Interview Karin SlaughterWas hat Sie zu Ihrem neuen Thriller "Die gute Tochter" inspiriert?Karin Slaughter: In "
Pretty Girls", meinem letzten eigenständigen Roman, habe ich über die Beziehung zweier Schwestern geschrieben. Das hat mir viel Spaß gemacht und ich wollte gern wieder etwas in der Art schreiben. Ich bin die jüngste von drei Schwestern und war als klügste und hübscheste der Liebling meiner Eltern. Doch die Aufgabe einer Autorin ist es, sich in den Kopf jede ihrer Figuren zu versetzen.
Viele Bücher zu schreiben, bedeutet, immer wieder etwas Neues zu tun. Also erfand ich Charlie und Sam [aus "
Die gute Tochter"] als eine Art Gegenstück zu Claire und Lydia [aus "
Pretty Girls"]. Charlie sollte keiner meiner bisherigen Figuren ähneln. Sie ist hochqualifiziert, beliebt und manchmal begeht sie sehr dumme Fehler. Anstatt sich herauszuwinden, steht sie aber zu ihren Fehlern, fast mit Stolz. Das ist eine interessante Art, die
Kontrolle über schlechte Erlebnisse zu behalten, wenn auch nicht gerade die beste. Sam dagegen erlebt jeden Moment ihres Lebens vor der Folie dessen, was hätte sein können. Sie will demonstrieren,…mehr Interview Karin Slaughter
Was hat Sie zu Ihrem neuen Thriller "Die gute Tochter" inspiriert?Karin Slaughter: In "Pretty Girls", meinem letzten eigenständigen Roman, habe ich über die Beziehung zweier Schwestern geschrieben. Das hat mir viel Spaß gemacht und ich wollte gern wieder etwas in der Art schreiben. Ich bin die jüngste von drei Schwestern und war als klügste und hübscheste der Liebling meiner Eltern. Doch die Aufgabe einer Autorin ist es, sich in den Kopf jede ihrer Figuren zu versetzen.
Viele Bücher zu schreiben, bedeutet, immer wieder etwas Neues zu tun. Also erfand ich Charlie und Sam [aus "Die gute Tochter"] als eine Art Gegenstück zu Claire und Lydia [aus "Pretty Girls"]. Charlie sollte keiner meiner bisherigen Figuren ähneln. Sie ist hochqualifiziert, beliebt und manchmal begeht sie sehr dumme Fehler. Anstatt sich herauszuwinden, steht sie aber zu ihren Fehlern, fast mit Stolz. Das ist eine interessante Art, die Kontrolle über schlechte Erlebnisse zu behalten, wenn auch nicht gerade die beste. Sam dagegen erlebt jeden Moment ihres Lebens vor der Folie dessen, was hätte sein können. Sie will demonstrieren, dass sie sich weiterentwickelt hat, erreicht jedoch das Gegenteil. Jede Schwester kämpft auf ihre eigene Weise und jede scheitert auf ihre Weise. Es sagt sehr viel über Menschen aus, wie sie mit Unglück umgehen.
Welche Recherche unternahmen Sie für die Arbeit an "Die gute Tochter"?Karin Slaughter: Durch die Will-Trent-Romane weiß ich recht viel darüber, wie Cops, Agenten und Staatsanwälte über Kriminelle denken. Daher war es nun eine Herausforderung, mich in den Kopf von Verteidigern zu versetzen. Häufig wissen sie, dass ihr Klient schuldig ist, und müssen sich dennoch fürdie kleinstmögliche Strafe einsetzen - das wäre ein Gräuel für mich und vermutlich die meisten Menschen. Gespräche mit mehreren Rechtsanwälten brachten mir ihre Denkweise näher. Eine Frau, die nur jugendliche Straftäter verteidigt, sagte, ihr Job sei es, dafür zu sorgen, dass die andere Seite "fairspiele" und ihren Klienten nicht zu viel abverlange. Diese Feinheit erscheint mir wichtig. Solch eine Anwältin ist Charlie, ein Verteidigerin in jedem Sinne. Sie ordnet sich dem "Spiel" nicht gern unter, aber sie versteht die Regeln.
Ich sprach auch mit einem Anwalt, der hier in Atlanta reiche Sportler vertritt - egal ob es um Drogen, Vergewaltigung oder Mord geht. Was ist, fragte ich ihn wie alle anderen, wenn ein Klient freigesprochen wird und dann eine solche Tat wieder begeht? Alle Frauen antworteten auf die Frage, das sei ihnen schon passiert und sorge für schlaflose Nächte. Der Mann aus Atlanta antwortete: "Woher wissen Sie, dass derjenige die erste Tat beging und dass er es nun wieder war?" Damit hat er zwar Recht, aber seine Sympathien verspielt.
Die Schwestern in "Die gute Tochter" sind beide auf ihre Weise sehr tough. Wie wichtig ist es Ihnen, Geschichtenaus der Perspektivestarker Frauen zu erzählen?Karin Slaughter: Ich schreibe aus den Perspektiven, die mir täglich begegnen. Ich bin im Süden aufgewachsen, umgeben von unglaublich zähen Frauen. Einige wurde Tag für Tag verprügelt und standen dennoch jeden Morgen auf und versorgten ihre Familie. Trotz dieser Realität wurden Frauen als das schwache, unterlegene Geschlecht wahrgenommen. Mädchen sollten feminin, ruhig und zurückhaltend sein, um Jungs zu gefallen. Denn sollten sie, Gott bewahre, den Jungs nicht gefallen, würden sie mittellos enden. Ständig wurde ich als Kind aufgefordert, gesittet und unterwürfig zu sein - dabei taten alle Frauen um mich das genaue Gegenteil. Ich weiß nicht, ob diese Scheinheiligkeit ein Markenzeichen des Südens ist. Ein Sprichwort fasst es gut zusammen: Südstaatlerinnen sind wie Schwäne. Um anmutig über das Wasser zu gleiten, müssen ihre Füße unter der Oberfläche heftig paddeln.
Sie schreiben über Verbrechen, insbesondere Gewaltverbrechen gegen Frauen, wie sie leider allzu häufig sind. Basiert "Die gute Tochter" auf einem spezifischen Fall? Wenn ja, fanden Sie es schwierig, damit umzugehen?Karin Slaughter: Wenn ich über Verbrechen schreibe, ist mir dabei bewusst, dass diese Dinge überall auf der Welt geschehen, mehrfach am Tag. Gerade Gewalt gegen Frauen. Das US Center for Disease Control [US-Zentrale zur Krankheitsbekämpfung] ermittelt und veröffentlicht jährlich einen Report über die häufigsten Todesursachen in Amerika. Die häufigste Todesursache bei weiblichen Säuglingen ist Totschlag; bei schwangeren Frauen ist es ebenfalls Totschlag. Bei Frauen der Altersgruppen 0 bis 45 finden sich Tötungsdelikte immer unter den fünf häufigsten Todesursachen. Tatsächlich ist fast jede Gewalttat, die nicht im Zusammenhang mit Bandenkriminalität steht, direkt oder indirekt gegen Frauen gerichtet. Amokläufer in den USA sind meist wütende junge Männer, deren erstes Opfer eine Exfreundin, die Mutter oder eine andere Frau ist. Um also die Frage zu beantworten: Verbrechen wie in "Die gute Tochter" geschehen ständig, und ich finde es nicht sehr schwierig über sie zu schreiben, sondern sehe mich dazu verpflichtet, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten und zu fragen: "Was werden wir dagegen tun?"
Erinnern Sie sich an die allererste Geschichte, die Sie geschrieben haben?Karin Slaughter: Ich habe noch eines von den Exemplaren der Geschichte "The Boom Diddy Kitty". Sie handelt von einem Kätzchen, das einem nicht sehr beliebten Kind hilft. Katzen sind großartig.
Wer ist Ihr Lieblingsautor und warum?Karin Slaughter: Gern lese ich Sachbücher von Erik Larson, Jon Krakauer, Ann Rule oder Doris Kearns Goodwin. Außerdem mag ich die üblichen Verdächtigen unter den Romanautoren: Lee Child, Sara Blædel, Alafair Burke, John Irving, Stephen King, Denise Mina, Mo Hayder. Als Leserin wird man verwöhnt heutzutage. Wenn ich mich auf einen Favoriten festlegen soll, nenne ich Flannery O'Connor. Ihre Werke sind überraschend, urkomisch und manchmal brutal. Als Kleinstadtmädchen ihre Geschichten zu lesen war aufregend, weil sie so gar nicht dem entsprachen, was man in netter Runde erzählte. Später begriff ich, dass sie Gewalt nutzt, um das menschliche Wesen zu demaskieren. O'Connor zeigt uns, wer wir wirklich sind.
Wären Sie nicht Schriftstellerin geworden, was hätten Sie gern in Ihrem Leben getan?Karin Slaughter: Schon seit dem Kindergarten wollte ich nie etwas anderes werden als Schriftstellerin. Ich hielt es immer fürunmöglich, davon leben zu können. Daher überlegte ich mir Alternativen: Anwältin, Illustratorin, Astronautin - all die coolen Berufe. Letztlich wurde ich Kammerjägerin und Anstreicherin, verkaufte Schilder und wurde Ladenbesitzerin. Was ich in meiner Freizeit tat, zahlte sich schließlich aus: Ich bekam meinen ersten Buchvertrag. Seitdem freue ich mich jeden Tag, was für ein Glückspilz ich bin, genau den Job zu haben, den ich schon immer wollte.
Interview: Literaturtest