„Viele Steine, müde Beine, Aussicht keine – Heinrich Heine“
Ein Mann zwischen zwei Frauen. Drumherum die DDR: Ost-Berlin und das waldreiche Grenzgebiet am Fuße des Harzer Brocken. Der Mann heißt Thomas, viele Frauen langen nach ihm. Aber er ist beileibe kein normaler Frauenheld. Denn er hat es
schwer mit sich selbst: ihm schwindelt, er leidet unter Atemnot, ihm wird schlecht, er ist verwirrt…mehr„Viele Steine, müde Beine, Aussicht keine – Heinrich Heine“
Ein Mann zwischen zwei Frauen. Drumherum die DDR: Ost-Berlin und das waldreiche Grenzgebiet am Fuße des Harzer Brocken. Der Mann heißt Thomas, viele Frauen langen nach ihm. Aber er ist beileibe kein normaler Frauenheld. Denn er hat es schwer mit sich selbst: ihm schwindelt, er leidet unter Atemnot, ihm wird schlecht, er ist verwirrt und verkrampft sich, ein hochgradig empfindlicher und ständig erregter Mann, oben wie unten. Editha, die Bildhauerin, die eher normale, zieht Thomas nach Elend in den Harz, dicht an die „grüne Grenze“. Dort kommt Tochter Eli zur Welt. Dort scheitert er an seinem zweiten Roman.
Ab Seite 251 des Buchs beginnt es, konkreter zu werden. Die Geschichte wird von den Anfängen her aufgeblättert. Thomas ist ein deutsches jüdisches Kind, das von einem sowjetischen Soldaten am Ende des Krieges gefunden und aufgenommen, Jahre später an Zieheltern in Berlin weitergereicht wird. Thomas geht mit Lena, verfaßt seinen Erstlingsroman. Der soll sein Schritt ins Leben, ins Normale sein. Und in der Tat, er macht damit Karriere, aber verliert darüber Lena. Sie hat ein Geheimnis. Thomas hat auch mit Lena eine Tochter gezeugt. Sie heißt Vera und hat das Zeug, eine Malerin zu werden.
Der Schluß absurd, angeklebt, entrückt: Eli geht über die Grenze, findet dort Kiisika (Vera?) mit Eda (Lena?); Wolfgang und Kuno, aus dem Nichts gekommene Grenzsoldaten, schießen eine Schwalbe und beenden damit, endlich! die Geschichte.
So viele Geheimisse, so viele Unklarheiten. Die bestimmen auch die Schreibweise der Autorin. Sie ringt mit den Wörtern und Sätzen, möchte auf jeden Fall auch im Stil das Normale hinter sich lassen. Aufgedrehte Satzfiguren, angefangene, nicht zu Ende gebrachte Sätze, unlogische Verknüpfungen, erzwungene Widersprüche, Trivialitäten. Beispiel? „Im Sommer waren alle Sommer war überhaupt alles aufgehoben.“ So viel schiefes Pathos. Beispiel? „Draußen kam ein Wind auf, ein langes Einatmen, das seine flache Atmung löste. Er holte tief Luft und stieß sie aus und wartete, daß auch der Wald ausatmete. Lange war nur weitgespannte Stille. Beim nächsten Windzug war er schon ruhig. Er öffnete die Augen und erkannte erleichtert die Ordnung der Möbel. In den Erkerfenstern glommen die Wolken...“ Oder: „Thomas blieb zurück, es atmete um ihn herum.“ Oder: „Es war der Aufbruch, das Gefühl von: schon.“
Nichts für ungut. Es gibt auch zahlreiche gelungene, sehr zärtliche Bilder. Hier ist eins: „Er lief mit den Stiefeln durch den Laden, sie paßten. Und er war wieder bei sich. Er wollte keine Siebenmeilenstiefel, sondern welche für die kleinen Schritte. Schließlich lief von nun an seine Tochter mit.“ Und hier ein anderes, zu Weihnachten: „...packte den kalten klebrigen Stumpf einer Fichte, die Schnee und Wind ins Haus schleppte und mit den Ästen um sich schlug.“
Eine Geschichte, die um zwei Bücher kreist, das eine vollendet und das andere aufgegeben (stimmt das, Frau Cole?). Alles andere als spannend. Eine Sprache, die mir zu pathetisch und wenn sie kunstvoll sein soll, zu künstlich ist. Eine Umgebung, die mit den bekannten Ereignissen vorbeizieht, ohne neuerlichen Erkenntnisgewinn: Ulbrich, Dubcek, Honecker, Stalin, Havemann, Ungarn, natürlich auch Biermann, der kleine laute eitle, inzwischen so lächerliche; Passierscheine, Sperrgebiet, Sondergenehmigung, Überwachung, Schriftstellerkongreß. Die gesammelte Hoffnungslosigkeit der Andersdenkenden.
Frau Cole, so scheint mir, hat mit diesem Buch eine Herzensangelegenheit aufgeschrieben. Deshalb tut mir weh, zu sagen, was ich nicht lassen kann: ich habe mich gequält, das Buch zu Ende zu lesen. Ich habe es geschafft, aber ich war erschöpft und gezeichnet; von der Langeweile, der Langatmigkeit und der Undurchsichtigkeit des Buches. 500 Seiten „Gezischel“, das war zu viel, 250 Seiten hätten gut und gerne ausgereicht. Ob das geholfen hätte?