Zum Wiederentdecken, zum Neuentdecken: Die wegweisenden Karikaturen und Bildergeschichten von Marie Marcks, Chronistin eines halben Jahrhunderts und Feministin der ersten Stunde, sind aktuell und erfrischend geblieben. Ihr besonderer Blick auf die Umwelt und die Ungleichheit, auf Männer und Frauen, auf Familie, Erziehung und Bildung erzählt, wie es war und wie es sein könnte, ja müsste. Über fast ein halbes Jahrhundert hat Marie Marcks mit ihren Karikaturen das politische Geschehen der Bundesrepublik begleitet, erst in der kleinen, aber feinen wissenschaftspolitischen Zeitschrift Atomzeitalter, dann viele Jahre in der Süddeutschen Zeitung, dann überall: im Spiegel, in der Zeit, der FAZ, der Brigitte. Es war der besondere Blick auf die Verhältnisse, der ihre Karikaturen auszeichnete. Wer aus der (männlichen) Garde der Karikaturisten hätte schon den Bundeskanzler Erhard als Kaffeekanne und die Bürger als Sammeltassen gezeichnet? Oder dem schwer an der Welt tragenden Mann eine fröhliche Frau mit dem Rat »Roll doch das Ding, Blödmann« gegenübergestellt? Oder das Kompliment an eine ältere Frau »Keine welkt so schön wie du!« mit feiner Ironie ins Bild gesetzt?In ihrer gezeichneten Autobiographie »Marie, es brennt!« erzählt sie aus ihrem Leben in einem Ton, der einen sofort gefangen nimmt, in zarten und prägnanten Bildern, die das Leben, ihr Leben atmosphärisch einfangen.Zu ihrem 100. Geburtstag am 25. August 2022 erinnern wir mit diesen zwei Bänden an die »Großmeisterin, die - auf dem Papier - Detektivin, Anwältin, Richterin und Strafvollzugsbeamte in einer Person ist« (F.W. Bernstein) und eine Ikone für nicht nur eine Generation von Frauen.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Zu deren hundertsten Geburtstag hat Antje Kunstmann eine zweibändige Werkausgabe der Karikaturistin Marie Marcks herausgegeben. Darin sind Karikaturen zu sehen, die nicht nur eine Vielfalt von Themen aus dem privaten wie politischen Leben berühren, sondern auch herrlich unangepasst sind, wie sich Maike Albath freut. Sie weiß nun auch, dass Marcks schon früh begonnen hat, unbeirrbar auf die Umwelt aufmerksam zu machen, ganz gleich, welche persönlichen Konsequenzen sie davontragen musste. Diese Kompromisslosigkeit ziehe sich dabei durch öffentliches Werk und Autobiographie zugleich. "Ein Meilenstein für die Kunst der Bildergeschichte," so Albath.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.08.2022Volle Kanne Karikaturistin
Keine andere in ihrem Metier war so lange aktiv, keine hatte so entschiedene Haltungen und so große Wirkung. Pünktlich zum hundertsten Geburtstag von Marie Marcks kommt eine zweibändige Prachtausgabe heraus.
Die oben abgedruckte Karikatur ist pressegeschichtlich bedeutend: Sie erschien nach der Bundestagswahl 1965 und war die erste, die Marie Marcks für die "Süddeutsche Zeitung" gezeichnet hat. Nicht ihre erste, die dort publiziert wurde - das war eine Zeichnung, die kurz zuvor in der Zeitschrift "atomzeitalter" erschienen und dann von dem Münchner Blatt nachgedruckt worden war (übrigens auch mit Bundeskanzler Ludwig Erhard als Spottgegenstand). Doch der Ehrgeiz der "Süddeutschen" in Sachen Karikatur war schon immer der größte unter deutschen Tageszeitungen. Also sicherte sie sich Marcks als Mitarbeiterin, und so begann eine zwanzig Jahre währende Zusammenarbeit, die erst endete, als 1985 eine Karikatur der Zeichnerin zur Verschmutzung des Mains durch den Chemiekonzern Hoechst abgelehnt wurde. Marcks vermutete dahinter Rücksichtnahme auf einen Anzeigenkunden und zeichnete danach nie wieder für die "Süddeutsche". Sie war eine entschiedene Person.
Auch eine entschiedene Feministin, ohne dass sie diesen Begriff im Sinne von Alice Schwarzer verstanden sehen wollte. Als (meist) alleinerziehende Mutter von fünf Kindern wusste sie, was Frauen zu leisten hatten, die neben den Herausforderungen durch die Familie auch noch einen Beruf ausübten. Die Doppelzüngigkeit einer Rede von Emanzipation, die biologische Tatsachen ebenso verleugnete wie soziale, war ihr wichtigstes Thema als Karikaturistin. Und es war denn auch eine solche Zeichnung (in der "Süddeutschen"), die 1973 die Aufmerksamkeit und das Amüsement einer damals vierundzwanzigjährigen Mitarbeiterin des kleinen Raith-Verlags erregte, die dafür sorgte, das dort im Folgejahr die erste Karikaturensammlung von Marie Marcks erscheinen konnte (die alle großen Verlage abgelehnt hatten).
Die junge Frau war Antje Kunstmann, und aus dieser ersten Vermittlung wurde eine lebenslange Bücherpartnerschaft mit Marie Marcks, zumal als Kunstmann selbst Verlegerin wurde, zunächst mit dem Frauenbuchverlag und dann dem nach ihr selbst benannten Unternehmen. Und "lebenslang" bedeutete nicht, das mit dem Tod von Marie Marcks im Jahr 2014 alles aufgehört hätte, denn solange Kunstmann lebt, sorgt sie weiter dafür, dass Marcks' Schaffen nicht in Vergessenheit gerät. So auch zum heutigen hundertsten Geburtstag der Karikaturistin, und zwar besonders prächtig: mit zwei Bänden in einem Schuber, der den gleich mehrfach zutreffenden Titel "Die große Marie Marcks" trägt.
Sie war eine Spätstarterin, die erst mit einundvierzig (und bereits allen fünf Kindern) ihre bisherige Karriere als Zeichnerin in neue Bahnen lenkte und fortan einige der wichtigsten deutschen Pressepublikationen mit Karikaturen versorgte: neben der "Süddeutschen" die "Zeit", den "Spiegel", den "Stern" und natürlich die beiden qualitätvollsten Satirezeitschriften, "Pardon" und "Titanic". Sie begleitete damit nicht nur kommentierend die deutsche Zeitgeschichte, sondern übte zudem eine Wirkung auf andere Künstler aus, die auf dem Feld des Cartoons ihresgleichen sucht. Über die Wichtigkeit von Marie Marcks für die Frauenbewegung besteht eh kein Zweifel, bedeutende Karikaturistinnen wie Franziska Becker (seit Beginn von "Emma" deren Hauszeichnerin) oder Katharina Greve (die in jüngster Zeit eine neue Verbindung von Comic und Cartoon begründet hat) berufen sich ausdrücklich auf die Pionierrolle ihrer älteren Kollegin. Und gleichermaßen wichtig ist der Einfluss von Marcks auf Zeichner der Neuen Frankfurter Schule wie Hans Traxler, F. K. Waechter oder Chlodwig Poth, mit denen sie nicht nur redaktionell über "Pardon" und später "Titanic" im Austausch stand, sondern auch künstlerisch-freundschaftlich - seit jenen Siebziger- und Achtzigerjahren, die, ausgehend von jenem Kreis, ein ganz neues Verständnis von Komischer Kunst und Nonsens-Art hervorbracht haben, das prägend auch für Künstler wie Sigmar Polke, Martin Kippenberger oder Erwin Wurm geworden ist.
Das Werk von Marcks steht somit in Deutschland beispielhaft für die Einebnung der Unterschiede zwischen "high" und "low", deren Beseitigung die Grundlage für eine heutige deutsche Gegenwartskunst darstellt, wie etwa Jonathan Meese oder Neo Rauch sie repräsentieren - gerade auch in deren zeichnerischem Werk. Hier liegt zwar keine unmittelbare Beeinflussung durch Marcks vor, aber eine Prägung durch das von ihr erst ermöglichte künstlerische Klima einer Freiheit, die aus politischem und ästhetischem Engagement erwächst und mit der von der traditionellen Malerei verpönten Konturzeichnung das entscheidende Erbteil des Cartoons als zentrales Prinzip übernommen hat. Die Arbeiten von Marie Marcks sind deshalb national wertvolles Kulturgut: Sie haben der deutschen Kunst zur Emanzipation in einem Maße verholfen, das weit über die bloße Gleichstellung von Frauen und Männern hinausgeht.
Ein Band von "Die große Marie Marcks" ist deren Karikaturen gewidmet, unter Einbeziehung etlicher ebenfalls karikierend-kommentierender Bildergeschichten. Denn Marcks begriff sich als Erzählerin. Deshalb bietet der andere Band insgesamt mehr als zweihundert Seiten gezeichnete Autobiographie - entnommen den beiden Bänden "Marie, es brennt!" von 1984 und "Schwarz-weiß und bunt" von 1989. Diese inhaltlich bis 1968 reichende Lebensgeschichte darf als Marcks' Hauptwerk gelten. In ihr pflegte die Künstlerin eine Collagetechnik, die ältere Zeichnungen und Archivalien in die neue Bildergeschichte einbezog. Es gibt in seiner Materialität kein ungewöhnlicheres Bildermanuskript in Deutschland. Und es erzählt noch viel mehr als die auch schon höchst informativen und unterhaltsamen Vor- und Nachworte von F. W. Bernstein und Antje Kunstmann, mit denen sie ihrer Freundin ein Denkmal setzen. Doch das wahre Denkmal trägt von nun an den Titel "Die große Marie Marcks". ANDREAS PLATTHAUS
"Die große Marie Marcks".
Hrsg. von Antje Kunstmann. Kunstmann Verlag, München 2022. 2 Bd. im Schuber: "Karikaturen und Bildergeschichten" und "Autobiographische AufZeichnungen". 224 und 216 S., geb., zus. 58,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Keine andere in ihrem Metier war so lange aktiv, keine hatte so entschiedene Haltungen und so große Wirkung. Pünktlich zum hundertsten Geburtstag von Marie Marcks kommt eine zweibändige Prachtausgabe heraus.
Die oben abgedruckte Karikatur ist pressegeschichtlich bedeutend: Sie erschien nach der Bundestagswahl 1965 und war die erste, die Marie Marcks für die "Süddeutsche Zeitung" gezeichnet hat. Nicht ihre erste, die dort publiziert wurde - das war eine Zeichnung, die kurz zuvor in der Zeitschrift "atomzeitalter" erschienen und dann von dem Münchner Blatt nachgedruckt worden war (übrigens auch mit Bundeskanzler Ludwig Erhard als Spottgegenstand). Doch der Ehrgeiz der "Süddeutschen" in Sachen Karikatur war schon immer der größte unter deutschen Tageszeitungen. Also sicherte sie sich Marcks als Mitarbeiterin, und so begann eine zwanzig Jahre währende Zusammenarbeit, die erst endete, als 1985 eine Karikatur der Zeichnerin zur Verschmutzung des Mains durch den Chemiekonzern Hoechst abgelehnt wurde. Marcks vermutete dahinter Rücksichtnahme auf einen Anzeigenkunden und zeichnete danach nie wieder für die "Süddeutsche". Sie war eine entschiedene Person.
Auch eine entschiedene Feministin, ohne dass sie diesen Begriff im Sinne von Alice Schwarzer verstanden sehen wollte. Als (meist) alleinerziehende Mutter von fünf Kindern wusste sie, was Frauen zu leisten hatten, die neben den Herausforderungen durch die Familie auch noch einen Beruf ausübten. Die Doppelzüngigkeit einer Rede von Emanzipation, die biologische Tatsachen ebenso verleugnete wie soziale, war ihr wichtigstes Thema als Karikaturistin. Und es war denn auch eine solche Zeichnung (in der "Süddeutschen"), die 1973 die Aufmerksamkeit und das Amüsement einer damals vierundzwanzigjährigen Mitarbeiterin des kleinen Raith-Verlags erregte, die dafür sorgte, das dort im Folgejahr die erste Karikaturensammlung von Marie Marcks erscheinen konnte (die alle großen Verlage abgelehnt hatten).
Die junge Frau war Antje Kunstmann, und aus dieser ersten Vermittlung wurde eine lebenslange Bücherpartnerschaft mit Marie Marcks, zumal als Kunstmann selbst Verlegerin wurde, zunächst mit dem Frauenbuchverlag und dann dem nach ihr selbst benannten Unternehmen. Und "lebenslang" bedeutete nicht, das mit dem Tod von Marie Marcks im Jahr 2014 alles aufgehört hätte, denn solange Kunstmann lebt, sorgt sie weiter dafür, dass Marcks' Schaffen nicht in Vergessenheit gerät. So auch zum heutigen hundertsten Geburtstag der Karikaturistin, und zwar besonders prächtig: mit zwei Bänden in einem Schuber, der den gleich mehrfach zutreffenden Titel "Die große Marie Marcks" trägt.
Sie war eine Spätstarterin, die erst mit einundvierzig (und bereits allen fünf Kindern) ihre bisherige Karriere als Zeichnerin in neue Bahnen lenkte und fortan einige der wichtigsten deutschen Pressepublikationen mit Karikaturen versorgte: neben der "Süddeutschen" die "Zeit", den "Spiegel", den "Stern" und natürlich die beiden qualitätvollsten Satirezeitschriften, "Pardon" und "Titanic". Sie begleitete damit nicht nur kommentierend die deutsche Zeitgeschichte, sondern übte zudem eine Wirkung auf andere Künstler aus, die auf dem Feld des Cartoons ihresgleichen sucht. Über die Wichtigkeit von Marie Marcks für die Frauenbewegung besteht eh kein Zweifel, bedeutende Karikaturistinnen wie Franziska Becker (seit Beginn von "Emma" deren Hauszeichnerin) oder Katharina Greve (die in jüngster Zeit eine neue Verbindung von Comic und Cartoon begründet hat) berufen sich ausdrücklich auf die Pionierrolle ihrer älteren Kollegin. Und gleichermaßen wichtig ist der Einfluss von Marcks auf Zeichner der Neuen Frankfurter Schule wie Hans Traxler, F. K. Waechter oder Chlodwig Poth, mit denen sie nicht nur redaktionell über "Pardon" und später "Titanic" im Austausch stand, sondern auch künstlerisch-freundschaftlich - seit jenen Siebziger- und Achtzigerjahren, die, ausgehend von jenem Kreis, ein ganz neues Verständnis von Komischer Kunst und Nonsens-Art hervorbracht haben, das prägend auch für Künstler wie Sigmar Polke, Martin Kippenberger oder Erwin Wurm geworden ist.
Das Werk von Marcks steht somit in Deutschland beispielhaft für die Einebnung der Unterschiede zwischen "high" und "low", deren Beseitigung die Grundlage für eine heutige deutsche Gegenwartskunst darstellt, wie etwa Jonathan Meese oder Neo Rauch sie repräsentieren - gerade auch in deren zeichnerischem Werk. Hier liegt zwar keine unmittelbare Beeinflussung durch Marcks vor, aber eine Prägung durch das von ihr erst ermöglichte künstlerische Klima einer Freiheit, die aus politischem und ästhetischem Engagement erwächst und mit der von der traditionellen Malerei verpönten Konturzeichnung das entscheidende Erbteil des Cartoons als zentrales Prinzip übernommen hat. Die Arbeiten von Marie Marcks sind deshalb national wertvolles Kulturgut: Sie haben der deutschen Kunst zur Emanzipation in einem Maße verholfen, das weit über die bloße Gleichstellung von Frauen und Männern hinausgeht.
Ein Band von "Die große Marie Marcks" ist deren Karikaturen gewidmet, unter Einbeziehung etlicher ebenfalls karikierend-kommentierender Bildergeschichten. Denn Marcks begriff sich als Erzählerin. Deshalb bietet der andere Band insgesamt mehr als zweihundert Seiten gezeichnete Autobiographie - entnommen den beiden Bänden "Marie, es brennt!" von 1984 und "Schwarz-weiß und bunt" von 1989. Diese inhaltlich bis 1968 reichende Lebensgeschichte darf als Marcks' Hauptwerk gelten. In ihr pflegte die Künstlerin eine Collagetechnik, die ältere Zeichnungen und Archivalien in die neue Bildergeschichte einbezog. Es gibt in seiner Materialität kein ungewöhnlicheres Bildermanuskript in Deutschland. Und es erzählt noch viel mehr als die auch schon höchst informativen und unterhaltsamen Vor- und Nachworte von F. W. Bernstein und Antje Kunstmann, mit denen sie ihrer Freundin ein Denkmal setzen. Doch das wahre Denkmal trägt von nun an den Titel "Die große Marie Marcks". ANDREAS PLATTHAUS
"Die große Marie Marcks".
Hrsg. von Antje Kunstmann. Kunstmann Verlag, München 2022. 2 Bd. im Schuber: "Karikaturen und Bildergeschichten" und "Autobiographische AufZeichnungen". 224 und 216 S., geb., zus. 58,- Euro.
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