Die Gruppe 47 ist zu einem Markenzeichen geworden. Jeder nimmt Bezug auf diese von Hans Werner Richter 1947 ins Leben gerufene lose Schriftstellervereinigung. Jeder hat eine Vorstellung von ihrer Wirkung. Helmut Böttiger legt nun den ersten umfassenden Überblick über die Geschichte dieser Institution vor, die unseren Literaturbetrieb erfunden und die politische Öffentlichkeit Nachkriegsdeutschlands mitgeprägt hat. Bei näherer Betrachtung wird aber klar: Vieles von dem, was man zu wissen glaubt, verkehrt sich ins Gegenteil. Die Gruppe 47 war erstaunlich pluralistisch; Paul Celan hatte ihr seinen Erfolg zu verdanken; und wenn es eine Symbolfigur für die Mechanismen der Gruppe 47 gibt, heißt sie viel eher Hans Magnus Enzensberger als Günter Grass. Durch die Auswertung vieler bisher unbekannter Dokumente und Gespräche mit Zeitzeugen entsteht ein lebendiges Bild der Frühgeschichte der BRD: von den Schwierigkeiten, die Prägungen durch den Nationalsozialismus abzustreifen, bis zu einem neuen, prekären Wechselspiel zwischen Literatur, Markt und Mediengesellschaft, das bis heute anhält. Es ist an der Zeit, die Ursprünge kennenzulernen!
Ausstattung: mit Abb.
Ausstattung: mit Abb.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit diesem Überblicksband zur Geschichte der "Gruppe 47", den der Literaturkritiker und Essayist Helmut Böttiger nun pünktlich zu deren 65. Geburtstag herausgegeben hat, ist Rezensent Jochen Hieber absolut zufrieden. Trotz der Fülle an Brief-, Memoiren- und Sekundärliteratur gelinge es Böttiger, verständlich, schwungvoll und "eigenständig" zu erzählen, lobt der Kritiker. Hieber liest hier nicht nur eine Vielzahl interessanter Exkurse, etwa zum Hörfunk in der Nachkriegsepoche oder zur tragischen Geschichte des Literatenpaares Gisela Elsner und Klaus Roehler, sondern rühmt auch Böttigers sorgfältige Recherche: Den Vorwurf des Literaturhistorikers Klaus Briegleb oder des Schriftstellers W. G. Sebald, Hans Werner Richter und die von ihm gegründete Gruppe seien den aus der Emigration zurückgekehrten Autoren "feindselig und antisemitisch" entgegengetreten, könne Böttiger mithilfe seiner Quellen stark relativieren. Nur manchmal findet Hieber die Gruppe 47 auf eine Art "Betriebserfindungsmaschine" reduziert, was ihr seiner Ansicht nach nicht gerecht wird. Aber das ist nur ein kleiner Kritikpunkt in einer ansonsten durchweg lobenden Kritik.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.2013Verständnis für den wechselnden Zeitgeist
Zwischen Adenauer und Celan: Helmut Böttiger stellt im Frankfurter Literaturhaus sein Buch über die Gruppe 47 vor
Taktgefühl und Empathie waren ihm offenbar fremd. Er lese wie Goebbels, sagte Hans Werner Richter 1952 über den pathetischen Auftritt Paul Celans vor der Gruppe 47 in Niendorf. In einem Tagebucheintrag von 1970 hingegen versuchte der Spiritus Rector der Autorengruppe den Lyriker jüdischer Herkunft zu vereinnahmen. Erst durch die Gruppe 47 sei Celan bekannt geworden, doch werde dies nie öffentlich erwähnt, monierte Richter. Bei der legendären Lesung hatten ihn Celans Lyrik und vor allem sein Vortragsgestus an Priesterpoeten wie Stefan George erinnert.
"So verschieden sind die antifaschistischen Welten, die hier aufeinanderprallten", resümierte der Literaturkritiker und Essayist Helmut Böttiger, der im Frankfurter Literaturhaus nun sein Buch "Die Gruppe 47 - Als die deutsche Literatur Geschichte schrieb" vorstellte, im Gespräch mit Richard Kämmerlings, Literaturredakteur der Tageszeitung "Die Welt". Nicht nur Kämmerlings hat "viel gelernt" durch das Buch, das für den Preis der diesjährigen Leipziger Buchmesse nominiert ist, auch die Besucher im gut gefüllten Lesekabinett des Literaturhauses zeigten sich erfreut über den informationsgesättigten Abend.
Zunächst war eine recht unbekannte Autorin kennenzulernen. In seinem "Vorspiel - Die Hex' vom Bannwaldsee" stellte Böttiger die exzentrische Künstlerin und Autorin Ilse Schneider-Lengyel vor, die Richter und seinen Mannen am 9. September 1947 für ihre erste Zusammenkunft das Quartier bereitete: in ihrem Elternhaus im Schongau nahe Füssen. Damals, zur Stunde null, waren die Autoren noch bereit, auf einem Heuboden zu schlafen. Richter habe immer wieder abgelegene Orte in der Provinz für die Tagungen der Gruppe ausgesucht, sagte Böttiger, zum Beispiel den Gasthof "Adler" im allgäuischen Großholzleute bei Isny, wo Günter Grass im Oktober 1958 seine "Blechtrommel" vorstellte. Erst damals wurde die Gruppe 47 schlagartig bekannt. Zuvor waren religiös geprägte Autoren wie Rudolf Alexander Schröder, Werner Bergengruen und Gertrud von le Fort tonangebend in der deutschen Literatur der Adenauerzeit. "Nur die Gruppe 47 trat in Opposition zum Adenauerstaat", sagte Böttiger.
Für den wechselnden Zeitgeist brachte er jedoch Verständnis auf. Er habe mit seinem Buch keinerlei Ehrenrettung der Gruppe im Sinn gehabt, die wegen ihrer Zurückhaltung gegenüber Exilautoren immer wieder kritisiert worden sei. Auch habe Richter nicht absehen können, wie weit sich die jüngeren Autoren von seinem Realismus-Begriff entfernen würden. Nicht nur Celan mit seinen Surrealismen lag jenseits seines Horizonts, auch Peter Weiss, Alexander Kluge und Hubert Fichte setzten sich mit ihren experimentellen Formen über den Realismus der Generation von Grass und Böll hinweg. Jedenfalls sei die Gruppe 47 nicht so monolithisch gewesen, wie sie heute im Rückblick oft wirke.
Als sich in den sechziger Jahren mehr und mehr Verleger und Kritiker zu den Sitzungen einstellten, gaben die Autoren ihre Zurückhaltung auf. Ein Literaturbetrieb entstand, der auch den Kritikern ein Auskommen sicherte - "ein deutsches Sonderphänomen", sagte Böttiger. Allerdings sagte er seiner Spezies nun den baldigen Untergang voraus. So pessimistisch wollte Kämmerlings das nicht sehen. Für den Gasthof "Adler" wird aber schon ein Investor gesucht.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwischen Adenauer und Celan: Helmut Böttiger stellt im Frankfurter Literaturhaus sein Buch über die Gruppe 47 vor
Taktgefühl und Empathie waren ihm offenbar fremd. Er lese wie Goebbels, sagte Hans Werner Richter 1952 über den pathetischen Auftritt Paul Celans vor der Gruppe 47 in Niendorf. In einem Tagebucheintrag von 1970 hingegen versuchte der Spiritus Rector der Autorengruppe den Lyriker jüdischer Herkunft zu vereinnahmen. Erst durch die Gruppe 47 sei Celan bekannt geworden, doch werde dies nie öffentlich erwähnt, monierte Richter. Bei der legendären Lesung hatten ihn Celans Lyrik und vor allem sein Vortragsgestus an Priesterpoeten wie Stefan George erinnert.
"So verschieden sind die antifaschistischen Welten, die hier aufeinanderprallten", resümierte der Literaturkritiker und Essayist Helmut Böttiger, der im Frankfurter Literaturhaus nun sein Buch "Die Gruppe 47 - Als die deutsche Literatur Geschichte schrieb" vorstellte, im Gespräch mit Richard Kämmerlings, Literaturredakteur der Tageszeitung "Die Welt". Nicht nur Kämmerlings hat "viel gelernt" durch das Buch, das für den Preis der diesjährigen Leipziger Buchmesse nominiert ist, auch die Besucher im gut gefüllten Lesekabinett des Literaturhauses zeigten sich erfreut über den informationsgesättigten Abend.
Zunächst war eine recht unbekannte Autorin kennenzulernen. In seinem "Vorspiel - Die Hex' vom Bannwaldsee" stellte Böttiger die exzentrische Künstlerin und Autorin Ilse Schneider-Lengyel vor, die Richter und seinen Mannen am 9. September 1947 für ihre erste Zusammenkunft das Quartier bereitete: in ihrem Elternhaus im Schongau nahe Füssen. Damals, zur Stunde null, waren die Autoren noch bereit, auf einem Heuboden zu schlafen. Richter habe immer wieder abgelegene Orte in der Provinz für die Tagungen der Gruppe ausgesucht, sagte Böttiger, zum Beispiel den Gasthof "Adler" im allgäuischen Großholzleute bei Isny, wo Günter Grass im Oktober 1958 seine "Blechtrommel" vorstellte. Erst damals wurde die Gruppe 47 schlagartig bekannt. Zuvor waren religiös geprägte Autoren wie Rudolf Alexander Schröder, Werner Bergengruen und Gertrud von le Fort tonangebend in der deutschen Literatur der Adenauerzeit. "Nur die Gruppe 47 trat in Opposition zum Adenauerstaat", sagte Böttiger.
Für den wechselnden Zeitgeist brachte er jedoch Verständnis auf. Er habe mit seinem Buch keinerlei Ehrenrettung der Gruppe im Sinn gehabt, die wegen ihrer Zurückhaltung gegenüber Exilautoren immer wieder kritisiert worden sei. Auch habe Richter nicht absehen können, wie weit sich die jüngeren Autoren von seinem Realismus-Begriff entfernen würden. Nicht nur Celan mit seinen Surrealismen lag jenseits seines Horizonts, auch Peter Weiss, Alexander Kluge und Hubert Fichte setzten sich mit ihren experimentellen Formen über den Realismus der Generation von Grass und Böll hinweg. Jedenfalls sei die Gruppe 47 nicht so monolithisch gewesen, wie sie heute im Rückblick oft wirke.
Als sich in den sechziger Jahren mehr und mehr Verleger und Kritiker zu den Sitzungen einstellten, gaben die Autoren ihre Zurückhaltung auf. Ein Literaturbetrieb entstand, der auch den Kritikern ein Auskommen sicherte - "ein deutsches Sonderphänomen", sagte Böttiger. Allerdings sagte er seiner Spezies nun den baldigen Untergang voraus. So pessimistisch wollte Kämmerlings das nicht sehen. Für den Gasthof "Adler" wird aber schon ein Investor gesucht.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Die erste breit angelegte und gut lesbare Gesamtdarstellung. Sie überzeugt, weil sie fair urteilt und weder in Ehrfurcht noch in hämischer Polemik erstarrt.« DIE WELT
»Böttiger beschreibt detailliert und faktenreich, wie aus einem literarischen >Gesinnungsclub< für ein paar wenige das Zentrum neuer deutschsprachiger Literatur werden konnte, wo Verleger auf Suche nach jungen Autoren gingen und Verträge abgewickelt wurden.«