Die Geschichte der Griechen von der Antike bis HeuteDie Art und Weise, wie wir denken. Wie wir lernen. Wie wir regiert werden. Unsere Künste. All das hat seinen Ursprung vor mehr als 3000 Jahren am südöstlichen Rand Europas. Bis heute beruft die gesamte westliche Welt sich immer wieder auf Geistesgrößen wie Sokrates, Pythagoras, Sappho und Homer.Roderick Beaton legt auf eindrucksvolle Weise dar, welche Kontinuitäten die antike Welt um Athen und Sparta mit dem mittelalterlichen Byzanz, der griechischen Kultur im Osmanischen Reich und nicht zuletzt dem modernen Griechenland des 21. Jahrhunderts verbinden. Bis heute haben die späte Gründung des griechischen Staates und die damit verbundenen Identitätskonflikte Auswirkungen auf Europa. Doch auch Ideen der alten Griechen - wie das Alphabet und etliche wissenschaftliche Errungenschaften - haben wir uns über die Jahrhunderte hinweg immer wieder neu anverwandelt.Eine epochenübergreifende Meistererzählung und ein lehrreiches Lesevergnügen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Für den Rezensenten Uwe Walter ist Roderick Beaton dann am besten, wenn er anhand seiner Leitidee die "Globalgeschichte" Griechenlands erzählt, wenn er Menschen wie Eleftherios Venizelos oder Onassis in den Blick nimmt, um zu erörtern, welche Rolle sie beim "Entstehen der globalen Kultur" spielten. Auch die Rolle der griechischen Sprache und ihre Wandlung während der byzantinischen Ära arbeitet der Autor laut Walter überzeugend heraus. All das bietet der Band auf undogmatische, forschungsorientierte Weise, lobt Walter.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2023Hellas kam recht weit herum
Von beweglichen Mykenern bis zur
weltweit verstreuten Diaspora: Roderick Beaton legt eine Globalgeschichte der Griechen vor.
Eine Globalgeschichte Griechenlands? Der heutige Staat um die Hauptstadt Athen macht mit knapp elf Millionen Einwohnern etwas mehr als ein Promille der Weltbevölkerung aus. Es gibt ihn erst seit weniger als zweihundert Jahren, zudem anfangs mit einem deutlich kleineren Territorium als heute. Dennoch spannt Roderick Beaton, Professor in London und ein Kenner des byzantinischen und modernen Hellas, seine Erzählung von der Bronzezeit bis in die Gegenwart. Den Kern der historischen Kontinuität sucht er in den Menschen, genauer: den Sprechern der griechischen Sprache. Allerdings übergeht er dabei weitgehend die Frage nach den tiefgreifenden Wandlungsprozessen des antiken hellenischen Idioms während der byzantinischen Epoche sowie der vierhundert Jahre währenden osmanischen Herrschaft über den Südbalkan. Unerwähnt bleibt der gelehrte Außenseiter Jakob Philipp Fallmerayer, der den philhellenischen Zeitgeist des neunzehnten Jahrhunderts störte, indem er durch die Analyse von Orts- und Flussnamen nachzuweisen suchte, die auf der Peloponnes siedelnden Menschen seiner Zeit seien nicht etwa Abkömmlinge der antiken Hellenen, sondern stammten von Albanern und Slawen ab, die während des Mittelalters dort eine neue Heimat gefunden hatten. Die neugriechische Nationalität ruhe, so seine These, auf einem von den alten Griechen ganz verschiedenen, slawisch-balkanisch dominierten Völkergemisch.
Auch wenn Fallmerayer wütende Kritik erfuhr oder ignoriert wurde, so hatte er doch einen Punkt getroffen. Denn lange blieb in der Tat strittig, ob die neuen Griechen, auch die Elite, die im Land gesprochene Sprache (Demotiki) mit ihren Dialekten benutzen sollte oder eine 'reine', von Philologen geschaffene Sprache, die Katharevusa, die sich in Lexik und Morphologie stark am Altgriechischen ausrichtete. Formal bestand diese besondere Zweisprachigkeit bis vor knapp fünfzig Jahren; allerdings hatten praktische Erfordernisse da längst eine Annäherung bewirkt, und die heute gebräuchliche Koini Neoelliniki ist eine Synthese aus den beiden einander lange gegenüberstehenden Paradigmen.
Auch wenn man über die Entwicklung der Sprache gern mehr erführe, handhabt Beaton die Identitätsfrage undogmatisch und pragmatisch. Denn seine Griechen zeichnen sich gerade durch eine bemerkenswerte Anpassungsbereitschaft und Neugierde aus - eine Bestimmung, die nahe bei der von Edith Hall für die Antike vorgetragenen liegt (F.A.Z. vom 12. April 2017). Ihre Fähigkeit, sich unter wechselnden Bedingungen immer wieder neu zu erfinden, mündete nicht nur in gewandelte Identitäten über die Zeiten und Räume hinweg, sie eröffnete den meist wenig zahlreichen und nur mit knappen Ressourcen versehenen Hellenen überdies, stets neue Wege, Räume und Möglichkeiten zu finden. Von den expandierenden Mykenern bis zu den griechischen Gemeinden in Astoria im New Yorker Stadtteil Queens, in Boston, Chicago und vielen anderen Städten der Welt außerhalb des Kernlandes: Beatons Griechen erweisen sich als weltgewandt, weil sie mobil sind, ferner bereit, sich neu zu orientieren, und dabei doch immer als Griechen erkennbar bleiben und die Kräfte des familialen wie des ethnokulturellen Zusammenhalts zu nutzen wissen - selbst wenn die meisten von ihnen gar kein Griechisch mehr sprechen. Weil sie fast überall angekommen seien, so die schlichte wie treffende Quintessenz, konnten sie zuletzt eine herausragende und unverwechselbare Rolle beim Entstehen der globalen Kultur spielen.
Gut die Hälfte des Umfangs nimmt die Zeit bis zum Abschluss der Christianisierung im siebten nachchristlichen Jahrhundert ein - eine gut lesbare griechische Geschichte der Antike, in den Teilen zur Frühzeit hinsichtlich der gesicherten Tatsachen wohl zu optimistisch, doch nie fabulierend, sondern am Stand der Forschung orientiert. Auch für die anschließenden Epochen wird die Fähigkeit von Griechen herausgestellt, mit geringen Machtmitteln in die weitere Welt hinein zu wirken. Das galt etwa im frühen Mittelalter, als mit Kyrills Slavenmission die griechisch-orthodoxe Prägung des Christentums in den Ländern des Nordostens ihren Anfang nahm und die Kunst der byzantinischen Diplomatie für lange Zeit die Schwäche des schrumpfenden Reiches zu kompensieren vermochte.
Das vorletzte Kapitel umspannt die Zeit von der Gründung des neuen Hellas mit einem bayerischen König bis 1974, als mit der Republik Zypern ein zweiter griechischer Staat entstand. Griechenland wurde in diesen eineinhalb Jahrhunderten hinsichtlich der Spannung zwischen der politisch organisierten und der größeren Kulturnation gleichsam zu einem Labor, unter massivem Einfluss der Großmächte. Für die Hellenen entfesselte die "Große Idee" einer Sammlung aller Landsleute in einem modernen Nationalstaat eine erhebliche, teils destruktive Dynamik, bis hin zur "kleinasiatischen Katastrophe" im Konflikt mit der Türkei nach dem Ersten Weltkrieg und den bis heute vielfach als traumatisch empfundenen Vertreibungen und Umsiedlungen. Instruktiv lesen sich die Seiten über die Ära von Eleftherios Venizelos (1864 bis 1936) sowie die Kriegszeit und den unmittelbar anschließenden Bürgerkrieg, in dem Griechenland zum ersten europäischen Schauplatz der Blöckekonfrontation wurde. Hingegen bleibt die Zeit der Militärdiktatur, die immerhin von 1967 bis 1974 währte, recht konturlos, und im allzu knappen Schlusskapitel zeigt sich der Autor vollends als eiliger Chronist; weder der Beitritt zur Europäischen Union noch die Staatsschuldenkrise, die Auswirkungen der Migration aus dem Nahen Osten oder die Umwälzungen im Parteiensystem gewinnen hinreichend Profil.
In seinem Element ist Beaton, wenn er seine Leitidee verfolgt. Globale Wirkung zeitigten langfristig Ideen wie die Wiederbelebung der Olympischen Spiele im Jahr 1896 oder - ganz handfest - auslandsgriechische Unternehmer wie die Brüder Vagliano und die fünf Brüder Ralli, die als geschickte Netzwerker wesentlich zur Entwicklung des internationalen Handels- und Finanzsystems beitrugen. Der Name des Großreeders und "Tankerkönigs" Aristoteles Onassis wird älteren Lesern noch geläufig sein. Weniger bekannt: Krieg und Bürgerkrieg in den Vierzigerjahren ließen Emigrantengemeinschaften in so verschiedenen Ländern wie Usbekistan und Südafrika entstehen, und Melbourne wurde zur drittgrößten griechischen Stadt der Welt. Eine Weltkarte zeigt, wo überall teils große griechische Diasporai bestehen; Beaton nennt eine Schätzung von sieben Millionen Menschen. Ein optimistisches Buch für heutige Philhellenen. UWE WALTER
Roderick Beaton: "Die Griechen". Eine Globalgeschichte.
Aus dem Englischen von U. Blank-Sangmeister, Mitarbeit Janet Schüffel. Reclam Verlag, Ditzingen 2023. 605 S., Abb., geb., 38,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von beweglichen Mykenern bis zur
weltweit verstreuten Diaspora: Roderick Beaton legt eine Globalgeschichte der Griechen vor.
Eine Globalgeschichte Griechenlands? Der heutige Staat um die Hauptstadt Athen macht mit knapp elf Millionen Einwohnern etwas mehr als ein Promille der Weltbevölkerung aus. Es gibt ihn erst seit weniger als zweihundert Jahren, zudem anfangs mit einem deutlich kleineren Territorium als heute. Dennoch spannt Roderick Beaton, Professor in London und ein Kenner des byzantinischen und modernen Hellas, seine Erzählung von der Bronzezeit bis in die Gegenwart. Den Kern der historischen Kontinuität sucht er in den Menschen, genauer: den Sprechern der griechischen Sprache. Allerdings übergeht er dabei weitgehend die Frage nach den tiefgreifenden Wandlungsprozessen des antiken hellenischen Idioms während der byzantinischen Epoche sowie der vierhundert Jahre währenden osmanischen Herrschaft über den Südbalkan. Unerwähnt bleibt der gelehrte Außenseiter Jakob Philipp Fallmerayer, der den philhellenischen Zeitgeist des neunzehnten Jahrhunderts störte, indem er durch die Analyse von Orts- und Flussnamen nachzuweisen suchte, die auf der Peloponnes siedelnden Menschen seiner Zeit seien nicht etwa Abkömmlinge der antiken Hellenen, sondern stammten von Albanern und Slawen ab, die während des Mittelalters dort eine neue Heimat gefunden hatten. Die neugriechische Nationalität ruhe, so seine These, auf einem von den alten Griechen ganz verschiedenen, slawisch-balkanisch dominierten Völkergemisch.
Auch wenn Fallmerayer wütende Kritik erfuhr oder ignoriert wurde, so hatte er doch einen Punkt getroffen. Denn lange blieb in der Tat strittig, ob die neuen Griechen, auch die Elite, die im Land gesprochene Sprache (Demotiki) mit ihren Dialekten benutzen sollte oder eine 'reine', von Philologen geschaffene Sprache, die Katharevusa, die sich in Lexik und Morphologie stark am Altgriechischen ausrichtete. Formal bestand diese besondere Zweisprachigkeit bis vor knapp fünfzig Jahren; allerdings hatten praktische Erfordernisse da längst eine Annäherung bewirkt, und die heute gebräuchliche Koini Neoelliniki ist eine Synthese aus den beiden einander lange gegenüberstehenden Paradigmen.
Auch wenn man über die Entwicklung der Sprache gern mehr erführe, handhabt Beaton die Identitätsfrage undogmatisch und pragmatisch. Denn seine Griechen zeichnen sich gerade durch eine bemerkenswerte Anpassungsbereitschaft und Neugierde aus - eine Bestimmung, die nahe bei der von Edith Hall für die Antike vorgetragenen liegt (F.A.Z. vom 12. April 2017). Ihre Fähigkeit, sich unter wechselnden Bedingungen immer wieder neu zu erfinden, mündete nicht nur in gewandelte Identitäten über die Zeiten und Räume hinweg, sie eröffnete den meist wenig zahlreichen und nur mit knappen Ressourcen versehenen Hellenen überdies, stets neue Wege, Räume und Möglichkeiten zu finden. Von den expandierenden Mykenern bis zu den griechischen Gemeinden in Astoria im New Yorker Stadtteil Queens, in Boston, Chicago und vielen anderen Städten der Welt außerhalb des Kernlandes: Beatons Griechen erweisen sich als weltgewandt, weil sie mobil sind, ferner bereit, sich neu zu orientieren, und dabei doch immer als Griechen erkennbar bleiben und die Kräfte des familialen wie des ethnokulturellen Zusammenhalts zu nutzen wissen - selbst wenn die meisten von ihnen gar kein Griechisch mehr sprechen. Weil sie fast überall angekommen seien, so die schlichte wie treffende Quintessenz, konnten sie zuletzt eine herausragende und unverwechselbare Rolle beim Entstehen der globalen Kultur spielen.
Gut die Hälfte des Umfangs nimmt die Zeit bis zum Abschluss der Christianisierung im siebten nachchristlichen Jahrhundert ein - eine gut lesbare griechische Geschichte der Antike, in den Teilen zur Frühzeit hinsichtlich der gesicherten Tatsachen wohl zu optimistisch, doch nie fabulierend, sondern am Stand der Forschung orientiert. Auch für die anschließenden Epochen wird die Fähigkeit von Griechen herausgestellt, mit geringen Machtmitteln in die weitere Welt hinein zu wirken. Das galt etwa im frühen Mittelalter, als mit Kyrills Slavenmission die griechisch-orthodoxe Prägung des Christentums in den Ländern des Nordostens ihren Anfang nahm und die Kunst der byzantinischen Diplomatie für lange Zeit die Schwäche des schrumpfenden Reiches zu kompensieren vermochte.
Das vorletzte Kapitel umspannt die Zeit von der Gründung des neuen Hellas mit einem bayerischen König bis 1974, als mit der Republik Zypern ein zweiter griechischer Staat entstand. Griechenland wurde in diesen eineinhalb Jahrhunderten hinsichtlich der Spannung zwischen der politisch organisierten und der größeren Kulturnation gleichsam zu einem Labor, unter massivem Einfluss der Großmächte. Für die Hellenen entfesselte die "Große Idee" einer Sammlung aller Landsleute in einem modernen Nationalstaat eine erhebliche, teils destruktive Dynamik, bis hin zur "kleinasiatischen Katastrophe" im Konflikt mit der Türkei nach dem Ersten Weltkrieg und den bis heute vielfach als traumatisch empfundenen Vertreibungen und Umsiedlungen. Instruktiv lesen sich die Seiten über die Ära von Eleftherios Venizelos (1864 bis 1936) sowie die Kriegszeit und den unmittelbar anschließenden Bürgerkrieg, in dem Griechenland zum ersten europäischen Schauplatz der Blöckekonfrontation wurde. Hingegen bleibt die Zeit der Militärdiktatur, die immerhin von 1967 bis 1974 währte, recht konturlos, und im allzu knappen Schlusskapitel zeigt sich der Autor vollends als eiliger Chronist; weder der Beitritt zur Europäischen Union noch die Staatsschuldenkrise, die Auswirkungen der Migration aus dem Nahen Osten oder die Umwälzungen im Parteiensystem gewinnen hinreichend Profil.
In seinem Element ist Beaton, wenn er seine Leitidee verfolgt. Globale Wirkung zeitigten langfristig Ideen wie die Wiederbelebung der Olympischen Spiele im Jahr 1896 oder - ganz handfest - auslandsgriechische Unternehmer wie die Brüder Vagliano und die fünf Brüder Ralli, die als geschickte Netzwerker wesentlich zur Entwicklung des internationalen Handels- und Finanzsystems beitrugen. Der Name des Großreeders und "Tankerkönigs" Aristoteles Onassis wird älteren Lesern noch geläufig sein. Weniger bekannt: Krieg und Bürgerkrieg in den Vierzigerjahren ließen Emigrantengemeinschaften in so verschiedenen Ländern wie Usbekistan und Südafrika entstehen, und Melbourne wurde zur drittgrößten griechischen Stadt der Welt. Eine Weltkarte zeigt, wo überall teils große griechische Diasporai bestehen; Beaton nennt eine Schätzung von sieben Millionen Menschen. Ein optimistisches Buch für heutige Philhellenen. UWE WALTER
Roderick Beaton: "Die Griechen". Eine Globalgeschichte.
Aus dem Englischen von U. Blank-Sangmeister, Mitarbeit Janet Schüffel. Reclam Verlag, Ditzingen 2023. 605 S., Abb., geb., 38,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein optimistisches Buch für heutige Philhellenen.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.06.2023