Es gab Zeiten, da haben Berater einfach Firmen beraten, heute steuern sie in vielen Ländern die Regierungsgeschäfte und beeinflussen die Gesetzgebung. Das Outsourcing von staatlichen Aufgaben hat exorbitant zugenommen, Unsummen an Steuergeldern fließen in die Consulting-Industrie. Ein undurchschaubares System von Verträgen ist entstanden und macht die Frage nach Verantwortlichkeiten kompliziert.Dies ist eine sehr gefährliche Entwicklung, sagt Starökonomin Mariana Mazzucato: Je mehr der Staat an Ressourcen und Wissen verliert, umso mehr verlernt er, seine eigenen Aufgaben zu erfüllen. Gemeinsam mit Rosie Collington enthüllt sie das ganze Ausmaß der Machtverschiebung, legt die Abhängigkeiten offen und zeigt, wie der öffentliche Sektor und damit unsere Demokratie wieder gestärkt werden können.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensent Bodo Morshäuser empfiehlt dieses Buch, das die Ökonomin Mariana Mazzucato gemeinsam mit ihrer Doktorandin Rosie H. Collington verfasst hat, mit kleinen Einschränkungen: Er hätte gern auch etwas mehr über die Situation in Deutschland erfahren, die Autorinnen konzentrieren sich aber vor allem auf Großbritannien. Davon abgesehen aber liest der Kritiker hier nicht nur von den Strategien der Beraterbranche, sondern er lernt auch, welche Folgen es hat, wenn Staaten Aufgaben an Consulting-Firmen übertragen: Dem öffentlichen Sektor gehe nicht nur internes Wissen verloren, wodurch neuer Beratungsbedarf entstehe, erfährt Morshäuser. Zudem haften die Beratungsfirmen nicht und sind auch nicht zu Transparenz verpflichtet. Fall-Beispiele, etwa zum "Klimaschutz-Consulting", verdichten den Band, auch Lösungsvorschläge haben die Autorinnen parat, lobt der Rezensent: So sollten sich Staaten keineswegs vom Markt fernhalten, sondern Ziele formulieren, schreiben die Autorinnen in diesem, wie Morshäuser findet, sorgfältig recherchierten Band.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2023Wie viele Berater der Staat verträgt
Zwei Bücher mit unterschiedlichen Antworten
Der Staat gibt immer mehr Geld für externe Berater aus. Nicht nur der Bund und seine Bundesministerien holen sich regelmäßig Hilfe von Unternehmensberatern, auch die Länder, Gemeinden und Stadtwerke kaufen in größerem Stil den Rat von Dritten ein. Nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberater (BDU) geben alle Kunden aus dem öffentlichen Sektor in Deutschland gemeinsam jährlich grob 4 Milliarden Euro für Berater aus. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich der Umsatz der Berater mit der öffentlichen Hand etwa verdoppelt, wie auch schon in dem Jahrzehnt davor. Für negative Schlagzeilen haben vor allem die Beraterausgaben im Verteidigungsministerium in der Ära Ursula von der Leyens gesorgt, sogar ein Untersuchungsausschuss des Bundestages hat sich damit monatelang befasst.
Zwei neue Bücher haben sich die Beraterausgaben des Staates jetzt genauer vorgeknöpft. Wie kommt es zu dem Anstieg? Und wie ist er zu bewerten? Die beiden Bücher kommen zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen. Das erste Buch trägt den Titel "Die große Consulting-Show: Wie die Beraterbranche unsere Unternehmen schwächt, den Staat unterwandert und die Wirtschaft vereinnahmt". Geschrieben wurde es von der linken Starökonomin Mariana Mazzucato und ihrer Doktorandin Rosie Collington am University College London. Mazzucato ist bekanntermaßen die Lieblingsökonomin von Wirtschaftsminister Robert Habeck. Die beiden Autorinnen lassen wenig Zweifel daran, was sie von dem Anstieg der Beraterausgaben im öffentlichen Sektor halten: gar nichts. Sie plädieren für einen selbstbewussten und unternehmerischen Staat, der industriepolitische Projekte vorantreibt, dafür aber aus den Tentakeln der Berater befreit werden müsse, um wieder selbst handlungsfähig zu werden.
Das zweite Buch schlägt einen anderen Ton an, auch wenn der Titel zunächst anderes vermuten lässt: "Die Berater-Republik: Wie Consultants Milliarden an Staat und Unternehmen verdienen" wurde geschrieben von Thomas Deelmann, er ist Professor für Management und Organisation an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein-Westfalen. Er war früher selbst Unternehmensberater und kann daher auch Innenansichten liefern: "Schon wegen meiner beruflichen Vergangenheit betrachte ich Consultants und ihre Kunden auch mit Wohlwollen", lässt er seine Leser gleich zu Beginn wissen.
Das Buch von Mazzucato und Collington durchzieht eine weitaus größere Skepsis gegenüber Beratern als das Buch Deelmanns, obwohl auch er streckenweise hart mit der Branche ins Gericht geht. Während die beiden Autorinnen die Frage, ob der Staat zu viel Geld für Berater ausgibt, mit einem klaren Ja beantworten, schreibt Deelmann: "Ein reflexhaftes zu viel hilft nicht weiter." Seriös bewerten könne das derzeit niemand, theoretisch könnte es ja auch zu wenig sein. Die Leistung von Beratern lasse sich nur schwer messen. In den Medien werde über missglückte Beratereinsätze häufiger berichtet als über die ruhigen und erfolgreichen. Ein Lobbyist für Berater ist aber auch Deelmann nicht. Er erklärt in seinem Buch viel Grundsätzliches über Unternehmensberater: wie sie ticken, wie sie organisiert sind, wie viel sie verdienen und wie ihr Geschäftsmodell funktioniert. Und auch, welche Tricks sie gerne nutzen, um versteckte Honorarerhöhungen durchzusetzen oder um weitere Aufträge zu erhalten, etwa indem sie ihre Dienste zunächst kostenlos anbieten ("pro bono"), um den Fuß in die Tür zu bekommen. Das sei nicht verwerflich, schreibt Deelmann, doch der Kunde - auch der öffentliche Sektor - sollte darüber Bescheid wissen.
Die beiden Bücher unterscheiden sich nicht nur in ihrer grundsätzlichen Haltung gegenüber Beratern, sie haben auch geographisch unterschiedliche Schwerpunkte: Während sich Mazzucato und Collington vor allem mit der Situation in Großbritannien befassen, analysiert Deelmann hauptsächlich die Situation in Deutschland. Er hat schon vor zwei Jahren eine Chronik über die Berateraffäre der Bundeswehr geschrieben, die aber eher an ein Fachpublikum gerichtet war, mit seinem jetzigen Buch wendet er sich an die Allgemeinheit.
Trotz der unterschiedlichen Herangehensweise finden sich in beiden Büchern auch Gemeinsamkeiten: Mazzucato und Collington treffen einen richtigen Punkt, wenn sie schreiben, dass Organisationen stets darauf achten müssen, lernfähig zu bleiben. Wer die gesamte IT outsource, könne auch langfristig keine eigenen Kompetenzen aufbauen. Die Gefahr, in Abhängigkeiten zu geraten und die Kontrolle zu verlieren, sieht auch Deelmann. Das gilt freilich für öffentliche Auftraggeber genauso wie für Privatunternehmen, deren Beraterausgaben in den vergangenen Jahren genauso steil gestiegen sind. Es sei oft sinnvoll, sich Fach- oder Prozessexpertise von Unternehmensberatern einzukaufen, doch die Steuerung dürfe man nicht aus der Hand geben, schreibt Deelmann zu Recht, letztlich müsse der Kunde der Berater entscheiden und die Verantwortung tragen. "Dreht sich das Verhältnis um, dann ist Gefahr im Verzug." TILLMANN NEUSCHELER
Mariana Mazzucato und Rosie Collington: Die große Consulting-Show. Wie die Beratungsbranche unsere Unternehmen schwächt, den Staat unterwandert und die Wirtschaft vereinnahmt, Campus Verlag, Frankfurt 2023, 328 Seiten, 26 Euro.
Thomas Deelmann: Die Berater-Republik. Wie Consultants Milliarden an Staat und Unternehmen verdienen. Finanzbuch Verlag, München 2023, 256 Seiten, 22 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei Bücher mit unterschiedlichen Antworten
Der Staat gibt immer mehr Geld für externe Berater aus. Nicht nur der Bund und seine Bundesministerien holen sich regelmäßig Hilfe von Unternehmensberatern, auch die Länder, Gemeinden und Stadtwerke kaufen in größerem Stil den Rat von Dritten ein. Nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberater (BDU) geben alle Kunden aus dem öffentlichen Sektor in Deutschland gemeinsam jährlich grob 4 Milliarden Euro für Berater aus. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich der Umsatz der Berater mit der öffentlichen Hand etwa verdoppelt, wie auch schon in dem Jahrzehnt davor. Für negative Schlagzeilen haben vor allem die Beraterausgaben im Verteidigungsministerium in der Ära Ursula von der Leyens gesorgt, sogar ein Untersuchungsausschuss des Bundestages hat sich damit monatelang befasst.
Zwei neue Bücher haben sich die Beraterausgaben des Staates jetzt genauer vorgeknöpft. Wie kommt es zu dem Anstieg? Und wie ist er zu bewerten? Die beiden Bücher kommen zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen. Das erste Buch trägt den Titel "Die große Consulting-Show: Wie die Beraterbranche unsere Unternehmen schwächt, den Staat unterwandert und die Wirtschaft vereinnahmt". Geschrieben wurde es von der linken Starökonomin Mariana Mazzucato und ihrer Doktorandin Rosie Collington am University College London. Mazzucato ist bekanntermaßen die Lieblingsökonomin von Wirtschaftsminister Robert Habeck. Die beiden Autorinnen lassen wenig Zweifel daran, was sie von dem Anstieg der Beraterausgaben im öffentlichen Sektor halten: gar nichts. Sie plädieren für einen selbstbewussten und unternehmerischen Staat, der industriepolitische Projekte vorantreibt, dafür aber aus den Tentakeln der Berater befreit werden müsse, um wieder selbst handlungsfähig zu werden.
Das zweite Buch schlägt einen anderen Ton an, auch wenn der Titel zunächst anderes vermuten lässt: "Die Berater-Republik: Wie Consultants Milliarden an Staat und Unternehmen verdienen" wurde geschrieben von Thomas Deelmann, er ist Professor für Management und Organisation an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein-Westfalen. Er war früher selbst Unternehmensberater und kann daher auch Innenansichten liefern: "Schon wegen meiner beruflichen Vergangenheit betrachte ich Consultants und ihre Kunden auch mit Wohlwollen", lässt er seine Leser gleich zu Beginn wissen.
Das Buch von Mazzucato und Collington durchzieht eine weitaus größere Skepsis gegenüber Beratern als das Buch Deelmanns, obwohl auch er streckenweise hart mit der Branche ins Gericht geht. Während die beiden Autorinnen die Frage, ob der Staat zu viel Geld für Berater ausgibt, mit einem klaren Ja beantworten, schreibt Deelmann: "Ein reflexhaftes zu viel hilft nicht weiter." Seriös bewerten könne das derzeit niemand, theoretisch könnte es ja auch zu wenig sein. Die Leistung von Beratern lasse sich nur schwer messen. In den Medien werde über missglückte Beratereinsätze häufiger berichtet als über die ruhigen und erfolgreichen. Ein Lobbyist für Berater ist aber auch Deelmann nicht. Er erklärt in seinem Buch viel Grundsätzliches über Unternehmensberater: wie sie ticken, wie sie organisiert sind, wie viel sie verdienen und wie ihr Geschäftsmodell funktioniert. Und auch, welche Tricks sie gerne nutzen, um versteckte Honorarerhöhungen durchzusetzen oder um weitere Aufträge zu erhalten, etwa indem sie ihre Dienste zunächst kostenlos anbieten ("pro bono"), um den Fuß in die Tür zu bekommen. Das sei nicht verwerflich, schreibt Deelmann, doch der Kunde - auch der öffentliche Sektor - sollte darüber Bescheid wissen.
Die beiden Bücher unterscheiden sich nicht nur in ihrer grundsätzlichen Haltung gegenüber Beratern, sie haben auch geographisch unterschiedliche Schwerpunkte: Während sich Mazzucato und Collington vor allem mit der Situation in Großbritannien befassen, analysiert Deelmann hauptsächlich die Situation in Deutschland. Er hat schon vor zwei Jahren eine Chronik über die Berateraffäre der Bundeswehr geschrieben, die aber eher an ein Fachpublikum gerichtet war, mit seinem jetzigen Buch wendet er sich an die Allgemeinheit.
Trotz der unterschiedlichen Herangehensweise finden sich in beiden Büchern auch Gemeinsamkeiten: Mazzucato und Collington treffen einen richtigen Punkt, wenn sie schreiben, dass Organisationen stets darauf achten müssen, lernfähig zu bleiben. Wer die gesamte IT outsource, könne auch langfristig keine eigenen Kompetenzen aufbauen. Die Gefahr, in Abhängigkeiten zu geraten und die Kontrolle zu verlieren, sieht auch Deelmann. Das gilt freilich für öffentliche Auftraggeber genauso wie für Privatunternehmen, deren Beraterausgaben in den vergangenen Jahren genauso steil gestiegen sind. Es sei oft sinnvoll, sich Fach- oder Prozessexpertise von Unternehmensberatern einzukaufen, doch die Steuerung dürfe man nicht aus der Hand geben, schreibt Deelmann zu Recht, letztlich müsse der Kunde der Berater entscheiden und die Verantwortung tragen. "Dreht sich das Verhältnis um, dann ist Gefahr im Verzug." TILLMANN NEUSCHELER
Mariana Mazzucato und Rosie Collington: Die große Consulting-Show. Wie die Beratungsbranche unsere Unternehmen schwächt, den Staat unterwandert und die Wirtschaft vereinnahmt, Campus Verlag, Frankfurt 2023, 328 Seiten, 26 Euro.
Thomas Deelmann: Die Berater-Republik. Wie Consultants Milliarden an Staat und Unternehmen verdienen. Finanzbuch Verlag, München 2023, 256 Seiten, 22 Euro.
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»Mariana Mazzucato [rechnet] mit den Praktiken der Berater ab.« Handelsblatt, 14.04.2023»Consultingfirmen haben gar kein Interesse daran, dass sich ihre Kund:innen eigenständig so weit entwickeln, dass sie weitere Beratungen nicht mehr nötig haben. Es ist ihr Geschäftsmodell.« WOZ - Die Wochenzeiung, 13.07.2023