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Der Roman Pitols spielt in Istanbul, wo ein eingebildeter Professor die göttliche Marietta Karapetiz gleichzeitig erziehen, verführen und zähmen will. Das kann nicht gutgehen. Eine ergreifende Liebesgeschichte und ein bitterböser Gesellschaftsroman, ein herrliches Lesevergnügen! "Wem Pitol zum erstenmal begegnet, der möchte unbedingt alle seine Romane und Reisebeschreibungen lesen, die, Wagenbach sei Dank, auch auf Deutsch greifbar sind." Christoph Bartmann, Süddeutsche Zeitung

Produktbeschreibung
Der Roman Pitols spielt in Istanbul, wo ein eingebildeter Professor die göttliche Marietta Karapetiz gleichzeitig erziehen, verführen und zähmen will. Das kann nicht gutgehen. Eine ergreifende Liebesgeschichte und ein bitterböser Gesellschaftsroman,
ein herrliches Lesevergnügen!
"Wem Pitol zum erstenmal begegnet, der möchte unbedingt alle seine Romane und Reisebeschreibungen lesen, die, Wagenbach sei Dank, auch auf Deutsch greifbar sind."
Christoph Bartmann, Süddeutsche Zeitung
Autorenporträt
Sergio Pitol, 1933 in Puebla, Mexiko, geboren, studierte in Mexiko-Stadt Jura und Literaturwissenschaft und war als Literaturprofessor und Diplomat in zahlreichen Ländern tätig. Er hat Romane, Erzählungen und Essays geschrieben und gilt als einer der angesehensten Autoren Lateinamerikas. Seine Übersetzungen aus dem Russischen, Polnischen und Englischen haben das Werk von Nikolai Gogol, Anton Tschechow, Witold Gombrowicz, Henry James, Joseph Conrad und Jane Austen in Mexiko bekannt gemacht. Für seine Bücher erhielt er viele Preise, darunter den Premio Herralde de Novela, den begehrten Premio Juan Rulfo und 2005 den Premio Miguel de Cervantes. Pitol lebt heute in Xalapa, Veracruz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2006

Sag, wie hältst du's mit der Blasphemie?
Sergio Pitol treibt wunderbaren Schabernack mit dem Göttlichen / Von Marius Meller

Vorsicht! Dieser Roman kann, gerade vor Weihnachten, religiöse Gefühle verletzen. "Behüte deine Jünger / heiliges Kind vom ewigen Dünger!" lautet der zentrale Satz des stundenlang wiederholten Gebets bei jener kryptochristlichen Zeremonie zu Füßen mexikanischer Pyramiden, die angeblich von zwei alteuropäischen Anthropologen beobachtet wurde. Das Gebet richtet sich an das "Jesuskind von Agro" und macht schließlich das digestive Begehr der Gemeinde vollkommen explizit: "Scheiße ich hart / oder werde es weich, / ob es dunkelt oder klart, / sei mein Schutzpatrönchen sogleich!" Noch mischt sich der Duft der Vegetation mit allerlei Räucherwerk. Bedenklich stimmt die Anthropologen jedoch, daß die Bittsteller "auf einer Vielzahl von Behältnissen jeglicher Form und Größe, auf Nachttöpfen, Schmalz- oder Öldosen, Kohlebecken, Suppenschalen, Waschtrögen, Wannen, Tellern, Schuhkartons oder schlicht auf Stücken von Bananenblättern" Platz genommen haben. Dann beginnt die olfaktorische Zumutung, die fäkalische Epiphanie, das "ökologische Fest, der Dialog zwischen menschlicher Hülle und ihrem Inhalt": eine Entleerung der Massen.

Auch wenn der Cervantes-Preisträger von 2005, der dreiundsiebzigjährige Mexikaner Sergio Pitol, dessen Werke erst seit wenigen Jahren dem deutschen Publikum zugänglich gemacht werden, bei seiner Schilderung des kollektiven Stuhlgangs sich auf den spätantiken Rechtsgelehrten Ulpianus berufen kann (der aus dem Konnex zwischen körperlicher Entleerung und der Annäherung an das Göttliche einen Kasus machte) - es bleibt ein stechender Ruch von Blasphemie. Für entsprechende Zweideutigkeiten kamen Joyce oder Beckett noch vor Gericht. Heute wird in unseren Breiten wieder ernsthaft darüber diskutiert, wie man es mit der Gotteslästerung halten soll. Bei uns steht sie nur unter Strafe, wenn sie geeignet ist, den "öffentlichen Frieden zu stören" (Paragraph 166 StGB). Und welches Werk der neueren Literatur hätte schon die Macht dazu?

So schauen nicht wenige Alt- und Neu-Gläubige fast schon mit Neid auf den von Mullahs angeheizten Volkszorn über Kritik am einzelnen Barthaar des Propheten, empfinden die westliche Laxheit in Sachen Gotteslästerung als Symptom religiöser Ermattung. Aber ist nicht die gut gemachte Blasphemie, wenn sie nicht zum modernistischen Klischee degeneriert, ein Fluidum der subtileren Theologien? Ein Schabernack, den die Poesie mit dem Katechismusglauben treibt? Kann sich nicht hinter dem Zerrbild des Heiligen das Heilige selbst deutlicher zeigen als auf der Votivtafel der geistlich Armen, die sowieso immer schon gerettet sind? Ist Gotteslästerung nicht ein eminentes Freiheitsrecht?

So zumindest kann man Sergio Pitols urkomischen Roman "Die göttliche Schnepfe" lesen. Und wenn man ihn so liest, kann und muß das Buch seinen Weg unter die Weihnachtsbäume unserer freien Republik finden. Schon dem - bei Pitol - stoffwechselfördernden Jesuskind zuliebe. Der Roman beginnt mit einem koketten, aber charmanten Präliminarium: Ein alternder Schriftsteller sichtet mürrisch seine Notizen, bringt seinen Assoziationsapparat in Gang. Er wählt zur Inspiration: ein Buch von Michail Bachtin über "das Fest als grundlegende und unzerstörbare Kategorie der menschlichen Zivilisation", die Analytik der Habgier in Gogols "Toten Seelen" und das Schicksal eines zunächst illiteraten Bekannten, der eine Leidenschaft für Dante entwickelt, die sein Wesen vollkommen transformiert. Dieser postmoderne Rahmen - das Buch erschien auf spanisch bereits 1988 - wirkt bei Pitol auch heute noch frisch und überzeugend, weil er quasi alchimistisch den Nukleus der atemberaubend spannenden Geschichte synthetisiert. "Und so fand sich der Lizentiat Dante C. de la Estrella an einem regnerischen Nachmittag in Tepoztlán wieder, auf einem bequemen schwarzen Ledersofa im Wohn- und Arbeitszimmer von Salvador Millares sitzend." Draußen wird die Schläfrigkeit der mexikanischen Provinz durch ein kräftiges Gewitter aufgeschreckt. Man sitzt gemütlich zusammen: Der Hausherr liest einen Simenon, die Kinder puzzeln, Großvater Millares legt Patiencen, Tante Millares stickt, und der ungeliebte Gast trinkt Whisky. Der Lizentiat, Juraprofessor und Immobilienhai wartet auf Frau Millares, die wegen des Gewitters ausbleibt, mit der er ein Immobiliengeschäft abwickeln will. Das Puzzle der Kinder zeigt die Blaue Moschee, und so beginnt de la Estrella mit der ausführlichen, durch unzählige Rückblenden und weitschweifige Reflexionen ausgeschmückten Erzählung seines Lebenstraumas, einer grotesken Istanbul-Reise während seines Studiums in Rom, die er noch nie erzählt hat. De la Estrella ist ein ehrgeiziger, aber ungeschickter Manager seines Egoismus - Gogols Tschitschikow läßt grüßen. Ziel der Istanbul-Reise ist ein Treffen mit der mysteriösen "göttlichen Schnepfe" Marietta Karapetiz, einer schwarzen Witwe des Anthropologen Karapetiz, die mit diesem einst das Fäkal-Ritual erlebte.

Pitol versteht es meisterhaft, die Suggestion der skurrilen, aber mit heiligem Ernst erzählten Geschichte sich entfalten zu lassen: Auch die zunächst unwillige Familie Millares kann sich ihr bald nicht mehr entziehen. Als de la Estrella zum Höhepunkt seiner Erzählung vordringt, dem Besuch bei der Schnepfe, bei der jenes atavistische Ritual geschildert wird, steigert sich seine Erregung fast bis zum Herzinfarkt. In der vorzüglichen Übersetzung von Angelica Ammar blüht die immer schrill überspannte, virtuose Sprache Pitols auf wie eine grelle Urwaldblume mit hypertrophen Geschlechtsorganen.

De la Estrella, den eine haßerfüllte Faszination zur göttlichen Schnepfe hinzieht und den der Ekel vor allem Körperlichen abstößt, wird selbst Teil eines skurrilen Rituals, das hier nicht verraten wird. Das groteske Vexierspiel Pitols mit der persiflierten Christologie läuft auf eine heitere Apologie der heidnischen Grundierungen des Christentums hinaus, auf das pagan-christliche Amalgam, den Indio-Mono-Polytheismus: "Wir waren in die Welt der Ursprünge zurückgekehrt", sagt die Schnepfe, die alternative Mutter Gottes, als sie von der Studienreise nach Mexiko erzählt.

Wer unempfänglich ist für Pitols menschenfreundlichen Sarkasmus, dem ist nur so zu helfen: Er unternehme vor Weihnachten eine Pilgerreise ins französische Chartres, wo man die berühmte Reliquie "Sancta Camisia" bewundern kann, die einst Irene von Byzanz Karl dem Großen schenkte - es ist die Windel Christi. Und wenn man genau hinschaut, dann zeichnet sich auf dem feinen Stoff ein deutlicher Fleck ab: die Spuren des göttlichen Exkrementums.

Sergio Pitol: Die göttliche Schnepfe. Roman. Aus dem mexikanischen Spanisch übersetzt von Angelica Ammar. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2006. 204 Seiten, geb., 19,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Viel Spaß hatte Rezensentin Katharina Döbler bei der Lektüre von Sergio Pitols "herrlich boshaftem" Roman über das Scheitern eines alternden Schriftstellers. Und zwar nicht nur mit seinen "immer kleinkarierten, oft ungebildeten" und trotzdem mit Hang zum Höheren ausgestatteten Figuren, unter denen sie "keine einzige" sympathisch fand - sondern auch mit den "verblüffenen Perspektiven", die Pitol aus ihrem "neuotisch gekrümmmten" Blick zu gewinnen versteht. Was die Erzähltechnik betrifft, fühlt sich die Rezensentin an Lawrence Sterne oder Denis Diderot erinnert. Verschachtelte Komposition, respektloser Umgang mit literarischen Traditionen und ein ausgeprägter Hang zu deftigen Scherzen machen das Buch und seinen literarischen Klamauk für sie zu einem sinnlichen und dabei durchaus auch intellektuellen Vergnügen.

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