Marktplatzangebote
48 Angebote ab € 0,44 €
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Nachdem Die Girls von Riad in Saudi-Arabien verboten wurde, erschien das Buch 2005 im Libanon. Binnen weniger Monate verkaufte es sich mehrere hunderttausendmal und löste eine hitzige Debatte zwischen arabischen Politikern, Gelehrten und Kritikern aus. Währenddessen ging das Buch auf dem Schwarzmarkt für das Zehnfache des Ladenpreises über den Tisch. Rajaa Alsanea erzählt davon, worüber geschwiegen werden muss: Von vier jungen Frauen, die leben und lieben wollen und es nicht dürfen, weil die Tradition für Frauen kein Glück vorsieht. Doch Sadim, Kamra, Michelle und Lamis versuchen es trotzdem,…mehr

Produktbeschreibung
Nachdem Die Girls von Riad in Saudi-Arabien verboten wurde, erschien das Buch 2005 im Libanon. Binnen weniger Monate verkaufte es sich mehrere hunderttausendmal und löste eine hitzige Debatte zwischen arabischen Politikern, Gelehrten und Kritikern aus. Währenddessen ging das Buch auf dem Schwarzmarkt für das Zehnfache des Ladenpreises über den Tisch. Rajaa Alsanea erzählt davon, worüber geschwiegen werden muss: Von vier jungen Frauen, die leben und lieben wollen und es nicht dürfen, weil die Tradition für Frauen kein Glück vorsieht. Doch Sadim, Kamra, Michelle und Lamis versuchen es trotzdem, eine jede auf ihre Art und das Ergebnis ist ein tragikomischer Roman, der aufrüttelt, berührt und verzaubert.
Autorenporträt
Rajaa Alsanea stammt aus einer saudiarabischen Medizinerfamilie.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.05.2007

Skandal in Rosarot
Die saudische Schriftstellerin Rajaa Alsanea hat ihr Land mit einem federleichten Buch erschüttert – ein Besuch
Und dann, an jenem Tag vor drei Jahren, fragte Rajaa Alsanea ihre Schwester: „Rascha, bist du so weit?” Rascha war so weit. Es war entschieden: Die beiden würden das Kopftuch tragen. Freiwillig. Sie würden nicht warten, bis sie Kinder haben, alt und runzlig sind. Würden nicht nur auf der Straße die Abaja überziehen, den schwarzen Mantel, ohne den sich in Saudi-Arabien keine Frau öffentlich zeigen darf, sondern sich auch darunter, auch privat verhüllen.
„Ja und danach”, sagt Rajaa Alsanea, „sind wir erst mal shoppen gegangen.” Sie stürmten die Malls, kauften langärmlige Blusen, topmodische Hosen und Kopftücher in Trendfarben, eine ganze Kollektion gottgefälliger It-Pieces. Aber liegt der Witz nicht gerade darin, die Reize zu verbergen? „Ich war immer sehr stylisch, und das wollte ich nicht aufgeben”, sagt Rajaa Alsanea. Auch ein Mädchen, das seine religiösen Pflichten erfüllt, will ja nicht aussehen wie ein Eimer.
Hier in Chicago, im Café Argo, Rush Street Ecke Pearson, ein paar Tausend Kilometer von Saudi-Arabien entfernt, geht Rajaa Alsanea nach eigenen Maßstäben fast in Lumpen, das tomatenrote Kleid, das schlichte Tuch – ein Aschenputtel-Look. Solche Gedanken zum Verhältnis von Koran und Konsum sind nicht nur Stilfragen. Sie führen mitten hinein in die Geschichte über eine Schriftstellerin, die noch vor ein paar Monaten Morddrohungen bekam, die einen Schlüsselroman über eines der hermetischsten Länder der Welt geschrieben hat. „Die Girls von Riad” (Pendo-Verlag) heißt Rajaa Alsaneas Roman, der soeben auf Deutsch erschienen ist, und es geht darin – um Mode. Um Make-up. Um Jungs. Um vier junge Upper-Class-Frauen – Lamis, Kamra, Michelle und Sadim – die ihr Glück suchen, also vor allem ihre Liebe, und deren Scheitern so vieles verrät, worüber man am Golf lieber schweigt.
Lamis liebt Ali, aber Ali ist Schiit und damit für die sunnitischen Wahhabiten fast schlimmer als ein Kibuzznik – die Romanze endet auf der Polizei. Michelle liebt Faisal, aber als Halbamerikanerin kommt sie für den elitären Faisal-Clan nicht in Frage. Es gibt gute Momente: Champagner-Partys, rote Rosen am Valentinstag. Einmal verkleiden sich zwei der Mädchen als Männer, setzen sich ans Steuer und cruisen mit ihren Freundinnen durchs nächtliche Riad, eine Kamikaze-Aktion, denn Frauen dürfen – trotz gelegentlicher Erwägungen von König Abdullah – noch immer nicht Auto fahren, Rajaa hat wie ihre Heldinnen einen Chauffeur. Es gibt Tricks. Gegen Zwangsheiraten hilft der richtige Scheich, der nach einem bösen Traum der Braut erklärt, Gott habe diese Ehe nicht gewollt. Und wenn es ganz hart kommt, finden die vier Trost im Haus einer geschiedenen Frau, deren Sohn homosexuell ist. Ein Schwuler, eine Geschiedene und ein Schiit – nach saudischem Verständnis hätte die Autorin da gleich über eine Aidsstation schreiben können.
Hier im Café ist das weit weg. Rajaa promoviert in Chicago in Zahnmedizin – mit einem staatlichen saudischen Stipendium. Ihr Buch ist inzwischen in elf Sprachen übersetzt, die jüngste Interviewwelle quetscht sie zwischen Lernen und Seminar. „Saudi-Arabien ist das Land, wo der Islam seinen Anfang nahm, bei uns steht die Kaaba, wir sind das Vorbild für die islamische Welt”, sagt sie. „Aber es ist eine so abgeschlossene, strenge Gesellschaft, das schürt Vorurteile. Mein Buch kann das ändern.” Tatsächlich ist der saudische Ruf ziemlich desaströs, gerade in der arabischen Welt. Denn Kaaba hin oder her – im Ausland lassen es die frommen Wüstenkinder krachen und gönnen sich jeden Spaß, der für Petrodollars zu haben ist, wofür sie manchmal belächelt, oft gehasst werden. Ob aber „Die Girls von Riad” ein Imagegewinn oder eine PR-Katastrophe ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Dass das Buch erst in Beirut erschien, war der übliche Weg für brisante arabische Literatur. Dann aber explodierte die Nachfrage, Raubkopien gelangten nach Riad, auf Papier oder digital. „Ich habe Leute gesehen, die mein Buch auf dem Handy gelesen haben”, sagt Rajaa. Dass das Werk zumindest geduldet würde, war spätestens dann klar, als der saudische Arbeitsminister und Dichter Ghasi Al-Gosaibi es im Vorwort als „lesenswert” lobte. Seit kurzem darf es sogar offiziell in Saudi-Arabien verkauft werden, wenn es auch nur kleine Läden führen. Im Herbst reichten zwei anonyme Eiferer Klage ein gegen Rajaa und den Informationsminister – und wurden abgewiesen. Eine Sensation! Womöglich war es ein Zugeständnis an die Jugend, vielleicht auch nur eine Breitseite gegen die Ultra-Orthodoxen, aber Rajaa ist entschlossen, dies als ein ermutigendes Zeichen zu deuten: „Es ist nur der Anfang. Aber ich glaube, es geht weiter.”
Fan-Fotos und Todesdrohungen
Rajaa, der Popstar. Beim Einkaufen in Riad ließen sich Fans mit ihr fotografieren, sie hatten sie trotz Gesichtsschleier erkannt – an der Chanel-Sonnenbrille. Ein Vater schrieb ihr bewegt, zum ersten Mal begreife er, wie sich seine geschiedene Tochter gefühlt habe. Rajaa, der Schandfleck. Schon der Stil – ein E-Mail-Roman, geschrieben im saudischen Dialekt, nicht Hocharabisch, dazu englische Schnipsel – war ein Angriff auf den ehrwürdigen Literaturbegriff. Sie bekam Drohungen. „Wir kennen dein Nummernschild und deine Adresse, haben sie in E-Mails geschrieben”, sagt Rajaa. „Du redest zu viel, haben sie gesagt: Alles ist wahr, aber musst du die Menschen auf dumme Gedanken bringen?”
Die Menschen, das heißt vor allem: die Frauen. Zwar studieren mehr Frauen als Männer in Saudi-Arabien, aber nur ein Bruchteil findet einen Job. Frauen können nicht wählen, dürfen ohne Begleitung von Vater oder Bruder nicht das Land verlassen, kein Konto und kein Geschäft eröffnen. Rajaas Stipendium musste ihr Bruder beantragen. „Es heißt immer: Wir behandeln euch wie Prinzessinnen”, spottet Rajaa. „Aber dahinter steckt die Vorstellung: Entlasst ein saudisches Mädchen aus ihrem Käfig und es wird zum Tier.” Die Kastrations- und Versagensängste hinter dem Tugendterror, der Kontrollzwang über den weiblichen Körper, der erst mit dem Ölboom und der Urbanisierung fast ins Pathologische gesteigert wurde – auch davon liest man zwischen den Zeilen. Es ist eine schmerzhaft dauererregte Gesellschaft, in der die jungen Männer meist großkotzige Jammerlappen sind, die jedem Mädchen ihre Handynummer ans Auto kleben, aber vor Mama, Papa und der Konvention einknicken. „Natürlich dresche ich härter auf die Männer ein”, sagt Rajaa. „Sie haben mehr Möglichkeiten, also trifft sie größere Schuld.”
Zweimal beschlichen das Königreich in den vergangenen Jahren Zweifel an der Prinzessinnenthese: Vor fünf Jahren verbrannten 15 Mädchen in einer Schule, weil sie sich ohne Abaja nicht nach draußen wagten. Und im April 2005 wurde Rania Al-Bas, Sprecherin bei Saudi TV, von ihrem Mann halbtot geschlagen und zeigte sich notdürftig zusammengeflickt im Fernsehen. Ein Jahr später erschien Rajaas Buch. „Zurückgeblieben, reaktionär und dogmatisch” sei Saudi-Arabien, heißt es darin, von der Auflehnung gegen „abstoßendes Gedankengut” ist die Rede. Dass Rajaa Alsanea achtzehn war, als sie begann, so zu schreiben, dass sie es heute kaum erwarten kann, nach Saudi-Arabien zurückzukehren – man kann es sich schwer vorstellen. Wann hatte sie das Gefühl, zu weit zu gehen? „Nie.”
Rajaa Alsanea ist keine jener Märtyrerinnen des Islam, denen der westliche Buchmarkt Passionsgeschichten aus der Hand reißt, die alle Repressionen auf den Koran zurückführen. „Saudi-Arabien wird von Traditionen beherrscht, nicht vom Islam. Der Islam bewertet die Menschen einzig nach ihrer Beziehung zu Gott. Wir aber unterscheiden sogar zwischen Muslimen aus dem Nedjd und aus Dschidda.” Eine „Cocktailgesellschaft” sei Saudi-Arabien, in der sich die Schichten nur unter höchstem Druck mischen. „Aber welchen Sinn hat es, hart zu arbeiten, sich anzustrengen, wenn man es nie zu etwas bringen wird, weil die Großeltern der falschen Familie angehören?” sagt sie. Das klingt direkt amerikanisch.
Aber man sollte sich nicht täuschen. Das Kopftuch war keine Laune, Rajaa befürwortet das Alkoholverbot für Muslime, sie will Reformen, keine Revolution. „Uns geht das alles nicht weit genug, aber den Konservativen ist es zu radikal. Im Moment sind eigentlich alle frustriert.” Sie keine Aktivistin, und doch verbirgt sich hinter ihren unschuldigen Sätzen ein Deutungsanspruch, der provozierender nicht sein könnte: „Hier in Amerika lernen Jungen und Mädchen schon im Kindergarten, miteinander auszukommen. So müsste es auch bei uns sein”, sagt sie pädagogisch: „Es ist nicht richtig, wenn sich ein Junge einem Mädchen überlegen fühlt.” So einfach.
Der Koran kennt keine Videos
Rajaa Alsanea ist eine Gläubige, die weiß, dass im Koran nichts über Videos steht. Warum also gibt es Razzien an Schulen, um Kassetten einzusammeln? Sie gehört zur Generation Bluetooth, aber was nützt es, wenn sich nur die Technik ändert und nicht die Menschen? Jungen und Mädchen können dank Handy endlich telefonieren, wenn sie schon nicht zusammen ausgehen dürfen. Aber im Internet tauchen nun Bilder unverschleierter Frauen auf, geschossen von Handy-Paparazzi, in Saudi-Arabien kann das den gesellschaftlichen Tod bedeuten. Die Spannung zwischen neuer Frömmigkeit und Fortschrittssehnsucht zerreißt das Land, und niemand verkörpert diese Widersprüche strahlender als die Schriftstellerin. Die gesamte Region ist auf der Suche nach einem dritten Weg in Äquidistanz zum fanatisierten Retro-Islam wie zum exotischen Wertekanon des Westens, und es gehört zu den feinen Ironien, dass die Hoffnung ausgerechnet in so perfekt manikürten Händen liegt wie jenen Rajaa Alsaneas.
Aber vielleicht ist das nur logisch. Mit 25 Jahren sieht sie sich als „Botschafterin” ihres Landes, als „Stimme einer Generation”. Sie möchte den Literaturnobelpreis bis 2015 holen, dabei ist ihr Buch mehr federleichte Popliteratur als Hafis, mehr Soap-opera im Ramadan als Tragödie. In Chicago macht sie ihren Führerschein – sie könnte in den Nachbarstaaten am Golf fahren. Sie hat ein Gemüt wie eine 100-Watt-Birne, und vielleicht liegt es daran, dass ihre Familie – Mutter, Schwester und fünf Brüder – jeden ihrer halsbrecherischen Schritte begleitet hat, aber unwillkürlich denkt man: Ein Land, das solche Frauen hervorbringt, ist in seinen Zurichtungsbemühungen offenbar nur mäßig erfolgreich.
Chicago. Am Wasserturm kreischt eine Frau aus einem Doppeldecker. Mädchen in Schmetterlingskostümen hoppeln vorbei. Inzwischen werde der arabische Markt mit Nachfolgewerken überschwemmt, erzählt Rajaa: „Die vier Mädchen von Riad” oder „Die Jungs von Riad”. Einige sind platte Kopien, andere religiöse Gegenentwürfe. Sie findet das großartig, endlich werde mal geredet. Morgen muss sie einen Vortrag halten. Ihr Spezialgebiet in der Zahnmedizin: Endodentologie. Wurzelbehandlungen. SONJA ZEKRI
Rajaa Alsanea liest aus ihrem Buch „Die Girls von Riad” am 22. Mai um 18 Uhr in Berlin im Kulturkaufhaus Dussmann, Friedrichstraße.
Zwischen Konsum und Koran: Junge Frauen bereiten sich in Riad aufs Ausgehen vor. Foto: Alex Majoli / Magnum Photos / Agentur Focus
„Ich bin die Stimme meiner Generation”: Rajaa Alsanea in Chicago. Foto: zri
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr