Am 8. Oktober 1989 bildete sich während einer Demonstration in Dresden auf der Prager Strasse spontan die "Gruppe der 20". Von den Demonstranten erhielten die etwa 20 Bürger ein revolutionär-demokratisches Mandat, das Gespräch mit den Herrschenden zu suchen. Einen Tag vor der befürchteten "chinesischen Lösung" in Leipzig und wenige Tage nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen am Dresdner Hauptbahnhof symbolisierte ihr Entstehen den Willen der Bevölkerung zum friedlichen Dialog über die Zukunft der DDR, aber auch einen Wandel der Politik der Dresdner SED-Führung. Die Gruppe vertrat große Teile der Bevölkerung und organisierte die wöchentlichen Montagsdemonstrationen. Das Buch beruht auf umfangreichen Aktenstudien und zahlreichen Zeitzeugeninterviews. Der Dokumententeil enthält sowohl Texte der "Gruppe der 20" als auch Unterlagen des Partei- und Staatsapparates. Sie belegen eindrucksvoll den vergeblichen Versuch der Staatsmacht, die Gruppe zu unte rwandern und die revolutionäre Entwicklung zu stoppen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.12.1999Kein Tal der Ahnungslosen
Wie die Dresdener Bürger der Staatspartei SED im Herbst 1989 die Macht entrissen
Michael Richter, Erich Sobeslavsky: Die Gruppe der 20. Gesellschaftlicher Aufbruch und politische Opposition in Dresden 1989/90. Schriften des Hannah-Ahrendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Band 12. Böhlau Verlag, Köln und Weimar 1999. 554 Seiten, 88,- Mark.
An den Helden der friedlichen Revolution in Dresden hätte sogar Karl Marx seine Freude gehabt: Es waren Angehörige der Arbeiterklasse - Bäcker, Dreher, Straßenbahnschaffner, Tischler, Fleischerlehrlinge und Krankenschwestern -, die am 8. Oktober 1989 auf der Prager Straße von Demonstranten als "Gruppe der 20" bestimmt wurden, mit den SED-Stadthaltern zu reden. In Dresden zuerst stoppten Bürger und besonnene Kommunisten damit gemeinsam die Brutalisierung. Schon standen Panzerwagen bereit, waren die Gewehre geladen. Am 8. Oktober demonstrierten, wie in den Tagen zuvor, Tausende auf den Straßen der Bezirkshauptstadt für mehr Freiheit. Hunderte Demonstranten wurden am Abend auf der Prager Straße von Volkspolizisten eingekesselt. Geifernde Schäferhunde rissen an ihren Leinen, rhythmisch schlugen Polizisten mit ihren Schlagstöcken auf Schutzschilder. In den Seitenstraßen der Innenstadt standen Spezialtruppen der Armee, Wasserwerfer und Räumpanzer bereit. Zum Krieg gegen die Bürger fehlte nur ein letzter Befehl.
In diesem Augenblick ergriffen ein katholischer Priester und ein Leutnant der Polizei die Initiative. Kaplan Richter schlug vor, Oberbürgermeister Berghofer solle herkommen, um Rede und Antwort zu stehen. Der Polizei-Leutnant Detlef Pappermann erklärte sich bereit, das Angebot zu übermitteln und regte an, derweil eine Abordnung der Demonstranten zu bestimmen. So geschah es: Die "Gruppe der 20" wurde per Akklamation gewählt. Am nächsten Tag, einem Montag, empfing Berghofer die Bürger-Vertreter im Rathaus zu einem Gespräch. Es war das erste Mal, dass ein SED-Funktionär sich zum "Dialog" mit den protestierenden Bürgern bereit fand. Berghofer und der Chef der Dresdner SED-Bezirksleitung Modrow waren zu der Auffassung gelangt, man könne das eigene Volk nicht einfach erschießen.
Dies bedeutete nicht, dass sie bereit gewesen wären, ihre Macht mit dem Volk zu teilen. Die nächsten Wochen waren eine Zeit zähen Ringens zwischen der SED und den Bürgern. Mit der "Gruppe der 20" - schon am ersten Abend gehörten ihr sechsundzwanzig Mitglieder an - schufen sich die Dresdner eine Organisation, die innerhalb kurzer Zeit zur Gegenmacht heranwuchs und den Verlauf des Systemwechsels, der "friedlichen Revolution", prägte. Michael Richter und Erich Sobeslavsky schildern und analysieren in ihrem Buch die Ereignisse jener Tage. Dabei zeigen sie überzeugend, dass die Macht der Partei nicht an einem Tag gebrochen wurde, sondern in wochenlanger Kleinarbeit - oder im Kleinkrieg, wenn man es so nennen will. Dass man es so nennen kann, zeigen die Methoden, mit denen der Staat versuchte, die "Gruppe der 20" und die sie tragende Bevölkerung zurückzudrängen. Sämtlichen Gruppenmitgliedern hetzte die Stasi Spitzel auf den Hals, die Stasi-Bezirksleitung unter Generalmajor Böhm erarbeitete "Zersetzungspläne". Während im Rathaus die Bürger zum Gespräch empfangen wurden, bereiteten Parteisoldaten die Fußballstadien der Stadt zur Aufnahme tausender Verhafteter vor. Auch zerschnittene Lautsprecherkabel, willkürliche Polizeiverhöre gehörten weiterhin zum Repertoire der SED-Herrschaft.
Die "Gruppe der 20" erkannte bald, dass erstens die Kirche sich aus der weiteren Entwicklung heraushalten müsse, denn Berghofer und Modrow versuchten den Massenprotest in die Kirchen zurückzudrängen und damit kontrollierbar zu machen. Zweitens musste die Opposition fachkundiger werden, wenn sie mit dem Staat über juristische Fragen, Umweltverschmutzung, Stadtentwicklung verhandeln wollte. So kamen Herbert Wagner - der heutige Oberbürgermeister Dresdens - und Steffen Heitmann als juristischer Berater zu der Gruppe. In neun Fachkreisen beteiligten sich alsbald etwa 150 Bürger an der politischen Arbeit. Die mehr oder weniger zufällig gebildete "Gruppe der 20" professionalisierte sich.
Ihre Autorität beruhte allerdings weiterhin auf den Demonstranten, deren Proteste die SED unter Druck setzten. Arnold Vaatz - der spätere Umweltminister Sachsens - gehörte zu denen, die am 6. November 1989 die erste Montagsdemonstration in Dresden organisierten. Die Stasi schickte zahlreiche Buh-Rufer zur Kundgebung am Fucikplatz. Sie blockierten am Messegelände die Plätze vor der Tribüne und versuchten Redner der Opposition - Heitmann und Wagner beispielsweise - niederzubrüllen, wogegen Auftritte Modrows und Berghofers beklatscht wurden, die sich ihr Rederecht mit der Genehmigung der Demonstration erkauft hatten. Die Tricks der SED, alsbald der SED/PDS, behinderten die Opposition, weckten aber auch Einfallsreichtum, mit dem sie sich zu wehren wusste.
Dem Vorwurf, nicht die Bürger verträten die Bürger, sondern ausgerechnet der Oberbürgermeister, der sein Amt einer Wahlfälschung verdankte, begegnete die Gruppe mit der so genannten "Eine-Mark-Aktion". Jeder Dresdner, der ihre Arbeit unterstützen wolle, sollte dies mit einer Mark bekunden, die er auf das private Postscheckkonto eines der Gruppenmitglieder einzahlte: In kurzer Zeit sammelten sich einhunderttausend Mark auf dem Konto. Wieder versuchte die Partei sich zu wehren. Das Konto wurde gesperrt, die Einzahlungen auf Weisung des Generalstaatsanwalts auf ein internes - unkontrollierbares - Postkonto gebucht. Einzahler wurden von der Polizei verhört, der Kontoinhaber einbestellt, weil die Aktion angeblich den gesamten Postverkehr lähmte. Außerdem läge ein Verstoß gegen die "Sammlungs- und Lotterieverordnung" von 1965 vor. Doch das Drohen war nicht mehr bloß eine Waffe der bisherigen Machthaber. Die "Gruppe der 20" kündigte an, das Sammlungsverbot öffentlich bekannt zu geben und dann . . . - das Konto wurde freigegeben.
Die große Zahl der Einzahlungen war eine Art vorgezogener Wahl, das Geld selbst erleichterte die Arbeit (was übrig blieb, wurde später einem Altersheim gespendet). Bald verschaffte sich die "Gruppe der 20" Zugang zur Stadtverordnetenversammlung. Sie öffnete sich unter dem Namen "Basisdemokratische Fraktion" für Parteien und Gruppierungen, die im Herbst 1989 rasch gegründet wurden - Neues Forum, Sozialdemokraten, Demokratischer Aufbruch. Weil die Gruppe selbst nicht Partei werden wollte, sondern "Türöffner der Demokratie", wie Oberbürgermeister Wagner später sagte, verfiel ihr Einfluss in den Wahlkämpfen des Frühjahrs 1990. Einige der Schlüsselfiguren - Wagner und Vaatz - traten Ende Februar 1990 der CDU bei. Sie meinten aber nicht jene Blockpartei, die Vaatz noch längere Zeit als "verkappte SED" begriff, sondern die westdeutsche CDU, deren Regierungspolitiker ihnen halfen, den Weg zur deutschen Einheit zu ebnen. Heitmann, heute Justizminister Sachsens, folgte ihnen 1991.
Andere Mitglieder der "Gruppe der 20" haben bald nach dem stürmischen Herbst die Politik wieder verlassen. Einer der Autoren des Buches, Erich Sobeslavsky, gehörte in Dresden zu den Wiedergründern der Sozialdemokratie. Er arbeitet inzwischen als Referent beim Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen. Dass er selbst als politisch Handelnder in der Darstellung auftaucht, tut diesem Buch keinen Schaden. Richters und Sobeslavskys Arbeit verbindet wie keine andere Regionalstudie zur Wendegeschichte lebhafte Erzählung mit analytischem Überblick. Mehr als die Hälfte des auch handwerklich schönen Buches verwenden die Autoren zum Abdruck zahlloser Dokumente aus Archiven und Privatbesitz. Sie zeigen, wie in einer ostdeutschen Stadt die Bürger der Staatspartei die Macht entrissen, wie Mut und Beharrungsvermögen die Gewaltherrschaft zu brechen vermochten. Dass ausgerechnet Dresden, das in der DDR zuweilen als "Tal der Ahnungslosen" verspottete, Vorkämpfer und mit Leipzig Wegbereiter der friedlichen Revolution wurde, haben Richter und Sobeslavsky nun ein für allemal bewiesen und beschrieben.
PETER CARSTENS
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Wie die Dresdener Bürger der Staatspartei SED im Herbst 1989 die Macht entrissen
Michael Richter, Erich Sobeslavsky: Die Gruppe der 20. Gesellschaftlicher Aufbruch und politische Opposition in Dresden 1989/90. Schriften des Hannah-Ahrendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Band 12. Böhlau Verlag, Köln und Weimar 1999. 554 Seiten, 88,- Mark.
An den Helden der friedlichen Revolution in Dresden hätte sogar Karl Marx seine Freude gehabt: Es waren Angehörige der Arbeiterklasse - Bäcker, Dreher, Straßenbahnschaffner, Tischler, Fleischerlehrlinge und Krankenschwestern -, die am 8. Oktober 1989 auf der Prager Straße von Demonstranten als "Gruppe der 20" bestimmt wurden, mit den SED-Stadthaltern zu reden. In Dresden zuerst stoppten Bürger und besonnene Kommunisten damit gemeinsam die Brutalisierung. Schon standen Panzerwagen bereit, waren die Gewehre geladen. Am 8. Oktober demonstrierten, wie in den Tagen zuvor, Tausende auf den Straßen der Bezirkshauptstadt für mehr Freiheit. Hunderte Demonstranten wurden am Abend auf der Prager Straße von Volkspolizisten eingekesselt. Geifernde Schäferhunde rissen an ihren Leinen, rhythmisch schlugen Polizisten mit ihren Schlagstöcken auf Schutzschilder. In den Seitenstraßen der Innenstadt standen Spezialtruppen der Armee, Wasserwerfer und Räumpanzer bereit. Zum Krieg gegen die Bürger fehlte nur ein letzter Befehl.
In diesem Augenblick ergriffen ein katholischer Priester und ein Leutnant der Polizei die Initiative. Kaplan Richter schlug vor, Oberbürgermeister Berghofer solle herkommen, um Rede und Antwort zu stehen. Der Polizei-Leutnant Detlef Pappermann erklärte sich bereit, das Angebot zu übermitteln und regte an, derweil eine Abordnung der Demonstranten zu bestimmen. So geschah es: Die "Gruppe der 20" wurde per Akklamation gewählt. Am nächsten Tag, einem Montag, empfing Berghofer die Bürger-Vertreter im Rathaus zu einem Gespräch. Es war das erste Mal, dass ein SED-Funktionär sich zum "Dialog" mit den protestierenden Bürgern bereit fand. Berghofer und der Chef der Dresdner SED-Bezirksleitung Modrow waren zu der Auffassung gelangt, man könne das eigene Volk nicht einfach erschießen.
Dies bedeutete nicht, dass sie bereit gewesen wären, ihre Macht mit dem Volk zu teilen. Die nächsten Wochen waren eine Zeit zähen Ringens zwischen der SED und den Bürgern. Mit der "Gruppe der 20" - schon am ersten Abend gehörten ihr sechsundzwanzig Mitglieder an - schufen sich die Dresdner eine Organisation, die innerhalb kurzer Zeit zur Gegenmacht heranwuchs und den Verlauf des Systemwechsels, der "friedlichen Revolution", prägte. Michael Richter und Erich Sobeslavsky schildern und analysieren in ihrem Buch die Ereignisse jener Tage. Dabei zeigen sie überzeugend, dass die Macht der Partei nicht an einem Tag gebrochen wurde, sondern in wochenlanger Kleinarbeit - oder im Kleinkrieg, wenn man es so nennen will. Dass man es so nennen kann, zeigen die Methoden, mit denen der Staat versuchte, die "Gruppe der 20" und die sie tragende Bevölkerung zurückzudrängen. Sämtlichen Gruppenmitgliedern hetzte die Stasi Spitzel auf den Hals, die Stasi-Bezirksleitung unter Generalmajor Böhm erarbeitete "Zersetzungspläne". Während im Rathaus die Bürger zum Gespräch empfangen wurden, bereiteten Parteisoldaten die Fußballstadien der Stadt zur Aufnahme tausender Verhafteter vor. Auch zerschnittene Lautsprecherkabel, willkürliche Polizeiverhöre gehörten weiterhin zum Repertoire der SED-Herrschaft.
Die "Gruppe der 20" erkannte bald, dass erstens die Kirche sich aus der weiteren Entwicklung heraushalten müsse, denn Berghofer und Modrow versuchten den Massenprotest in die Kirchen zurückzudrängen und damit kontrollierbar zu machen. Zweitens musste die Opposition fachkundiger werden, wenn sie mit dem Staat über juristische Fragen, Umweltverschmutzung, Stadtentwicklung verhandeln wollte. So kamen Herbert Wagner - der heutige Oberbürgermeister Dresdens - und Steffen Heitmann als juristischer Berater zu der Gruppe. In neun Fachkreisen beteiligten sich alsbald etwa 150 Bürger an der politischen Arbeit. Die mehr oder weniger zufällig gebildete "Gruppe der 20" professionalisierte sich.
Ihre Autorität beruhte allerdings weiterhin auf den Demonstranten, deren Proteste die SED unter Druck setzten. Arnold Vaatz - der spätere Umweltminister Sachsens - gehörte zu denen, die am 6. November 1989 die erste Montagsdemonstration in Dresden organisierten. Die Stasi schickte zahlreiche Buh-Rufer zur Kundgebung am Fucikplatz. Sie blockierten am Messegelände die Plätze vor der Tribüne und versuchten Redner der Opposition - Heitmann und Wagner beispielsweise - niederzubrüllen, wogegen Auftritte Modrows und Berghofers beklatscht wurden, die sich ihr Rederecht mit der Genehmigung der Demonstration erkauft hatten. Die Tricks der SED, alsbald der SED/PDS, behinderten die Opposition, weckten aber auch Einfallsreichtum, mit dem sie sich zu wehren wusste.
Dem Vorwurf, nicht die Bürger verträten die Bürger, sondern ausgerechnet der Oberbürgermeister, der sein Amt einer Wahlfälschung verdankte, begegnete die Gruppe mit der so genannten "Eine-Mark-Aktion". Jeder Dresdner, der ihre Arbeit unterstützen wolle, sollte dies mit einer Mark bekunden, die er auf das private Postscheckkonto eines der Gruppenmitglieder einzahlte: In kurzer Zeit sammelten sich einhunderttausend Mark auf dem Konto. Wieder versuchte die Partei sich zu wehren. Das Konto wurde gesperrt, die Einzahlungen auf Weisung des Generalstaatsanwalts auf ein internes - unkontrollierbares - Postkonto gebucht. Einzahler wurden von der Polizei verhört, der Kontoinhaber einbestellt, weil die Aktion angeblich den gesamten Postverkehr lähmte. Außerdem läge ein Verstoß gegen die "Sammlungs- und Lotterieverordnung" von 1965 vor. Doch das Drohen war nicht mehr bloß eine Waffe der bisherigen Machthaber. Die "Gruppe der 20" kündigte an, das Sammlungsverbot öffentlich bekannt zu geben und dann . . . - das Konto wurde freigegeben.
Die große Zahl der Einzahlungen war eine Art vorgezogener Wahl, das Geld selbst erleichterte die Arbeit (was übrig blieb, wurde später einem Altersheim gespendet). Bald verschaffte sich die "Gruppe der 20" Zugang zur Stadtverordnetenversammlung. Sie öffnete sich unter dem Namen "Basisdemokratische Fraktion" für Parteien und Gruppierungen, die im Herbst 1989 rasch gegründet wurden - Neues Forum, Sozialdemokraten, Demokratischer Aufbruch. Weil die Gruppe selbst nicht Partei werden wollte, sondern "Türöffner der Demokratie", wie Oberbürgermeister Wagner später sagte, verfiel ihr Einfluss in den Wahlkämpfen des Frühjahrs 1990. Einige der Schlüsselfiguren - Wagner und Vaatz - traten Ende Februar 1990 der CDU bei. Sie meinten aber nicht jene Blockpartei, die Vaatz noch längere Zeit als "verkappte SED" begriff, sondern die westdeutsche CDU, deren Regierungspolitiker ihnen halfen, den Weg zur deutschen Einheit zu ebnen. Heitmann, heute Justizminister Sachsens, folgte ihnen 1991.
Andere Mitglieder der "Gruppe der 20" haben bald nach dem stürmischen Herbst die Politik wieder verlassen. Einer der Autoren des Buches, Erich Sobeslavsky, gehörte in Dresden zu den Wiedergründern der Sozialdemokratie. Er arbeitet inzwischen als Referent beim Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen. Dass er selbst als politisch Handelnder in der Darstellung auftaucht, tut diesem Buch keinen Schaden. Richters und Sobeslavskys Arbeit verbindet wie keine andere Regionalstudie zur Wendegeschichte lebhafte Erzählung mit analytischem Überblick. Mehr als die Hälfte des auch handwerklich schönen Buches verwenden die Autoren zum Abdruck zahlloser Dokumente aus Archiven und Privatbesitz. Sie zeigen, wie in einer ostdeutschen Stadt die Bürger der Staatspartei die Macht entrissen, wie Mut und Beharrungsvermögen die Gewaltherrschaft zu brechen vermochten. Dass ausgerechnet Dresden, das in der DDR zuweilen als "Tal der Ahnungslosen" verspottete, Vorkämpfer und mit Leipzig Wegbereiter der friedlichen Revolution wurde, haben Richter und Sobeslavsky nun ein für allemal bewiesen und beschrieben.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der Reiz dieses Buches liegt für Jens Schneider in dem Verzicht "auf jede Dramatisierung" und in der spannend zu lesenden Anhäufung von Dokumenten: Es gebe Interviews mit Bürgerrechtlern, Stasi-Protokolle, Stellungnahmen von Politikern, die von den Autoren gut strukturiert zusammen gestellt worden seien. Auch skurrile Ereignisse treten da zutage, schreibt Schneider, etwa wenn auf einer Demonstration die Hälfte aller Menschen eigens dorthin beordert worden sind, um die Menschen vom Demonstrieren abzuhalten. Bedauerlich findet Schneider, dass - wie die Autoren auch selbst einräumen - nicht ergründet werden konnte, was sich die Dresdner Reformkommunisten überhaupt von einem Dialog mit der Gruppe der 20 versprochen hatten und welche Vorstellungen es in diesem Spektrum für eine politische Zukunft gegeben hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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