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Gründet Berlin auf einen gigantischen Schwindel? Ein Privatdetektiv soll einen Wendezeitroman für seine Kusine Nadine schreiben, eine schwarzafrikanische Verschwörung bedroht die neue Hauptstadt und zwei Anarchisten planen den Untergang des Abendlandes: Ein Fest für Medienmenschen. Doch in einer allseits gefährdeten Gesellschaft kann das Fest leicht zur Totenfeier ausarten. "Grell, spannend, böse und komisch." (Süddeutsche Zeitung)

Produktbeschreibung
Gründet Berlin auf einen gigantischen Schwindel?
Ein Privatdetektiv soll einen Wendezeitroman für seine Kusine Nadine schreiben, eine schwarzafrikanische Verschwörung bedroht die neue Hauptstadt und zwei Anarchisten planen den Untergang des Abendlandes: Ein Fest für Medienmenschen. Doch in einer allseits gefährdeten Gesellschaft kann das Fest leicht zur Totenfeier ausarten.
"Grell, spannend, böse und komisch." (Süddeutsche Zeitung)
Autorenporträt
Kubiczek, AndréAndré Kubiczek, 1969 in Potsdam geboren, studierte Germanistik in Leipzig und Bonn. 2002 erschien sein hochgelobter Debütroman «Junge Talente», 2007 wurde er mit dem Candide-Preis ausgezeichnet. Nach «Skizze eines Sommers» (2016), «ein Zauberwerk von einem Buch» (Hamburger Abendblatt), das auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand und das die «Süddeutsche Zeitung» «ebenso lässig wie existenziell» nannte, folgte zuletzt «Straße der Jugend» (2020). André Kubiczek lebt als freier Schriftsteller in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2003

Berlin ist eine Bombe wert
Blutrünstig bis gleichnishaft: André Kubiczek klärt auf

An Vormittagen im Frühling macht Berlin einen beschaulichen Eindruck. Die Bäume sind beruhigend grün, die Straßencafés so gut gefüllt, als müßte niemand arbeiten, der Verkehr fließt träge, niemand scheint es eilig zu haben. Da schlafen sie noch, die Chaoten und Haßkappenträger, die Autoanzünder und Bombenleger, die vergnügungssüchtigen Partygänger und die ganze Halbwelt. Auch der Detektiv hat sich noch nicht erhoben, denn um diese Zeit gibt es für ihn nichts zu beobachten. Das verrückte und kriminelle Berlin wird erst sichtbar, wenn es dunkel wird.

In seinem zweiten Roman faltet André Kubiczek die Topographie der wiedervereinigten Hauptstadt virtuell auf wie den Falk-Plan "Berlin und Umgebung". Darauf verzeichnet er die Orte, an denen die Nerven der kranken Stadt sich vernetzen: die Bars und Restaurants, die Sexclubs und die Anarchistenkneipen, die Treffpunkte der Kulturschickeria, die verrottenden Hochschulen und die schicken oder schäbigen Altbauwohnungen, in denen kleine Ränke oder große Verschwörungen geschmiedet werden.

Die Wege seiner Figuren zeichnet er ein, bis sich alle Linien miteinander vernetzen. In der Mitte der trinkfeste Frührentner und Privatdetektiv Raymond Schindler, Alter ego des Erzählers; drum herum Zampano Dunkel, Chefredakteur eines Zeitgeist-Magazins, seine junge Frau Nadine und sein Kolumnist Börries von Stammler; Kuno Neppes, querdenkender Politiker; Roberto Schwarzhaupt, Afrikanist, und seine Frau Vanessa, Rassistin und Liebhaberin alternativer Sexualbetätigungen; Bolèmia Hetschel, Redakteurin eines boulevardesken Fernsehmagazins; Leit Wolf, ehemaliger Stasi-Offizier, und sein verfetteter kleinkrimineller Sohn Zigmund Fraud; der Hacker Zeus, Kind ehemaliger vietnamesischer Vertragsarbeiter in der DDR, und seine Freundin Nike Müller und weitere Personen mit sprechenden Namen nebst Lord Nelson, einem Wellensittich.

Wie nun aus dieser Figurenkonstellation eine Handlung wird, erläutert der Detektiv selbst: "Ich notierte für Nadine, daß die vordergründige Handlung von einer zweiten durchkreuzt werden müsse - in Klammern setzte ich dritte, vierte, fünfte usf. - (...) Ich lieferte auch gleich ein paar Themenbereiche für solche Nebenhandlungen mit: Mythologisches (blutrünstig bis gleichnishaft), Geschichtliches (blutrünstig bis gedenkenfördernd), Kriminalistisches (sehr blutrünstig, neue Umbringmethoden ersinnen!) und vor allem Sexuelles und dabei vor allem abnorm Sexuelles (Praktiken am Rande des Nervenzusammenbruchs, aber ohne allzuviel Blut). Der Effekt, den ich mir davon erhoffte, war nicht mehr und nicht weniger als eine Verwirrung des Lesers ..."

Die gelingt. Die vordergründige Handlung: Schindler arbeitet an zwei Fällen zugleich. Er soll ein Buch über Nadines wilde Berliner Jahre nach der Wende schreiben und im Auftrag der Fernsehredakteurin ermitteln, was es mit einer Horde Buschmänner auf sich hat, die nächtens beim Durchstöbern der Mülleimer der universitären Mensa beobachtet worden sind. Beide Fälle löst er mit Hilfe zahlreicher Drinks auf die gleiche Weise, nämlich durch Erfindung. Aufklärung findet dagegen im Bereich der Nebenhandlungen statt. Sie reicht bis in die koloniale Vergangenheit von Nikes Großvater Holm von Prinz und ihrem Zusammenhang mit aktuellen blutrünstigen Vorgängen in Afrika. Der Leser erfährt aber auch viel über die Eheprobleme der Schwarzhaupts, über alltägliche Gewalt in allen Spielarten, über politische Durchstechereien, den Schwindel der Medien, Kriminalität im Internet und die subversiven Aktionen abgehalfterter Agenten. Blut, Alkohol, Urin und Kotze fließen in Strömen, es platzen Bomben der realen und der metaphorischen Art, und Informationen mischen sich zum gigantischen Schlamassel. Mitten im Chaos aber blüht die zarte Liebe zwischen Zeus und Nike.

André Kubiczek ist ein begnadeter Stilparodist und Sprachjongleur. Er beherrscht den urbanen Stil und die Technik Chandlers samt den geschliffenen Dialogen, den coolen Ton des zeitgenössischen Pop-Romans nebst Cyberpunk und Splatter, und er fingiert wie mühelos die Sprache eines Reiseberichts aus dem neunzehnten Jahrhundert. Er ist literarisch und philosophisch beschlagen, kennt sich im Internet aus wie im heimischen Kiez, und vor allem ist er mit den Verschwörungstheorien dieser Welt vertraut. Dieser allmächtige Erzähler hat vor nichts Respekt, er schaltet und waltet, wie er will, und kann allen seinen Geschöpfen in den Kopf schauen. Selbst im kleinen Hirn des Wellensittichs fühlt er sich zu Hause, und siehe da: Der Vogel ist auch ein philosophisch gewitzter Dampfplauderer von hohen Graden: "Ich ganz allein kann mich aus dieser selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien. Ich hatte die Freiheit gewollt, und die Freiheit hat mir ihre häßliche Fratze gezeigt und obendrein ihr noch häßlicheres Genital. Nun ist es an mir, zu handeln."

Kubiczek kann alles, und das verführt ihn zum Mutwillen. So tut er des Guten und des Bösen zuviel. Da ist zu viel barocke Sprachartistik, zu viel schräge Metaphorik, zu viel abgedrehtes Milieu, zu viel Medienirrsinn und zu viel Verschwörungswahn und auch zu viel Sexualzirkus und Psychopathologie und hintergründig auch zu viel Haß und Neid. Die Matrix, in der die Figuren im Netz zappeln, ist zu heillos komplex, um etwas zu bedeuten. Deshalb wird sie am Ende gelöscht wie eine nicht mehr benötigte Datei. Der Roman, den Chandler in Berlin geschrieben hätte, könnte dann beginnen: "Es war einer dieser Tage, die wie Ziegelsteine auf dem Gemüt liegen. (...) Ich, Raymond Schindler, lag auf dem Bett, rauchte und betrachtete die Lichtspiele, die der Verkehr der Schönhauser Allee an meine Decke warf." Vielleicht wäre das der Berlin-Roman geworden, auf den viele warten. Zu hoffen bleibt einstweilen, daß dieser begabte Erzähler bei seinem bombastischen Berliner Feuerwerk nicht seinen Zündstoff aufgebraucht hat.

André Kubiczek: "Die Guten und die Bösen". Roman. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2003. 320 S., geb., 18,90 [Euro].

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Der Roman schlägt ganz unterschiedliche Tonarten an: mal grell-satirisch, mal spannend-rasant, mal still-introvertiert. Er kreist dabei um eine Vielzahl deutscher Gemütslagen: von den Depressionen einstiger DDR-Mitläufer über den Opportunismus der Polit- und Medien-Karrieristen bis hin zur Hybris der einstigen deutschen Kolonialherren. Illusionen über die menschlichen Abgründe lässt André Kubiczek jedenfalls nicht zu. WDR