Walter Burkert zeigt in seinem glänzend geschriebenen Werk, wann und über welchen Feldern ihrer Kultur den Griechen das Licht im Osten aufging: So beschreibt er die Rezeption des Alphabets und der orientalischen Schriftkultur durch die Griechen, die Anverwandlung orientalischer Mythen in den Werken Homers, ferner die Spuren orientalischer Weisheitslehren in der Gedankenwelt der Vorsokratiker, die Reflexe ägyptischer Heilsvorstellungen in der orphischen Religion und schließlich die Faszination der "Magier" genannten persischen Priester für die Griechen.
"Was immer die Griechen von den Barbaren übernehmen, arbeiten sie in schönerer Weise aus." Bevor man in Platons Schule diesen Satz formulieren konnte, hatten die Griechen bereits über Jahrhunderte in - nicht immer ganz ungefährlichem - Kontakt mit dem Orient gestanden. Und bevor die Griechen damit beginnen konnten, etwas besser zu machen als ihre Vorbilder, befanden sie sich erst einmal eine lange Zeit in der Rolle des Schülers, zumindest aber in der Rolle des Empfängers, was die Einflüsse der orientalischen Hochkulturen betrifft. Eine Vielzahl anschaulicher Beispiele verdeutlicht die Fülle der Bezüge zwischen griechischer und orientalischer Kultur und macht die Lektüre dieses Buches zu einer wahren Entdeckungsreise in die Anfänge der abendländischen Geisteswelt.
"Was immer die Griechen von den Barbaren übernehmen, arbeiten sie in schönerer Weise aus." Bevor man in Platons Schule diesen Satz formulieren konnte, hatten die Griechen bereits über Jahrhunderte in - nicht immer ganz ungefährlichem - Kontakt mit dem Orient gestanden. Und bevor die Griechen damit beginnen konnten, etwas besser zu machen als ihre Vorbilder, befanden sie sich erst einmal eine lange Zeit in der Rolle des Schülers, zumindest aber in der Rolle des Empfängers, was die Einflüsse der orientalischen Hochkulturen betrifft. Eine Vielzahl anschaulicher Beispiele verdeutlicht die Fülle der Bezüge zwischen griechischer und orientalischer Kultur und macht die Lektüre dieses Buches zu einer wahren Entdeckungsreise in die Anfänge der abendländischen Geisteswelt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2003Aber es ist nicht alles nur geklaut
Willkommenes Ereignis: Walter Burkert enthüllt, warum und wie sehr den Griechen am Orient lag
Das bloße Auge hat manchmal doch recht. Wer in den Museen archaische griechische Kuroi sieht und sich bei ihnen an ägyptische Männerstatuen erinnert fühlt, wird von den Archäologen bestätigt: Die frühen griechischen Bildhauer haben sich eng an den ägyptischen Vorbildern orientiert. Wen wundert's? Man lebte ja nicht isoliert voneinander, und die Griechen selber haben nicht nur Ägypten als die viel ältere Kultur bewundert. Sie haben sogar gewußt, daß sie auch anderes aus östlichen Kulturen übernommen haben, so ihre Schrift, die sie selber "phönizische Buchstaben" nannten. Daher wurden von Martin Bernal mit seiner allerdings schrecklich zugespitzten - und daher falschen - These von der "Schwarzen Athena" zum Teil offene Türen eingerannt.
Das war auch deshalb so, weil auch die altertumswissenschaftliche Forschung östliche Komponenten der griechischen Kultur nicht nur nicht leugnete, sondern in aller Ruhe immer mehr von ihnen entdeckte und allmählich zum gesicherten Wissensbestand werden ließ. Schon längst hatte beispielsweise die Archäologie den "orientalisierenden Stil" in der griechischen Vasenmalerei identifiziert, und insbesondere ist es der Züricher Gräzist Walter Burkert, dessen Forschungen derartige Abhängigkeiten, Übernahmen oder Verflechtungen betreffen. Jetzt hat er nach fremdsprachigen Vorläufern auch in deutscher Sprache diese Ergebnisse gut lesbar zusammengefaßt.
In fünf Kapiteln behandelt er die Schriftkultur, Orientalisches in Homer, Weisheitsliteratur, Kosmogonie und frühe Philosophie, die Orphik und ihre Parallelen in Ägypten und im Vorderen Orient sowie persische Einflüsse auf Griechenland. In den ersten Kapiteln werden in ansprechender Weise schon länger bekannte Forschungen - auch die des leider nicht genannten Volkert Haas - zusammengefaßt und teilweise weiterentwickelt. Besonders überzeugend ist die Darlegung der Korrelationen zwischen keilschriftlichen altorientalischen Texten der verschiedensten Genera mit den entsprechenden griechischen, wobei das Altorientalische meist die gebende Seite ist. Höchst interessant sind die überraschenden Bezüge zwischen der griechischen Orphik - also demjenigen Zweig der griechischen Religion, der individuelle Erlösung im Jenseits versprach - und ägyptischen und vorderasiatischen Vorstellungen, insbesondere mit dem Osiriskult. Frappierend ist die Tatsache, daß die östlichen Texte und religiös-geistesgeschichtlichen Entwicklungen in nicht wenigen Fällen keineswegs auf ein hohes Alter wie etwa das Gilgamesch-Epos zurückblicken, sondern etwa gleichzeitig mit ihren griechischen Pendants entstanden sind.
Am wenigsten überzeugend ist das letzte Kapitel, das sich dem persischen Einfluß auf griechisches Denken widmet. An sich leuchtet der Gedanke ein, daß die persische Herrschaft über einen Teil der Griechen in Kleinasien Rückwirkungen auf das Griechentum hätte haben müssen. Die Frage ist nur, ob das auch der Fall ist. Nun ist es richtig, daß wegen der Quellenarmut auf persischer Seite manches im dunkeln bleiben muß - hier hätten die Bemühungen Jack Balcers um die Rekonstruktion persischer Sichtweisen erwähnt werden können -, aber auch auf griechischer Seite ist die Ausbeute karg. Die Argumentation konzentriert sich vor allem auf die medisch-persischen Magoi oder Mager, die zwar bis hin zu unseren Magiern eine sehr verzweigte Rezeptionsgeschichte haben, deren Auswirkungen auf griechisches Denken aber doch eher nur postuliert wird. Es irritiert dabei auch, daß gerade in diesem Zusammenhang für denselben Tatbestand an zwei verschiedenen Stellen des Buches sehr unterschiedliche Erklärungen gegeben werden: Während einmal der persische Titel Megabyxos des Oberpriesters der Artemis in Ephesos damit erklärt wird, daß man dort "offenbar die Perserherrschaft emphatisch begrüßte", heißt es später, man habe das sozusagen nur aus taktischen Gründen getan, um sich einen Freiraum gegenüber der persischen Oberherrschaft zu erhalten.
Das Buch stellt trotz einiger kleinerer Unordentlichkeiten ein äußerst willkommenes Ereignis dar, weil es jetzt auch einer größeren Öffentlichkeit plausibel macht, wie eng die geistigen Beziehungen zwischen dem frühen Griechenland und dem späten Alten Orient waren. An sich kommt es dabei ja nur darauf an, ob diese Forschungsergebnisse zutreffen - und sie tun es in den meisten Fällen -, unabhängig davon, ob sie mit einem vorgefaßten Griechenbild übereinstimmen oder nicht. Wenn sie es nicht tun, dann wäre dieses Griechenbild zu revidieren. Jedoch brauchen sich Griechenfreunde keine Sorgen zu machen: "Der griechischen Kultur tut solche Sicht keinen Eintrag". so der Autor. An mehreren Stellen betont er im übrigen zu Recht, daß bei allen Übernahmen und Verarbeitungen das jeweilige Ergebnis doch "unverwechselbar griechisch" war - wobei man allenfalls fragen könnte, was konkret damit gemeint sei.
WOLFGANG SCHULLER
Walter Burkert: "Die Griechen und der Orient". C.H. Beck Verlag, München 2003. 176 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Willkommenes Ereignis: Walter Burkert enthüllt, warum und wie sehr den Griechen am Orient lag
Das bloße Auge hat manchmal doch recht. Wer in den Museen archaische griechische Kuroi sieht und sich bei ihnen an ägyptische Männerstatuen erinnert fühlt, wird von den Archäologen bestätigt: Die frühen griechischen Bildhauer haben sich eng an den ägyptischen Vorbildern orientiert. Wen wundert's? Man lebte ja nicht isoliert voneinander, und die Griechen selber haben nicht nur Ägypten als die viel ältere Kultur bewundert. Sie haben sogar gewußt, daß sie auch anderes aus östlichen Kulturen übernommen haben, so ihre Schrift, die sie selber "phönizische Buchstaben" nannten. Daher wurden von Martin Bernal mit seiner allerdings schrecklich zugespitzten - und daher falschen - These von der "Schwarzen Athena" zum Teil offene Türen eingerannt.
Das war auch deshalb so, weil auch die altertumswissenschaftliche Forschung östliche Komponenten der griechischen Kultur nicht nur nicht leugnete, sondern in aller Ruhe immer mehr von ihnen entdeckte und allmählich zum gesicherten Wissensbestand werden ließ. Schon längst hatte beispielsweise die Archäologie den "orientalisierenden Stil" in der griechischen Vasenmalerei identifiziert, und insbesondere ist es der Züricher Gräzist Walter Burkert, dessen Forschungen derartige Abhängigkeiten, Übernahmen oder Verflechtungen betreffen. Jetzt hat er nach fremdsprachigen Vorläufern auch in deutscher Sprache diese Ergebnisse gut lesbar zusammengefaßt.
In fünf Kapiteln behandelt er die Schriftkultur, Orientalisches in Homer, Weisheitsliteratur, Kosmogonie und frühe Philosophie, die Orphik und ihre Parallelen in Ägypten und im Vorderen Orient sowie persische Einflüsse auf Griechenland. In den ersten Kapiteln werden in ansprechender Weise schon länger bekannte Forschungen - auch die des leider nicht genannten Volkert Haas - zusammengefaßt und teilweise weiterentwickelt. Besonders überzeugend ist die Darlegung der Korrelationen zwischen keilschriftlichen altorientalischen Texten der verschiedensten Genera mit den entsprechenden griechischen, wobei das Altorientalische meist die gebende Seite ist. Höchst interessant sind die überraschenden Bezüge zwischen der griechischen Orphik - also demjenigen Zweig der griechischen Religion, der individuelle Erlösung im Jenseits versprach - und ägyptischen und vorderasiatischen Vorstellungen, insbesondere mit dem Osiriskult. Frappierend ist die Tatsache, daß die östlichen Texte und religiös-geistesgeschichtlichen Entwicklungen in nicht wenigen Fällen keineswegs auf ein hohes Alter wie etwa das Gilgamesch-Epos zurückblicken, sondern etwa gleichzeitig mit ihren griechischen Pendants entstanden sind.
Am wenigsten überzeugend ist das letzte Kapitel, das sich dem persischen Einfluß auf griechisches Denken widmet. An sich leuchtet der Gedanke ein, daß die persische Herrschaft über einen Teil der Griechen in Kleinasien Rückwirkungen auf das Griechentum hätte haben müssen. Die Frage ist nur, ob das auch der Fall ist. Nun ist es richtig, daß wegen der Quellenarmut auf persischer Seite manches im dunkeln bleiben muß - hier hätten die Bemühungen Jack Balcers um die Rekonstruktion persischer Sichtweisen erwähnt werden können -, aber auch auf griechischer Seite ist die Ausbeute karg. Die Argumentation konzentriert sich vor allem auf die medisch-persischen Magoi oder Mager, die zwar bis hin zu unseren Magiern eine sehr verzweigte Rezeptionsgeschichte haben, deren Auswirkungen auf griechisches Denken aber doch eher nur postuliert wird. Es irritiert dabei auch, daß gerade in diesem Zusammenhang für denselben Tatbestand an zwei verschiedenen Stellen des Buches sehr unterschiedliche Erklärungen gegeben werden: Während einmal der persische Titel Megabyxos des Oberpriesters der Artemis in Ephesos damit erklärt wird, daß man dort "offenbar die Perserherrschaft emphatisch begrüßte", heißt es später, man habe das sozusagen nur aus taktischen Gründen getan, um sich einen Freiraum gegenüber der persischen Oberherrschaft zu erhalten.
Das Buch stellt trotz einiger kleinerer Unordentlichkeiten ein äußerst willkommenes Ereignis dar, weil es jetzt auch einer größeren Öffentlichkeit plausibel macht, wie eng die geistigen Beziehungen zwischen dem frühen Griechenland und dem späten Alten Orient waren. An sich kommt es dabei ja nur darauf an, ob diese Forschungsergebnisse zutreffen - und sie tun es in den meisten Fällen -, unabhängig davon, ob sie mit einem vorgefaßten Griechenbild übereinstimmen oder nicht. Wenn sie es nicht tun, dann wäre dieses Griechenbild zu revidieren. Jedoch brauchen sich Griechenfreunde keine Sorgen zu machen: "Der griechischen Kultur tut solche Sicht keinen Eintrag". so der Autor. An mehreren Stellen betont er im übrigen zu Recht, daß bei allen Übernahmen und Verarbeitungen das jeweilige Ergebnis doch "unverwechselbar griechisch" war - wobei man allenfalls fragen könnte, was konkret damit gemeint sei.
WOLFGANG SCHULLER
Walter Burkert: "Die Griechen und der Orient". C.H. Beck Verlag, München 2003. 176 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Heinz Schlaffer hat an Darstellung und Inhalt von Walter Burkerts Überblick der griechisch-orientalischen Beziehungen rein gar nichts auszusetzen. "Allgemein verständlich" vermittle der Autor Fachgelehrten und Laien die orientalischen Einflüsse auf die griechische Kultur, von der Ilias über die Schrift bis hin zu Platons Lehre von der himmlischen Heimat der Seele. "Wie der Blick in die Werkstatt eines Meisters" gewähre das Buch einen informativen Einblick in die Bandbreite der frühen gegenseitigen Beeinflussung der zwei Regionen. Schlaffer betont, dass dieses Buch Ergebnis jahrzehntelanger Forschung ist, und Burkert keineswegs dem derzeitigen Trend nach der dunklen, mythischen Seite Griechenlands entgegenkommt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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