Peru, 1887. Das ganze Land redet nur von einem Mann - und seiner großen Entdeckung: Augusto Berns will die verlorene Stadt der Inka gefunden haben. Das Medienecho reicht von Lima bis London und New York. Doch wer ist der Mann, der vielleicht El Dorado entdeckt hat? Alles beginnt mit einem Jungen, der am Rhein Gold wäscht und sich in erträumten Welten verliert, der später in Berlin den glühend verehrten Alexander von Humboldt befragt, um bald darauf einen Entschluss zu fassen: Er, Berns, will die goldene Stadt finden. Berns wagt die Überfahrt nach Peru, wo er eher zufällig zum Helden im Spanisch-Südamerikanischen Krieg wird, dann als Ingenieur der Eisenbahn Mittel für seine Expedition sammelt. Mit dem Amerikaner Harry Singer besteigt er die Höhen der Anden und schlägt sich durch tiefsten Dschungel - um schließlich an einen Ort zu gelangen, der phantastischer ist als alles, was er sich je vorgestellt hat.
Erst seit kurzem weiß man, dass das sagenumwobene Machu Picchu in Peruvon einem Deutschen entdeckt wurde. Sabrina Janesch hat sich auf die Spuren des vergessenen Entdeckers begeben und erzählt seine aufregende Geschichte. Ein Roman von großer literarischer Kraft, der uns in eine exotische Welt eintauchen lässt - und zeigt, was es bedeutet, für einen Traum zu leben.
Erst seit kurzem weiß man, dass das sagenumwobene Machu Picchu in Peruvon einem Deutschen entdeckt wurde. Sabrina Janesch hat sich auf die Spuren des vergessenen Entdeckers begeben und erzählt seine aufregende Geschichte. Ein Roman von großer literarischer Kraft, der uns in eine exotische Welt eintauchen lässt - und zeigt, was es bedeutet, für einen Traum zu leben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2017Am Golde hängt, zum Golde drängt doch alles
Sabrina Janesch erzählt in ihrem neuen Roman die verblüffende Geschichte des Entdeckers von Machu Picchu
Wenn alle Quellen ausgeschöpft sind und kein Erklärungsmodell der Archäologen und Historiker sich hat durchsetzen können, dann schlägt manchmal die Stunde der Literatur. Nicht weil sie Erkenntnisse ersetzen könnte, sondern weil sie mit der Kraft der Imagination die Dinge in einem neuen Licht erscheinen lässt. In Sabrina Janeschs neuem Roman "Die goldene Stadt" wird weder das Geheimnis der Inkastadt Machu Picchu aufgedeckt, noch die Frage definitiv beantwortet, wer sie denn nun zuallererst entdeckt hat. Ob sie Nekropole, Pilgerstätte, Sommersitz oder Fluchtort war, das muss ein Roman auch nicht klären. Er kann aber davon erzählen, wie diese Ruinenstadt, 2400 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, im fünfzehnten Jahrhundert gebaut, zu einem mythischen Ort wurde, zum El Dorado, zur großen Projektionsfläche - und zur lebenslangen Obsession eines Mannes, der sich nie mit dem begnügen mochte, was mit bloßem Auge zu sehen ist.
Dieser Mann ist natürlich nicht Hiram Bingham, der Amerikaner aus Yale, der Jahrzehnte lang als Entdecker von Machu Picchu galt, bis ein amerikanischer Wissenschaftler 2008 in der Staatsbibliothek von Lima aufschlussreiche Dokumente fand. Sie belegen, dass ein deutschstämmiger Unternehmer, Ingenieur, Sägemühlenbesitzer, Abenteurer und Hochstapler namens Augusto R. Berns die Stadt auf dem Bergrücken hoch über dem Urubamba um 1876 entdeckt hat, 35 Jahre vor Bingham. Als Sabrina Janesch davon in der Zeitung las, fing sie sofort Feuer. Während sie mit Historikern in den Vereinigten Staaten und in Peru Kontakt aufnahm, begann sie, nach Berns' deutschen Wurzeln zu suchen. Und schließlich reiste sie selbst nach Peru.
Erfahrung kann man hier also wörtlich nehmen. Bevor sie eine Geschichte erzählte, musste sie Historikerin werden, und nachdem sie einen historischen Rahmen rekonstruiert hatte, konnte sie innerhalb dieses Rahmens eine Geschichte erzählen. Sabrina Janesch, obwohl erst 32 Jahre alt, hat vor der "Goldenen Stadt" bereits drei Romane publiziert, die beiden ersten, "Katzenberge" (2010) und "Ambra" (2012), reflektierten dabei ihren deutsch-polnischen Familienhintergrund. Auf den Weg nach Westen, nach Peru und in die Anden hat sie die Begeisterung für die Abenteuergeschichten der Kindheit geführt, die Anziehungskraft der Ruinenstadt, deren Bild jeder auf Anhieb erkennt, mit dem leuchtenden Dschungelgrün, dem aufragenden Granitgipfel, der terrassierten Anlage.
Der Roman beginnt im Lima des Jahres 1887, kurz vor Berns' größtem Coup. Präsident Cáceres, den er lange kennt, dem er als Artillerist das Leben gerettet hat, preist ihn als Macher und sagt, er sei "ein ganz großer Realist" - ohne jeden Hintersinn. Die Schilderung der frühen Jahre des Entdeckers fällt zunächst etwas langatmig aus, weil Janesch es mit der Teleologie übertreibt. Alles muss schon angelegt sein im jungen Rudolph, der 1842 in Uerdingen geboren wurde. Früh kommt es ihm vor, "als sei die Welt in seinem Kopf wesentlicher als die, die ihn umgab", und ein Kaleidoskop setzt das prompt "kaleidoskopische Denken" in Gang. Ziemlich überinszeniert wirkt es auch, wenn die Berliner Jahre der Familie Berns damit enden, dass Rudolph zufällig in der Wohnung des greisen Alexander von Humboldt landet, um unmittelbar nach der Heimkehr von Humboldt den Vater tot vorzufinden.
Die Erzählung nimmt Fahrt auf, wenn Berns in die Neue Welt aufbricht, nach trister Schlosserlehre in der Nähe von Solingen, wo er von der goldenen Stadt der Inkas träumt. Er flieht vor dem preußischen Militärdienst und landet in Peru, wo er sich sofort Augusto Rodolfo Berns nennt. Er arbeitet beim Militär und als Ingenieur bei der Eisenbahn, doch längst ist es zur fixen Idee geworden, die verlorene Inkastadt zu finden. Wie Sabrina Janesch von seiner Unbeirrbarkeit erzählt, von der Hartnäckigkeit, den Strapazen, den Qualen, das ist so anschaulich, drastisch und auch grausam, dass man unweigerlich mitgerissen wird.
Janesch stellt Berns einen klassischen Buddy zur Seite, den amerikanischen Mineralogen und Abenteurer Harry Singer. Die Suche nach dem Gold treibt beide immer weiter, auch wenn sie auf der Reise durch die Cordillera Vilcabamba wenig finden außer überwucherten Ruinen. Es ist ein Wahnsinnstrip, ein Hauch von "Aguirre" und "Fitzcarraldo" ist da zu spüren. Singer stellt Berns auch die entscheidende Frage: ",Woher weißt du eigentlich, dass es El Dorado ist, wenn du es einmal gefunden hast?" Die Antwort erklärt den Mann, der Berns war, dieses Oszillieren zwischen Phantasie und Phantasterei, zwischen Unbeugsamkeit und Größenwahn: "El Dorado wurde von Leuten wie mir erbaut. Deshalb werden Leute wie ich es finden."
Bis er es findet, vergehen Jahre. Finanzieller Ruin und goldene Ruine scheinen immer nur einen Buchstaben voneinander entfernt. Im Triumph der Entdeckung lauert dann die Enttäuschung, doch aus der Enttäuschung wächst abermals eine Vision der goldenen Stadt. Wie einen großen Kinomoment hat Sabrina Janesch die Entdeckung von Machu Picchu inszeniert: als Naturschauspiel, bei dem der Nebel sich plötzlich hebt, die Bergflanke entblößt und vor Berns die Stadt sichtbar wird. Im Gegenschuss sieht man ihn, überwältigt, schwindelnd, als er begreift, wo er ist - und sofort geistert es durch seinen Kopf: "Müsste die Stadt nicht aus Gold bestehen?"
Mehr als eine Silberfigurine bringt er von dort oben nicht mit. Und aus der ungläubigen Frage wird ein Glauben wider alle Wahrscheinlichkeit. Seine Obsession verwandelt den Abenteurer Berns in den begnadeten Hochstapler. Sein Lebenstraum hat sich erfüllt - und zugleich kann das nicht alles gewesen sein. Aus diesem Dilemma entsteht ein Plan. Investoren sollen ihr Geld in eine Aktiengesellschaft stecken, um die Schätze der Inkas, "Huacas del Inca", in der verlorenen Stadt zu erschließen. Es ist ein filigranes und fintenreiches Täuschungsmanöver, das Berns hier auf den Weg bringt, und Sabrina Janeschs Schilderung ist so brillant wie die große Show, die Augusto Rodolfo Berns für die ahnungslosen Aktionäre veranstaltet. "Dies hier war seine, Berns', ureigene, angestammte Wahrheit", heißt es, "und dass die Realität ihr nicht entsprochen hatte, war ein Detail, das ausgespart werden durfte."
Dass sich Berns' historische Spur nach dem Coup verliert, kann in der Fiktion nicht das letzte Wort sein. Sabrina Janesch hat ihm daher einen traurig-ironischen Epilog entworfen, in dem die exzentrische Bahn dieses Lebens sich konsequent vollendet. Wir wissen nun zwar immer noch nicht, wo das Gold von Machu Picchu ist oder ob dort je welches war. Aber man erliegt dafür bei der Lektüre mitunter einer ähnlichen Faszination, wie sie diesen späten Nachfahren der Konquistadoren getrieben haben muss.
PETER KÖRTE
Sabrina Janesch: "Die goldene Stadt". Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2017. 544 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sabrina Janesch erzählt in ihrem neuen Roman die verblüffende Geschichte des Entdeckers von Machu Picchu
Wenn alle Quellen ausgeschöpft sind und kein Erklärungsmodell der Archäologen und Historiker sich hat durchsetzen können, dann schlägt manchmal die Stunde der Literatur. Nicht weil sie Erkenntnisse ersetzen könnte, sondern weil sie mit der Kraft der Imagination die Dinge in einem neuen Licht erscheinen lässt. In Sabrina Janeschs neuem Roman "Die goldene Stadt" wird weder das Geheimnis der Inkastadt Machu Picchu aufgedeckt, noch die Frage definitiv beantwortet, wer sie denn nun zuallererst entdeckt hat. Ob sie Nekropole, Pilgerstätte, Sommersitz oder Fluchtort war, das muss ein Roman auch nicht klären. Er kann aber davon erzählen, wie diese Ruinenstadt, 2400 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, im fünfzehnten Jahrhundert gebaut, zu einem mythischen Ort wurde, zum El Dorado, zur großen Projektionsfläche - und zur lebenslangen Obsession eines Mannes, der sich nie mit dem begnügen mochte, was mit bloßem Auge zu sehen ist.
Dieser Mann ist natürlich nicht Hiram Bingham, der Amerikaner aus Yale, der Jahrzehnte lang als Entdecker von Machu Picchu galt, bis ein amerikanischer Wissenschaftler 2008 in der Staatsbibliothek von Lima aufschlussreiche Dokumente fand. Sie belegen, dass ein deutschstämmiger Unternehmer, Ingenieur, Sägemühlenbesitzer, Abenteurer und Hochstapler namens Augusto R. Berns die Stadt auf dem Bergrücken hoch über dem Urubamba um 1876 entdeckt hat, 35 Jahre vor Bingham. Als Sabrina Janesch davon in der Zeitung las, fing sie sofort Feuer. Während sie mit Historikern in den Vereinigten Staaten und in Peru Kontakt aufnahm, begann sie, nach Berns' deutschen Wurzeln zu suchen. Und schließlich reiste sie selbst nach Peru.
Erfahrung kann man hier also wörtlich nehmen. Bevor sie eine Geschichte erzählte, musste sie Historikerin werden, und nachdem sie einen historischen Rahmen rekonstruiert hatte, konnte sie innerhalb dieses Rahmens eine Geschichte erzählen. Sabrina Janesch, obwohl erst 32 Jahre alt, hat vor der "Goldenen Stadt" bereits drei Romane publiziert, die beiden ersten, "Katzenberge" (2010) und "Ambra" (2012), reflektierten dabei ihren deutsch-polnischen Familienhintergrund. Auf den Weg nach Westen, nach Peru und in die Anden hat sie die Begeisterung für die Abenteuergeschichten der Kindheit geführt, die Anziehungskraft der Ruinenstadt, deren Bild jeder auf Anhieb erkennt, mit dem leuchtenden Dschungelgrün, dem aufragenden Granitgipfel, der terrassierten Anlage.
Der Roman beginnt im Lima des Jahres 1887, kurz vor Berns' größtem Coup. Präsident Cáceres, den er lange kennt, dem er als Artillerist das Leben gerettet hat, preist ihn als Macher und sagt, er sei "ein ganz großer Realist" - ohne jeden Hintersinn. Die Schilderung der frühen Jahre des Entdeckers fällt zunächst etwas langatmig aus, weil Janesch es mit der Teleologie übertreibt. Alles muss schon angelegt sein im jungen Rudolph, der 1842 in Uerdingen geboren wurde. Früh kommt es ihm vor, "als sei die Welt in seinem Kopf wesentlicher als die, die ihn umgab", und ein Kaleidoskop setzt das prompt "kaleidoskopische Denken" in Gang. Ziemlich überinszeniert wirkt es auch, wenn die Berliner Jahre der Familie Berns damit enden, dass Rudolph zufällig in der Wohnung des greisen Alexander von Humboldt landet, um unmittelbar nach der Heimkehr von Humboldt den Vater tot vorzufinden.
Die Erzählung nimmt Fahrt auf, wenn Berns in die Neue Welt aufbricht, nach trister Schlosserlehre in der Nähe von Solingen, wo er von der goldenen Stadt der Inkas träumt. Er flieht vor dem preußischen Militärdienst und landet in Peru, wo er sich sofort Augusto Rodolfo Berns nennt. Er arbeitet beim Militär und als Ingenieur bei der Eisenbahn, doch längst ist es zur fixen Idee geworden, die verlorene Inkastadt zu finden. Wie Sabrina Janesch von seiner Unbeirrbarkeit erzählt, von der Hartnäckigkeit, den Strapazen, den Qualen, das ist so anschaulich, drastisch und auch grausam, dass man unweigerlich mitgerissen wird.
Janesch stellt Berns einen klassischen Buddy zur Seite, den amerikanischen Mineralogen und Abenteurer Harry Singer. Die Suche nach dem Gold treibt beide immer weiter, auch wenn sie auf der Reise durch die Cordillera Vilcabamba wenig finden außer überwucherten Ruinen. Es ist ein Wahnsinnstrip, ein Hauch von "Aguirre" und "Fitzcarraldo" ist da zu spüren. Singer stellt Berns auch die entscheidende Frage: ",Woher weißt du eigentlich, dass es El Dorado ist, wenn du es einmal gefunden hast?" Die Antwort erklärt den Mann, der Berns war, dieses Oszillieren zwischen Phantasie und Phantasterei, zwischen Unbeugsamkeit und Größenwahn: "El Dorado wurde von Leuten wie mir erbaut. Deshalb werden Leute wie ich es finden."
Bis er es findet, vergehen Jahre. Finanzieller Ruin und goldene Ruine scheinen immer nur einen Buchstaben voneinander entfernt. Im Triumph der Entdeckung lauert dann die Enttäuschung, doch aus der Enttäuschung wächst abermals eine Vision der goldenen Stadt. Wie einen großen Kinomoment hat Sabrina Janesch die Entdeckung von Machu Picchu inszeniert: als Naturschauspiel, bei dem der Nebel sich plötzlich hebt, die Bergflanke entblößt und vor Berns die Stadt sichtbar wird. Im Gegenschuss sieht man ihn, überwältigt, schwindelnd, als er begreift, wo er ist - und sofort geistert es durch seinen Kopf: "Müsste die Stadt nicht aus Gold bestehen?"
Mehr als eine Silberfigurine bringt er von dort oben nicht mit. Und aus der ungläubigen Frage wird ein Glauben wider alle Wahrscheinlichkeit. Seine Obsession verwandelt den Abenteurer Berns in den begnadeten Hochstapler. Sein Lebenstraum hat sich erfüllt - und zugleich kann das nicht alles gewesen sein. Aus diesem Dilemma entsteht ein Plan. Investoren sollen ihr Geld in eine Aktiengesellschaft stecken, um die Schätze der Inkas, "Huacas del Inca", in der verlorenen Stadt zu erschließen. Es ist ein filigranes und fintenreiches Täuschungsmanöver, das Berns hier auf den Weg bringt, und Sabrina Janeschs Schilderung ist so brillant wie die große Show, die Augusto Rodolfo Berns für die ahnungslosen Aktionäre veranstaltet. "Dies hier war seine, Berns', ureigene, angestammte Wahrheit", heißt es, "und dass die Realität ihr nicht entsprochen hatte, war ein Detail, das ausgespart werden durfte."
Dass sich Berns' historische Spur nach dem Coup verliert, kann in der Fiktion nicht das letzte Wort sein. Sabrina Janesch hat ihm daher einen traurig-ironischen Epilog entworfen, in dem die exzentrische Bahn dieses Lebens sich konsequent vollendet. Wir wissen nun zwar immer noch nicht, wo das Gold von Machu Picchu ist oder ob dort je welches war. Aber man erliegt dafür bei der Lektüre mitunter einer ähnlichen Faszination, wie sie diesen späten Nachfahren der Konquistadoren getrieben haben muss.
PETER KÖRTE
Sabrina Janesch: "Die goldene Stadt". Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2017. 544 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.10.2017Auf der Suche
nach El Dorado
Sabrina Janesch spürt dem
Entdecker von Machu Picchu nach
Eben noch ist Rudolph Berns von einer polnischen Prinzessin geküsst worden und zusammen mit anderen Schülern seines Elitegymnasiums durch Berlin gestreift, da scheint sich ein lange gehegter Traum erfüllen zu wollen. Vor ihm breiten sich die Weiten des südamerikanischen Kontinents aus, und irgendwo dort muss jene goldene Stadt liegen, von der er schon als Kind am Rheinufer geträumt hat. Statt auf El Dorado aber fällt sein Blick auf eine Kaffeetasse, die sein unfreiwilliger Gastgeber Alexander von Humboldt auf der einen ganzen Tisch bedeckenden Landkarte abgestellt hat.
Die 1985 in Gifhorn geborene Sabrina Janesch hat diese Schlüsselszene ihres Romans als ironische Kippfigur gestaltet. Der alte Mann, der ein Vermögen für die Entdeckung der Welt ausgegeben hat, sieht sich beim Schreiben seines „Kosmos“ von einem jungen gestört, der nach dem suchen will, was Bücher ihm zu versprechen scheinen. Der längst zum Stubengelehrten vergreiste Entdecker soll helfen, die Schätze der Inka zu finden, will es aber partout nicht: „Schatzsuche“, so sagt er ungehalten, „sei keine Arbeit, sondern Wahnsinn.“ Lieber solle Rudolph sich als Ingenieur ausbilden lassen und einen Kanal durch Panama graben!
Humboldts Rat ist zunächst ins Leere gesprochen, aber bei ihrer Begegnung ahnt sein junger Gast noch nicht, dass ein tragisches Unglück da schon seine privilegierte Kindheit um 1858 beendet hat. Wie aus dem 1842 geborenen Sohn eines rheinländischen Weinhändlers ein Berliner Gymnasiast, ein Metallarbeiter und später dann in Peru doch noch ein Ingenieur, ein Landvermesser, Kanalbauer und Entdecker geworden ist, hat Sabrina Janesch akribisch recherchiert und mit viel Zeitkolorit spannend erzählt. Angeregt durch Zeitungsartikel, die ab Mitte 2008 davon berichteten, nicht der Amerikaner Hiram Bingham habe 1911 die Inka-Festung Machu Picchu entdeckt, sondern schon 1876 der deutsche Augusto Berns, hat sie aus ihm einen Romanhelden gemacht, dessen El Dorado am Ende im doppelten Sinn nur auf dem Papier zu finden ist.
„Huacas del Inca“, die Schätze der Inka versprachen die von Berns 1887 aufgelegten Aktien einer geplanten Explorationsgesellschaft. Sie fanden reißenden Absatz, brachten ihren Käufern aber am Ende nicht mehr ein als die goldene Weisheit, dass man eine Katze nicht im Sack kaufen sollte. Wenn Machu Picchu jemals El Dorado gewesen sein sollte, so hatte jemand es quasi besenrein geräumt. Inmitten der allgemeinen Verstimmung, die darauf folgte, muss Rudolph Berns dann spurlos verschwunden sein.
In Janeschs Roman taucht er nun Jahrzehnte später noch einmal auf, um Hiram Bingham zu begegnen. Und wieder kippt die Szene ins Ironische, als der alte Abenteurer seinen Nachfolger begrüßt, dessen Wangen noch von den Nähten des Federkissens gezeichnet sind, auf dem er soeben erwacht ist: „Sie sind also Entdecker.“
In Berns’ Leben habe sie den „Stoff großer Abenteuergeschichten“ entdeckt, „wie ich sie als Kind so sehr geliebt hatte“, verrät die Autorin. Aber lässt sich auch jener naive Glaube wiederbeleben, man könne in fremden Ländern ganz ungeniert nach „Schätzen“ suchen, Gräber schänden, Tempel plündern und archäologische Fundstätten verwüsten? Berns und seine Zeitgenossen hegten noch keinerlei Zweifel daran, dass die Schätze der Inka dem gehören würden, der zuerst Hand an sie legte. Doch Janesch hat ihrem Romanhelden eine Haltung eingeschrieben, für die das Gold der Inka eher Mittel als Zweck ist – sein „kaleidoskopisches Denken“ verbindet Wirklichkeit und Fantasie. Wo andere nur nebelverhangenen Dschungel und Schwindel erregende Berge sehen, sieht er die Hinweise auf eine Stadt, die außer ihm niemand dort für möglich gehalten hätte. Auf die Frage seines amerikanischen Kompagnons Singer, woran er seine goldene Stadt denn erkennen würde, antwortet Berns deshalb: „Ich werde es erkennen. El Dorado wurde von Leuten wie mir erbaut.“
Janeschs Buch beschwört noch einmal die Phantasmen des 19. Jahrhunderts herauf, deren Gold verheißende Anteilsscheine sich mit dem Verschwinden von Berns in Makulatur verwandeln. Aus dem historischen Vorbild hat sie einen Helden gemacht, der eher ein abenteuerliches Herz und ein Entdecker als ein bloßer Schatzsucher ist. Am Ende ist sein Leben, ist sein Betrug so vergessen, dass Augusto Rudolfo Berns sich seinem Nachfolger Bingham unbesorgt mit vollem Namen vorstellt. Wohl wissend, dass er sich den Erbauern seines El Dorados als geistesverwandt erweist, indem er die Rätsel, die diese Stadt umgeben, noch um ein paar weitere vermehrt.
ULRICH BARON
„Ich werde es erkennen.
El Dorado wurde
von Leuten wie mir erbaut.“
Sabrina Janesch: Die
goldene Stadt. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2017. 528 Seiten, 22,95 Euro. E-Book 19,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
nach El Dorado
Sabrina Janesch spürt dem
Entdecker von Machu Picchu nach
Eben noch ist Rudolph Berns von einer polnischen Prinzessin geküsst worden und zusammen mit anderen Schülern seines Elitegymnasiums durch Berlin gestreift, da scheint sich ein lange gehegter Traum erfüllen zu wollen. Vor ihm breiten sich die Weiten des südamerikanischen Kontinents aus, und irgendwo dort muss jene goldene Stadt liegen, von der er schon als Kind am Rheinufer geträumt hat. Statt auf El Dorado aber fällt sein Blick auf eine Kaffeetasse, die sein unfreiwilliger Gastgeber Alexander von Humboldt auf der einen ganzen Tisch bedeckenden Landkarte abgestellt hat.
Die 1985 in Gifhorn geborene Sabrina Janesch hat diese Schlüsselszene ihres Romans als ironische Kippfigur gestaltet. Der alte Mann, der ein Vermögen für die Entdeckung der Welt ausgegeben hat, sieht sich beim Schreiben seines „Kosmos“ von einem jungen gestört, der nach dem suchen will, was Bücher ihm zu versprechen scheinen. Der längst zum Stubengelehrten vergreiste Entdecker soll helfen, die Schätze der Inka zu finden, will es aber partout nicht: „Schatzsuche“, so sagt er ungehalten, „sei keine Arbeit, sondern Wahnsinn.“ Lieber solle Rudolph sich als Ingenieur ausbilden lassen und einen Kanal durch Panama graben!
Humboldts Rat ist zunächst ins Leere gesprochen, aber bei ihrer Begegnung ahnt sein junger Gast noch nicht, dass ein tragisches Unglück da schon seine privilegierte Kindheit um 1858 beendet hat. Wie aus dem 1842 geborenen Sohn eines rheinländischen Weinhändlers ein Berliner Gymnasiast, ein Metallarbeiter und später dann in Peru doch noch ein Ingenieur, ein Landvermesser, Kanalbauer und Entdecker geworden ist, hat Sabrina Janesch akribisch recherchiert und mit viel Zeitkolorit spannend erzählt. Angeregt durch Zeitungsartikel, die ab Mitte 2008 davon berichteten, nicht der Amerikaner Hiram Bingham habe 1911 die Inka-Festung Machu Picchu entdeckt, sondern schon 1876 der deutsche Augusto Berns, hat sie aus ihm einen Romanhelden gemacht, dessen El Dorado am Ende im doppelten Sinn nur auf dem Papier zu finden ist.
„Huacas del Inca“, die Schätze der Inka versprachen die von Berns 1887 aufgelegten Aktien einer geplanten Explorationsgesellschaft. Sie fanden reißenden Absatz, brachten ihren Käufern aber am Ende nicht mehr ein als die goldene Weisheit, dass man eine Katze nicht im Sack kaufen sollte. Wenn Machu Picchu jemals El Dorado gewesen sein sollte, so hatte jemand es quasi besenrein geräumt. Inmitten der allgemeinen Verstimmung, die darauf folgte, muss Rudolph Berns dann spurlos verschwunden sein.
In Janeschs Roman taucht er nun Jahrzehnte später noch einmal auf, um Hiram Bingham zu begegnen. Und wieder kippt die Szene ins Ironische, als der alte Abenteurer seinen Nachfolger begrüßt, dessen Wangen noch von den Nähten des Federkissens gezeichnet sind, auf dem er soeben erwacht ist: „Sie sind also Entdecker.“
In Berns’ Leben habe sie den „Stoff großer Abenteuergeschichten“ entdeckt, „wie ich sie als Kind so sehr geliebt hatte“, verrät die Autorin. Aber lässt sich auch jener naive Glaube wiederbeleben, man könne in fremden Ländern ganz ungeniert nach „Schätzen“ suchen, Gräber schänden, Tempel plündern und archäologische Fundstätten verwüsten? Berns und seine Zeitgenossen hegten noch keinerlei Zweifel daran, dass die Schätze der Inka dem gehören würden, der zuerst Hand an sie legte. Doch Janesch hat ihrem Romanhelden eine Haltung eingeschrieben, für die das Gold der Inka eher Mittel als Zweck ist – sein „kaleidoskopisches Denken“ verbindet Wirklichkeit und Fantasie. Wo andere nur nebelverhangenen Dschungel und Schwindel erregende Berge sehen, sieht er die Hinweise auf eine Stadt, die außer ihm niemand dort für möglich gehalten hätte. Auf die Frage seines amerikanischen Kompagnons Singer, woran er seine goldene Stadt denn erkennen würde, antwortet Berns deshalb: „Ich werde es erkennen. El Dorado wurde von Leuten wie mir erbaut.“
Janeschs Buch beschwört noch einmal die Phantasmen des 19. Jahrhunderts herauf, deren Gold verheißende Anteilsscheine sich mit dem Verschwinden von Berns in Makulatur verwandeln. Aus dem historischen Vorbild hat sie einen Helden gemacht, der eher ein abenteuerliches Herz und ein Entdecker als ein bloßer Schatzsucher ist. Am Ende ist sein Leben, ist sein Betrug so vergessen, dass Augusto Rudolfo Berns sich seinem Nachfolger Bingham unbesorgt mit vollem Namen vorstellt. Wohl wissend, dass er sich den Erbauern seines El Dorados als geistesverwandt erweist, indem er die Rätsel, die diese Stadt umgeben, noch um ein paar weitere vermehrt.
ULRICH BARON
„Ich werde es erkennen.
El Dorado wurde
von Leuten wie mir erbaut.“
Sabrina Janesch: Die
goldene Stadt. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2017. 528 Seiten, 22,95 Euro. E-Book 19,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Sabrina Janesch versteht ihr Handwerk. Das erklärt jedoch noch nicht die Wirkung des Buchs. Diese ergibt sich vielmehr aus der Liebe zu ihrem Helden ... Darin wurzelt die emotionale Kraft des Buchs. Die Zeit