Wir alle sind gemeint - wir, die namenlose Mega-Agentur aus Experten und Spezialisten. Mit unserem geballten Sachwissen und schier unbegrenzten Erfahrungsfundus. Kein Unterneh- men der Welt kann mit uns mithalten. Wir testen Produkte und Dienstleistungen und machen sie groß.
Wie werden Marken eigentlich zu Marken? Spontane Antwort: hauptsächlich durch Werbung. Dieser Konnex freut die Marketing- pro s. Sind sie doch immer noch verliebt in den Gedanken, dass ihre Ideen einem Markenprodukt zum Durchbruch verhelfen. Sie zeigen die Produktwelt von ihrer allerbesten Seite, erzählen pau- senlos vom richtigen und guten Leben und versprechen, Wünsche zu erfüllen, die vielleicht so noch gar nicht existieren. Und weil ihre Bilder so schön, die transportierten Versprechungen so verlockend sind, kaufen die Leute. So weit, so einfach.
Bis jetzt: Denn wenn es so einfach ginge, warum stößt Werbung dann heute auf so wenig Beachtung und Akzeptanz? Und das, ob- wohl sie noch nie so viel Geld,so viel Raum und Zeit verschlungen hat wie in diesen lärmenden Tagen. Genau in diese Parade fährt Hermann Sottong. Der Marken- und Organisationsentwickler dreht das Spiel. Er zeigt, dass es die Alltagsdiskurse und Verständigungs- prozesse der Konsumenten und Nutzer sind, die aus einem x-belie- bigen Angebot eine Marke mit Aufmerksamkeitswert machen.
Im Klartext: Wir, die Konsumenten, sind die eigentlichen Marken- macher. Und damit könnten wir die aufgeblasene PR- und Werbe- welt eigentlich in den Ruhestand schicken.
Wie werden Marken eigentlich zu Marken? Spontane Antwort: hauptsächlich durch Werbung. Dieser Konnex freut die Marketing- pro s. Sind sie doch immer noch verliebt in den Gedanken, dass ihre Ideen einem Markenprodukt zum Durchbruch verhelfen. Sie zeigen die Produktwelt von ihrer allerbesten Seite, erzählen pau- senlos vom richtigen und guten Leben und versprechen, Wünsche zu erfüllen, die vielleicht so noch gar nicht existieren. Und weil ihre Bilder so schön, die transportierten Versprechungen so verlockend sind, kaufen die Leute. So weit, so einfach.
Bis jetzt: Denn wenn es so einfach ginge, warum stößt Werbung dann heute auf so wenig Beachtung und Akzeptanz? Und das, ob- wohl sie noch nie so viel Geld,so viel Raum und Zeit verschlungen hat wie in diesen lärmenden Tagen. Genau in diese Parade fährt Hermann Sottong. Der Marken- und Organisationsentwickler dreht das Spiel. Er zeigt, dass es die Alltagsdiskurse und Verständigungs- prozesse der Konsumenten und Nutzer sind, die aus einem x-belie- bigen Angebot eine Marke mit Aufmerksamkeitswert machen.
Im Klartext: Wir, die Konsumenten, sind die eigentlichen Marken- macher. Und damit könnten wir die aufgeblasene PR- und Werbe- welt eigentlich in den Ruhestand schicken.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2017Werbung nervt
Wie Konsumenten heute Marken machen
Ein Marketing-Coup von Ritter Sport ließ unlängst Einhörner auf den quadratischen Schokoladentafeln des Unternehmens in die Süßwaren-Regale galoppieren. Kunden hatten die weiße Sorte in den sozialen Medien angeregt. In kurzer Zeit legten 150 000 Bestellversuche für die Limited Edition die Homepage des Unternehmens lahm. Der Zuspruch zeigte, wie digitale Interaktion mit Verbrauchern die Spielregeln der Wirtschaft modifiziert. Offenbar verfügen Konsumenten über wachsenden Einfluss am Markt, um eigene Ideen zu realisieren. Für manche Beobachter signalisiert derartige Flexibilität bereits einen Machtwechsel von Produzenten zu Verbrauchern. Besonders die junge Generation wolle nicht nur einen Dialog mit Herstellern, sondern Produkte selbständig mitgestalten.
Ohne Zweifel stellt der in Käuferblogs im Internet sichtbare Wunsch nach größerer Vielfalt des Angebots bis hin zu eigens konfigurierten Erzeugnissen Unternehmen vor neue Herausforderungen. Damit setzen Interessenten heute immer mehr bisherige Regeln der Kundenansprache außer Kraft. Das zwingt zur Anpassung an dieses Konsumverhalten, das Resultat der digitalen Revolution und der multiplen Kommunikation in den sozialen Netzwerken ist.
Sozialer Austausch von Konsumenten über Produkte ist nicht neu: "Marken entstehen wesentlich als Ergebnis eines diskursiven Prozesses. Sie werden nicht vom Marketing, sondern von Konsumenten gemacht", schreibt Hermann Sottong. Dass Handelsmarken zu Marken würden, habe nicht mit dem Geschick von Werbern zu tun, sondern mit Alltagsdiskursen von Verbrauchern. "Je intensiver sich Konsumenten über eine Leistung oder ein Angebot austauschen, desto schneller kann eine neue Marke entstehen. Markenbildung und Markenruf gehen de facto wesentlich auf die Intensität des Austauschs von Kunden zurück." Der digitale, mobile und vernetzte Kunde von heute trete dabei zunehmend als eigentlicher Markenmacher in Erscheinung. Er habe die Macht, Marken entstehen zu lassen, und bilde zusammen mit dem Rest der Netzgemeinde "eine namenlose Mega-Agentur".
An bekannten Beispielen, allen voran "Red Bull", zeigt der Autor, wie erst durch öffentliche Diskurse ein beliebiges Angebot zu einer Marke mit echtem Aufmerksamkeitswert wird. Vor allem aber, wie heute die sozialen Medien diesen Dialog befördern: "Der ehemals eher unterirdisch fließende Strom der Konsumentenkommunikation tritt nun an die Oberfläche und verbreitert sich beträchtlich", sagt Sottong: "Noch nie konnten sich Konsumenten besser gegenseitig beobachten, miteinander in Kontakt treten, untereinander austauschen als heute. Noch nie waren sie unabhängiger von den Botschaften der Unternehmen und Markeninhaber. Mit ihrer Macht, selbst Marken zu machen, wächst ein neues Selbstbewusstsein der Konsumenten heran."
Sottong, der eine Beratungsagentur für Unternehmenskommunikation betreibt und sich seit seinem Studium und der Promotion mit Semiotik und Zeichentheorie befasst, diagnostiziert eine allgemeine Vertrauenskrise gegenüber aktueller Werbung und deren schönfärberischen Marken-Versprechen voller Übertreibungen: "Werbung nervt und löst heute Fluchtbewegung aus", konstatiert er. Das habe mit dem Fake-Gebaren zu tun, das zur üblichen Strategie von Werbern geworden sei: "Nicht einmal der Werbeprofi erwartet ernsthaft, dass irgendjemand den Versprechungen der Werbespots glaubt", resümiert er. Genüsslich spießt er an sattsam bekannten Beispielen aus der Automobil- und Kosmetikindustrie die hyperbolische Steigerung von Produktmerkmalen auf, mit denen Werber auf dem übersättigten Markt Wünsche zu wecken und imaginären Nutzen zu konstruieren suchen.
Das gängige Marketing sei am Ende. Denn die Verbraucher hätten genug von der Übertreibung und dem Illusionismus, den die Werbebranche zelebriere. Das Gefühl, dass Werbung lüge, sei vor allem bei Jüngeren verbreitet, dabei der Branche durchaus bewusst: "Mit Argwohn betrachten Werber die ,millennial generation', die immer ignoranter gegenüber Werbeversprechen und ganzen Produktgruppen zu werden scheint."
Im letzten Kapitel beschäftigt sich Sottong mit der Zukunft von Marken in der digitalen Kultur. Der Blick gilt dabei nicht zuletzt seiner eigenen Klientel. Also "den Werbetreibenden, die ein adäquates Verständnis der digitalen Medien noch immer nicht gefunden haben", sowie "den Markeneigentümern, die sich von der Mentalität und den Annahmen aus der Welt der Sender- und Beschallungsmedien verabschieden müssen". Mit Nachdruck führt der Verfasser vor Augen, dass Verbraucher durch die Digitalisierung der Medien und die Möglichkeit, Ort und Zeitpunkt der Rezeption selbst zu bestimmen, deutlich an Autonomie gewinnen und noch schwerer ansprechbar werden. Die Folge für die Werbebranche: "Wie überall in steigerungslogisch operierenden Systemen stellt sich auch hier das Problem der abnehmenden Grenznutzen bei steigendem Aufwand und damit auch steigenden Kosten. Wir wohnen einem Hase-und-Igel-Spiel zwischen Werbetreibenden und Rezipienten bei, allerdings unter umgekehrtem Vorzeichen."
Marken der Zukunft seien Diskursmarken, sagt Sottong. Er rät Markenproduzenten, Kundenbewertungen und Chats in den sozialen Netzwerken intensiv zu beobachten und sich selbst auf Gespräche mit Kunden einzulassen. Solche Kommunikation könne nicht nur bestehende Marken erfolgreicher machen, sondern auch neue Marken im Diskurs erschaffen und sogar alte reaktivieren. Denn Marken lebten nicht selten im Dialog weiter, obwohl der Produzent sie längst habe sterben lassen. Der Beweis sei die Renaissance ostdeutscher Produkte: "Gerade die Wiederbelebung vieler ehemaliger DDR-Marken verdankt sich dem Umstand, dass sie erst durch ihr faktisches oder scheinbares Verschwinden zu starken Diskursmarken geworden waren." Die Digitalisierung half dem nostalgischen Markendiskurs der Verbraucher.
ULLA FÖLSING
Hermann Sottong: Die größte Agentur der Welt. Murmann Verlag. Hamburg 2017. 216 Seiten. 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie Konsumenten heute Marken machen
Ein Marketing-Coup von Ritter Sport ließ unlängst Einhörner auf den quadratischen Schokoladentafeln des Unternehmens in die Süßwaren-Regale galoppieren. Kunden hatten die weiße Sorte in den sozialen Medien angeregt. In kurzer Zeit legten 150 000 Bestellversuche für die Limited Edition die Homepage des Unternehmens lahm. Der Zuspruch zeigte, wie digitale Interaktion mit Verbrauchern die Spielregeln der Wirtschaft modifiziert. Offenbar verfügen Konsumenten über wachsenden Einfluss am Markt, um eigene Ideen zu realisieren. Für manche Beobachter signalisiert derartige Flexibilität bereits einen Machtwechsel von Produzenten zu Verbrauchern. Besonders die junge Generation wolle nicht nur einen Dialog mit Herstellern, sondern Produkte selbständig mitgestalten.
Ohne Zweifel stellt der in Käuferblogs im Internet sichtbare Wunsch nach größerer Vielfalt des Angebots bis hin zu eigens konfigurierten Erzeugnissen Unternehmen vor neue Herausforderungen. Damit setzen Interessenten heute immer mehr bisherige Regeln der Kundenansprache außer Kraft. Das zwingt zur Anpassung an dieses Konsumverhalten, das Resultat der digitalen Revolution und der multiplen Kommunikation in den sozialen Netzwerken ist.
Sozialer Austausch von Konsumenten über Produkte ist nicht neu: "Marken entstehen wesentlich als Ergebnis eines diskursiven Prozesses. Sie werden nicht vom Marketing, sondern von Konsumenten gemacht", schreibt Hermann Sottong. Dass Handelsmarken zu Marken würden, habe nicht mit dem Geschick von Werbern zu tun, sondern mit Alltagsdiskursen von Verbrauchern. "Je intensiver sich Konsumenten über eine Leistung oder ein Angebot austauschen, desto schneller kann eine neue Marke entstehen. Markenbildung und Markenruf gehen de facto wesentlich auf die Intensität des Austauschs von Kunden zurück." Der digitale, mobile und vernetzte Kunde von heute trete dabei zunehmend als eigentlicher Markenmacher in Erscheinung. Er habe die Macht, Marken entstehen zu lassen, und bilde zusammen mit dem Rest der Netzgemeinde "eine namenlose Mega-Agentur".
An bekannten Beispielen, allen voran "Red Bull", zeigt der Autor, wie erst durch öffentliche Diskurse ein beliebiges Angebot zu einer Marke mit echtem Aufmerksamkeitswert wird. Vor allem aber, wie heute die sozialen Medien diesen Dialog befördern: "Der ehemals eher unterirdisch fließende Strom der Konsumentenkommunikation tritt nun an die Oberfläche und verbreitert sich beträchtlich", sagt Sottong: "Noch nie konnten sich Konsumenten besser gegenseitig beobachten, miteinander in Kontakt treten, untereinander austauschen als heute. Noch nie waren sie unabhängiger von den Botschaften der Unternehmen und Markeninhaber. Mit ihrer Macht, selbst Marken zu machen, wächst ein neues Selbstbewusstsein der Konsumenten heran."
Sottong, der eine Beratungsagentur für Unternehmenskommunikation betreibt und sich seit seinem Studium und der Promotion mit Semiotik und Zeichentheorie befasst, diagnostiziert eine allgemeine Vertrauenskrise gegenüber aktueller Werbung und deren schönfärberischen Marken-Versprechen voller Übertreibungen: "Werbung nervt und löst heute Fluchtbewegung aus", konstatiert er. Das habe mit dem Fake-Gebaren zu tun, das zur üblichen Strategie von Werbern geworden sei: "Nicht einmal der Werbeprofi erwartet ernsthaft, dass irgendjemand den Versprechungen der Werbespots glaubt", resümiert er. Genüsslich spießt er an sattsam bekannten Beispielen aus der Automobil- und Kosmetikindustrie die hyperbolische Steigerung von Produktmerkmalen auf, mit denen Werber auf dem übersättigten Markt Wünsche zu wecken und imaginären Nutzen zu konstruieren suchen.
Das gängige Marketing sei am Ende. Denn die Verbraucher hätten genug von der Übertreibung und dem Illusionismus, den die Werbebranche zelebriere. Das Gefühl, dass Werbung lüge, sei vor allem bei Jüngeren verbreitet, dabei der Branche durchaus bewusst: "Mit Argwohn betrachten Werber die ,millennial generation', die immer ignoranter gegenüber Werbeversprechen und ganzen Produktgruppen zu werden scheint."
Im letzten Kapitel beschäftigt sich Sottong mit der Zukunft von Marken in der digitalen Kultur. Der Blick gilt dabei nicht zuletzt seiner eigenen Klientel. Also "den Werbetreibenden, die ein adäquates Verständnis der digitalen Medien noch immer nicht gefunden haben", sowie "den Markeneigentümern, die sich von der Mentalität und den Annahmen aus der Welt der Sender- und Beschallungsmedien verabschieden müssen". Mit Nachdruck führt der Verfasser vor Augen, dass Verbraucher durch die Digitalisierung der Medien und die Möglichkeit, Ort und Zeitpunkt der Rezeption selbst zu bestimmen, deutlich an Autonomie gewinnen und noch schwerer ansprechbar werden. Die Folge für die Werbebranche: "Wie überall in steigerungslogisch operierenden Systemen stellt sich auch hier das Problem der abnehmenden Grenznutzen bei steigendem Aufwand und damit auch steigenden Kosten. Wir wohnen einem Hase-und-Igel-Spiel zwischen Werbetreibenden und Rezipienten bei, allerdings unter umgekehrtem Vorzeichen."
Marken der Zukunft seien Diskursmarken, sagt Sottong. Er rät Markenproduzenten, Kundenbewertungen und Chats in den sozialen Netzwerken intensiv zu beobachten und sich selbst auf Gespräche mit Kunden einzulassen. Solche Kommunikation könne nicht nur bestehende Marken erfolgreicher machen, sondern auch neue Marken im Diskurs erschaffen und sogar alte reaktivieren. Denn Marken lebten nicht selten im Dialog weiter, obwohl der Produzent sie längst habe sterben lassen. Der Beweis sei die Renaissance ostdeutscher Produkte: "Gerade die Wiederbelebung vieler ehemaliger DDR-Marken verdankt sich dem Umstand, dass sie erst durch ihr faktisches oder scheinbares Verschwinden zu starken Diskursmarken geworden waren." Die Digitalisierung half dem nostalgischen Markendiskurs der Verbraucher.
ULLA FÖLSING
Hermann Sottong: Die größte Agentur der Welt. Murmann Verlag. Hamburg 2017. 216 Seiten. 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main