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Das neue Buch von Daniel Everett!
In "Das glücklichste Volk", einem internationalen Bestseller, hat Daniel Everett packend seine Zeit bei den Pirahã im Amazonasgebiet geschildert. In seinem neuen Buch widmet er sich nun seiner eigentlichen Profession: der menschlichen Sprache. Everett untersucht, wie Sprache entsteht und warum es solch eine unglaubliche sprachliche Vielfalt in der Welt gibt. Gestützt auf seine jahrelange Forschung im brasilianischen Amazonasgebiet, bei den Pirahã und anderen indigenen Völkern, kommt Everett zu einer revolutionären Erkenntnis: Eine Universalgrammatik, die…mehr

Produktbeschreibung
Das neue Buch von Daniel Everett!

In "Das glücklichste Volk", einem internationalen Bestseller, hat Daniel Everett packend seine Zeit bei den Pirahã im Amazonasgebiet geschildert. In seinem neuen Buch widmet er sich nun seiner eigentlichen Profession: der menschlichen Sprache. Everett untersucht, wie Sprache entsteht und warum es solch eine unglaubliche sprachliche Vielfalt in der Welt gibt. Gestützt auf seine jahrelange Forschung im brasilianischen Amazonasgebiet, bei den Pirahã und anderen indigenen Völkern, kommt Everett zu einer revolutionären Erkenntnis: Eine Universalgrammatik, die angeboren und im menschlichen Gehirn verankert ist, gibt es nicht. Vielmehr entstehen Sprachen immer in einer speziellen Kultur, von der sie geformt und auf deren Bedürfnisse sie ausgerichtet ist. Deswegen folgen auch nicht alle Sprachen gemeinsamen grammatischen Prinzipien - eine Erkenntnis, mit der sich Everett gegen die herrschende Meinung der Linguistik stellt. Sprache, so ist Everett überzeugt, ist ein Werkzeug, das, ähnlich wie Pfeil und Bogen, vom Menschen erfunden wurde. Sprache ist die größte Erfindung der Menschheit.
Autorenporträt
Daniel Everett, geboren 1951 in Kalifornien, ist Professor für Linguistik an der Illinois State University. 1977 reiste er zum ersten Mal als Missionar zu den Pirahã in das brasilianische Amazonasgebiet, widmete sich jedoch bald nur noch der Erforschung ihrer Sprache und Kultur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2013

Ist die Grammatik eine Sache der Kultur?

Daniel Everett verficht seine These, dass die Verschiedenheit der Sprachen in unterschiedlichen Lebensformen wurzle - und übergeht dabei die Argumente seiner Kritiker.

Bekannt geworden durch seine linguistischen Forschungen im Amazonas-Becken, präsentiert Daniel Everett in seinem neuen Buch die menschlichen Sprachen als Werkzeuge, die nur zu erklären sind, wenn man sie als kulturelle Produkte begreift. Auf den ersten Blick ist das keine Neuigkeit: Dass sich die Kultur, von der Religion bis zur Technik, im Wortschatz und in den Metaphern einer Sprache niederschlägt, liegt auf der Hand. Aber Everett geht weiter: Für ihn ist auch die Grammatik bis in die Details der Flexion und des Satzbaus hinein ein Produkt der Lebensumstände, der Werte und der Weltwahrnehmung einer Gesellschaft. Die großen strukturellen Unterschiede zwischen den Sprachsystemen spiegeln also die Verschiedenheit kultureller Welten.

Damit stellt sich Everett gegen eine naturalistisch geprägte Auffassung von Sprache, wie sie von prominenten Linguisten wie Noam Chomsky und Stephen Pinker vertreten wird: Für sie ist Sprache im Kern kein gesellschaftlich geformtes Werkzeug, sondern ein neurobiologisch verankerter "Instinkt", der bewirkt, dass Kindern in einer normalen sprachlichen Umgebung ihre Muttersprache von selbst zuwächst. Alle Sprachen beruhen danach auf derselben Universalgrammatik, quasi ein Lego-Kasten, der für jede Sprache denselben Bausatz bereithält. Nur welche Steine ausgewählt und wie sie zusammengesteckt werden, variiert in gewissen Grenzen. Die scheinbar enormen Unterschiede zwischen den Sprachen entpuppen sich in dieser Perspektive als oberflächliche Erscheinungen, Arabisch, Latein oder Deutsch schrumpfen zu Dialekten ein und derselben Welt-Sprache.

Zwar leugnet auch Everett nicht, dass das Sprachvermögen im Gehirn verankert ist. Aber er sieht hier kein autonomes Sprachzentrum am Werk, sondern ein Bündel allgemeiner kognitiver Fertigkeiten, die unter anderem auch Sprache ermöglichen und die über ganz unterschiedliche Hirnregionen verteilt sind. Zu diesen Kompetenzen gehören das Erfassen von Kausalitäten, die Verarbeitung schneller Sequenzen, die Unterscheidung von Gestalten und Hintergründen und die Fähigkeit, sich in die Gedanken anderer zu versetzen. Eine entscheidende Rolle spielt für Everett die "Intentionalität" - worunter er die Fähigkeit versteht, Zeichen zu verwenden, um sich mit ihnen auf etwas zu beziehen. So anregend Everetts Streifzüge durch die verschiedenen Gebiete der Sprach- und Kognitionsforschung sind - zu vieles bleibt unverbunden und zu stark an der Oberfläche. Zudem vernachlässigt er viele Besonderheiten des kindlichen Spracherwerbs, die mittlerweile ausgiebig erforscht sind.

Die entscheidende Erkenntnisquelle, aus der sich Everetts antiuniversalistische Stoßrichtung speist, sind seine jahrzehntelangen Feldforschungen zur Sprache der Pirahã, eines wenige hundert Mitglieder zählenden Volkes an einem Nebenfluss des Amazonas. Ihnen widmete er sein vor drei Jahren auf Deutsch erschienenes Buch über "Das glücklichste Volk". Everett war als evangelikaler Missionar zu den Pirahã gekommen. Seinen christlichen Glauben verlor er im Laufe der Zeit, aber er blieb als Linguist und wurde so zu einem der ganz wenigen Kenner dieser Sprache. Was sich ihm im Laufe der Jahre enthüllte, war eine Sprache, die zwar außerordentlich komplexe Wortstrukturen und Intonationsverläufe aufweist, die aber in anderer Hinsicht erstaunlich einfach ist und - aus dem Blickwinkel europäischer Sprachen - elementare Lücken aufweist.

So gibt es Everett zufolge im Pirahã keine eigenständigen Farbbezeichnungen, sondern nur behelfsmäßige Augenblicksbildungen wie "undurchsichtiges Auge" oder "durchsichtiges Auge" für Schwarz und Weiß oder "es ist wie Blut" für Rot. Ein Pronominalsystem existiert nur rudimentär, Wörter für zeitliche Verhältnisse sind ebenfalls ausgesprochen spärlich, grammatische Vergangenheitsformen fehlen ganz. Zu den erstaunlichsten Befunden gehört der völlige Mangel an Zahlwörtern. Unter Linguisten sorgte für besonders viel Aufsehen, dass das Pirahã nicht einmal über "Rekursivität" verfügen soll: Damit ist die Möglichkeit gemeint, untergeordnete in übergeordnete grammatische Strukturen einzubetten, wie es zum Beispiel durch die Verbindung von Haupt- und Nebensätzen geschieht oder durch die Verschränkung präpositionaler Satzteile (in der Kiste auf dem Tisch).

Everett betont, dass die vermeintliche "Mängelliste" weder von der Primitivität der Sprache noch von der mangelnden Intelligenz ihrer Sprecher zeuge. Für ihn ist hier vielmehr eine Kultur wirksam, die vom "Prinzip der unmittelbaren Erfahrung" geprägt ist. Für die Pirahã zähle nur das, was im Hier und Jetzt wahrzunehmen ist oder was andere aus ihrem Umkreis erlebt haben und beglaubigen können.

Prägen die Besonderheiten ihrer Sprache nun auch die Denk- und Wahrnehmungsweisen der Pirahã, wie die berühmt-berüchtigte Hypothese des Linguisten Benjamin Whorf von der sprachlichen Determiniertheit der Weltbilder behauptet? Everetts Antwort fällt differenziert aus: In den Erzählungen der Pirahã entdeckt er durchaus rekursives Denken, auch wenn die entsprechenden Konstruktionen in der Grammatik nicht vorkommen. Auch die Farbwahrnehmung unterscheidet sich nicht wesentlich von der in Sprachgemeinschaften mit einem ausgebauten Farbwortschatz. Das Konzept der Zahlen und des Rechnens allerdings scheint den Pirahã trotz mehrerer Unterrichtsversuche zutiefst fremd zu bleiben.

Die Passagen, die von Everetts Arbeit bei den Pirahã handeln, gehören zu den interessantesten des Buches. Zugleich jedoch sind sie problematisch, denn ausgeblendet bleibt, dass Everett hier Partei ist in einem Streit, der seit 2005 im Gang ist, als er seine Erkenntnisse in der amerikanischen Zeitschrift "Current Anthropology" veröffentlichte. Die Medien haben Everett - mit Safarihut, im Kanu sitzend - inzwischen zum Indiana Jones der Linguistik stilisiert, der sich im Dauerduell mit Noam Chomsky befindet, dem wiederum die Rolle des gedankenblassen, aber scharfzüngigen Stubengelehrten zufällt.

Doch es gibt ernstzunehmende empirische Einwände gegen Everetts Pirahã-Darstellung. Neben seiner These von der Mythenabstinenz der Pirahã werden vor allem seine linguistischen Beobachtungen in vielen Punkten in Zweifel gezogen. Von diesen Diskussionen erfährt der Leser des Buches nichts. Im Literaturverzeichnis führt Everett nicht einmal seine Forschungsarbeiten, geschweige denn die Aufsätze seiner Opponenten auf.

Vorgetragen wird die Kritik vor allem von den Sprachwissenschaftlern Andrew Nevins, David Pesetsky und Cilene Rodrigues, die selbst eher der universalistischen Schule zuneigen.Sie werfen Everett vor, dass er das Pirahã durch seine Analysen und Übersetzungen viel exotischer erscheinen lasse, als es eigentlich ist. Indem er Wörter und Sätze in einer bewusst verfremdenden Weise zerlege und ihnen etymologische Bedeutungen zuordne, die längst verblasst seien, entstehe erst das Bild einer "ganz anderen" Sprache. In Wirklichkeit, so Everetts Kritiker, fehlen dem Pirahã weder Farbwörter noch rekursive Einbettungen, auch ein rudimentärer Zahlwortschatz sei vorhanden, und viele der vermeintlich außergewöhnlichen Grammatikmerkmale ließen sich in etlichen anderen Sprachen nachweisen.

Was mit dem Vorwurf der "Exotisierung" und "Etymologisierung" gemeint ist, lässt sich am deutschen Wort "grün" illustrieren: Nimmt man seine Wortwurzel, nämlich "wachsen/sprießen", als heutige Bedeutung an, müsste man folgern, dass das Deutsche über keine echte Bezeichnung dieser Farbe verfügt. In ähnlicher Weise ließe sich belegen, dass Deutschen und Österreichern das Reden über abstrakte Denkprozesse eigentlich fremd ist, denn warum müssten sie sonst zu handfesten Umschreibungen wie be-greifen und er-fassen Zuflucht nehmen. Mit der Rekursivität ist es im Deutschen ebenfalls nicht mehr weit her, wenn man aus dem zusammengesetzten Satz "Ich sehe, dass sie arbeitet" die gereihten Hauptsätze "Ich sehe das: Sie arbeitet" macht.

Nun sind Nevins, Pesetsky und Rodrigues wie fast alle Linguisten gegenüber Everett im Hintertreffen, weil sie kein Pirahã sprechen. Stattdessen nutzen sie jedoch Argumente, die Everett selbst ihnen an die Hand gegeben hat: In seinen ersten Forschungsarbeiten zum Pirahã aus den achtziger Jahren analysierte Everett nämlich dieselben sprachlichen Daten noch ganz anders als zwei Jahrzehnte später: Von den Zahlwörtern bis zur Rekursivität - in seinen Beschreibungen aus dieser Zeit ist all das noch vorhanden. Everetts Kritiker halten diese frühen Untersuchungen für empirisch korrekter und logisch konsistenter. Everett selbst hält dagegen, die universalistischen Dogmen hätten ihm damals den Blick auf die Andersartigkeit des Pirahã so verstellt.

Einige Rätsel, die das Pirahã aufgibt, dürften sich jedoch lösen lassen, wenn man einen Blick in die Geschichte europäischer Sprachen wirft: Viele syntaktische Komplexitäten haben sich erst mit dem Entstehen der Schriftlichkeit herausgebildet, über die die Pirahã - wie Tausende anderer Sprachgemeinschaften - nicht verfügen. Gut möglich, dass die Amazonas-Sprache am Ende nicht viel exotischer ist als die Vorläufer des heutigen Deutsch.

WOLFGANG KRISCHKE.

Daniel Everett: "Die größte Erfindung der Menschheit". Was mich meine Jahre am Amazonas über das Wesen der Sprache gelehrt haben.

Aus dem Englischen von Harald Stadler. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2013. 463 S., geb., 24,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Etwas enttäuscht trotz aller Begeisterung für das rhetorische Talent und die Sachkenntnis des Autors Daniel Everett geht Katharina Granzin aus der Lektüre von Everetts Versuch hervor, gegen die Sprachformalisten um Noam Chomsky ins Feld zu ziehen und argumentativ an Austins Sprechakttheorie anzuschließen. Zu polemisch trotz lebendiger Grundlagenvermittlung und gewissenhafter Forschungsrelevanz erscheint ihr der Band in seiner Anlage. Dabei weiß Granzin den Autor durchaus in der Lage, eine Synthese zu wagen zwischen den sich seit je bekämpfenden linguistischen Schulen.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein linguistisch weltenstürzendes Buch!" Frankfurter Rundschau zu "Das glücklichste Volk"