Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 11,70 €
Produktdetails
  • Verlag: Shaker
  • 1997.
  • Seitenzahl: 60
  • Deutsch
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 106g
  • ISBN-13: 9783826531675
  • ISBN-10: 3826531671
  • Artikelnr.: 07709652
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.1998

Muschelziegen, Mimenmörder
Cornelia Boese holt die Souffleuse ans Tageslicht

Nomen est omen: Monsieur Taupe ist der Maulwurf unter den Theaterangestellten. Er lebt unter dem Bühnenboden, sein Aufenthaltsort ist nur an einem muschelartigen Hügel an der Rampe erkennbar. Mit überartikulierten, fast lautlosen Würfen seines Mundes hält er Schauspieler und Sänger auf dem laufenden, als grübe er Silben, Wörter, Sätze, Gesangsphrasen aus dem Erdreich. In Richard Strauss' Konversationsstück für Musik "Capriccio" hat er nur einen winzigen Auftritt. Der aber trifft ins Schwarze.

Monsieur Taupe, ein "kurzsichtiger, kleiner, unscheinbarer Mann mit einem großen Buch unter dem Arm", ist von seiner Theatergruppe im Rokokoschloß bei Paris vergessen worden; seine Kollegen sind ohne ihn heimgefahren. Er ist melancholisch und immerzu müde. Zum Ausgleich dafür, daß er unauffällig, ja unsichtbar zu sein hat, daß er, Sündenbock statt Star der Aufführung, Spott statt Beifall erhält, wähnt er sich als unterirdischen Herrscher einer magischen Welt und bedichtet seinen aufreibenden, schlecht bezahlten Beruf: "Erst wenn ich in meinem Kasten sitze, / beginnt das Weltenrad der Bühne sich zu dreh'n! / Die tiefen Gedanken uns' rer Dichter, / ich flüst're sie leise vor mich hin / und alles beginnt zu leben."

Ohne den Souffleur, der - abgesehen vom Herrenclub der Wiener Staatsoper - meistens weiblich ist, wäre tatsächlich mancher Sänger und mancher Schauspieler verloren. Die Arbeit der Souffleuse beginnt indessen schon im ersten Augenblick einer Operneinstudierung. Sie lernt die Partitur mit Noten und Text möglichst auswendig, merkt sich in den Proben Eigenarten und Probleme jedes Sängers (auch im Chor), ahnt Fehler und Hänger voraus, fühlt die Tagesform der Sänger, ist Psychologin und Müllhalde für Seelenschutt. Sie ist ein Ausbund an Energie und Konzentration und schläft in ihrer unterirdischen Zelle - anders, als die Fama es ihr vorwirft - nie ein, auch nicht in einer fünfstündigen Wagner-Oper.

Die Souffleuse Cornelia Boese hat mit der wahrhaft enzyklopädischen, dabei amüsanten Schilderung ihres Berufs Neuland betreten. Da es darüber bisher keine Literatur gab, beschloß die Musikstudentin, für ihre Examensarbeit über das Berufsbild der Souffleuse Betroffene in aller Welt anzuschreiben. Das Ergebnis war überwältigend: Aus der Flut der Antwortbriefe, in denen diese "Maulwürfe" endlich einmal zum eigenen Wort kommen durften, filterte die Einbläserin in spe das Weltbild der unterschätzten, übersehenen, geschmähten Murmelmännchen und -weibchen, Flüstertüten, Muschelziegen und Mimenmörder: Das Repertoire an Kosenamen ist unerschöpflich.

Der verblüffte Leser erfährt, daß schon Plutarch den "hyboleus" kannte, daß der mittelalterliche Spielleiter auch einflüsterte; er erlebt die Entwicklung des Kastens als Bestandteil der Kultur- und Theatergeschichte, beobachtet die Souffleuse bei ihrer Arbeit in verschiedenen Ländern (mit unterschiedlichen Schwerpunkten der Tätigkeit), wird in das "Handwerk" eingeführt, das tatsächlich fast wie beim Dirigieren die Gliedmaßen fordert. Voraussetzungen für diesen vielseitigen Beruf ohne geregelte Ausbildung und ohne Freizeit werden erörtert, die Arbeitsphasen vom Heimstudium vor der ersten Probe bis zur Premiere werden geschildert.

Welche Soufflierarten gibt es? Sind Nebenjobs möglich? Welche zusätzlichen Anforderungen bringen Gastsänger und Einspringer mit? Welches Sozialprestige hat die Souffleuse bei Sängern, Intendanten, beim Publikum? Wie wird sie als Figur in Literatur und Oper geschildert? Was spricht gegen, was für den Beruf? Der Leser ist überrascht, daß die Autorin all dies in aller Ausführlichkeit auf nur gut sechzig Seiten unterbringt: eine umfassende, sorgsam abwägende Berufsberatung zwischen Buchdeckeln. ELLEN KOHLHAAS

Cornelia Boese: "Die gute Fee im Kasten". Die Souffleuse im Musiktheater. Shaker Verlag, Aachen 1997. 60 S., br., 39,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr