt in der Nordsee aufgeführt. Dabei versteht sich die Gruppe, die sich im Kern aus acht erfahrenen Tauchern zusammensetzt, nicht als Schatzsucher oder Bergungstrupp. Ein Artefakt auf dem Meeresgrund darf nicht entfernt werden, liefert es doch wertvolle Hinweise auf das Wrack und sein Schicksal. Vielmehr die Geschichte hinter dem dramatischen Ereignis zu erfahren ist es, was die Truppe antreibt. Auch Aspekte der Ökologie sind für die Jungs von Interesse. So treibt es sie immer wieder hinaus, sofern es das Wetter, die Wellen und die Gezeiten erlauben. Welche Gefahren und Unwegsamkeiten immer wieder auf die Gruppe am Grund des Meeres lauern, ist ebenfalls im Buch beschrieben. So sind Sichtweiten unter Wasser von wenigen Zentimetern, starke Strömungen und scharfkantige Wrackteile nur einige der Risiken. Belohnt wird die Gruppe immer wieder durch geheimnisvoll ruhende Kolosse am dunklen Grund der Nordsee. Eine Reise in die dunkelolivgrüne, schier endlos wirkende See. Bizarr bewachsene und von Lebewesen bevölkerte Wracks, die mystisch, wie aus dem Nichts von den Abtauchenden erscheinen. Stumme Zeitzeugen, die wie in einer Zeitkapsel auf dem Meeresgrund ruhen, um auf ihre Wiederentdeckung zu hoffen, ehe der Zahn der Zeit jegliche Spuren gänzlich vernichtet hat. Lassen sie sich in diese Welt entführen.