100 Jahre ist es her, dass sich Franz Kafka und Kurt Tucholsky in Prag das erste und einzige Mal trafen. Im September 1911 begegneten sich in der goldenen Stadt zwei Schriftsteller, wie sie auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten: der welt- und wortgewandte Publizist und homme à femme Tucholsky auf der einen, der düstere Einzelgänger Kafka mit seinen kaum fassbaren Geschichten auf der anderen Seite. Jenseits dieser Klischees aber teilen die scheinbar so gegensätzlichen Zeitgenossen weit mehr miteinander als gemeinhin bekannt. In Biographie und Werk zeigen sich überraschende Parallelen, die von familiären Konflikten über charakterliche Dispositionen bis hin zu Motiven und fast wortgleichen Formulierungen in den Texten reichen. Elementar im Leben und Schreiben beider allerdings ist das Kreisen um das Thema Macht: Die verschiedenen Machtinstanzen der persönlichen Erfahrung von der Familie über die Justiz bis hin zur Bürokratie finden - mal direkt, mal auf verschlungenen Wegen - Eingang in die Literatur. Wie sie in den zeitgenössischen Diskursen zu verorten sind, wie sich zwischen Leben und Werk, zwischen Kafka und Tucholsky und ihrer Zeit ein alles verknüpfendes Netz entspinnt, zeigt Sabrina Ebitsch. Schließlich sind beide Autoren - wie es Elias Canetti von Kafka sagte - Experten der Macht.