In Nigeria, das wegen Vorwahlen zur Präsidentschaft außer Rand und Band ist, verkauft ein gerissener Geschäftemacher aus einem Krankenhaus gestohlene Körperteile für rituelle Praktiken. Der Chirurg Dr. Menka, teilt seine grausige Entdeckung mit seinem ältesten College-Freund, dem Lebemann und Ingenieur Duyole Pitan-Payne. Dieser ist im Begriff, einen prestigeträchtigen Posten als Energieberater bei den Vereinten Nationen in New York anzunehmen, aber es scheint jetzt, dass jemand entschlossen ist, dies zu verhindern. Und weder Dr. Menka noch Duyole wissen, wer ihre Feinde sind.
Wole Soyinka nimmt uns mit auf eine Tour de Force: ein mit Galgenhumor versetztes hochspannende Epos darüber, wie Macht und Gier und die Schatten des britischen Kolonialismus die Seele einer jungen Nation verderben.
Wole Soyinka nimmt uns mit auf eine Tour de Force: ein mit Galgenhumor versetztes hochspannende Epos darüber, wie Macht und Gier und die Schatten des britischen Kolonialismus die Seele einer jungen Nation verderben.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Thomas Brückner hält es für bemerkenswert, wie der hochbetagte Wole Soyinka noch einmal weit dazu ausholt, sowohl im eigenen Werk als auch in der Geschichte seiner Heimat Nigeria, um der nigerianischen Gesellschaft satirisch den Spiegel vorzuhalten. Dass er dabei so wortmächtig wie bildreich vorgeht, wenn er die Korruption und die Gewaltbereitschaft in Nigeria geißelt, erinnert den Rezensenten an die Klasse des Autors. Die Geschichte zweier Freunde, die sich angesichts der mörderischen Verhältnisse im Land an die Ideale ihrer Jugend erinnern, ist laut Brückner voller Bezüge zu realen Geschehnissen und Personen, das Buch eine Mischung aus Journalismus und Fiktion.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2022Wo Politiker Glück predigen und Morde beauftragen
Der Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka hat nach fast fünfzig Jahren einen neuen Roman geschrieben. In "Die glücklichsten Menschen der Welt" nutzt er die Struktur des Kriminalromans für ein großes Gesellschaftspanorama Nigerias.
Wenn man in Lagos auf dem Festland in Richtung der vorgelagerten Inseln der Lagune fährt, zieht am Autofenster ein Querschnitt des modernen Nigeria vorbei, der von Wellblechhütten und ockerfarbenen Lehmstraßen bis zu den glänzenden Fassaden der Wolkenkratzer auf Victoria Island reicht. All diese Gegensätze existieren dicht nebeneinander und machen das Land als solches aus, und so verwundert es nicht, dass sie auch in Wole Soyinkas neuem Roman "Die glücklichsten Menschen der Welt" eine Rolle spielen. Viele Lebenswege kreuzen sich täglich auf den überfüllten Straßen der Millionenmetropole, viele von ihnen finden sich auch auf den 650 Seiten in Soyinkas Roman wieder.
Gleich die erste Figur wirft von einem Hügel aus einen Blick auf das Gewühl, während ihr der selbst ernannte Prediger Papa Davina einen Vortrag darüber hält, dass alles im Leben nur eine Frage der Perspektive sei. Für solche Weisheiten nimmt er von seinen Besuchern viel Geld. Sie kommen trotzdem in Scharen, verspricht Papa Davina doch, jedes Problem gegen entsprechende Entlohnung zu beseitigen. Dabei helfen ihm auch seine Verbindungen in die höchsten Kreise der Regierung. In der hält der Premierminister, den alle Welt nur "Sir Goddie" nennt, die Fäden in der Hand und versucht, seine Macht zu seinem Vorteil und dem seiner Freunde auszuspielen. Und dann ist da noch der Chirurg Kighare Menka, den drei zwielichtige Geschäftsleute überreden wollen, in das florierende Geschäft mit Leichenteilen einzusteigen - immerhin habe er davon durch die Anschläge von Islamistengruppen in seinem Krankenhaus im Norden des Landes mehr als genug. Der Chirurg lehnt ab, kurz darauf geht der Club, in dem er seine Abende verbringt, in Flammen auf. Es ist dieser Doktor Menka, der sich aus der Fülle der Personen als Protagonist herausschält. Er will der Spur der perversen Leichenräuber nachgehen, kontaktiert seine engsten Freunde und verwickelt sich und alle, die ihm helfen, schnell in ein tödliches Spiel.
Soyinka, der 1986 als erster afrikanischer Autor den Nobelpreis für Literatur erhielt, ist für sein politisches Engagement bekannt. Während des nigerianischen Bürgerkriegs hielt er Reden gegen die Korruption in Regierungskreisen und prangerte Unstimmigkeiten bei Wahlen an. 1967 wurde er festgenommen, verbrachte zwei Jahre in Einzelhaft und schrieb währenddessen seine Kritik an der Regierung in Form von Gedichten auf ("Poems from Prison"). Viele seiner Theaterstücke und Essays beschäftigen sich mit den Missständen seines Heimatlandes. Und nicht nur dort übte er Kritik.
Auch in Amerika, wo er lange Jahre lebte und an den großen Universitäten lehrte, zog er die Konsequenzen seiner politischen Haltung. Als Donald Trump in das Amt des Präsidenten gewählt wurde, zerriss der Schriftsteller seine Greencard und reiste nach Nigeria zurück.
"Die glücklichsten Menschen der Welt" ist in Soyinkas fast sieben Jahrzehnte umspannendem literarischem Schaffen erst der dritte Roman. Den letzten schrieb er vor rund einem halben Jahrhundert. Dass er im Alter von siebenundachtzig Jahren weder seine Wut auf das Unrecht noch seinen scharfen Blick für gesellschaftliche Ungerechtigkeiten eingebüßt hat, beweist die Fülle an Themen, die er in seine Krimihandlung eingeflochten hat. Ähnlich wie in seinen sprachmächtigen Essays sind die thematischen Übergänge elegant und fließend. Postkoloniale Raubkunstdebatten streift Soyinka hier ebenso wie den islamistischen Terror, korrupte Politiker, religiöse Scharlatane und die Manipulation der Massen durch Fake News in sozialen Netzwerken. All das könnte überladen wirken und wie eine zu hoch gestapelte Hochzeitstorte in sich zusammenbrechen, doch die Wahl, das, was den Autor empört, im Krimigenre zu erzählen, gibt dem Affekt eben auch Struktur.
Soyinka verlangt von seinen Lesern dabei zum einen das Vertrauen, dass sich all die verschlungenen Handlungsfäden am Ende ordnen werden, und er verlangt von ihnen zum anderen die Fähigkeit, bei der Lektüre aufmerksam zu bleiben. Nicht ohne Grund verweisen seine Figuren des Öfteren auf Charles Dickens. So geschickt wie jener beim Erzählen der Abenteuer seiner zahlreichen Figuren die Zeitebenen verwob, Vor- und Rückblicke nutzte, so meisthaft tut das auch Soyinka. Wenn das Feuer das Club-Haus des Chirurgen frisst und als lodernde Flammenwand über den Hügeln steht, dann erinnert man sich plötzlich, dass ebenjenes Bild schon einige Kapitel zuvor von einer anderen Person beobachtet wurde.
Das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit mit Dickens, auch den klaren Blick, mit dem die Gesellschaft seziert wird, teilen die beiden Autoren. Wenn Menka einen Hausdiener als Zeugen befragt, dann erzählt dieser auch seine Lebensgeschichte, gibt Einblick in die Welt jener, die aus den entlegenen Dörfern nach Lagos kommen, um Geld für ihre Familien zu verdienen, und von den Reichen wie Inventar behandelt werden. Und wenn eine Frau um ihren Mann trauert, nutzt der Autor dies, um traditionelle Strukturen der folterähnlichen Witwenbefragung durch die Familie des Verstorbenen anzuprangern. Einige reale Probleme sind ins Ironische überspitzt: So leben hier die "glücklichsten Menschen der Welt", und zwar staatlich verordnet mit eigenem Ministerium, das wiederum Aufträge und Posten an Familien der Regierungsmitglieder vergibt.
Langsam entfaltet sich so ein Panorama eines permanent am Scheitern entlangschlitternden Staates. Und gerade wenn man über einer Nebenhandlung die Ermittlungen fast vergisst, nimmt Soyinka den Spannungsbogen wieder auf, füttert ihn mit Geheimcodes und Paranoia. Danach versteht man nicht nur Nigeria ein bisschen besser. MARIA WIESNER
Wole Soyinka: "Die glücklichsten Menschen der Welt". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Inge Uffelmann.
Blessing Verlag, München 2022. 656 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka hat nach fast fünfzig Jahren einen neuen Roman geschrieben. In "Die glücklichsten Menschen der Welt" nutzt er die Struktur des Kriminalromans für ein großes Gesellschaftspanorama Nigerias.
Wenn man in Lagos auf dem Festland in Richtung der vorgelagerten Inseln der Lagune fährt, zieht am Autofenster ein Querschnitt des modernen Nigeria vorbei, der von Wellblechhütten und ockerfarbenen Lehmstraßen bis zu den glänzenden Fassaden der Wolkenkratzer auf Victoria Island reicht. All diese Gegensätze existieren dicht nebeneinander und machen das Land als solches aus, und so verwundert es nicht, dass sie auch in Wole Soyinkas neuem Roman "Die glücklichsten Menschen der Welt" eine Rolle spielen. Viele Lebenswege kreuzen sich täglich auf den überfüllten Straßen der Millionenmetropole, viele von ihnen finden sich auch auf den 650 Seiten in Soyinkas Roman wieder.
Gleich die erste Figur wirft von einem Hügel aus einen Blick auf das Gewühl, während ihr der selbst ernannte Prediger Papa Davina einen Vortrag darüber hält, dass alles im Leben nur eine Frage der Perspektive sei. Für solche Weisheiten nimmt er von seinen Besuchern viel Geld. Sie kommen trotzdem in Scharen, verspricht Papa Davina doch, jedes Problem gegen entsprechende Entlohnung zu beseitigen. Dabei helfen ihm auch seine Verbindungen in die höchsten Kreise der Regierung. In der hält der Premierminister, den alle Welt nur "Sir Goddie" nennt, die Fäden in der Hand und versucht, seine Macht zu seinem Vorteil und dem seiner Freunde auszuspielen. Und dann ist da noch der Chirurg Kighare Menka, den drei zwielichtige Geschäftsleute überreden wollen, in das florierende Geschäft mit Leichenteilen einzusteigen - immerhin habe er davon durch die Anschläge von Islamistengruppen in seinem Krankenhaus im Norden des Landes mehr als genug. Der Chirurg lehnt ab, kurz darauf geht der Club, in dem er seine Abende verbringt, in Flammen auf. Es ist dieser Doktor Menka, der sich aus der Fülle der Personen als Protagonist herausschält. Er will der Spur der perversen Leichenräuber nachgehen, kontaktiert seine engsten Freunde und verwickelt sich und alle, die ihm helfen, schnell in ein tödliches Spiel.
Soyinka, der 1986 als erster afrikanischer Autor den Nobelpreis für Literatur erhielt, ist für sein politisches Engagement bekannt. Während des nigerianischen Bürgerkriegs hielt er Reden gegen die Korruption in Regierungskreisen und prangerte Unstimmigkeiten bei Wahlen an. 1967 wurde er festgenommen, verbrachte zwei Jahre in Einzelhaft und schrieb währenddessen seine Kritik an der Regierung in Form von Gedichten auf ("Poems from Prison"). Viele seiner Theaterstücke und Essays beschäftigen sich mit den Missständen seines Heimatlandes. Und nicht nur dort übte er Kritik.
Auch in Amerika, wo er lange Jahre lebte und an den großen Universitäten lehrte, zog er die Konsequenzen seiner politischen Haltung. Als Donald Trump in das Amt des Präsidenten gewählt wurde, zerriss der Schriftsteller seine Greencard und reiste nach Nigeria zurück.
"Die glücklichsten Menschen der Welt" ist in Soyinkas fast sieben Jahrzehnte umspannendem literarischem Schaffen erst der dritte Roman. Den letzten schrieb er vor rund einem halben Jahrhundert. Dass er im Alter von siebenundachtzig Jahren weder seine Wut auf das Unrecht noch seinen scharfen Blick für gesellschaftliche Ungerechtigkeiten eingebüßt hat, beweist die Fülle an Themen, die er in seine Krimihandlung eingeflochten hat. Ähnlich wie in seinen sprachmächtigen Essays sind die thematischen Übergänge elegant und fließend. Postkoloniale Raubkunstdebatten streift Soyinka hier ebenso wie den islamistischen Terror, korrupte Politiker, religiöse Scharlatane und die Manipulation der Massen durch Fake News in sozialen Netzwerken. All das könnte überladen wirken und wie eine zu hoch gestapelte Hochzeitstorte in sich zusammenbrechen, doch die Wahl, das, was den Autor empört, im Krimigenre zu erzählen, gibt dem Affekt eben auch Struktur.
Soyinka verlangt von seinen Lesern dabei zum einen das Vertrauen, dass sich all die verschlungenen Handlungsfäden am Ende ordnen werden, und er verlangt von ihnen zum anderen die Fähigkeit, bei der Lektüre aufmerksam zu bleiben. Nicht ohne Grund verweisen seine Figuren des Öfteren auf Charles Dickens. So geschickt wie jener beim Erzählen der Abenteuer seiner zahlreichen Figuren die Zeitebenen verwob, Vor- und Rückblicke nutzte, so meisthaft tut das auch Soyinka. Wenn das Feuer das Club-Haus des Chirurgen frisst und als lodernde Flammenwand über den Hügeln steht, dann erinnert man sich plötzlich, dass ebenjenes Bild schon einige Kapitel zuvor von einer anderen Person beobachtet wurde.
Das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit mit Dickens, auch den klaren Blick, mit dem die Gesellschaft seziert wird, teilen die beiden Autoren. Wenn Menka einen Hausdiener als Zeugen befragt, dann erzählt dieser auch seine Lebensgeschichte, gibt Einblick in die Welt jener, die aus den entlegenen Dörfern nach Lagos kommen, um Geld für ihre Familien zu verdienen, und von den Reichen wie Inventar behandelt werden. Und wenn eine Frau um ihren Mann trauert, nutzt der Autor dies, um traditionelle Strukturen der folterähnlichen Witwenbefragung durch die Familie des Verstorbenen anzuprangern. Einige reale Probleme sind ins Ironische überspitzt: So leben hier die "glücklichsten Menschen der Welt", und zwar staatlich verordnet mit eigenem Ministerium, das wiederum Aufträge und Posten an Familien der Regierungsmitglieder vergibt.
Langsam entfaltet sich so ein Panorama eines permanent am Scheitern entlangschlitternden Staates. Und gerade wenn man über einer Nebenhandlung die Ermittlungen fast vergisst, nimmt Soyinka den Spannungsbogen wieder auf, füttert ihn mit Geheimcodes und Paranoia. Danach versteht man nicht nur Nigeria ein bisschen besser. MARIA WIESNER
Wole Soyinka: "Die glücklichsten Menschen der Welt". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Inge Uffelmann.
Blessing Verlag, München 2022. 656 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Die Kraft, die Soyinkas Bücher ausstrahlen und die auch seinen neuen Roman trägt, das ist der Mut und die revolutionäre Energie, die Welt grundsätzlich infrage zu stellen.« Die ZEIT, Volker Weidermann
Wo Politiker Glück predigen und Morde beauftragen
Der Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka hat nach fast fünfzig Jahren einen neuen Roman geschrieben. In "Die glücklichsten Menschen der Welt" nutzt er die Struktur des Kriminalromans für ein großes Gesellschaftspanorama Nigerias.
Wenn man in Lagos auf dem Festland in Richtung der vorgelagerten Inseln der Lagune fährt, zieht am Autofenster ein Querschnitt des modernen Nigeria vorbei, der von Wellblechhütten und ockerfarbenen Lehmstraßen bis zu den glänzenden Fassaden der Wolkenkratzer auf Victoria Island reicht. All diese Gegensätze existieren dicht nebeneinander und machen das Land als solches aus, und so verwundert es nicht, dass sie auch in Wole Soyinkas neuem Roman "Die glücklichsten Menschen der Welt" eine Rolle spielen. Viele Lebenswege kreuzen sich täglich auf den überfüllten Straßen der Millionenmetropole, viele von ihnen finden sich auch auf den 650 Seiten in Soyinkas Roman wieder.
Gleich die erste Figur wirft von einem Hügel aus einen Blick auf das Gewühl, während ihr der selbst ernannte Prediger Papa Davina einen Vortrag darüber hält, dass alles im Leben nur eine Frage der Perspektive sei. Für solche Weisheiten nimmt er von seinen Besuchern viel Geld. Sie kommen trotzdem in Scharen, verspricht Papa Davina doch, jedes Problem gegen entsprechende Entlohnung zu beseitigen. Dabei helfen ihm auch seine Verbindungen in die höchsten Kreise der Regierung. In der hält der Premierminister, den alle Welt nur "Sir Goddie" nennt, die Fäden in der Hand und versucht, seine Macht zu seinem Vorteil und dem seiner Freunde auszuspielen. Und dann ist da noch der Chirurg Kighare Menka, den drei zwielichtige Geschäftsleute überreden wollen, in das florierende Geschäft mit Leichenteilen einzusteigen - immerhin habe er davon durch die Anschläge von Islamistengruppen in seinem Krankenhaus im Norden des Landes mehr als genug. Der Chirurg lehnt ab, kurz darauf geht der Club, in dem er seine Abende verbringt, in Flammen auf. Es ist dieser Doktor Menka, der sich aus der Fülle der Personen als Protagonist herausschält. Er will der Spur der perversen Leichenräuber nachgehen, kontaktiert seine engsten Freunde und verwickelt sich und alle, die ihm helfen, schnell in ein tödliches Spiel.
Soyinka, der 1986 als erster afrikanischer Autor den Nobelpreis für Literatur erhielt, ist für sein politisches Engagement bekannt. Während des nigerianischen Bürgerkriegs hielt er Reden gegen die Korruption in Regierungskreisen und prangerte Unstimmigkeiten bei Wahlen an. 1967 wurde er festgenommen, verbrachte zwei Jahre in Einzelhaft und schrieb währenddessen seine Kritik an der Regierung in Form von Gedichten auf ("Poems from Prison"). Viele seiner Theaterstücke und Essays beschäftigen sich mit den Missständen seines Heimatlandes. Und nicht nur dort übte er Kritik.
Auch in Amerika, wo er lange Jahre lebte und an den großen Universitäten lehrte, zog er die Konsequenzen seiner politischen Haltung. Als Donald Trump in das Amt des Präsidenten gewählt wurde, zerriss der Schriftsteller seine Greencard und reiste nach Nigeria zurück.
"Die glücklichsten Menschen der Welt" ist in Soyinkas fast sieben Jahrzehnte umspannendem literarischem Schaffen erst der dritte Roman. Den letzten schrieb er vor rund einem halben Jahrhundert. Dass er im Alter von siebenundachtzig Jahren weder seine Wut auf das Unrecht noch seinen scharfen Blick für gesellschaftliche Ungerechtigkeiten eingebüßt hat, beweist die Fülle an Themen, die er in seine Krimihandlung eingeflochten hat. Ähnlich wie in seinen sprachmächtigen Essays sind die thematischen Übergänge elegant und fließend. Postkoloniale Raubkunstdebatten streift Soyinka hier ebenso wie den islamistischen Terror, korrupte Politiker, religiöse Scharlatane und die Manipulation der Massen durch Fake News in sozialen Netzwerken. All das könnte überladen wirken und wie eine zu hoch gestapelte Hochzeitstorte in sich zusammenbrechen, doch die Wahl, das, was den Autor empört, im Krimigenre zu erzählen, gibt dem Affekt eben auch Struktur.
Soyinka verlangt von seinen Lesern dabei zum einen das Vertrauen, dass sich all die verschlungenen Handlungsfäden am Ende ordnen werden, und er verlangt von ihnen zum anderen die Fähigkeit, bei der Lektüre aufmerksam zu bleiben. Nicht ohne Grund verweisen seine Figuren des Öfteren auf Charles Dickens. So geschickt wie jener beim Erzählen der Abenteuer seiner zahlreichen Figuren die Zeitebenen verwob, Vor- und Rückblicke nutzte, so meisthaft tut das auch Soyinka. Wenn das Feuer das Club-Haus des Chirurgen frisst und als lodernde Flammenwand über den Hügeln steht, dann erinnert man sich plötzlich, dass ebenjenes Bild schon einige Kapitel zuvor von einer anderen Person beobachtet wurde.
Das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit mit Dickens, auch den klaren Blick, mit dem die Gesellschaft seziert wird, teilen die beiden Autoren. Wenn Menka einen Hausdiener als Zeugen befragt, dann erzählt dieser auch seine Lebensgeschichte, gibt Einblick in die Welt jener, die aus den entlegenen Dörfern nach Lagos kommen, um Geld für ihre Familien zu verdienen, und von den Reichen wie Inventar behandelt werden. Und wenn eine Frau um ihren Mann trauert, nutzt der Autor dies, um traditionelle Strukturen der folterähnlichen Witwenbefragung durch die Familie des Verstorbenen anzuprangern. Einige reale Probleme sind ins Ironische überspitzt: So leben hier die "glücklichsten Menschen der Welt", und zwar staatlich verordnet mit eigenem Ministerium, das wiederum Aufträge und Posten an Familien der Regierungsmitglieder vergibt.
Langsam entfaltet sich so ein Panorama eines permanent am Scheitern entlangschlitternden Staates. Und gerade wenn man über einer Nebenhandlung die Ermittlungen fast vergisst, nimmt Soyinka den Spannungsbogen wieder auf, füttert ihn mit Geheimcodes und Paranoia. Danach versteht man nicht nur Nigeria ein bisschen besser. MARIA WIESNER
Wole Soyinka: "Die glücklichsten Menschen der Welt". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Inge Uffelmann.
Blessing Verlag, München 2022. 656 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka hat nach fast fünfzig Jahren einen neuen Roman geschrieben. In "Die glücklichsten Menschen der Welt" nutzt er die Struktur des Kriminalromans für ein großes Gesellschaftspanorama Nigerias.
Wenn man in Lagos auf dem Festland in Richtung der vorgelagerten Inseln der Lagune fährt, zieht am Autofenster ein Querschnitt des modernen Nigeria vorbei, der von Wellblechhütten und ockerfarbenen Lehmstraßen bis zu den glänzenden Fassaden der Wolkenkratzer auf Victoria Island reicht. All diese Gegensätze existieren dicht nebeneinander und machen das Land als solches aus, und so verwundert es nicht, dass sie auch in Wole Soyinkas neuem Roman "Die glücklichsten Menschen der Welt" eine Rolle spielen. Viele Lebenswege kreuzen sich täglich auf den überfüllten Straßen der Millionenmetropole, viele von ihnen finden sich auch auf den 650 Seiten in Soyinkas Roman wieder.
Gleich die erste Figur wirft von einem Hügel aus einen Blick auf das Gewühl, während ihr der selbst ernannte Prediger Papa Davina einen Vortrag darüber hält, dass alles im Leben nur eine Frage der Perspektive sei. Für solche Weisheiten nimmt er von seinen Besuchern viel Geld. Sie kommen trotzdem in Scharen, verspricht Papa Davina doch, jedes Problem gegen entsprechende Entlohnung zu beseitigen. Dabei helfen ihm auch seine Verbindungen in die höchsten Kreise der Regierung. In der hält der Premierminister, den alle Welt nur "Sir Goddie" nennt, die Fäden in der Hand und versucht, seine Macht zu seinem Vorteil und dem seiner Freunde auszuspielen. Und dann ist da noch der Chirurg Kighare Menka, den drei zwielichtige Geschäftsleute überreden wollen, in das florierende Geschäft mit Leichenteilen einzusteigen - immerhin habe er davon durch die Anschläge von Islamistengruppen in seinem Krankenhaus im Norden des Landes mehr als genug. Der Chirurg lehnt ab, kurz darauf geht der Club, in dem er seine Abende verbringt, in Flammen auf. Es ist dieser Doktor Menka, der sich aus der Fülle der Personen als Protagonist herausschält. Er will der Spur der perversen Leichenräuber nachgehen, kontaktiert seine engsten Freunde und verwickelt sich und alle, die ihm helfen, schnell in ein tödliches Spiel.
Soyinka, der 1986 als erster afrikanischer Autor den Nobelpreis für Literatur erhielt, ist für sein politisches Engagement bekannt. Während des nigerianischen Bürgerkriegs hielt er Reden gegen die Korruption in Regierungskreisen und prangerte Unstimmigkeiten bei Wahlen an. 1967 wurde er festgenommen, verbrachte zwei Jahre in Einzelhaft und schrieb währenddessen seine Kritik an der Regierung in Form von Gedichten auf ("Poems from Prison"). Viele seiner Theaterstücke und Essays beschäftigen sich mit den Missständen seines Heimatlandes. Und nicht nur dort übte er Kritik.
Auch in Amerika, wo er lange Jahre lebte und an den großen Universitäten lehrte, zog er die Konsequenzen seiner politischen Haltung. Als Donald Trump in das Amt des Präsidenten gewählt wurde, zerriss der Schriftsteller seine Greencard und reiste nach Nigeria zurück.
"Die glücklichsten Menschen der Welt" ist in Soyinkas fast sieben Jahrzehnte umspannendem literarischem Schaffen erst der dritte Roman. Den letzten schrieb er vor rund einem halben Jahrhundert. Dass er im Alter von siebenundachtzig Jahren weder seine Wut auf das Unrecht noch seinen scharfen Blick für gesellschaftliche Ungerechtigkeiten eingebüßt hat, beweist die Fülle an Themen, die er in seine Krimihandlung eingeflochten hat. Ähnlich wie in seinen sprachmächtigen Essays sind die thematischen Übergänge elegant und fließend. Postkoloniale Raubkunstdebatten streift Soyinka hier ebenso wie den islamistischen Terror, korrupte Politiker, religiöse Scharlatane und die Manipulation der Massen durch Fake News in sozialen Netzwerken. All das könnte überladen wirken und wie eine zu hoch gestapelte Hochzeitstorte in sich zusammenbrechen, doch die Wahl, das, was den Autor empört, im Krimigenre zu erzählen, gibt dem Affekt eben auch Struktur.
Soyinka verlangt von seinen Lesern dabei zum einen das Vertrauen, dass sich all die verschlungenen Handlungsfäden am Ende ordnen werden, und er verlangt von ihnen zum anderen die Fähigkeit, bei der Lektüre aufmerksam zu bleiben. Nicht ohne Grund verweisen seine Figuren des Öfteren auf Charles Dickens. So geschickt wie jener beim Erzählen der Abenteuer seiner zahlreichen Figuren die Zeitebenen verwob, Vor- und Rückblicke nutzte, so meisthaft tut das auch Soyinka. Wenn das Feuer das Club-Haus des Chirurgen frisst und als lodernde Flammenwand über den Hügeln steht, dann erinnert man sich plötzlich, dass ebenjenes Bild schon einige Kapitel zuvor von einer anderen Person beobachtet wurde.
Das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit mit Dickens, auch den klaren Blick, mit dem die Gesellschaft seziert wird, teilen die beiden Autoren. Wenn Menka einen Hausdiener als Zeugen befragt, dann erzählt dieser auch seine Lebensgeschichte, gibt Einblick in die Welt jener, die aus den entlegenen Dörfern nach Lagos kommen, um Geld für ihre Familien zu verdienen, und von den Reichen wie Inventar behandelt werden. Und wenn eine Frau um ihren Mann trauert, nutzt der Autor dies, um traditionelle Strukturen der folterähnlichen Witwenbefragung durch die Familie des Verstorbenen anzuprangern. Einige reale Probleme sind ins Ironische überspitzt: So leben hier die "glücklichsten Menschen der Welt", und zwar staatlich verordnet mit eigenem Ministerium, das wiederum Aufträge und Posten an Familien der Regierungsmitglieder vergibt.
Langsam entfaltet sich so ein Panorama eines permanent am Scheitern entlangschlitternden Staates. Und gerade wenn man über einer Nebenhandlung die Ermittlungen fast vergisst, nimmt Soyinka den Spannungsbogen wieder auf, füttert ihn mit Geheimcodes und Paranoia. Danach versteht man nicht nur Nigeria ein bisschen besser. MARIA WIESNER
Wole Soyinka: "Die glücklichsten Menschen der Welt". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Inge Uffelmann.
Blessing Verlag, München 2022. 656 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main