Robin zieht mit ihren Eltern in die Stadt. Dort ist alles grau - Häuserfassaden, Menschen, selbst Blumen. Robin macht sich auf die Suche nach Farbe und kommt einem Komplott auf die Spur: Hinter all dem Grau steckt die gesichtslose Grau GmbH & Co. KG. Dank ihrer Kombinationsgabe und einigen Verbündeten gelangt Robin in die Schaltzentrale des Konzerns und stellt alle Farbregler auf bunt. Grau bleibt am Ende nur ihr Kater. Seit dem Erfolg seiner Mäuseabenteuer steht Torben Kuhlmann für große Bilderbuchkunst. Mit »Die graue Stadt« schwingt er sich zu neuen Höhenflügen auf und setzt ein Zeichen für Buntheit und Vielfalt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.2023Ist er etwa auch ein Farb-Dissident?
Kein Baum, kein Strauch: In Torben Kuhlmanns "Die graue Stadt" kämpft ein Mädchen gegen Uniformisierung und gleichmacherisches Denken - mit Witz.
Grau gilt als Farbe unfruchtbarer Lebensfeindlichkeit, melancholischer Ödnis, gar von Diktaturen. In dystopischen Filmen wie George Orwells "1984", Michael Endes "Momo" oder "Das Leben der Anderen" sind die Bösen und ihre baulichen und stofflichen Hüllen in uniformes Feldgrau gewandet. Wenn im Film "Alles steht Kopf" die schönen Erinnerungen eines Kindes lähmender Apathie weichen, wird das Versickern von Lebenskraft als staubgraue Mondlandschaft versinnbildlicht.
Die Farbe Grau scheint somit wenig geeigneter Stoff für ein Kinderbuch zu sein, und dennoch findet der Autor und Illustrator Torben Kuhlmann für sein undogmatisches Überthema des Kampfs gegen gesellschaftliche Uniformisierung mit der Farbe Grau eine kindgerechte Allegorie. Um einen wesentlichen Aspekt seines Buchs "Die graue Stadt" vorwegzunehmen, sei so viel verraten, dass ein Kind aus einem durchgrünten Vorort auf dem Lande mit seinem Vater in die steingraue Großstadt zieht. Wir sehen das Mädchen Robin im noch vom alten, farbigeren Leben kündenden gelben Ölzeug durch das Fenster einer kleinen Gaube in eine Stadtlandschaft aus betongrauen Klötzen, zinkgrauen Dächern, Kaminen und rauchgrauen Abgasfahnen schauen, nachdem man auf der vorausgegangenen Doppelseite aus der noch erschreckenderen Vogelperspektive auf die durchgeordnete Rasterstadt geblickt hat, vor deren Hochhaussilhouette in Schiefergrau sich eine ebenso farblose Vorstadt aus zweigeschossigen Suburbia-Häusern legt, die wiederum von asphaltgrauen Straßenmäandern einer autogerechten "Metropolis" wie in Fritz Langs gleichnamigem Film durchschnitten wird - kein Baum, kein Grashalm nirgends. Selbst dem warmen Orange der Sonne gelingt es nicht mehr, sich durch die nebelgraue Smogwand zu kämpfen.
Dass mit der Stadt etwas nicht stimmt, bemerkt Robin bei ihrem ersten Ausflug nach dem Umzug, der sie zum Schaufenster eines Farbenladens führt - in der Auslage türmen sich lediglich Tuben mit den Nichtfarben Mausgrau, Anthrazitgrau, Filzgrau, Silbergrau oder Granitgrau. Auch in der neuen Schule wird es nicht besser, da sie im gelben Regenmantel und mit dem einzigen farbigen Sonnenblumenbild im Kunstunterricht als Fremdkörper und Abweichlerin gilt. Der Lehrfilm in Schwarz-Weiß über die "Wünschenswerten gesellschaftlichen Verhaltensweisen" im Nachsitzen will ihr zwar klarmachen, dass Anpassung, Unterordnung und Disziplin alle mit der Farbe verknüpft sind, kann Robin jedoch nicht überzeugen: Augen hat sie nur für einen ebenfalls nachsitzenden Jungen im Schulkinosaal, dem unter seinem grauen Pullover ein winziges orangefarbenes T-Shirt-Dreieck aufblitzt. Bei einem weiteren Ausbüxen entdeckt das Mädchen, dass der ab hier mit ihr verbündete Junge nicht der einzige Farb-Dissident in der felsgrauen Umgebung ist. Eine Gruppe von Musikern, Komikern und eine Sängerin, allesamt etwa durch ersatzloses Streichen der Musikunterrichtsstunden an der Schule des ehemaligen Musiklehrers arbeitslos geworden in der freudlosen Stadt, üben heimlich in einem Hinterzimmer ihre bunten Künste aus. Das Einzige, was ein solches Regiment der Unfreiheit nicht verbieten oder entfärben kann, ist ein Naturphänomen wie der Regenbogen, dem Robin folgt und so an dessen Ende nicht auf einen Napf mit Goldmünzen, sondern auf eine Bibliothek stößt, in deren verstecktem hinteren Trakt die Bibliothekarin nach einigem Zögern dem Mädchen ein Buch über die optischen Gesetze von Newton überlässt. Der Lernerfolg: Wenn sich Grau aus dem grausamen Mischen der drei Grundfarben Rot, Blau und Gelb ergibt, muss es sich auch wieder entmischen lassen, so die kindlich korrekte Folgerung. Als dann noch wie bei Momos Grauen Herren ein "Kurator für gesellschaftliches Wohlbefinden" der Grau-Werke - Symbol für Produktion wie für administrative Umsetzung der uniformierenden Farb- und Seelenstimmung - bei ihr zu Hause erscheint und sie einzuschüchtern sucht, weiß Robin, was sie mit ihrem neuen Freund in den die Stadt vergrauenden Farb-Werken tun muss. Ab hier löst sich die Geschichte wohltuend von allen möglichen Vorbildern und findet ein so optimistisches wie poetisches Ende.
Hübsche Einfälle, wie jene, in dieser Stadt bei Lichtgrau statt bei Grün über die Ampel zu gehen, den Kaffee grau statt schwarz zu trinken oder Kinofilme nicht in Technicolor sondern in Technigrey zu schauen, zeugen vom konsequenten Durchdenken der Grundidee durch Kuhlmann. Trotz dessen spürbarer Unlust gegenüber den mindestens "Fifty Shades of Grey" sind Eltern wie Kinder auf jeder Seite bass erstaunt, wie subtil und im besten Sinne altmeisterlich der Illustrator auch den grauesten Seiten seiner Stadt als Gesellschaftsmetapher Farbe verleiht. STEFAN TRINKS
Torben Kuhlmann: "Die graue Stadt".
Nord-Süd Verlag, Zürich 2023. 64 S., geb., 20,- Euro. Ab 6 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kein Baum, kein Strauch: In Torben Kuhlmanns "Die graue Stadt" kämpft ein Mädchen gegen Uniformisierung und gleichmacherisches Denken - mit Witz.
Grau gilt als Farbe unfruchtbarer Lebensfeindlichkeit, melancholischer Ödnis, gar von Diktaturen. In dystopischen Filmen wie George Orwells "1984", Michael Endes "Momo" oder "Das Leben der Anderen" sind die Bösen und ihre baulichen und stofflichen Hüllen in uniformes Feldgrau gewandet. Wenn im Film "Alles steht Kopf" die schönen Erinnerungen eines Kindes lähmender Apathie weichen, wird das Versickern von Lebenskraft als staubgraue Mondlandschaft versinnbildlicht.
Die Farbe Grau scheint somit wenig geeigneter Stoff für ein Kinderbuch zu sein, und dennoch findet der Autor und Illustrator Torben Kuhlmann für sein undogmatisches Überthema des Kampfs gegen gesellschaftliche Uniformisierung mit der Farbe Grau eine kindgerechte Allegorie. Um einen wesentlichen Aspekt seines Buchs "Die graue Stadt" vorwegzunehmen, sei so viel verraten, dass ein Kind aus einem durchgrünten Vorort auf dem Lande mit seinem Vater in die steingraue Großstadt zieht. Wir sehen das Mädchen Robin im noch vom alten, farbigeren Leben kündenden gelben Ölzeug durch das Fenster einer kleinen Gaube in eine Stadtlandschaft aus betongrauen Klötzen, zinkgrauen Dächern, Kaminen und rauchgrauen Abgasfahnen schauen, nachdem man auf der vorausgegangenen Doppelseite aus der noch erschreckenderen Vogelperspektive auf die durchgeordnete Rasterstadt geblickt hat, vor deren Hochhaussilhouette in Schiefergrau sich eine ebenso farblose Vorstadt aus zweigeschossigen Suburbia-Häusern legt, die wiederum von asphaltgrauen Straßenmäandern einer autogerechten "Metropolis" wie in Fritz Langs gleichnamigem Film durchschnitten wird - kein Baum, kein Grashalm nirgends. Selbst dem warmen Orange der Sonne gelingt es nicht mehr, sich durch die nebelgraue Smogwand zu kämpfen.
Dass mit der Stadt etwas nicht stimmt, bemerkt Robin bei ihrem ersten Ausflug nach dem Umzug, der sie zum Schaufenster eines Farbenladens führt - in der Auslage türmen sich lediglich Tuben mit den Nichtfarben Mausgrau, Anthrazitgrau, Filzgrau, Silbergrau oder Granitgrau. Auch in der neuen Schule wird es nicht besser, da sie im gelben Regenmantel und mit dem einzigen farbigen Sonnenblumenbild im Kunstunterricht als Fremdkörper und Abweichlerin gilt. Der Lehrfilm in Schwarz-Weiß über die "Wünschenswerten gesellschaftlichen Verhaltensweisen" im Nachsitzen will ihr zwar klarmachen, dass Anpassung, Unterordnung und Disziplin alle mit der Farbe verknüpft sind, kann Robin jedoch nicht überzeugen: Augen hat sie nur für einen ebenfalls nachsitzenden Jungen im Schulkinosaal, dem unter seinem grauen Pullover ein winziges orangefarbenes T-Shirt-Dreieck aufblitzt. Bei einem weiteren Ausbüxen entdeckt das Mädchen, dass der ab hier mit ihr verbündete Junge nicht der einzige Farb-Dissident in der felsgrauen Umgebung ist. Eine Gruppe von Musikern, Komikern und eine Sängerin, allesamt etwa durch ersatzloses Streichen der Musikunterrichtsstunden an der Schule des ehemaligen Musiklehrers arbeitslos geworden in der freudlosen Stadt, üben heimlich in einem Hinterzimmer ihre bunten Künste aus. Das Einzige, was ein solches Regiment der Unfreiheit nicht verbieten oder entfärben kann, ist ein Naturphänomen wie der Regenbogen, dem Robin folgt und so an dessen Ende nicht auf einen Napf mit Goldmünzen, sondern auf eine Bibliothek stößt, in deren verstecktem hinteren Trakt die Bibliothekarin nach einigem Zögern dem Mädchen ein Buch über die optischen Gesetze von Newton überlässt. Der Lernerfolg: Wenn sich Grau aus dem grausamen Mischen der drei Grundfarben Rot, Blau und Gelb ergibt, muss es sich auch wieder entmischen lassen, so die kindlich korrekte Folgerung. Als dann noch wie bei Momos Grauen Herren ein "Kurator für gesellschaftliches Wohlbefinden" der Grau-Werke - Symbol für Produktion wie für administrative Umsetzung der uniformierenden Farb- und Seelenstimmung - bei ihr zu Hause erscheint und sie einzuschüchtern sucht, weiß Robin, was sie mit ihrem neuen Freund in den die Stadt vergrauenden Farb-Werken tun muss. Ab hier löst sich die Geschichte wohltuend von allen möglichen Vorbildern und findet ein so optimistisches wie poetisches Ende.
Hübsche Einfälle, wie jene, in dieser Stadt bei Lichtgrau statt bei Grün über die Ampel zu gehen, den Kaffee grau statt schwarz zu trinken oder Kinofilme nicht in Technicolor sondern in Technigrey zu schauen, zeugen vom konsequenten Durchdenken der Grundidee durch Kuhlmann. Trotz dessen spürbarer Unlust gegenüber den mindestens "Fifty Shades of Grey" sind Eltern wie Kinder auf jeder Seite bass erstaunt, wie subtil und im besten Sinne altmeisterlich der Illustrator auch den grauesten Seiten seiner Stadt als Gesellschaftsmetapher Farbe verleiht. STEFAN TRINKS
Torben Kuhlmann: "Die graue Stadt".
Nord-Süd Verlag, Zürich 2023. 64 S., geb., 20,- Euro. Ab 6 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Eine Geschichte über die Farbe Grau, das aber gar nicht trist und langweilig ist, liest Kritikerin Christina Lopinski mit Torben Kuhlmanns Kinderbuch: Die junge Robin zieht mit ihrem Vater in eine komplett graue Stadt, nur sie und ihr neuer Kumpel Alani widersetzen sich der Farblosigkeit. Lopinski fühlt sich an Michael Endes "Momo" erinnert, aber Kuhlmanns Buch ist etwas ganz eigenes mit seinem "spannenden Krimi-Plot", versichert er, der die zwei Freunde auf die Suche nach den verschwundenen Farben schickt. Die faszinierenden Schattierungen des Graus, aber auch der wirklichen Farben überzeugen die Rezensentin ebenso wie die "Geschichte über Manipulation und Verlust".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.01.2024Die Suche nach der verlorenen Farbe
Torben Kuhlmanns Bilderbuch „Die graue Stadt“ erinnert an „Momo“,
erzählt aber zugleich einen spannenden Krimi für Kinder.
VON CHRISTINA LOPINSKI
In der gesellschaftlichen Wahrnehmung hat die Farbe Grau keinen guten Stand. Im Töpfchen am Rande des Malkastens muss sie für die Tristesse schlechten Wetters und trübe Stimmung herhalten. Nun widmet der Kinderbuchautor und Illustrator Torben Kuhlmann der Nichtfarbe ein ganzes, auch das noch: Kinderbuch. Und zwar ein überraschend buntes.
Darin zieht das Mädchen Robin mit ihrem Vater in eine neue Stadt, in der alles grau ist: Häuser, Schaufenster, Bücher, ja sogar Menschen. Auch in der Schule ist alles grau, außer Robin, die nachsitzen muss, weil sie ein buntes Bild malt und einen gelben Parka trägt. Beim Nachsitzen trifft sie Alani, der mit seiner Künstlerfamilie stillen Protest gegen die Einfarbigkeit der Stadt übt. Robin und Alani werden nicht nur beste Freunde, sondern auch Verbündete. Nach der Begegnung mit einem mysteriösen grauen Mann, der sich später als Mitarbeiter der Firma herausstellt, die alles grau malt, findet Robin in einer Bibliothek den Schlüssel zum Geheimnis der verlorenen Farben – und begibt sich gemeinsam mit Alani auf eine gefährliche Mission, an deren Ende die Dächer der Stadt wieder rot in der Sonne leuchten.
Die Geschichte von Robin und Alani lebt von ihren starken Illustrationen. Obwohl Grau auch hier für Langeweile und Angepasstheit steht, findet man durch Kuhlmanns Illustrationen Gefallen an seinen vielen Schattierungen. Ob Stahlgrau, Schiefergrau oder Anthrazit: Es ist faszinierend, wie sehr eine einzige Farbe variieren kann. Aber darum scheint es Kuhlmann nicht zu gehen. Es sind vor allem die Illustrationen in bunten Farben, die die Geschichte erzählen: Alanis Familie beim Musizieren, Robin in der geheimen Bibliothek, der Regenbogen, der die Stadt in ganz besonders schönem Grau erstrahlen lässt. Denn erst durch die bunten Elemente wird deutlich, wie sehr der Stadt ihre Farben fehlen.
Erwachsene Leser könnten in den fehlenden Farben die Kunst erkennen, die der grauen Stadt abhandengekommen ist. Aber auch Kinder verstehen dieses Grau. In ihm fehlt die Freude, die Abwechslung, es fehlt alles, was das Leben schön macht: Freundschaft, Spiel, Witz, Kreativität. Graue Menschen lachen nicht und graue Menschen weinen nicht. Graue Menschen sind eigentlich gar nicht da.
Natürlich erinnert das an die grauen Herren aus Michael Endes „Momo“. Aber Torben Kuhlmann erzählt mit seinem spannenden Krimi-Plot von der Suche nach den verlorenen Farben auch etwas Neues. Mit Robin hat er eine zupackende Mädchenfigur geschaffen, die es sich zur Aufgabe macht, dieser Stadt ihre Seele zurückzugeben – und dabei einen Verbündeten, einen Freund findet. Kuhlmanns Buch hätte auch ein Roman für Erwachsene werden können, eine orwelleske Erzählung von Macht, Gleichschaltung und Totalitarismus. Die Geschichte von der grauen Stadt ist auch eine Geschichte über Manipulation und Verlust. Und darüber, wie man sich dem erdrückenden Grau einer solchen Welt entgegenstellen kann.
Torben Kuhlmann:
Die graue Stadt.
NordSüd Verlag,
Zürich 2023.
64 Seiten, 20 Euro.
Ab acht Jahren.
Durch die bunten Elemente in Torben Kuhlmanns Bildern
wird deutlich, wie sehr der grauen Stadt ihre Farben fehlen.
Das Mädchen Robin im gelben Parka bringt sie zurück. Bild: Nord-Süd Verlag
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Torben Kuhlmanns Bilderbuch „Die graue Stadt“ erinnert an „Momo“,
erzählt aber zugleich einen spannenden Krimi für Kinder.
VON CHRISTINA LOPINSKI
In der gesellschaftlichen Wahrnehmung hat die Farbe Grau keinen guten Stand. Im Töpfchen am Rande des Malkastens muss sie für die Tristesse schlechten Wetters und trübe Stimmung herhalten. Nun widmet der Kinderbuchautor und Illustrator Torben Kuhlmann der Nichtfarbe ein ganzes, auch das noch: Kinderbuch. Und zwar ein überraschend buntes.
Darin zieht das Mädchen Robin mit ihrem Vater in eine neue Stadt, in der alles grau ist: Häuser, Schaufenster, Bücher, ja sogar Menschen. Auch in der Schule ist alles grau, außer Robin, die nachsitzen muss, weil sie ein buntes Bild malt und einen gelben Parka trägt. Beim Nachsitzen trifft sie Alani, der mit seiner Künstlerfamilie stillen Protest gegen die Einfarbigkeit der Stadt übt. Robin und Alani werden nicht nur beste Freunde, sondern auch Verbündete. Nach der Begegnung mit einem mysteriösen grauen Mann, der sich später als Mitarbeiter der Firma herausstellt, die alles grau malt, findet Robin in einer Bibliothek den Schlüssel zum Geheimnis der verlorenen Farben – und begibt sich gemeinsam mit Alani auf eine gefährliche Mission, an deren Ende die Dächer der Stadt wieder rot in der Sonne leuchten.
Die Geschichte von Robin und Alani lebt von ihren starken Illustrationen. Obwohl Grau auch hier für Langeweile und Angepasstheit steht, findet man durch Kuhlmanns Illustrationen Gefallen an seinen vielen Schattierungen. Ob Stahlgrau, Schiefergrau oder Anthrazit: Es ist faszinierend, wie sehr eine einzige Farbe variieren kann. Aber darum scheint es Kuhlmann nicht zu gehen. Es sind vor allem die Illustrationen in bunten Farben, die die Geschichte erzählen: Alanis Familie beim Musizieren, Robin in der geheimen Bibliothek, der Regenbogen, der die Stadt in ganz besonders schönem Grau erstrahlen lässt. Denn erst durch die bunten Elemente wird deutlich, wie sehr der Stadt ihre Farben fehlen.
Erwachsene Leser könnten in den fehlenden Farben die Kunst erkennen, die der grauen Stadt abhandengekommen ist. Aber auch Kinder verstehen dieses Grau. In ihm fehlt die Freude, die Abwechslung, es fehlt alles, was das Leben schön macht: Freundschaft, Spiel, Witz, Kreativität. Graue Menschen lachen nicht und graue Menschen weinen nicht. Graue Menschen sind eigentlich gar nicht da.
Natürlich erinnert das an die grauen Herren aus Michael Endes „Momo“. Aber Torben Kuhlmann erzählt mit seinem spannenden Krimi-Plot von der Suche nach den verlorenen Farben auch etwas Neues. Mit Robin hat er eine zupackende Mädchenfigur geschaffen, die es sich zur Aufgabe macht, dieser Stadt ihre Seele zurückzugeben – und dabei einen Verbündeten, einen Freund findet. Kuhlmanns Buch hätte auch ein Roman für Erwachsene werden können, eine orwelleske Erzählung von Macht, Gleichschaltung und Totalitarismus. Die Geschichte von der grauen Stadt ist auch eine Geschichte über Manipulation und Verlust. Und darüber, wie man sich dem erdrückenden Grau einer solchen Welt entgegenstellen kann.
Torben Kuhlmann:
Die graue Stadt.
NordSüd Verlag,
Zürich 2023.
64 Seiten, 20 Euro.
Ab acht Jahren.
Durch die bunten Elemente in Torben Kuhlmanns Bildern
wird deutlich, wie sehr der grauen Stadt ihre Farben fehlen.
Das Mädchen Robin im gelben Parka bringt sie zurück. Bild: Nord-Süd Verlag
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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