»Höchst selten besitzt ein Autor so erhellende Einsichten und Erzähltalente, dass ein leidlich bekanntes Thema sich plötzlich ganz neu eröffnet. Ghosh ist so ein Autor, und DIE GROSSE VERBLENDUNG ist genau diese Art von Buch.« Naomi Klein
Amitav Ghosh, "Meister der Sprache" (Die Zeit) und Romancier von Weltrang, fragt sich, warum der Klimawandel in der Literatur der Gegenwart nicht zur Sprache kommt. Woher rührt unsere große Verblendung, vor der künftige Generationen fassungslos stehen werden? Hat die Kunst in dieser epochalen Katastrophe ihren Meister gefunden?
Mit »Die große Verblendung« legt Ghosh ein Essay vor, das nicht nur seine Zunft, sondern uns alle auffordert, ein neues Kapitel der Menschheitsgeschichte zu schreiben und uns eine andere, bessere Welt auszumalen.
Amitav Ghosh, "Meister der Sprache" (Die Zeit) und Romancier von Weltrang, fragt sich, warum der Klimawandel in der Literatur der Gegenwart nicht zur Sprache kommt. Woher rührt unsere große Verblendung, vor der künftige Generationen fassungslos stehen werden? Hat die Kunst in dieser epochalen Katastrophe ihren Meister gefunden?
Mit »Die große Verblendung« legt Ghosh ein Essay vor, das nicht nur seine Zunft, sondern uns alle auffordert, ein neues Kapitel der Menschheitsgeschichte zu schreiben und uns eine andere, bessere Welt auszumalen.
buecher-magazin.deDer Klimawandel ist eines der Themen, die uns bewegen und dem wir uns stellen müssen. Und doch scheinen sich Romanautoren um genau eben jenes Thema zu winden. Wenn es zur Sprache kommt, dann in der Science-Fiction. "Es scheint, als werde das Thema Klimawandel von der literarischen Imagination als irgendwie geistesverwandt mit Außerirdischen oder interplanetarischen Reisen empfunden", so der indische Bestsellerautor, der nun erstmals ein Sachbuch (!) vorlegt. Aber warum? Wir leben in einer Zeit, in der Umweltkatastrophen zum täglich Brot gehören und sich in nie dagewesenen Ausmaßen häufen: Überschwemmungen, Tornados, Erdbeben… Doch der Mensch schließt seine Augen vor dem Unausweichlichen, das er selbst zu verantworten hat. Amitav Ghosh spürt die Gründe auf und zeigt, dass die globale Geschichte der Kohlenstoff-Wirtschaft verworren ist und dramatische Formen annimmt, denn der Hunger nach Macht und Geld scheint unstillbar. Im Fokus steht dabei vor allem Asien, einer der Kontinente, der spät von der Industrialisierung profitierte und der vom Klimawandel besonders betroffen ist, wo er aber einfach ausgeblendet wird. Eines wird überdeutlich: Wir müssen handeln, und zwar jetzt.
© BÜCHERmagazin, Tanja Lindauer (lin)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.2017Schweige nicht, wenn der Regen fehlt
Die Katastrophe ist längst da: Amitav Ghosh sucht neue Formen des Erzählens
Amitav Ghosh hat das Vertrauen in die Sprache verloren. In den historischen Romanen seiner jüngst abgeschlossenen"Ibis"Trilogie entwarf der indische Bestsellerautor ein Panorama der britischen, indischen und chinesischen Geschichte während der Opiumkriege im neunzehnten Jahrhundert. Doch wenn es um Gegenwart und Zukunft der Welt in Zeiten des Klimawandels geht, sieht Ghosh die erzählende Literatur scheitern, wie er in seinem neuen Buch "Die große Verblendung" darlegt.
Amitav Ghosh, der 1956 in Kalkutta geboren wurde, beklagt den Mangel an Romanen über den Klimawandel. Gründe dafür findet er in der Literaturgeschichte. So sei im neunzehnten Jahrhundert das Unwahrscheinliche aus Romanen verbannt worden zugunsten eines realistischeren, ruhigeren, bürgerlicheren Erzählens. Später habe sich der "literarische Mainstream" einem "Spaltungsprojekt" unterworfen, das die Natur der Wissenschaft zugeschlagen habe. Außerdem seien Romane zu sehr einem bestimmten Ort und einer bestimmten Zeit verhaftet. Der Klimawandel mit seinen extremen Naturereignissen und langfristigen globalen Folgen widersetze sich deshalb den anerkannten Erzählformen des Romans.
Der Klimawandelroman ist inzwischen aber ein wachsendes Genre, zu dem hierzulande etwa Ilija Trojanows "EisTau" und Frank Schätzings "Der Schwarm" gehören. Auch Schriftsteller wie der Brite Ian McEwan, die Kanadierin Margaret Atwood oder die aus den Vereinigten Staaten von Amerika stammende Claire Vaye Watkins haben sich in ihren Romanen mit dem Klima befasst. Mit dem Kürzel "Cli-fi" entstand sogar ein griffiges Schlagwort, unter dem sich Autoren und Leser der "climate fiction" austauschen. In der akademischen Lehre und Forschung haben sich Klimawandelromane ebenfalls etabliert.
Ghosh ist zu sehr auf den vermeintlichen Mangel und dessen mutmaßliche Gründe fixiert und sagt umgekehrt zu wenig über längst vorliegende Romane. Dem Clifi-Genre hält er pauschal entgegen, es behandele meist künftige Katastrophen, während der Klimawandel schon unsere Zeit betreffe. Wenn der Autor aber die Gegenwartsnähe von Barbara Kingsolvers "Das Flugverhalten der Schmetterlinge" und Liz Jensens "Endzeit" lobt, widmet er ihnen bloß zwei Sätze.
Gerade die Vorstellung ausgewählter Werke wäre wünschenswert gewesen, um Ansätze einer Genealogie und Poetik des Genres zu entwickeln. Wer sich dafür interessiert, muss anderswo weiterlesen - beispielsweise bei den Literaturwissenschaftlerinnen Sylvia Mayer und Adeline Johns-Putra. Ghosh dagegen hofft auf eine hybride Klimaliteratur, die auch visuelle Elemente integriert und sich vom "Logozentrismus" verabschiedet. Als poetisches Programm bleibt das recht vage.
Man fragt sich nur, warum Ghosh der Sprache so wenig zutraut. Selbst ohne Bilder vermag er sehr anschaulich zu erzählen. Er greift in die Kolonialgeschichte zurück und erklärt, dass sich die Europäer an Orten wie Bombay oder Hongkong ansiedelten, obwohl deren Lage am Meer schon damals Einheimische skeptisch machte. Nun sind beide Städte durch den Klimawandel besonders bedroht, und für Bombay zeigt Ghosh auf der Grundlage umfassender Recherchen, welche Verheerungen ein Zyklon anrichten würde.
Sprache kann auch mit wenigen Worten ganze kulturelle Konflikte kenntlich machen. Ghosh erinnert daran, wie ein amerikanischer Autor den großen Ölroman eines arabischen Kollegen verriss: Der Verfasser sei wohl zu wenig "verwestlicht", um etwas zu schreiben, "was wir als Roman bezeichnen". Und Sprache lässt uns teilhaben an Szenen wie der zwischen Ghosh und seiner Mutter in Kalkutta. Wegen des Klimarisikos will er sie überzeugen, das vertraute Haus der Familie zu verlassen, aber sie sieht ihn an, als hätte er den Verstand verloren. "Es war ein schöner Tag, frisch und sonnig. Ich ließ das Thema fallen."
In diesen sechsunddreißig kurzen Kapiteln, die in "Die große Verwandlung" leider etwas unverbunden nebeneinanderstehen, stecken das Material, die Figuren und die Konflikte, aus denen tatsächlich der Weltroman des Klimawandels werden könnte. Den würden wir von Ghosh sehr gerne lesen.
THORSTEN GRÄBE
Amitav Ghosh: "Die große Verblendung". Der Klimawandel als das Undenkbare.
Aus dem Englischen von Yvonne Badal. Karl Blessing Verlag, München 2017. 256 S.,
geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Katastrophe ist längst da: Amitav Ghosh sucht neue Formen des Erzählens
Amitav Ghosh hat das Vertrauen in die Sprache verloren. In den historischen Romanen seiner jüngst abgeschlossenen"Ibis"Trilogie entwarf der indische Bestsellerautor ein Panorama der britischen, indischen und chinesischen Geschichte während der Opiumkriege im neunzehnten Jahrhundert. Doch wenn es um Gegenwart und Zukunft der Welt in Zeiten des Klimawandels geht, sieht Ghosh die erzählende Literatur scheitern, wie er in seinem neuen Buch "Die große Verblendung" darlegt.
Amitav Ghosh, der 1956 in Kalkutta geboren wurde, beklagt den Mangel an Romanen über den Klimawandel. Gründe dafür findet er in der Literaturgeschichte. So sei im neunzehnten Jahrhundert das Unwahrscheinliche aus Romanen verbannt worden zugunsten eines realistischeren, ruhigeren, bürgerlicheren Erzählens. Später habe sich der "literarische Mainstream" einem "Spaltungsprojekt" unterworfen, das die Natur der Wissenschaft zugeschlagen habe. Außerdem seien Romane zu sehr einem bestimmten Ort und einer bestimmten Zeit verhaftet. Der Klimawandel mit seinen extremen Naturereignissen und langfristigen globalen Folgen widersetze sich deshalb den anerkannten Erzählformen des Romans.
Der Klimawandelroman ist inzwischen aber ein wachsendes Genre, zu dem hierzulande etwa Ilija Trojanows "EisTau" und Frank Schätzings "Der Schwarm" gehören. Auch Schriftsteller wie der Brite Ian McEwan, die Kanadierin Margaret Atwood oder die aus den Vereinigten Staaten von Amerika stammende Claire Vaye Watkins haben sich in ihren Romanen mit dem Klima befasst. Mit dem Kürzel "Cli-fi" entstand sogar ein griffiges Schlagwort, unter dem sich Autoren und Leser der "climate fiction" austauschen. In der akademischen Lehre und Forschung haben sich Klimawandelromane ebenfalls etabliert.
Ghosh ist zu sehr auf den vermeintlichen Mangel und dessen mutmaßliche Gründe fixiert und sagt umgekehrt zu wenig über längst vorliegende Romane. Dem Clifi-Genre hält er pauschal entgegen, es behandele meist künftige Katastrophen, während der Klimawandel schon unsere Zeit betreffe. Wenn der Autor aber die Gegenwartsnähe von Barbara Kingsolvers "Das Flugverhalten der Schmetterlinge" und Liz Jensens "Endzeit" lobt, widmet er ihnen bloß zwei Sätze.
Gerade die Vorstellung ausgewählter Werke wäre wünschenswert gewesen, um Ansätze einer Genealogie und Poetik des Genres zu entwickeln. Wer sich dafür interessiert, muss anderswo weiterlesen - beispielsweise bei den Literaturwissenschaftlerinnen Sylvia Mayer und Adeline Johns-Putra. Ghosh dagegen hofft auf eine hybride Klimaliteratur, die auch visuelle Elemente integriert und sich vom "Logozentrismus" verabschiedet. Als poetisches Programm bleibt das recht vage.
Man fragt sich nur, warum Ghosh der Sprache so wenig zutraut. Selbst ohne Bilder vermag er sehr anschaulich zu erzählen. Er greift in die Kolonialgeschichte zurück und erklärt, dass sich die Europäer an Orten wie Bombay oder Hongkong ansiedelten, obwohl deren Lage am Meer schon damals Einheimische skeptisch machte. Nun sind beide Städte durch den Klimawandel besonders bedroht, und für Bombay zeigt Ghosh auf der Grundlage umfassender Recherchen, welche Verheerungen ein Zyklon anrichten würde.
Sprache kann auch mit wenigen Worten ganze kulturelle Konflikte kenntlich machen. Ghosh erinnert daran, wie ein amerikanischer Autor den großen Ölroman eines arabischen Kollegen verriss: Der Verfasser sei wohl zu wenig "verwestlicht", um etwas zu schreiben, "was wir als Roman bezeichnen". Und Sprache lässt uns teilhaben an Szenen wie der zwischen Ghosh und seiner Mutter in Kalkutta. Wegen des Klimarisikos will er sie überzeugen, das vertraute Haus der Familie zu verlassen, aber sie sieht ihn an, als hätte er den Verstand verloren. "Es war ein schöner Tag, frisch und sonnig. Ich ließ das Thema fallen."
In diesen sechsunddreißig kurzen Kapiteln, die in "Die große Verwandlung" leider etwas unverbunden nebeneinanderstehen, stecken das Material, die Figuren und die Konflikte, aus denen tatsächlich der Weltroman des Klimawandels werden könnte. Den würden wir von Ghosh sehr gerne lesen.
THORSTEN GRÄBE
Amitav Ghosh: "Die große Verblendung". Der Klimawandel als das Undenkbare.
Aus dem Englischen von Yvonne Badal. Karl Blessing Verlag, München 2017. 256 S.,
geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main