Der Giftanschlag auf die Tokioter U-Bahn hat deutlich gemacht: Unsere Gesellschaft ist anfälliger und bedrohter denn je. Immer kleinere, unkontrollierbare Gruppen haben Zugang zu immer gefährlicheren Massenvernichtungsmitteln. Der Historiker und Terrorismus-Experte Walter Laqueur legt dar, wer die neuen Terroristen sind, welche Motive sie leiten, welcher Waffen sie sich bedienen und wo die Gefahr terroristischer Konflikte am größten ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.1999Wovon man nicht träumte
Neue Gefahren des Terrorismus
Walter Laqueur: Die globale Bedrohung. Neue Gefahren des Terrorismus. Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter. Propyläen Verlag, Berlin 1998. 376 Seiten, 48,- Mark.
Der technologische Fortschritt hat eine neue Ära in der Geschichte des Terrorismus eingeleitet. Die alte Sehnsucht von Menschen, über unbegrenzte destruktive Macht verfügen zu können, scheint heute erfüllbar. Und der nationale und internationale Terrorismus ist dadurch zu einer globalen Bedrohung geworden, daß biologische, chemische oder nukleare Waffen in den Besitz von skrupellosen, politisch oder religiös fanatisierten Gruppen gelangen können. Walter Laqueur beschreibt in seinem neuen Buch diese Bedrohung, und er bietet zugleich einen umfassenden und gut geschriebenen Überblick über die verschiedenen Ausformungen des Terrorismus. Dabei wird kein wichtiger Aspekt ausgelassen, sei es der Terrorismus nach den überkommenen politischen Kategorien von rechts und links, seien es der Zusammenhang von Religion und Terrorismus, der staatliche Terrorismus, die Verbindung von Terrorismus und organisierter Kriminalität oder aber der Terrorismus der Zukunft mit besonderer Berücksichtigung des Cyber- und Nuklearterrorismus.
Unzweifelhaft hat das Computerzeitalter dem Terrorismus völlig neue Möglichkeiten beschert, von denen Terroristen früher nicht einmal träumen konnten. Denn unsere Zivilisation ist in einem hohen und existentiellen Maße von EDV-Systemen abhängig und damit extrem anfällig geworden. Zugleich läßt sich das Ausmaß des Schreckens, verursacht durch eine terroristische Tat, über die Kommunikationskanäle unserer Informationsgesellschaft weltweit in Bild und Ton - fast "live" - transportieren. Der Terrorismus will Schrecken verbreiten, er braucht daher Einschüchterung und Fanalwirkung, und er kann dabei auf die Medien rechnen. Die Terroristen instrumentalisieren die Medien, und diese finden im Terrorismus alle Zutaten für eine spannende Story; "Gewalt macht Schlagzeilen, Friede und Harmonie dagegen nicht", schreibt Laqueur. Die Publizität ist für den Terrorismus lebenswichtig.
Laqueur verzichtet auf einen Definitionsversuch des Terrorismus. Er beläßt es bei einer sehr allgemein gehaltenen Formulierung, weil es zahlreiche und höchst unterschiedliche Formen des Terrorismus gebe. Doch trotz des Facettenreichtums der terroristischen Erscheinungsformen kann die Anwendung spektakulärer Gewalt als bestimmendes Merkmal des Terrorismus gelten, wobei allerdings der Zweck der Tat die jeweilige Motivation meist offenbart. Ebenso lehnt Laqueur es ab, von einem bestimmten "Tätertyp" des Terroristen zu sprechen. Er ist sich mit Kriminologen einig, daß es eine "Veranlagung" zu terroristischen Aktionen nicht gibt. Ausschlaggebend für das Entstehen von Terrorismus sind vielmehr die gesellschaftlichen und politischen Einflüsse. Es ist somit unmöglich, ein Sozio- oder Psychogramm oder gar das Phantombild eines typischen Terroristen anzufertigen. In der Hoch-Zeit des deutschen Terrorismus ist dies allerdings ansatzweise versucht worden.
Es gab also nie einen Terrorismus an sich, sondern stets einen von den jeweiligen Begründungszusammenhängen sehr unterschiedlich geprägten Terrorismus. Laqueur zeigt dies an den Beispielen der deutschen Roten Armee Fraktion (RAF), der französischen Action directe und der italienischen Brigate Rosse, aber auch anhand der terroristischen Aktivitäten der IRA, von Eta sowie am Terrorismus in der islamischen Welt, insbesondere in Algerien.
Die kurze Darstellung Laqueurs über die RAF in Deutschland enthält einige Ungenauigkeiten: Die RAF wurde weder von der Bewegung 2. Juni noch von den Roten Zellen abgelöst, sondern agitierte mit terroristischen Aktionen als RAF (in der zweiten und dritten Generation) bis 1992 weiter, ehe sie 1998 ihre Auflösung erklärte. Parallel zu den RAF-Aktivitäten traten mit terroristischen Anschlägen die Revolutionären Zellen (RZ) in Erscheinung.
Die Frage, ob im Zeitalter des gewaltigen technischen Fortschritts der Zugang hochkrimineller, terroristischer Täter zu Massenvernichtungswaffen vorstellbar und möglich erscheint, bejaht Laqueur. Diese Einschätzung scheint realistisch. Sicherlich wären hierfür außergewöhnliche Rahmenbedingungen erforderlich, die nach Laqueurs Sicht am ehesten in Nordafrika, dem Nahen Osten oder in Indonesien gegeben sein könnten. Aber auch ein "Chaos am Persischen Golf oder auf dem indischen Subkontinent könnte eine Bedrohung für die gesamte Welt darstellen, besonders wenn nichtkonventionelle Waffen eingesetzt werden".
Der Terrorismus hat sich in einer High-Tech-Welt zu einem extrem gefährlichen Gegner der Zivilisation gewandelt. In Zeiten, in denen der Fanatismus wächst und das Angebot an Waffen dramatisch erweitert wird, scheint aber auch ein "gerechter Terrorismus" möglich, um für eine "gerechte" Sache zu kämpfen, nämlich gegen Unterdrücker und Tyrannen. Das Weltgeschehen zeigt überdeutlich, wie schnell solche Brandherde entstehen. Laqueurs Buch ist ein hoher Informationsgewinn gerade für jeden, der für bedrohliche Entwicklungen namentlich in Krisenregionen unserer Welt ein politisches Gespür hat.
HANS-LUDWIG ZACHERT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neue Gefahren des Terrorismus
Walter Laqueur: Die globale Bedrohung. Neue Gefahren des Terrorismus. Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter. Propyläen Verlag, Berlin 1998. 376 Seiten, 48,- Mark.
Der technologische Fortschritt hat eine neue Ära in der Geschichte des Terrorismus eingeleitet. Die alte Sehnsucht von Menschen, über unbegrenzte destruktive Macht verfügen zu können, scheint heute erfüllbar. Und der nationale und internationale Terrorismus ist dadurch zu einer globalen Bedrohung geworden, daß biologische, chemische oder nukleare Waffen in den Besitz von skrupellosen, politisch oder religiös fanatisierten Gruppen gelangen können. Walter Laqueur beschreibt in seinem neuen Buch diese Bedrohung, und er bietet zugleich einen umfassenden und gut geschriebenen Überblick über die verschiedenen Ausformungen des Terrorismus. Dabei wird kein wichtiger Aspekt ausgelassen, sei es der Terrorismus nach den überkommenen politischen Kategorien von rechts und links, seien es der Zusammenhang von Religion und Terrorismus, der staatliche Terrorismus, die Verbindung von Terrorismus und organisierter Kriminalität oder aber der Terrorismus der Zukunft mit besonderer Berücksichtigung des Cyber- und Nuklearterrorismus.
Unzweifelhaft hat das Computerzeitalter dem Terrorismus völlig neue Möglichkeiten beschert, von denen Terroristen früher nicht einmal träumen konnten. Denn unsere Zivilisation ist in einem hohen und existentiellen Maße von EDV-Systemen abhängig und damit extrem anfällig geworden. Zugleich läßt sich das Ausmaß des Schreckens, verursacht durch eine terroristische Tat, über die Kommunikationskanäle unserer Informationsgesellschaft weltweit in Bild und Ton - fast "live" - transportieren. Der Terrorismus will Schrecken verbreiten, er braucht daher Einschüchterung und Fanalwirkung, und er kann dabei auf die Medien rechnen. Die Terroristen instrumentalisieren die Medien, und diese finden im Terrorismus alle Zutaten für eine spannende Story; "Gewalt macht Schlagzeilen, Friede und Harmonie dagegen nicht", schreibt Laqueur. Die Publizität ist für den Terrorismus lebenswichtig.
Laqueur verzichtet auf einen Definitionsversuch des Terrorismus. Er beläßt es bei einer sehr allgemein gehaltenen Formulierung, weil es zahlreiche und höchst unterschiedliche Formen des Terrorismus gebe. Doch trotz des Facettenreichtums der terroristischen Erscheinungsformen kann die Anwendung spektakulärer Gewalt als bestimmendes Merkmal des Terrorismus gelten, wobei allerdings der Zweck der Tat die jeweilige Motivation meist offenbart. Ebenso lehnt Laqueur es ab, von einem bestimmten "Tätertyp" des Terroristen zu sprechen. Er ist sich mit Kriminologen einig, daß es eine "Veranlagung" zu terroristischen Aktionen nicht gibt. Ausschlaggebend für das Entstehen von Terrorismus sind vielmehr die gesellschaftlichen und politischen Einflüsse. Es ist somit unmöglich, ein Sozio- oder Psychogramm oder gar das Phantombild eines typischen Terroristen anzufertigen. In der Hoch-Zeit des deutschen Terrorismus ist dies allerdings ansatzweise versucht worden.
Es gab also nie einen Terrorismus an sich, sondern stets einen von den jeweiligen Begründungszusammenhängen sehr unterschiedlich geprägten Terrorismus. Laqueur zeigt dies an den Beispielen der deutschen Roten Armee Fraktion (RAF), der französischen Action directe und der italienischen Brigate Rosse, aber auch anhand der terroristischen Aktivitäten der IRA, von Eta sowie am Terrorismus in der islamischen Welt, insbesondere in Algerien.
Die kurze Darstellung Laqueurs über die RAF in Deutschland enthält einige Ungenauigkeiten: Die RAF wurde weder von der Bewegung 2. Juni noch von den Roten Zellen abgelöst, sondern agitierte mit terroristischen Aktionen als RAF (in der zweiten und dritten Generation) bis 1992 weiter, ehe sie 1998 ihre Auflösung erklärte. Parallel zu den RAF-Aktivitäten traten mit terroristischen Anschlägen die Revolutionären Zellen (RZ) in Erscheinung.
Die Frage, ob im Zeitalter des gewaltigen technischen Fortschritts der Zugang hochkrimineller, terroristischer Täter zu Massenvernichtungswaffen vorstellbar und möglich erscheint, bejaht Laqueur. Diese Einschätzung scheint realistisch. Sicherlich wären hierfür außergewöhnliche Rahmenbedingungen erforderlich, die nach Laqueurs Sicht am ehesten in Nordafrika, dem Nahen Osten oder in Indonesien gegeben sein könnten. Aber auch ein "Chaos am Persischen Golf oder auf dem indischen Subkontinent könnte eine Bedrohung für die gesamte Welt darstellen, besonders wenn nichtkonventionelle Waffen eingesetzt werden".
Der Terrorismus hat sich in einer High-Tech-Welt zu einem extrem gefährlichen Gegner der Zivilisation gewandelt. In Zeiten, in denen der Fanatismus wächst und das Angebot an Waffen dramatisch erweitert wird, scheint aber auch ein "gerechter Terrorismus" möglich, um für eine "gerechte" Sache zu kämpfen, nämlich gegen Unterdrücker und Tyrannen. Das Weltgeschehen zeigt überdeutlich, wie schnell solche Brandherde entstehen. Laqueurs Buch ist ein hoher Informationsgewinn gerade für jeden, der für bedrohliche Entwicklungen namentlich in Krisenregionen unserer Welt ein politisches Gespür hat.
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