Produktdetails
- Periagoge
- Verlag: Brill Fink / Brill Fink
- Artikelnr. des Verlages: 1882474
- 1995
- Seitenzahl: 138
- Deutsch
- Abmessung: 215mm
- Gewicht: 186g
- ISBN-13: 9783770530557
- ISBN-10: 3770530551
- Artikelnr.: 05909324
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.07.1996Dämonisch verschlossene Seelen
Eric Voegelins abweichende Meinungen zu Machiavelli, Thomas Morus und Max Weber
Über Eric Voegelins monumentaler "History of Political Ideas" stand von Anfang an ein Unstern. In der amerikanischen Emigration konzipiert und begonnen, beschäftigte das Werk den Autor von 1939 an bis in die fünfziger Jahre hinein. Es wuchs im Lauf der Zeit auf zweitausend Manuskriptseiten an, doch das Buch erblickte, von kleinen Bruchstücken abgesehen, nie das Licht der Öffentlichkeit. Denn während der Autor in mühseliger Arbeit Kapitel um Kapitel schrieb und wieder revidierte, zerbrach ihm das Konzept unter den Händen: Aus politischen Ideen wurden "politische Symbole", aus einem Entwurf der Philosophiegeschichte wurde ein Stück politischer Philosophie. Schließlich ging es bei dem Unternehmen, wie Voegelin im Januar 1950 an Leo Strauss schrieb, um Fragen geistiger und politischer Ordnung überhaupt, um eine "Geschichte der existentiellen Wandlungen . . . , in denen die ,Wahrheit' in den Blick kommt, verdunkelt wird, verlorengeht und wiedergewonnen wird".
So blieb die "History" als Steinbruch am Weg zurück: Ihre älteren Partien (Ägypten, Israel, Griechenland) gingen in Voegelins fünfbändiges Hauptwerk "Order and History" ein, während die Neuzeit-Kapitel unveröffentlicht blieben und bis vor kurzem unbekannt waren. Erst 1994 gab Peter J. Opitz aus diesem Bestand unterschiedlich entwickelter und ausgearbeiteter Texte den Band "Das Volk Gottes" heraus. Inzwischen liegen mit Voegelins Arbeiten über Niccolò Machiavelli, Thomas Morus und Max Weber zwei weitere Teilstücke vor.
Thomas Morus gilt Eric Voegelins herzliche Antipathie - fast erscheint er als der sprichwörtliche Wolf im Schafspelz. "Dämonismus der Macht", jedoch in der Verkleidung eines Ideals, was die Sache nur schlimmer macht - auf diese nicht ganz neue Formel bringt Voegelin den englischen Lordkanzler: der Humanist im Staatskleid des britischen cant.
"Morus", so heißt es, "ist nicht die Ursache für das, was in der tatsächlichen Geschichte auf ihn folgte - aber hier finden wir zum ersten Mal einen Schimmer des internationalen und interzivilisatorischen Feldes der Politik, auf dem jeder ein Ideal wie die ,Utopia' hat und sich infolgedessen berechtigt fühlt, die Prinzipien der Gerechtigkeit für jeden anderen festzulegen - mit der daraus folgenden Rationalität der Kriegsführung im Dienste des Ideals. Also sehen wir die historische Bedeutung von Morus in der Tatsache, daß wir in seiner ,Utopia' die Bildung eines Komplexes von Gefühlen und Ideen beobachten können, der in den folgenden Jahrhunderten ein entscheidender Faktor der westlichen Geschichte werden wird. Die tatsächlich begangenen Grausamkeiten des westlichen Kolonialimperialismus, des Nationalsozialismus und Kommunismus bezeichnen den Endpunkt einer Entwicklung, deren Beginn gekennzeichnet ist von der spielerischen Grausamkeit des humanistischen Intellektuellen."
Das ist provokant, auf Voegelinsche Art überspitzt, ja maßlos - aber konsequent vom Standpunkt eines Autors, der im utopischen Denken die Quelle für alle Verfehlungen der Neuzeit sieht. Demgegenüber macht Machiavelli in Voegelins Humanismus-Bilanz eine sehr viel bessere Figur: Nimmt man seine "Unmoral" als eine Gelegenheit, die er weder verschweigt noch heroisiert, so erscheint er als der rationalere Typus, der einfach mit der "animalischen Hälfte" des Menschen rechnet wie ein philosophischer Naturbetrachter - Politik als ein Stück Pathologie des Menschen.
Voegelin sieht Machiavelli freilich nur vom Ende, von der Neuzeit her als einen Denker, der die Konsequenzen aus dem Zerbrechen der christianitas und der Heraufkunft der Nationen zieht; wenig Aufmerksamkeit verwendet er auf seine Quellen, auf das literarische Genre, die Fürstenspiegeltradition, in welcher der "Principe" (als ein zugegebenermaßen degenerierter Sproß) verwurzelt ist; auch schwankt er zwischen einer antik-naturalistischen und einer christlich-apokalyptischen Deutung des Florentiners; er betont die neuheidnischen Züge - obwohl er auch das "Feuer der Apokalypse" wahrnimmt, das im "Principe" brennt.
Beide, Machiavelli wie Morus, stehen bei Voegelin für den Übergang von der christlichen zur revolutionären innerweltlichen Eschatologie - die christliche Erlösung wird zur Teleologie einer ganz und gar irdischen Vollendung, sei es im herrischen Selbstgenuß der Macht (Machiavelli), sei es im fernen, die Phantasie befeuernden Glück des "Nirgendwo" (Morus). Schon hier findet sich Voegelins berühmte und vielfältigen Widerspruch erregende Formel von der "dämonischen Verschließung der Seele gegenüber der transzendentalen Wirklichkeit" - in seinen Augen haben die Humanisten keine "Renaissance" des Altertums herbeigeführt, im Gegenteil, sie sind hinter Platon zurückgefallen in Volksmythen, zyklische Geschichtsauffassungen und den "Tribalismus der jeweiligen Gesellschaft".
Leider haben die Bearbeiter Voegelins komplexe Ausführungen mit einem "Glossar" angereichert, das mehr Verwirrung stiftet als Klarheit verbreitet: nicht nur, daß Thomas' und Dantes Werke falsch zitiert sind, mehrere französische und italienische Namen falsch geschrieben werden, Hieronymus zu Hieronimus und Goethes Suleika zu Sulaika wird - der Leser wird auch durch die Mitteilung überrascht, nach Eric Voegelin habe etwa auch Max Scheler den Begriff "Pleonexia" (Mehrhabenwollen) verwendet. Sollte hier eine studentische Hilfskraft die Lebensdaten deutscher Denker neckisch durcheinandergebracht haben? Man kann den Bearbeitern nur raten, dieses Glossar in der nächsten Auflage stillschweigend aus dem Verkehr zu ziehen. Ungern möchte man noch einmal der "Grand Chartreus" (sic!) als Ursprung des Kartäuserordens begegnen oder gar dem Dichter Tassilo (statt Tasso).
Besser gelungen ist die Sicherung der Spuren im Fall der (deutschsprachigen) Texte Voegelins über Max Weber. Sie beginnen 1925 mit einem Aufsatz "Über Max Weber" in der "Deutschen Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte" und enden 1964 mit dem - hier zum ersten Mal veröffentlichten - Vortrag über "Die Größe Max Webers" bei der Max-Weber-Feier der Münchner Universität. Dazwischen eine Weber-Rede in Wien (1930), die Korrespondenz mit Leopold von Wiese und Marianne Weber 1930 bis 1936 und die Weber-Bilanz aus Voegelins "Neuer Wissenschaft der Politik" (1952). Die Auseinandersetzung mit Person und Werk Max Webers hat Eric Voegelin ein Leben lang begleitet.
Doch auch dieser Heros der Sozialwissenschaft - halb Vollender, halb Überwinder des Positivismus - blieb schließlich für Voegelin "am Weg zurück": "Er wußte, wonach es ihn verlangte, aber er konnte nicht dahin gelangen; er sah das gelobte Land, aber er durfte es nicht betreten." So ist Voegelins Münchner Max-Weber-Rede zugleich ein Dokument des Abschieds - nicht unähnlich der großen Abrechnung im Weber-Kapitel von Leo Strauss' "Naturrecht und Geschichte", freilich melancholischer, verständnisvoller, mitleidender. In Voegelins Perspektive verschmilzt Webers Gestalt mit der des Wanderers aus Morus' "Utopia", der auf Reisen durch die ganze Welt vergeblich nach dem Sinn des Lebens sucht und am Ende seinem Freund bekennt: "Wo immer ich bin auf meinen Wanderungen . . . , ich bin immer gleich weit weg von Gott." HANS MAIER
Eric Voegelin: "Die spielerische Grausamkeit der Humanisten". Studien zu Niccolò Machiavelli und Thomas Morus. Aus dem Englischen und mit einem Vorwort von Dietmar Herz. Nachwort von Peter J. Opitz. Wilhelm Fink Verlag, München 1995. 206S., br., 48,- DM.
Eric Voegelin: "Die Größe Max Webers". Herausgegeben und mit einem Nachwort von Peter J. Opitz. Wilhelm Fink Verlag, München 1995. 138S., br., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eric Voegelins abweichende Meinungen zu Machiavelli, Thomas Morus und Max Weber
Über Eric Voegelins monumentaler "History of Political Ideas" stand von Anfang an ein Unstern. In der amerikanischen Emigration konzipiert und begonnen, beschäftigte das Werk den Autor von 1939 an bis in die fünfziger Jahre hinein. Es wuchs im Lauf der Zeit auf zweitausend Manuskriptseiten an, doch das Buch erblickte, von kleinen Bruchstücken abgesehen, nie das Licht der Öffentlichkeit. Denn während der Autor in mühseliger Arbeit Kapitel um Kapitel schrieb und wieder revidierte, zerbrach ihm das Konzept unter den Händen: Aus politischen Ideen wurden "politische Symbole", aus einem Entwurf der Philosophiegeschichte wurde ein Stück politischer Philosophie. Schließlich ging es bei dem Unternehmen, wie Voegelin im Januar 1950 an Leo Strauss schrieb, um Fragen geistiger und politischer Ordnung überhaupt, um eine "Geschichte der existentiellen Wandlungen . . . , in denen die ,Wahrheit' in den Blick kommt, verdunkelt wird, verlorengeht und wiedergewonnen wird".
So blieb die "History" als Steinbruch am Weg zurück: Ihre älteren Partien (Ägypten, Israel, Griechenland) gingen in Voegelins fünfbändiges Hauptwerk "Order and History" ein, während die Neuzeit-Kapitel unveröffentlicht blieben und bis vor kurzem unbekannt waren. Erst 1994 gab Peter J. Opitz aus diesem Bestand unterschiedlich entwickelter und ausgearbeiteter Texte den Band "Das Volk Gottes" heraus. Inzwischen liegen mit Voegelins Arbeiten über Niccolò Machiavelli, Thomas Morus und Max Weber zwei weitere Teilstücke vor.
Thomas Morus gilt Eric Voegelins herzliche Antipathie - fast erscheint er als der sprichwörtliche Wolf im Schafspelz. "Dämonismus der Macht", jedoch in der Verkleidung eines Ideals, was die Sache nur schlimmer macht - auf diese nicht ganz neue Formel bringt Voegelin den englischen Lordkanzler: der Humanist im Staatskleid des britischen cant.
"Morus", so heißt es, "ist nicht die Ursache für das, was in der tatsächlichen Geschichte auf ihn folgte - aber hier finden wir zum ersten Mal einen Schimmer des internationalen und interzivilisatorischen Feldes der Politik, auf dem jeder ein Ideal wie die ,Utopia' hat und sich infolgedessen berechtigt fühlt, die Prinzipien der Gerechtigkeit für jeden anderen festzulegen - mit der daraus folgenden Rationalität der Kriegsführung im Dienste des Ideals. Also sehen wir die historische Bedeutung von Morus in der Tatsache, daß wir in seiner ,Utopia' die Bildung eines Komplexes von Gefühlen und Ideen beobachten können, der in den folgenden Jahrhunderten ein entscheidender Faktor der westlichen Geschichte werden wird. Die tatsächlich begangenen Grausamkeiten des westlichen Kolonialimperialismus, des Nationalsozialismus und Kommunismus bezeichnen den Endpunkt einer Entwicklung, deren Beginn gekennzeichnet ist von der spielerischen Grausamkeit des humanistischen Intellektuellen."
Das ist provokant, auf Voegelinsche Art überspitzt, ja maßlos - aber konsequent vom Standpunkt eines Autors, der im utopischen Denken die Quelle für alle Verfehlungen der Neuzeit sieht. Demgegenüber macht Machiavelli in Voegelins Humanismus-Bilanz eine sehr viel bessere Figur: Nimmt man seine "Unmoral" als eine Gelegenheit, die er weder verschweigt noch heroisiert, so erscheint er als der rationalere Typus, der einfach mit der "animalischen Hälfte" des Menschen rechnet wie ein philosophischer Naturbetrachter - Politik als ein Stück Pathologie des Menschen.
Voegelin sieht Machiavelli freilich nur vom Ende, von der Neuzeit her als einen Denker, der die Konsequenzen aus dem Zerbrechen der christianitas und der Heraufkunft der Nationen zieht; wenig Aufmerksamkeit verwendet er auf seine Quellen, auf das literarische Genre, die Fürstenspiegeltradition, in welcher der "Principe" (als ein zugegebenermaßen degenerierter Sproß) verwurzelt ist; auch schwankt er zwischen einer antik-naturalistischen und einer christlich-apokalyptischen Deutung des Florentiners; er betont die neuheidnischen Züge - obwohl er auch das "Feuer der Apokalypse" wahrnimmt, das im "Principe" brennt.
Beide, Machiavelli wie Morus, stehen bei Voegelin für den Übergang von der christlichen zur revolutionären innerweltlichen Eschatologie - die christliche Erlösung wird zur Teleologie einer ganz und gar irdischen Vollendung, sei es im herrischen Selbstgenuß der Macht (Machiavelli), sei es im fernen, die Phantasie befeuernden Glück des "Nirgendwo" (Morus). Schon hier findet sich Voegelins berühmte und vielfältigen Widerspruch erregende Formel von der "dämonischen Verschließung der Seele gegenüber der transzendentalen Wirklichkeit" - in seinen Augen haben die Humanisten keine "Renaissance" des Altertums herbeigeführt, im Gegenteil, sie sind hinter Platon zurückgefallen in Volksmythen, zyklische Geschichtsauffassungen und den "Tribalismus der jeweiligen Gesellschaft".
Leider haben die Bearbeiter Voegelins komplexe Ausführungen mit einem "Glossar" angereichert, das mehr Verwirrung stiftet als Klarheit verbreitet: nicht nur, daß Thomas' und Dantes Werke falsch zitiert sind, mehrere französische und italienische Namen falsch geschrieben werden, Hieronymus zu Hieronimus und Goethes Suleika zu Sulaika wird - der Leser wird auch durch die Mitteilung überrascht, nach Eric Voegelin habe etwa auch Max Scheler den Begriff "Pleonexia" (Mehrhabenwollen) verwendet. Sollte hier eine studentische Hilfskraft die Lebensdaten deutscher Denker neckisch durcheinandergebracht haben? Man kann den Bearbeitern nur raten, dieses Glossar in der nächsten Auflage stillschweigend aus dem Verkehr zu ziehen. Ungern möchte man noch einmal der "Grand Chartreus" (sic!) als Ursprung des Kartäuserordens begegnen oder gar dem Dichter Tassilo (statt Tasso).
Besser gelungen ist die Sicherung der Spuren im Fall der (deutschsprachigen) Texte Voegelins über Max Weber. Sie beginnen 1925 mit einem Aufsatz "Über Max Weber" in der "Deutschen Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte" und enden 1964 mit dem - hier zum ersten Mal veröffentlichten - Vortrag über "Die Größe Max Webers" bei der Max-Weber-Feier der Münchner Universität. Dazwischen eine Weber-Rede in Wien (1930), die Korrespondenz mit Leopold von Wiese und Marianne Weber 1930 bis 1936 und die Weber-Bilanz aus Voegelins "Neuer Wissenschaft der Politik" (1952). Die Auseinandersetzung mit Person und Werk Max Webers hat Eric Voegelin ein Leben lang begleitet.
Doch auch dieser Heros der Sozialwissenschaft - halb Vollender, halb Überwinder des Positivismus - blieb schließlich für Voegelin "am Weg zurück": "Er wußte, wonach es ihn verlangte, aber er konnte nicht dahin gelangen; er sah das gelobte Land, aber er durfte es nicht betreten." So ist Voegelins Münchner Max-Weber-Rede zugleich ein Dokument des Abschieds - nicht unähnlich der großen Abrechnung im Weber-Kapitel von Leo Strauss' "Naturrecht und Geschichte", freilich melancholischer, verständnisvoller, mitleidender. In Voegelins Perspektive verschmilzt Webers Gestalt mit der des Wanderers aus Morus' "Utopia", der auf Reisen durch die ganze Welt vergeblich nach dem Sinn des Lebens sucht und am Ende seinem Freund bekennt: "Wo immer ich bin auf meinen Wanderungen . . . , ich bin immer gleich weit weg von Gott." HANS MAIER
Eric Voegelin: "Die spielerische Grausamkeit der Humanisten". Studien zu Niccolò Machiavelli und Thomas Morus. Aus dem Englischen und mit einem Vorwort von Dietmar Herz. Nachwort von Peter J. Opitz. Wilhelm Fink Verlag, München 1995. 206S., br., 48,- DM.
Eric Voegelin: "Die Größe Max Webers". Herausgegeben und mit einem Nachwort von Peter J. Opitz. Wilhelm Fink Verlag, München 1995. 138S., br., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main