Die junge Josepha Schlupfburg, Druckerin in einer thüringischen Kleinstadt im Jahre 1976, ist schwanger. Das Kind, das sie erwartet, wird unehelich sein. Josepha, durch die körperliche Veränderung in einen träumerischen Zustand versetzt, möchte für ihr Kind eine Geschichte haben. Und so begibt sie sich mit Therese, der Urgroßmutter, mit der sie zusammenlebt, auf die elf Etappen der Gunnar-Lennefsen-Expedition, um sich an ihre Sippe zu erinnern. Auf einer imaginären Leinwand erleben die beiden Frauen Episoden aus der Familiengeschichte der Schlupfburgs, Wilczinskis, Hebenstreits und Globottas, einer Geschichte, die das Jahrhundert umfaßt, von Ostpreußen bis Nürnberg reicht und aus einer endlosen Reihe strotzender Mütter, unehelicher Kinder, erregter und anschließend abwesender Väter besteht. Einen solchen Roman, wie ihn Kathrin Schmidt vorlegt, mit einer reichen, kraftvollen und poetischen Sprache, einer überbordenden Körperlichkeit und Erotik, einer grotesken Komik und unerschöpflichen Phantasie, hat es lange nicht mehr gegeben. Mit ihrer epischen Urkraft erzählt Kathrin Schmidt eine Art weiblicher Körper- und Familiengeschichte deutscher Aufbrüche und Verhängnisse, mit einem plebejischen Humor, dem die Lust nie ganz vergeht.Einen solchen Roman, mit einer reichen, kraftvollen und poetischen Sprache, einer überbordenden Körperlichkeit und Erotik, einer grotesken Komik und unerschöpflichen Phantasie, hat es lange nicht mehr gegeben.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.10.1998Sehnen aus rotem Feuchtmund
Kathrin Schmidt unternimmt "Die Gunnar-Lennefsen-Expedition"
Wer ist Hasimausi? Ein Lichtblick, ein Rettungsanker im Personenverzeichnis zum Roman "Die Gunnar-Lennefsen-Expedition". Unprätentiös und heiter wie ein Sonnenstrahl durchbricht Hasimausi die Qualmwolken, die von lauter angestrengt bodenständigen, vollmundigen, vor Hirnschmalz triefenden Figurennamen und knarrend ineinander verschraubten Kurzbiographien aufsteigen, wie zum Beispiel "Ottilie Wilczinski, geb. Schlupfburg, spätere Reveslueh, häufig Glasbruch verursachende Tochter der Therese Schlupfburg, Großmutter der Hauptperson, Mutter Rudolph Schlupfburgs und, sensationell spätgebärend, des kleinen Avraham Bodofranz". Daß Hasimausis Identität in "vier Mütter" aufgespalten ist, die sich gemeinsam überdies für eine Springspinne halten, tut der Erfrischung keinen Abbruch, die der launige Kosename dem Lesergemüt kurzfristig verschafft.
Hätte die aus Thüringen stammende, im Osten Berlins lebende Bachmann-Preisträgerin Kathrin Schmidt sich ein wenig mehr lächelnde Leichtigkeit gestattet, wäre auch Gunnar Lennefsen, die Fiktion in der Fiktion, im Personenverzeichnis erschienen. Aber die matriarchalische Geschichtsbetrachtung, in deren Diensten der Titelheld steht, ist ein schwergewichtiges Geschäft, bei dem selbst das Groteske gravitätisch daherkommt.
Mitte der siebziger Jahre wird in einer thüringischen Kleinstadt die junge Druckerin Josepha Schlupfburg von einem Angolaner geschwängert. Sie setzt sich in den Kopf, ihrem "schwarzweißen Kind" eine Sippenchronik zu schenken, eine mit Erzählstoff solide unterfütterte Ahnenreihe mütterlicherseits, die bis zum Beginn des Jahrhunderts zurückreicht. Ihre Verbündete wird Urgroßmutter Therese, die wie Josepha über magische Kräfte und mediale Empfänglichkeit verfügt. Ausgerüstet mit Röstbrotwürfeln, Reibkäse und Relikten aus dem Familienarchiv, unternehmen die Damen in ihrer Wohnküche eine Reise in die Vergangenheit, die sich auf einer imaginären Leinwand vor ihrem radikal weiblichen Blick etappenweise abspult.
Mit Kognak taufen die beiden Forscherinnen "die Gunnar-Lennefsen-Expedition, mit der sie in den äußersten Norden ihrer weiblichen Gedächtnisse vorzudringen hoffen, dorthin, wo die Vereisungen am dicksten sind, wo das Packeis treibt und vereinzelt auftauchende Visionen rasch zum Untertauchen zwingen". Den Namen des Projekts können die mitteldeutschen Beinahe-Hexen, so wird geraunt, "einander von den Augen ablesen". Er erscheint ihnen "als geeignetes Codewort, weil er mit nördlichem Klang daherkommt, weil Männer wie Scott, Amundsen, Barents und Zeppelin zwischen den Vokalen hocken, die immerhin enorme Vorstöße gewagt hatten. Wenn Gunnar Lennefsen auch zu keiner Zeit existiert haben mochte, so ersteht er doch als Legitimation eines weiblichen Aufbruchs, der vorhat, dem in Josephas Bauch wachsenden Kinde eine Geschichte zu schaffen."
Der Leser, erschöpfend instruiert und gehorsam zwischen den Vokalen suchend, mag das Bedürfnis verspüren, sich für die Abenteuerfahrt ins Uferlose gleichfalls mit Proviant zu versorgen. Er wird indes, während er unter den Packeisschollen der Schmidtschen Wortwucht nach Atem ringt, mit Anfällen von Appetitmangel zu kämpfen haben. Wo die Historie als Domäne der Frauen abgehandelt und ausgemalt wird, sind allerlei Sekrete und Exkremente zu gewärtigen, Ausflüsse aus "dünstenden Drüsen", Kot und Sperma in verschiedenen Farben, hartnäckige Aromen einer "geschlechtlichen Dunstwolke". Wo Blut und Sputum, Frucht- und Schwitzwasser nicht gerade durch die Erzählung rinnen, unterspülen sie doch noch die Metaphorik: Gleich die erste, ostpreußische Szene aus dem Familienalbum, in der Therese Schlupfburg ihren Bruder Paul mit einem letalen Holzpantinenwurf vor dem Giftgastod auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs bewahrt, "erbricht" sich auf die vorgestellte Projektionswand.
So saft- wie kraftvoll wird hier noch einmal das Klischee bedient, Geschichte aus weiblicher Sicht sei vor allem Körpergeschichte, eine endlose Kette von Zeugungsakten und Todesfällen, Brunft- und Stillzeiten, schweren und leichteren Geburten, im Gedächtnis markiert durch die dazugehörigen Ausdünstungen und Absonderungen. Therese übersetzt einen unbeholfenen Erinnerungsbrief ihrer Tochter Ottilie für die Urenkelin "ins Verfängliche", und schon wird zwischen den Zeilen "verströmender Atem wie Endzeichen Lebens" vernehmbar, "Stöhnen aus Übereinstimmung und nasses Klatschen, wie wenn ein Körper einen anderen freigibt, im Akt der Geburt zum Beispiel".
Krieg, Vertreibung, Flucht und politische Wechselbäder sind nur Kulisse für das brodelnde Geschlechtsleben. Selbst das Amtsstubenporträt des Staatsoberhauptes der DDR mutiert in der Phantasie seiner Untertaninnen zum leibhaftigen Sittenstrolch, setzt ihnen zu mit "schweinischen Reden und Gesten" und befeuert "ihr törichtes Sehnen mit einem kirschroten Feuchtmund". Kosmische Dimensionen gewinnt die alles überschwemmende Physis des Weibes in der "Galaktorrhöe" der Knopfhändlerin Carola Hebenstreit, deren Milchstrahl nach einer überstürzten Niederkunft ausgewachsene Männer nährt, Arztglatzen in Lockenmähnen und knöcherne Amtsschreiber in athletische Kommunisten verwandelt und sogar für Butter, Quark und Käse reicht.
Leider ertrinkt die skurrile Komik solcher Einfälle im Sturzbach einer Logorrhöe, die keine Ruhepausen, keine Nuancen kennt, die unentwegt Feuchtes, Fleischiges, Schleimiges, Erdiges, Schwersymbolisches auf den Leser niederklatschen läßt, kanalisiert und gebändigt allenfalls in gespreizten Wendungen wie "Überm Erinnern bittert der Kaffee" oder "Josepha stirnt ihren Blick streng auf die Urgroßmutter zu", die den Eindruck des bemüht Manierierten steigern. So gewaltig ist die Sprachgebärfreude der Romandebütantin, daß sie nur dem Schwall, der Dröhnung einen Effekt zutraut und ihre Erfindungen im Überschwang zu Tode schwätzt: Die Beschwörung der "im Jahre neunzehnhundertneunundvierzig anscheinend endgültig befestigten Grenze" trägt schon bald ebenso quälende Abnutzungsspuren wie der Auftritt weiblicher Gottheiten mit gelehrten Namen, von denen "Ambivalentia, die Göttin der Doppelwertigkeit" auch noch am "blutigen Brot der Dialektik" kauen muß.
Zum Glück hat "Souf Fleur, der Zeitgeist", der Autorin eingeflüstert, ein paar harmlosere, gemeinsame Reminiszenzen von Ost und West im Wortstrom zu verankern, den Schlager "Juanita Banana" oder die Heidelbeerwein-Episode aus der "Feuerzangenbowle", an denen sich festhalten kann, wer an der Überdosis von "Milchfett und Mutterzucker", eklen Schneckengerichten und schwangeren siamesischen Zwillingsratten keinen Geschmack findet. Eine kleine, stille Stelle in der Mitte des Romans schließlich verrät, wie Kathrin Schmidts Erzählstimme klingen könnte, wenn sie sich bei Gelegenheit zu einem schlichteren, natürlicheren Ton herabließe. Josepha und Therese haben die Expedition urlaubshalber nach Usedom verlegt, sitzen am Strand und schauen auf das Meer unter der flimmernden Luft: "Alles schweigt und schwankt in der Sonne, selbst Kinder legen sich lautlos in die Armbeugen ihrer Eltern oder Geschwister, schieben sich Daumen oder den Ringfinger tief in den Mund und versuchen zu schlafen, die sonst so kreischigen Möwen stecken am Landungssteg die Köpfe unter die Flügel und schweigen, als hätte der hundertjährige Schlaf begonnen, und als Josepha sich langsam umschaut, ist ihr, als wüchse von dort, wo sonst der Strandhafer weht, eine Hecke von Dornen über sie her." KRISTINA MAIDT-ZINKE
Kathrin Schmidt: "Die Gunnar-Lennefsen-Expedition". Roman. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 1998. 429 Seiten, geb., 42,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kathrin Schmidt unternimmt "Die Gunnar-Lennefsen-Expedition"
Wer ist Hasimausi? Ein Lichtblick, ein Rettungsanker im Personenverzeichnis zum Roman "Die Gunnar-Lennefsen-Expedition". Unprätentiös und heiter wie ein Sonnenstrahl durchbricht Hasimausi die Qualmwolken, die von lauter angestrengt bodenständigen, vollmundigen, vor Hirnschmalz triefenden Figurennamen und knarrend ineinander verschraubten Kurzbiographien aufsteigen, wie zum Beispiel "Ottilie Wilczinski, geb. Schlupfburg, spätere Reveslueh, häufig Glasbruch verursachende Tochter der Therese Schlupfburg, Großmutter der Hauptperson, Mutter Rudolph Schlupfburgs und, sensationell spätgebärend, des kleinen Avraham Bodofranz". Daß Hasimausis Identität in "vier Mütter" aufgespalten ist, die sich gemeinsam überdies für eine Springspinne halten, tut der Erfrischung keinen Abbruch, die der launige Kosename dem Lesergemüt kurzfristig verschafft.
Hätte die aus Thüringen stammende, im Osten Berlins lebende Bachmann-Preisträgerin Kathrin Schmidt sich ein wenig mehr lächelnde Leichtigkeit gestattet, wäre auch Gunnar Lennefsen, die Fiktion in der Fiktion, im Personenverzeichnis erschienen. Aber die matriarchalische Geschichtsbetrachtung, in deren Diensten der Titelheld steht, ist ein schwergewichtiges Geschäft, bei dem selbst das Groteske gravitätisch daherkommt.
Mitte der siebziger Jahre wird in einer thüringischen Kleinstadt die junge Druckerin Josepha Schlupfburg von einem Angolaner geschwängert. Sie setzt sich in den Kopf, ihrem "schwarzweißen Kind" eine Sippenchronik zu schenken, eine mit Erzählstoff solide unterfütterte Ahnenreihe mütterlicherseits, die bis zum Beginn des Jahrhunderts zurückreicht. Ihre Verbündete wird Urgroßmutter Therese, die wie Josepha über magische Kräfte und mediale Empfänglichkeit verfügt. Ausgerüstet mit Röstbrotwürfeln, Reibkäse und Relikten aus dem Familienarchiv, unternehmen die Damen in ihrer Wohnküche eine Reise in die Vergangenheit, die sich auf einer imaginären Leinwand vor ihrem radikal weiblichen Blick etappenweise abspult.
Mit Kognak taufen die beiden Forscherinnen "die Gunnar-Lennefsen-Expedition, mit der sie in den äußersten Norden ihrer weiblichen Gedächtnisse vorzudringen hoffen, dorthin, wo die Vereisungen am dicksten sind, wo das Packeis treibt und vereinzelt auftauchende Visionen rasch zum Untertauchen zwingen". Den Namen des Projekts können die mitteldeutschen Beinahe-Hexen, so wird geraunt, "einander von den Augen ablesen". Er erscheint ihnen "als geeignetes Codewort, weil er mit nördlichem Klang daherkommt, weil Männer wie Scott, Amundsen, Barents und Zeppelin zwischen den Vokalen hocken, die immerhin enorme Vorstöße gewagt hatten. Wenn Gunnar Lennefsen auch zu keiner Zeit existiert haben mochte, so ersteht er doch als Legitimation eines weiblichen Aufbruchs, der vorhat, dem in Josephas Bauch wachsenden Kinde eine Geschichte zu schaffen."
Der Leser, erschöpfend instruiert und gehorsam zwischen den Vokalen suchend, mag das Bedürfnis verspüren, sich für die Abenteuerfahrt ins Uferlose gleichfalls mit Proviant zu versorgen. Er wird indes, während er unter den Packeisschollen der Schmidtschen Wortwucht nach Atem ringt, mit Anfällen von Appetitmangel zu kämpfen haben. Wo die Historie als Domäne der Frauen abgehandelt und ausgemalt wird, sind allerlei Sekrete und Exkremente zu gewärtigen, Ausflüsse aus "dünstenden Drüsen", Kot und Sperma in verschiedenen Farben, hartnäckige Aromen einer "geschlechtlichen Dunstwolke". Wo Blut und Sputum, Frucht- und Schwitzwasser nicht gerade durch die Erzählung rinnen, unterspülen sie doch noch die Metaphorik: Gleich die erste, ostpreußische Szene aus dem Familienalbum, in der Therese Schlupfburg ihren Bruder Paul mit einem letalen Holzpantinenwurf vor dem Giftgastod auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs bewahrt, "erbricht" sich auf die vorgestellte Projektionswand.
So saft- wie kraftvoll wird hier noch einmal das Klischee bedient, Geschichte aus weiblicher Sicht sei vor allem Körpergeschichte, eine endlose Kette von Zeugungsakten und Todesfällen, Brunft- und Stillzeiten, schweren und leichteren Geburten, im Gedächtnis markiert durch die dazugehörigen Ausdünstungen und Absonderungen. Therese übersetzt einen unbeholfenen Erinnerungsbrief ihrer Tochter Ottilie für die Urenkelin "ins Verfängliche", und schon wird zwischen den Zeilen "verströmender Atem wie Endzeichen Lebens" vernehmbar, "Stöhnen aus Übereinstimmung und nasses Klatschen, wie wenn ein Körper einen anderen freigibt, im Akt der Geburt zum Beispiel".
Krieg, Vertreibung, Flucht und politische Wechselbäder sind nur Kulisse für das brodelnde Geschlechtsleben. Selbst das Amtsstubenporträt des Staatsoberhauptes der DDR mutiert in der Phantasie seiner Untertaninnen zum leibhaftigen Sittenstrolch, setzt ihnen zu mit "schweinischen Reden und Gesten" und befeuert "ihr törichtes Sehnen mit einem kirschroten Feuchtmund". Kosmische Dimensionen gewinnt die alles überschwemmende Physis des Weibes in der "Galaktorrhöe" der Knopfhändlerin Carola Hebenstreit, deren Milchstrahl nach einer überstürzten Niederkunft ausgewachsene Männer nährt, Arztglatzen in Lockenmähnen und knöcherne Amtsschreiber in athletische Kommunisten verwandelt und sogar für Butter, Quark und Käse reicht.
Leider ertrinkt die skurrile Komik solcher Einfälle im Sturzbach einer Logorrhöe, die keine Ruhepausen, keine Nuancen kennt, die unentwegt Feuchtes, Fleischiges, Schleimiges, Erdiges, Schwersymbolisches auf den Leser niederklatschen läßt, kanalisiert und gebändigt allenfalls in gespreizten Wendungen wie "Überm Erinnern bittert der Kaffee" oder "Josepha stirnt ihren Blick streng auf die Urgroßmutter zu", die den Eindruck des bemüht Manierierten steigern. So gewaltig ist die Sprachgebärfreude der Romandebütantin, daß sie nur dem Schwall, der Dröhnung einen Effekt zutraut und ihre Erfindungen im Überschwang zu Tode schwätzt: Die Beschwörung der "im Jahre neunzehnhundertneunundvierzig anscheinend endgültig befestigten Grenze" trägt schon bald ebenso quälende Abnutzungsspuren wie der Auftritt weiblicher Gottheiten mit gelehrten Namen, von denen "Ambivalentia, die Göttin der Doppelwertigkeit" auch noch am "blutigen Brot der Dialektik" kauen muß.
Zum Glück hat "Souf Fleur, der Zeitgeist", der Autorin eingeflüstert, ein paar harmlosere, gemeinsame Reminiszenzen von Ost und West im Wortstrom zu verankern, den Schlager "Juanita Banana" oder die Heidelbeerwein-Episode aus der "Feuerzangenbowle", an denen sich festhalten kann, wer an der Überdosis von "Milchfett und Mutterzucker", eklen Schneckengerichten und schwangeren siamesischen Zwillingsratten keinen Geschmack findet. Eine kleine, stille Stelle in der Mitte des Romans schließlich verrät, wie Kathrin Schmidts Erzählstimme klingen könnte, wenn sie sich bei Gelegenheit zu einem schlichteren, natürlicheren Ton herabließe. Josepha und Therese haben die Expedition urlaubshalber nach Usedom verlegt, sitzen am Strand und schauen auf das Meer unter der flimmernden Luft: "Alles schweigt und schwankt in der Sonne, selbst Kinder legen sich lautlos in die Armbeugen ihrer Eltern oder Geschwister, schieben sich Daumen oder den Ringfinger tief in den Mund und versuchen zu schlafen, die sonst so kreischigen Möwen stecken am Landungssteg die Köpfe unter die Flügel und schweigen, als hätte der hundertjährige Schlaf begonnen, und als Josepha sich langsam umschaut, ist ihr, als wüchse von dort, wo sonst der Strandhafer weht, eine Hecke von Dornen über sie her." KRISTINA MAIDT-ZINKE
Kathrin Schmidt: "Die Gunnar-Lennefsen-Expedition". Roman. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 1998. 429 Seiten, geb., 42,- DM.
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