"Ein vergleichsweise kleines Arschloch" - Eine bitterböse Gesellschaftssatire "Die große Verschwendung" ist der entschlossene Blick hinter die Kulissen eines Politskandals, der uns merkwürdig bekannt vorkommt! Und ein so komischer wie berührender Roman über heftig kriselnde Männlichkeit und die hinterhältigen Verheißungen eines zweiten Frühlings.
Dr. Georg Glabrecht ist fünfzig und schwermütig, seine Ehe liegt seit Jahren in Agonie. Als grüner Wirtschaftssenator ist er ein virtuos sarkastischer Machtpragmatiker, der seine Untergebenen nur mit Kürzeln anspricht. Im Zusammenhang mit einem größenwahnsinnigen eventkulturellen Renommierprojekt - der Maritimen Erlebniswelt mit der Maritimen Oper - verliebt Glabrecht sich in die junge Mitarbeiterin eines zwielichtigen Investors, mit dem er als Politiker paktieren muss.
Und auch privat spürt er mehr als deutlich die Verlockungen der internationalen Geldströme und der Angebote, die ihm von dort unterbreitet werden. Es ist also wohl nur eine Frage der Zeit, bis er gewaltig ins Straucheln gerät.
Dr. Georg Glabrecht ist fünfzig und schwermütig, seine Ehe liegt seit Jahren in Agonie. Als grüner Wirtschaftssenator ist er ein virtuos sarkastischer Machtpragmatiker, der seine Untergebenen nur mit Kürzeln anspricht. Im Zusammenhang mit einem größenwahnsinnigen eventkulturellen Renommierprojekt - der Maritimen Erlebniswelt mit der Maritimen Oper - verliebt Glabrecht sich in die junge Mitarbeiterin eines zwielichtigen Investors, mit dem er als Politiker paktieren muss.
Und auch privat spürt er mehr als deutlich die Verlockungen der internationalen Geldströme und der Angebote, die ihm von dort unterbreitet werden. Es ist also wohl nur eine Frage der Zeit, bis er gewaltig ins Straucheln gerät.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2011Greise Kaffeefürsten, Parteigroupies und Günter Grass
Wolfgang Schömels Roman "Die große Verschwendung" ist politische Satire. Vor allem aber erzählt er vom Drama eines Mannes, der von romantischer Selbstverschwendung träumt - einsam und aufrichtig.
Ein Literaturförderer muss kein guter Schriftsteller sein, und wer über "Nietzsches heroischen Pessimismus" promoviert hat, muss nicht als aggressiver Kulturkritiker daherkommen. Wolfgang Schömel, seit mehr als zwanzig Jahren Literaturreferent im Hamburger Kulturamt, ist beides. Er kann erbarmungslos präzise beobachten, souverän und kühl bis erzählen; das und ein gewisser Selbsthass haben ihm eine - vorsichtig ausgedrückt - kritische Distanz zu seinem Geschäft bewahrt. Kulturpolitik ist für Schömel offenbar eine widerliche Veranstaltung, ein Schlachtfeld für eitle Tröpfe, schamlose Opportunisten, Quotenfrauen und Dummschwätzer.
Dr. Georg Glabrecht, grüner Wirtschaftssenator im Bremer Senat, bewegt sich wie ein Fisch in diesen trüben Gewässern und gehört doch nicht ganz dazu. Der ganze Betrieb geht ihm auf den Geist. Glabrecht hat für Vorgesetzte wie Untergebene nur Hohn und Häme übrig, und auch wenn der passionierte Selbstbeobachter sich morgens mit seinem "Rasierblick" im Spiegel betrachtet, empfindet er nur Ekel: schlaff das Fleisch, erschlafft der einst so stolze Geist. Dr. Glabrecht ist ein "vergleichsweise kleines Arschloch", aber seine rasiermesserscharfe Intelligenz, sein brutalstmöglicher Zynismus, sein unappetitlicher Sexismus und selbst seine sentimentalen Anwandlungen in der Natur machen ihn nicht eben zum Sympathieträger.
Wenn er "graubärtige Sesselfurzer" und "mimetische Arschkriecher" zum "innerlichen Radikalabschuss" freigibt, fühlt er (und offenbar auch sein Autor) sich wie Nietzsches Übermensch, heroisch einsam und gnadenlos aufrichtig. Glabrecht durchschaut die Regeln des Spiels und exekutiert sie mit gelangweilter Arroganz. Als Mann von Geschmack und feinem Sprachgefühl leidet er fast körperlich unter der Powerpoint-Prosa seiner Referatsleiter. Aber wenn sie mal wieder einen "Leuchtturm in der Wüste", ein nachhaltig arbeitendes Kompetenzzentrum oder ein innovativ vernetztes "Kreativ-Cluster" ausbrüten, geht er nicht mit der Peitsche dazwischen, sondern setzt noch einen Quantensprung oder ein Jahrhundertprojekt drauf.
Schömel weiß, wovon er spricht. Er kennt die Aktenvermerke der Behördensprache und die Vorgangsmappen der neudeutschen Eventkultur. Er hat in seinen Roman nicht nur O-Töne und Peinlichkeiten von realexistierenden Politikern eingebaut, sondern auch einen pfeifenschmauchenden Günter Grass beim Sponsorentreffen mit greisen Kaffeefürsten und Parteigroupies. Die "Maritime Oper", Glabrechts jüngstes Leuchtturmprojekt, erinnert an das 1994 in den Wesersand gesetzte Space Center; die Hamburger Elbphilharmonie ziert sogar das Cover.
Aber eigentlich interessiert sich Dr. Glabrecht nur für ein Jahrhundertprojekt: die Rekonstruktion seines Ego, das sich in der irrealen Parallelwelt von Mediendemokratie und Marketing-Neusprech physisch und psychisch aufzulösen droht. Der Leuchtturm seiner Männlichkeit hat Erektionsprobleme: Glabrecht, der Mann von fünfzig Jahren, steckt in der Midlife-Krise. Seine Frau, Kulturredakteurin in einem Frauenmagazin, kann ihn weder mit ihrem welken Körper noch mit ihren postfeministischen Koketterien reizen und verschwindet irgendwann in Richtung Worpswede; sein verständnisvoller Männerfreund Madlé (den wir bereits aus Schömels Roman "Ohne Maria" als schwermütigen Weltweisen kennen) wohnt weit weg. Für die Büro- und Parteiarbeit hat der Senator keinen Nerv mehr, und um seine Gesundheit ist es auch nicht gut bestellt. Glabrecht hat keine Ideale, keine Freunde, keine Zukunft, kein Gewissen, nur Tinnitus, Herz-, Schlaf- und Potenzprobleme, die er mit Sarkasmus, Tabletten und teurem Rotwein, Proust-Lektüre und dem Manufactum-Katalog bekämpft.
In dieser trostlosen Welt trifft ihn Adriana wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die junge Frau erscheint ihm wie ein unverdientes Geschenk des Himmels; tatsächlich ist sie aber eine Abgesandte der Hölle: Assistentin und Geliebte des Investors, mit dem die Maritime Oper steht und fällt. Die Sache scheint damit klar: Das Luder legt den alternden Erotomanen im Auftrag ihres Chefs aufs Kreuz. Aber so einfach macht es sich Schömel nicht. Glabrecht mag ein korrupter Bock sein, der gutdotierte Beraterverträge aus Liechtenstein nicht verschmäht; aber er ist auch nur ein Mensch: wie ein Schuljunge verliebt, eifersüchtig, ängstlich und sehnsüchtig auf Erlösung hoffend. Adriana ist härter als er, aber nicht das Flittchen, das über Leichen geht. Natürlich findet sie Geld und Macht sexy, und, ja, sie bricht ihm das Herz. Aber es war keine kaltblütige Intrige, sondern ein Liebesunfall, ein tragisches Missverständnis.
"Die große Verschwendung" ist auch eine politische Satire, wütend, selbstgerecht, manchmal auf ärgerliche Weise obszön. Aber zuerst und vor allem ist Schömels Roman das Drama eines Mannes, der von einer letzten romantischen Selbstverschwendung träumt, der Amour fou, die alles Geschwafel und alle Schattenbilder von Politik und Medien, Internetpornographie und Eventkultur über den Haufen wirft. Emotional ausgedorrt und intellektuell ausgekühlt von seinem Welt- und Selbstekel, will Glabrecht noch einmal Feuer fangen und Wärme abgreifen und verbrennt sich dabei vollends. Der letzte Strohhalm war kein Leuchtturm in der Wüste, nur die Fata Morgana eines verzweifelten Zynikers.
MARTIN HALTER
Wolfgang Schömel: "Die große Verschwendung". Roman.
Verlag Klett-Cotta. Stuttgart 2011. 240 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wolfgang Schömels Roman "Die große Verschwendung" ist politische Satire. Vor allem aber erzählt er vom Drama eines Mannes, der von romantischer Selbstverschwendung träumt - einsam und aufrichtig.
Ein Literaturförderer muss kein guter Schriftsteller sein, und wer über "Nietzsches heroischen Pessimismus" promoviert hat, muss nicht als aggressiver Kulturkritiker daherkommen. Wolfgang Schömel, seit mehr als zwanzig Jahren Literaturreferent im Hamburger Kulturamt, ist beides. Er kann erbarmungslos präzise beobachten, souverän und kühl bis erzählen; das und ein gewisser Selbsthass haben ihm eine - vorsichtig ausgedrückt - kritische Distanz zu seinem Geschäft bewahrt. Kulturpolitik ist für Schömel offenbar eine widerliche Veranstaltung, ein Schlachtfeld für eitle Tröpfe, schamlose Opportunisten, Quotenfrauen und Dummschwätzer.
Dr. Georg Glabrecht, grüner Wirtschaftssenator im Bremer Senat, bewegt sich wie ein Fisch in diesen trüben Gewässern und gehört doch nicht ganz dazu. Der ganze Betrieb geht ihm auf den Geist. Glabrecht hat für Vorgesetzte wie Untergebene nur Hohn und Häme übrig, und auch wenn der passionierte Selbstbeobachter sich morgens mit seinem "Rasierblick" im Spiegel betrachtet, empfindet er nur Ekel: schlaff das Fleisch, erschlafft der einst so stolze Geist. Dr. Glabrecht ist ein "vergleichsweise kleines Arschloch", aber seine rasiermesserscharfe Intelligenz, sein brutalstmöglicher Zynismus, sein unappetitlicher Sexismus und selbst seine sentimentalen Anwandlungen in der Natur machen ihn nicht eben zum Sympathieträger.
Wenn er "graubärtige Sesselfurzer" und "mimetische Arschkriecher" zum "innerlichen Radikalabschuss" freigibt, fühlt er (und offenbar auch sein Autor) sich wie Nietzsches Übermensch, heroisch einsam und gnadenlos aufrichtig. Glabrecht durchschaut die Regeln des Spiels und exekutiert sie mit gelangweilter Arroganz. Als Mann von Geschmack und feinem Sprachgefühl leidet er fast körperlich unter der Powerpoint-Prosa seiner Referatsleiter. Aber wenn sie mal wieder einen "Leuchtturm in der Wüste", ein nachhaltig arbeitendes Kompetenzzentrum oder ein innovativ vernetztes "Kreativ-Cluster" ausbrüten, geht er nicht mit der Peitsche dazwischen, sondern setzt noch einen Quantensprung oder ein Jahrhundertprojekt drauf.
Schömel weiß, wovon er spricht. Er kennt die Aktenvermerke der Behördensprache und die Vorgangsmappen der neudeutschen Eventkultur. Er hat in seinen Roman nicht nur O-Töne und Peinlichkeiten von realexistierenden Politikern eingebaut, sondern auch einen pfeifenschmauchenden Günter Grass beim Sponsorentreffen mit greisen Kaffeefürsten und Parteigroupies. Die "Maritime Oper", Glabrechts jüngstes Leuchtturmprojekt, erinnert an das 1994 in den Wesersand gesetzte Space Center; die Hamburger Elbphilharmonie ziert sogar das Cover.
Aber eigentlich interessiert sich Dr. Glabrecht nur für ein Jahrhundertprojekt: die Rekonstruktion seines Ego, das sich in der irrealen Parallelwelt von Mediendemokratie und Marketing-Neusprech physisch und psychisch aufzulösen droht. Der Leuchtturm seiner Männlichkeit hat Erektionsprobleme: Glabrecht, der Mann von fünfzig Jahren, steckt in der Midlife-Krise. Seine Frau, Kulturredakteurin in einem Frauenmagazin, kann ihn weder mit ihrem welken Körper noch mit ihren postfeministischen Koketterien reizen und verschwindet irgendwann in Richtung Worpswede; sein verständnisvoller Männerfreund Madlé (den wir bereits aus Schömels Roman "Ohne Maria" als schwermütigen Weltweisen kennen) wohnt weit weg. Für die Büro- und Parteiarbeit hat der Senator keinen Nerv mehr, und um seine Gesundheit ist es auch nicht gut bestellt. Glabrecht hat keine Ideale, keine Freunde, keine Zukunft, kein Gewissen, nur Tinnitus, Herz-, Schlaf- und Potenzprobleme, die er mit Sarkasmus, Tabletten und teurem Rotwein, Proust-Lektüre und dem Manufactum-Katalog bekämpft.
In dieser trostlosen Welt trifft ihn Adriana wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die junge Frau erscheint ihm wie ein unverdientes Geschenk des Himmels; tatsächlich ist sie aber eine Abgesandte der Hölle: Assistentin und Geliebte des Investors, mit dem die Maritime Oper steht und fällt. Die Sache scheint damit klar: Das Luder legt den alternden Erotomanen im Auftrag ihres Chefs aufs Kreuz. Aber so einfach macht es sich Schömel nicht. Glabrecht mag ein korrupter Bock sein, der gutdotierte Beraterverträge aus Liechtenstein nicht verschmäht; aber er ist auch nur ein Mensch: wie ein Schuljunge verliebt, eifersüchtig, ängstlich und sehnsüchtig auf Erlösung hoffend. Adriana ist härter als er, aber nicht das Flittchen, das über Leichen geht. Natürlich findet sie Geld und Macht sexy, und, ja, sie bricht ihm das Herz. Aber es war keine kaltblütige Intrige, sondern ein Liebesunfall, ein tragisches Missverständnis.
"Die große Verschwendung" ist auch eine politische Satire, wütend, selbstgerecht, manchmal auf ärgerliche Weise obszön. Aber zuerst und vor allem ist Schömels Roman das Drama eines Mannes, der von einer letzten romantischen Selbstverschwendung träumt, der Amour fou, die alles Geschwafel und alle Schattenbilder von Politik und Medien, Internetpornographie und Eventkultur über den Haufen wirft. Emotional ausgedorrt und intellektuell ausgekühlt von seinem Welt- und Selbstekel, will Glabrecht noch einmal Feuer fangen und Wärme abgreifen und verbrennt sich dabei vollends. Der letzte Strohhalm war kein Leuchtturm in der Wüste, nur die Fata Morgana eines verzweifelten Zynikers.
MARTIN HALTER
Wolfgang Schömel: "Die große Verschwendung". Roman.
Verlag Klett-Cotta. Stuttgart 2011. 240 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Einen tiefen Einblick in die äußerst peinliche Kulturpolitik der beiden hanseatischen Stadtstaaten hat Rezensent Jürgen Verdofsky dank Wolfgang Schömels "Die große Verschwendung" erhalten - auch wenn er ihn nicht als Schlüsselroman einordnen will. Für den Rezensenten gerät das aber nicht zum Nachteil des Romans, denn so erfährt er nicht nur einiges über die zynisch-pragmatischen Machenschaften des Wirtschaftssenators der Bremer Grünen, der sein Projekt, die "Maritime Oper", dank "kreativem Wahrheitsmanagement" und dem "mimetischen Arschkriechen" meinungsloser Karrieristen durchsetzen kann, sondern amüsiert sich auch über die Frauengeschichten des von "Priapismus" getriebenen 50-Jährigen, der verzweifelt dem Alter zu entfliehen versucht. Verdofsky findet nicht nur Schömels Entlarvung der auf Marketing angelegten Sprache der Politik "brillant", er zeigt sich auch von dem "subtil" erzählten Prozess einer schleichenden "Ich-Auflösung" begeistert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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