Produktdetails
- Verlag: Fest
- Originaltitel: Les Bonnes intentions
- Seitenzahl: 136
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 288g
- ISBN-13: 9783828601536
- ISBN-10: 3828601537
- Artikelnr.: 09913372
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2002Und raus bist Du
Sturz ins Wirre: Agnès Desarthes’ Roman „Die guten Vorsätze”
Mit der Wirklichkeit steht Sonja auf Kriegsfuß. Sie besitzt eine lange Liste existierender Dinge, deren Vorhandensein sie bezweifelt – und eine ebenso lange Liste nicht existierender Dinge, an die sie glaubt. Nur bei ihrem Mann Julien, einem bekennenden Pessimisten, fühlt sie sich wirklich sicher. Die beiden sind gerade in eine Wohnung in Paris gezogen und gehen ihren Tätigkeiten als Architekt und Übersetzerin nach. Ihre jüdische Herkunft spielt für sie keine große Rolle, denn sie fühlen sich keiner Kultur richtig zugehörig. Sonja, die Icherzählerin in Agnès Desarthes neuem Roman „Die guten Vorsätze”, fasst zusammen: „Ich identifiziere mich mit allen, ohne mich irgendwo heimisch zu fühlen, und wohl fühle ich mich bei keinem.”
Sonja ist eine genaue Beobachterin und kommentiert sich selbst ebenso wie das Geschehen um sich herum mit ihrem scharfen jüdischen Humor. Irgendwann beginnt sie sich halbherzig um einen alten Nachbarn, den vernachlässigten Monsieur Dupotier, zu kümmern. Voller Selbstironie entlarvt die Icherzählerin ihre scheinbare Zuvorkommenheit als Heuchelei: Unverhüllte Totschlagsphantasien niederkämpfend, öffnet sie dem Mann die Türe, weil sie sich selbst in der Rolle des Nothelfers gefällt.
Eines Tages berichtet Monsieur Dupotier seiner Nachbarin, er sei geschlagen worden – vom Bruder der Concierge, Monsieur Pierre, einem stupiden und unappetitlichen kleinen Tyrannen. Später sperren die Hausmeister den Alten in seiner Wohnung ein, und als Julien und Sonja eingreifen, schlägt ihnen offener Antisemitismus entgegen. Julien ruft die Polizei; es stellt sich heraus, dass die Concierge und ihr Bruder schon mehrmals wegen Zuhälterei festgenommen worden sind.
Doch die Geschichte nimmt ein unerwartetes Ende, das nur noch in kurzen Stichworten sowie in einem stakkatoartigen Dialog zwischen Sonja und Julien wiedergegeben wird: Die Polizei kann gegen die Hausmeister nichts ausrichten, weil sich Monsieur Pierre als Polizeispitzel nützlich macht. Die beiden kehren nach Hause zurück; Monsieur Dupotier wird in ein Heim abgeschoben. Sonja, die bis zuletzt versuchte, die Vorkommnisse psychologisch zu analysieren, verfällt angesichts dieser Entscheidung der Polizei in Fassungslosigkeit und schließlich in einen Zustand geistiger Verwirrung.
Die Erzählweise der Protagonistin verändert sich im Laufe des Romans immer mehr, sie spiegelt den inneren Zerfallsprozess wider, den die Ereignisse auslösen: Die anfängliche Schärfe der Beobachtungen, die spitzen, oft übermütigen und immer treffenden Bemerkungen, weichen zunehmend hilflosen und passiven Klärungs- und Erklärungsversuchen. Die anfangs wie zufällig wirkenden Ereignisse scheinen eine Eigendynamik zu gewinnen, gegen die Sonjas gelegentliche Eingriffsversuchen, die sie mit immer weniger Kraft und Überzeugung unternimmt, nichts auszurichten vermögen. Zurück bleibt das Hohngelächter der kruden Wirklichkeit über den naiven Idealismus und die kindlichen Träume einer jungen Frau.
Agnès Desarthe hält am Versuch einer moralischen Bewertung der Geschehnisse und Figuren fest, ohne Zuflucht bei einem indifferenten Psychologisieren oder in einer ironischen Überlegenheitspose zu suchen. Den Vorwurf der Klischeehaftigkeit entkräftet sie von vornherein, indem sie ihn an die geschilderte Realität selbst weitergibt. So füllt sie ein altes Muster überzeugend mit neuem Leben: wie in eine scheinbar tadellos angepasste Existenz der Weltekel, die Orientierungslosigkeit und zahllose Ängste einbrechen, die ihre Macht entfalten können, weil sie keine Gespenster, sondern mit der Wirklichkeit im Bunde sind.
MONA CLERICO
AGNÈS DESARTHE: Die guten Vorsätze. Roman. Alexander Fest Verlag, Berlin 2001. 136 Seiten, 17,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Sturz ins Wirre: Agnès Desarthes’ Roman „Die guten Vorsätze”
Mit der Wirklichkeit steht Sonja auf Kriegsfuß. Sie besitzt eine lange Liste existierender Dinge, deren Vorhandensein sie bezweifelt – und eine ebenso lange Liste nicht existierender Dinge, an die sie glaubt. Nur bei ihrem Mann Julien, einem bekennenden Pessimisten, fühlt sie sich wirklich sicher. Die beiden sind gerade in eine Wohnung in Paris gezogen und gehen ihren Tätigkeiten als Architekt und Übersetzerin nach. Ihre jüdische Herkunft spielt für sie keine große Rolle, denn sie fühlen sich keiner Kultur richtig zugehörig. Sonja, die Icherzählerin in Agnès Desarthes neuem Roman „Die guten Vorsätze”, fasst zusammen: „Ich identifiziere mich mit allen, ohne mich irgendwo heimisch zu fühlen, und wohl fühle ich mich bei keinem.”
Sonja ist eine genaue Beobachterin und kommentiert sich selbst ebenso wie das Geschehen um sich herum mit ihrem scharfen jüdischen Humor. Irgendwann beginnt sie sich halbherzig um einen alten Nachbarn, den vernachlässigten Monsieur Dupotier, zu kümmern. Voller Selbstironie entlarvt die Icherzählerin ihre scheinbare Zuvorkommenheit als Heuchelei: Unverhüllte Totschlagsphantasien niederkämpfend, öffnet sie dem Mann die Türe, weil sie sich selbst in der Rolle des Nothelfers gefällt.
Eines Tages berichtet Monsieur Dupotier seiner Nachbarin, er sei geschlagen worden – vom Bruder der Concierge, Monsieur Pierre, einem stupiden und unappetitlichen kleinen Tyrannen. Später sperren die Hausmeister den Alten in seiner Wohnung ein, und als Julien und Sonja eingreifen, schlägt ihnen offener Antisemitismus entgegen. Julien ruft die Polizei; es stellt sich heraus, dass die Concierge und ihr Bruder schon mehrmals wegen Zuhälterei festgenommen worden sind.
Doch die Geschichte nimmt ein unerwartetes Ende, das nur noch in kurzen Stichworten sowie in einem stakkatoartigen Dialog zwischen Sonja und Julien wiedergegeben wird: Die Polizei kann gegen die Hausmeister nichts ausrichten, weil sich Monsieur Pierre als Polizeispitzel nützlich macht. Die beiden kehren nach Hause zurück; Monsieur Dupotier wird in ein Heim abgeschoben. Sonja, die bis zuletzt versuchte, die Vorkommnisse psychologisch zu analysieren, verfällt angesichts dieser Entscheidung der Polizei in Fassungslosigkeit und schließlich in einen Zustand geistiger Verwirrung.
Die Erzählweise der Protagonistin verändert sich im Laufe des Romans immer mehr, sie spiegelt den inneren Zerfallsprozess wider, den die Ereignisse auslösen: Die anfängliche Schärfe der Beobachtungen, die spitzen, oft übermütigen und immer treffenden Bemerkungen, weichen zunehmend hilflosen und passiven Klärungs- und Erklärungsversuchen. Die anfangs wie zufällig wirkenden Ereignisse scheinen eine Eigendynamik zu gewinnen, gegen die Sonjas gelegentliche Eingriffsversuchen, die sie mit immer weniger Kraft und Überzeugung unternimmt, nichts auszurichten vermögen. Zurück bleibt das Hohngelächter der kruden Wirklichkeit über den naiven Idealismus und die kindlichen Träume einer jungen Frau.
Agnès Desarthe hält am Versuch einer moralischen Bewertung der Geschehnisse und Figuren fest, ohne Zuflucht bei einem indifferenten Psychologisieren oder in einer ironischen Überlegenheitspose zu suchen. Den Vorwurf der Klischeehaftigkeit entkräftet sie von vornherein, indem sie ihn an die geschilderte Realität selbst weitergibt. So füllt sie ein altes Muster überzeugend mit neuem Leben: wie in eine scheinbar tadellos angepasste Existenz der Weltekel, die Orientierungslosigkeit und zahllose Ängste einbrechen, die ihre Macht entfalten können, weil sie keine Gespenster, sondern mit der Wirklichkeit im Bunde sind.
MONA CLERICO
AGNÈS DESARTHE: Die guten Vorsätze. Roman. Alexander Fest Verlag, Berlin 2001. 136 Seiten, 17,50 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Schlimmer Verriss! Rezensent Martin Luchsinger vermisst in diesem Roman alles, was die Autorin in ihren früheren Romanen auszeichnete: eine gewisse Leichthändigkeit beim Schreiben, Subtilität und treffsichere Analysen. Der neue Roman hingegen langweilt und verärgert den Rezensenten. Die Ereignisse, die der Hauptfigur bei ihrem Kampf um ein wenig Menschlichkeit in der modernen Welt begegnen, seien banal und vorhersehbar, schimpft Luchsinger. Er kann beim besten Willen nichts Neues, Überraschendes oder Bewegendes in der Geschichte oder ihrer Erzählweise finden. Luchsinger gibt die Hoffnung nicht auf, dass Desarthe in Zukunft wieder zu ihrer früheren Qualität findet, aber sein Urteil über diesen Roman könnte schlimmer kaum sein: "humorlos, uninteressant und belanglos".
© Perlentaucher Medien GmbH
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