Ein wohlhabender Dandy namens Colin erobert die schöne, zarte Chloé. Die beiden entflammen und erliegen einander, versprechen sich ewige Liebe und Treue, und wenn sie dann nicht alle gestorben wären ... Frank Heibert erzählt diesen Klassiker der französischen Literatur, bislang bekannt unter dem Titel »Der Schaum der Tage«, als modernes Märchen.Auf das surreal-verspielte Szenario, in dem Mäuse tanzen und die Sonne von allen Seiten zugleich scheint, wo Aale in Wasserleitungen wohnen und zerbrochene Fensterscheiben wieder nachwachsen, legt sich schon bald ein Schatten. Chloé erkrankt an einem Lotos, der in ihrer Lunge wächst und ihr den Atem raubt. Das junge Glück ist bedroht, die Sonne zieht sich zurück, die Welt wird eng und enger. Unversehens kippt der absurde Liebesroman ins Tragische und äußert subtil scharfe Kritik an einer entfremdeten Gesellschaft.»L'écume des jours«, von Raymond Queneau als der »ergreifendste zeitgenössische Liebesroman« bezeichnet, war Boris Vians erfolgreichstes Buch. Sein märchenhafter Zauber und seine virtuose Sprachlust werden in dieser schwungvollen Neuübersetzung von Frank Heibert sorgfältig und genüsslich ins Deutsche transportiert, zu Ihrem und unserem Lesevergnügen!
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2017Die Antipfoten
des Pfarrers
Aus Schaum wird Gischt: Frank
Heibert übersetzt Boris Vian
Seit über fünfzig Jahren ist die elegante, einfallsreich verspielte und wiederholt überarbeitete Erstübersetzung Antje Pehnts von Boris Vians Kultroman „L’Écume des jours“ im Umlauf und wird es hoffentlich noch lange bleiben. Doch ist es immer reizvoll, Werke wie dieses in einem neuen Übersetzerton kennen zu lernen, und man wundert sich, dass es bei dem 1947 erstmals erschienenen Roman noch nie dazu kam. Dank Frank Heibert ist es nun so weit. Heibert ist mit Boris Vian gut vertraut, seine ersten Übersetzerarbeiten vor dreißig Jahren galten ihm, wie er im Nachwort schreibt.
Lauter alte Bekannte also. Wo ist aber das Neue? Zunächst im Ton. Man hört gleich, dass dem schrägen Liebesroman ein Hauch schmissiger deutscher Umgangssprache verpasst wurde. Wenn Colin, der sich so gern verlieben würde, sich herausgeputzt aufmacht zur ersten Begegnung mit Chloé und hinter sich die Tür knallen lässt, „als klatschte eine nackte Hand auf einen nackten Po“, sucht er auf der Treppe seine Liebesobsession durch ein Gedankenspiel zu vertreiben: „Nehmen wir an, ich leg mich im Treppenhaus auf die Fresse“. „Angenommen, ich breche mir auf der Treppe den Hals“, übersetzte Antje Pehnt zurückhaltender.
Doch beginnen mit diesem saloppen Ton auch die Schwierigkeiten. Wie ist er mit den steifen Förmlichkeiten der Rede von Colins Koch Nicolas – „Dürfte ich Monsieur darum bitten, mir die Fortführung meiner Arbeit gestatten zu wollen“ – und mit den romantischen Schwärmereien – „Ihr Teint ist wie eine frische Frucht“ – vereinbar? Gar nicht, antwortet Heibert ziemlich überzeugend: Ein Angleichung zwischen Schwärmerei, Verklausulierung und Klartext wäre hier verkehrt. Die Brüche und Reibungen gehören zum Text.
Falsch wäre es auch, in Vians stilistischen Späßen systematisch nach tieferen Bedeutungen zu suchen. Der in wenigen Wochen wie eine Jazz-Improvisation entstandene Roman verlangt vom Übersetzer eher gute Einfälle beim Mitspielen als beflissene Sinntreue. Rätselhaft gebliebene Assoziationssprünge im Text müssen mit ebenso kühnen Parallelsprüngen umspielt und überspielt werden. Das gelingt Heibert oft sehr gut. Im Schaufenster, bei dem Colin und Chloé auf ihrem ersten gemeinsamen Spaziergang vorbeikommen, liegt eine Frau auf einer Matratze und lässt sich die nackten Brüste von einem Apparat mit einer seidigen Bürste streicheln. „Schonen Sie Ihre Schuhe mit den Antipoden von Hochwürden Charles“, übersetzte Antje Pehnt den auf „Alice im Wunderland“ anspielenden dazugehörigen Werbespruch. „Sparen Sie bei Ihren Schuhen mit den Antipfoten von Pfarrer Charles“, heißt bei Heibert der um einen Assoziationssprung gesteigerte Spaß.
Anders als seine Vorgängerin konnte Heibert sich auf die mittlerweile erschienene textkritische Pléiade-Ausgabe des Originals und deren Anmerkungen stützen. Das Mitspielen bei der Improvisation setzt allerdings eine gewisse Logik bei der Eindeutschung der Ausdrücke und Namen voraus, um das Surreale des Romans nicht in Beliebigkeit abgleiten zu lassen. Bei den Buchtiteln des Philosophen Jean-Sol Partre, den Colins Freund Chick leidenschaftlich verehrt, ist der parodistische Weg durch Sartres reale Werktitel vorgezeichnet. Heibert geht ihn geschickt weiter. Bei den Eigennamen versucht er durch deutsche Assoziationsklänge in französisierter Form das Sonderbare spürbar zu machen. Die Bürgerfamilie „Ponteauzanne“ etwa, hinter der man „pont aux ânes“, die Eselsbrücke mithört, macht er als Familie „Brette-Forcoppe“ vornehmer und zugleich noch begriffsstutziger.
Vor allem aber wollte der Übersetzer aber dem skurril-traurig ausgehenden Liebesroman seine untergründig dunklen Töne zurückgeben. Tatsächlich zerschellt schon im dritten Kapitel auf der Eisbahn vor Colins Augen ein Eisläufer an der Wand und stürzt bei der Hochzeitsfeier von Colin und Chloé der Dirigent von der Empore zu Tode – von Chloés seltsamer tödlicher Krankheit ganz zu schweigen. Zu dieser schräg verrutschten Tragik trägt die lakonische Teilnahmslosigkeit des Erzählers bei.
Sie ist für einen Übersetzer eine Herausforderung. Auch dabei zieht sich Heibert gut aus der Affäre. Im gesamten Roman gönnt er dem Erzähler nicht die geringste Einfühlung. Und damit hat auch die Titeländerung zu tun. Boris Vians „Écume des jours“ ist als „Schaum der Tage“ in den deutschen Sprachraum eingegangen, als etwas Leichtes, Glänzendes wie der Badeschaum auf dem Rand der Wanne, der Colin in der ersten Szene entsteigt. Heibert will das Bewegte, Stürmische, Zischende hervorheben, das ebenfalls im Wort „écume“ steckt. Er greift den Titel „Die Gischt der Tage“ wieder auf, unter dem Antje Pehnts Übersetzung 1977 bei Suhrkamp schon einmal neu aufgelegt wurde. Seltsam nur, dass auch er bei diesem so leicht daherkommenden und in Wahrheit schwer zu übersetzenden Text mitunter in unnötig gestelzte Formulierungen verfällt.
JOSEPH HANIMANN
Boris Vian: Die Gischt der Tage. Roman. Aus dem Französischen neu übersetzt und mit einem Nachwort von Frank Heibert. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2017. 229 Seiten, 20 Euro. E-Book 17,99 Euro.
Die Familie „Ponteauzanne“,
die nach Eselsbrücke klingt, wird
zur Familie „Brette-Forcoppe“
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
des Pfarrers
Aus Schaum wird Gischt: Frank
Heibert übersetzt Boris Vian
Seit über fünfzig Jahren ist die elegante, einfallsreich verspielte und wiederholt überarbeitete Erstübersetzung Antje Pehnts von Boris Vians Kultroman „L’Écume des jours“ im Umlauf und wird es hoffentlich noch lange bleiben. Doch ist es immer reizvoll, Werke wie dieses in einem neuen Übersetzerton kennen zu lernen, und man wundert sich, dass es bei dem 1947 erstmals erschienenen Roman noch nie dazu kam. Dank Frank Heibert ist es nun so weit. Heibert ist mit Boris Vian gut vertraut, seine ersten Übersetzerarbeiten vor dreißig Jahren galten ihm, wie er im Nachwort schreibt.
Lauter alte Bekannte also. Wo ist aber das Neue? Zunächst im Ton. Man hört gleich, dass dem schrägen Liebesroman ein Hauch schmissiger deutscher Umgangssprache verpasst wurde. Wenn Colin, der sich so gern verlieben würde, sich herausgeputzt aufmacht zur ersten Begegnung mit Chloé und hinter sich die Tür knallen lässt, „als klatschte eine nackte Hand auf einen nackten Po“, sucht er auf der Treppe seine Liebesobsession durch ein Gedankenspiel zu vertreiben: „Nehmen wir an, ich leg mich im Treppenhaus auf die Fresse“. „Angenommen, ich breche mir auf der Treppe den Hals“, übersetzte Antje Pehnt zurückhaltender.
Doch beginnen mit diesem saloppen Ton auch die Schwierigkeiten. Wie ist er mit den steifen Förmlichkeiten der Rede von Colins Koch Nicolas – „Dürfte ich Monsieur darum bitten, mir die Fortführung meiner Arbeit gestatten zu wollen“ – und mit den romantischen Schwärmereien – „Ihr Teint ist wie eine frische Frucht“ – vereinbar? Gar nicht, antwortet Heibert ziemlich überzeugend: Ein Angleichung zwischen Schwärmerei, Verklausulierung und Klartext wäre hier verkehrt. Die Brüche und Reibungen gehören zum Text.
Falsch wäre es auch, in Vians stilistischen Späßen systematisch nach tieferen Bedeutungen zu suchen. Der in wenigen Wochen wie eine Jazz-Improvisation entstandene Roman verlangt vom Übersetzer eher gute Einfälle beim Mitspielen als beflissene Sinntreue. Rätselhaft gebliebene Assoziationssprünge im Text müssen mit ebenso kühnen Parallelsprüngen umspielt und überspielt werden. Das gelingt Heibert oft sehr gut. Im Schaufenster, bei dem Colin und Chloé auf ihrem ersten gemeinsamen Spaziergang vorbeikommen, liegt eine Frau auf einer Matratze und lässt sich die nackten Brüste von einem Apparat mit einer seidigen Bürste streicheln. „Schonen Sie Ihre Schuhe mit den Antipoden von Hochwürden Charles“, übersetzte Antje Pehnt den auf „Alice im Wunderland“ anspielenden dazugehörigen Werbespruch. „Sparen Sie bei Ihren Schuhen mit den Antipfoten von Pfarrer Charles“, heißt bei Heibert der um einen Assoziationssprung gesteigerte Spaß.
Anders als seine Vorgängerin konnte Heibert sich auf die mittlerweile erschienene textkritische Pléiade-Ausgabe des Originals und deren Anmerkungen stützen. Das Mitspielen bei der Improvisation setzt allerdings eine gewisse Logik bei der Eindeutschung der Ausdrücke und Namen voraus, um das Surreale des Romans nicht in Beliebigkeit abgleiten zu lassen. Bei den Buchtiteln des Philosophen Jean-Sol Partre, den Colins Freund Chick leidenschaftlich verehrt, ist der parodistische Weg durch Sartres reale Werktitel vorgezeichnet. Heibert geht ihn geschickt weiter. Bei den Eigennamen versucht er durch deutsche Assoziationsklänge in französisierter Form das Sonderbare spürbar zu machen. Die Bürgerfamilie „Ponteauzanne“ etwa, hinter der man „pont aux ânes“, die Eselsbrücke mithört, macht er als Familie „Brette-Forcoppe“ vornehmer und zugleich noch begriffsstutziger.
Vor allem aber wollte der Übersetzer aber dem skurril-traurig ausgehenden Liebesroman seine untergründig dunklen Töne zurückgeben. Tatsächlich zerschellt schon im dritten Kapitel auf der Eisbahn vor Colins Augen ein Eisläufer an der Wand und stürzt bei der Hochzeitsfeier von Colin und Chloé der Dirigent von der Empore zu Tode – von Chloés seltsamer tödlicher Krankheit ganz zu schweigen. Zu dieser schräg verrutschten Tragik trägt die lakonische Teilnahmslosigkeit des Erzählers bei.
Sie ist für einen Übersetzer eine Herausforderung. Auch dabei zieht sich Heibert gut aus der Affäre. Im gesamten Roman gönnt er dem Erzähler nicht die geringste Einfühlung. Und damit hat auch die Titeländerung zu tun. Boris Vians „Écume des jours“ ist als „Schaum der Tage“ in den deutschen Sprachraum eingegangen, als etwas Leichtes, Glänzendes wie der Badeschaum auf dem Rand der Wanne, der Colin in der ersten Szene entsteigt. Heibert will das Bewegte, Stürmische, Zischende hervorheben, das ebenfalls im Wort „écume“ steckt. Er greift den Titel „Die Gischt der Tage“ wieder auf, unter dem Antje Pehnts Übersetzung 1977 bei Suhrkamp schon einmal neu aufgelegt wurde. Seltsam nur, dass auch er bei diesem so leicht daherkommenden und in Wahrheit schwer zu übersetzenden Text mitunter in unnötig gestelzte Formulierungen verfällt.
JOSEPH HANIMANN
Boris Vian: Die Gischt der Tage. Roman. Aus dem Französischen neu übersetzt und mit einem Nachwort von Frank Heibert. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2017. 229 Seiten, 20 Euro. E-Book 17,99 Euro.
Die Familie „Ponteauzanne“,
die nach Eselsbrücke klingt, wird
zur Familie „Brette-Forcoppe“
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»Was mich verblüfft, ist die Wahrhaftigkeit dieses großen Romans und auch seine große Zärtlichkeit.« Simone de Beauvoir