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Oktober 1956: Nahe der Grenze fallen Schüsse, Blut fließt. Schnell ist der Traum von der großen Freiheit in Ungarn vorbei. István Földesch flüchtet mit seiner Frau Etelka und dem Sohn László über die grüne Grenze. In einer Molkerei findet die Familie rasch Arbeit. Viele Jahre später begegnen sich der Rechtsanwalt Valentin Görtz aus Österreich und der Ungar László Földesch an einer Tankstelle. Obwohl sie sich nie zuvor gesehen haben, sind ihre Biographien eng miteinander verknüpft. Görtz findet heraus, dass sein Vater einst der Anwalt des Molkereidirektors war, und auch bei seiner Lebensgefährtin Katharina setzt László Erinnerungen in Gang.…mehr

Produktbeschreibung
Oktober 1956: Nahe der Grenze fallen Schüsse, Blut fließt. Schnell ist der Traum von der großen Freiheit in Ungarn vorbei. István Földesch flüchtet mit seiner Frau Etelka und dem Sohn László über die grüne Grenze. In einer Molkerei findet die Familie rasch Arbeit. Viele Jahre später begegnen sich der Rechtsanwalt Valentin Görtz aus Österreich und der Ungar László Földesch an einer Tankstelle. Obwohl sie sich nie zuvor gesehen haben, sind ihre Biographien eng miteinander verknüpft. Görtz findet heraus, dass sein Vater einst der Anwalt des Molkereidirektors war, und auch bei seiner Lebensgefährtin Katharina setzt László Erinnerungen in Gang.
Autorenporträt
Evelyn Schlag, geboren 1952 in Waidhofen an der Ybbs, wo sie auch lebt. Sie studierte Germanistik und Anglistik und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Anton-Wildgans-Preis und den Österreichischen Kunstpreis. Bei Zsolnay sind zuletzt der Roman Die große Freiheit des Ferenc Puskás (2011) und der Gedichtband verlangsamte raserei (2014) erschienen. 2016 wurde ihr neuer Roman Yemen Café veröffentlicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2012

Jetzt ist Puskás Ferenc frei

Der Traum von einer Maschine fürs Deutschlernen: Evelyn Schlag erzählt von den Hoffnungen und Ängsten der Flüchtlinge, die 1956 Ungarn verließen.

Die leuchtend rote Farbe hat für die junge Etelka Földesch und ihre Familie besondere Bedeutung. Gegen das allgegenwärtige Rot des ungeliebten Sowjetsterns haben 1956 viele Ungarn protestiert, in Budapest und auch in der Provinz, wo die Földeschs zu Hause sind. Beherzt schlugen die Demonstranten das Emblem der verhassten Besatzer von Hauswänden ab und schnitten es aus Fahnen heraus.

Etelkas Ehemann Istvan wurde bei den Demonstrationen so schwer am Bein verletzt, dass ihm die Wunde noch Jahre später zu schaffen macht, als er längst im sicheren Nachbarland Österreich lebt. Dorthin war er mit seiner Frau und dem zehn Jahre alten László geflohen, als der Volksaufstand brutal niedergeschlagen wurde. Allen praktischen Erwägungen zum Trotz hatte die attraktive Etelka auf die Flucht auch ihre roten Pumps mitgenommen. Diese eleganten Schuhe begleiten sie in ihrem neuen Leben als Erinnerung, aber auch als Verheißung einer besseren Zukunft, die frei von Sorgen sein soll.

Der Weg dahin ist weit. Zwar wird Familie Földesch in einem Molkereibetrieb freundlich aufgenommen und erfährt dort viel Unterstützung, doch leicht wird das Leben im Westen nicht. Zu Heimweh und materieller Not kommen Sprachprobleme. Anschaulicher als es ein politischer Aufruf zur kulturellen Integration je sein kann, zeigt Evelyn Schlag an ihren Figuren, wie wichtig die neue Sprache in der Migration ist. Etelka, die einer ungarndeutschen Familie entstammt, kann zwar bald als Dolmetscherin arbeiten, Istvan jedoch, ein tüchtiger Arbeiter, kommt mit der fremden Grammatik nicht zurecht.

Auch László, der "fesche Ungarnbub", tut sich schwer mit dem Deutschlernen. Als er einen Schulaufsatz zum Thema "Helden" schreiben soll, lobt ihn die Lehrerin jedoch trotz der offensichtlichen Grammatikfehler für seine leidenschaftliche Schilderung des ungarischen Fußballers Ferenc Puskás, den bis heute ein großer Nimbus umgibt: "Kleiner Mann Puskás mit Bauch vom Bier besiegt alles mit seine linke Bein." Doch nicht wegen seiner sportlichen Erfolge wird Puskás für die Ungarn-Flüchtlinge zum Helden. Wichtiger sind sein Protest gegen das kommunistische Regime, seine Übersiedelung in den Westen und nach einer anderthalbjährigen Sperre die ersehnte Zulassung für Länderspiele: "Puskás kommt nach Wien. Sowjetische Ungarn bedrohen Fifa, und alle ungarische geflüchtete Spieler bekommen Sperre. Bis jetzt. Jetzt ist Puskás Ferenc endlich frei."

So plastisch und anrührend erzählt die 1952 in Niederösterreich geborene Evelyn Schlag von den Hoffnungen und Ängsten der politischen Flüchtlinge, die damals Ungarn verließen. Angesichts der vielen Kriege und Bürgerkriege, die in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder neue Ströme von Migranten nach Mitteleuropa gebracht haben, ist das Schicksal dieser Ungarn-Flüchtlinge heute nahezu vergessen. Doch die Autorin will mit diesem Roman offenbar mehr, als mit einer sorgfältig recherchierten Geschichte zur politischen Erinnerungskultur beizutragen. Auf einer zweiten Handlungsebene nämlich, die im Jahr 2008 spielt, lässt sie den gealterten László als wunderlichen Kauz durch Wien stromern. An einer stillgelegten Tankstelle begegnet er zufällig dem fast gleichaltrigen Rechtsanwalt Valentin, den er mit eigentümlichen Kenntnissen aus dessen Familiengeschichte verwirrt.

Verwirrend wird es allerdings auch für die Leser, denn Evelyn Schlag verknüpft die beiden Zeitebenen des Romans auf komplizierte Weise. Da Valentins alter Vater und auch seine Freundin Katharina plötzlich in geheimnisvoller Verbindung zu den Ungarn-Flüchtlingen des Jahres '56 zu stehen scheinen, wird Valentin unfreiwillig zum Detektiv, der längst vergangene Vorgänge zu rekonstruieren versucht. Angetrieben wird er von der Faszination, die von dem seltsamen László ausgeht.

Ob dessen Wunderlichkeiten aber tatsächlich eine direkte Folge seiner Kindheitserlebnisse sind, bleibt offen. Denn Evelyn Schlag legt viele, ja zu viele Spuren aus, indem sie ein Gewirr einander überkreuzender Erinnerungen erschafft, in denen man sich leicht verliert. So wird das Schicksal der Flüchtlingsfamilie Földesch mehr und mehr von Beziehungsgeschichten und Zufälligkeiten überlagert, deren Unentschiedenheit, ja Unklarheit womöglich als Spiegel der verworrenen Zeitgeschichte gemeint sein mag - den Roman aber befrachten sie mit viel Ballast.

SABINE DOERING.

Evelyn Schlag: "Die große Freiheit des Ferenc Puskás". Roman.

Paul Zsolnay Verlag, Wien 2011. 238 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr berührt schreibt die Rezensentin Sabine Doering über die Schilderung des faktischen Hintergrunds in diesem Roman, der die Geschichte von Ungarn-Flüchtlingen nach 1956 in Österreich erzählt. Eindringlich gelingen der Autorin die Porträts der Hauptfiguren, so Doering, glaubhaft und nachvollziehbar werden ihre Integrationsschwierigkeiten und -erfolge erzählt. Weniger überzeugt ist Doering von der literarischen Ambition der Autorin, die versucht, durch eine zweite Zeit- und Handlungsebene die einfache Grundkonstellation des Romans zu überwölben, aber nach Meinung der Rezensentin an der Kompliziertheit der Konstruktion scheitert.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Es ist keine glatte Geschichte, die Evelyn Schlag erzählt. Aber nicht nur, weil auch im Leben selten alles glattgeht, bietet dieser Roman mehr als bloß Lesestoff, sondern auch einiges zum Nachdenken. Über genutzte und verpasste Chancen. Über Erwartungen und Überraschungen. Über kleine Schritte und große Wirkungen. Über Leben und Literatur eben." Wolfgang Huber-Lang, APA, 26.07.2011

"Evelyn Schlags Sprache schafft unvergleichliche Mikroszenen. Selbst die banalsten Kaffeehausgespräche haben dadurch etwas Besonderes. Und gerade so werden vor der genau recherchierten Hintergrundfolie der Geschichte die individuellen Leben einmalig und unverwechselbar - auf eine Weise, wie das nur Evelyn Schlag erzählen kann. Ein literarisches Großereignis." Cornelius Hell, Der Standard, 13. 08. 2011

"Jeder Satz ein Gedicht." Peter Pisa, Kurier, 13.08.2011

"Insgesamt erzeugt diese erzählerische Konstruktion eine ungeheure Spannung." Klaus Kastberger, Ö1 ex libris, 14.08.2011

"Facettenreich reduziert sie die Welt nicht auf den eigenen Blickwinkel, sondern erzählt fein und mit leisem Humor die Geschichte einer Familie, die durch die politischen Ereignisse herausgefordert wird." Katharina Menhofer, Ö1, 17.08.2011

"Der Roman ist einerseits als historisches Zeitdokument zu lesen, andererseits entwirft er aber auch ein fein nuanciertes Psychogramm von Menschen, die viel verloren haben." Maria Renhardt, Die Furche, 03.11.2011