Fritz Haarmann dürfte jedem ein Begriff sein. Im Zeitraum von September 1918 bis Juni 1924 tötete er in Hannover mindestens 24 junge Männer, zerstückelte ihre Leichen und entsorgte sie größtenteils in der Leine. Die Kleidung seiner Opfer verkaufte er. Außerdem betrieb er einen Handel mit Fleisch.
Mutmaßungen, dass es sich dabei um das Fleisch der getöteten Männer gehandelt hat, konnten aber nicht…mehrFritz Haarmann dürfte jedem ein Begriff sein. Im Zeitraum von September 1918 bis Juni 1924 tötete er in Hannover mindestens 24 junge Männer, zerstückelte ihre Leichen und entsorgte sie größtenteils in der Leine. Die Kleidung seiner Opfer verkaufte er. Außerdem betrieb er einen Handel mit Fleisch. Mutmaßungen, dass es sich dabei um das Fleisch der getöteten Männer gehandelt hat, konnten aber nicht bewiesen werden und er selbst hat dies konsequent bestritten.
Am 19.12.1924 erging vor dem Landgericht Hannover das Todesurteil wegen Mordes in 24 Fällen.
Dieses Buch befasst sich umfassend mit der Zeit nach Haarmanns Verhaftung. Die Autorin hat dazu die Erinnerungen des zuständigen Kriminalinspektors, eines Strafverteidigers, eines zeitgenössischen Psychologen, Auszüge aus der Krankenakte und das Gerichtsurteil zusammengetragen. Außerdem befasst sie sich ausführlich mit den Protokollen der psychiatrischen Gespräche und endet mit einem psychiatrischen Kommentar. Christine Pozsár war selbst Psychiaterin und legte früh ihren Schwerpunkt auf die Beschäftigung mit dem Gebiet der forensischen Psychiatrie. Sie schrieb Arbeiten über Bewusstseinsstörungen, die Therapie sexueller Deviationen und über Pädagogik in der forensischen Psychiatrie. Bis zu ihrem Tod im Jahr 2001 war sie Oberärztin an der Abteilung Forensische Psychiatrie des Landeskrankenhauses Göttingen.
Wie oft fragt man sich, nachdem man mal wieder eine Meldung über einen Massenmörder gelesen oder gehört hat, was wohl in dessen Kopf so vor sich geht. Viele dieser Menschen können nicht mehr befragt werden, da sie nach ihren Taten Selbstmord begingen. Fritz Haarmann wurde verhaftet und verhört, zudem wurden zahlreiche psychiatrische Gespräche geführt. Die Schlüsse, die daraus gezogen wurden, muten allerdings aus heutiger Sicht sehr fragwürdig an.
Der Psychologe Professor Theodor Lessing aus Hannover sah eine Mitschuld der Bevölkerung (»Unser aller Schuld«). Er war ein sehr aktiver Kritiker sowohl der Ermittlungsarbeit, des Verfahrensablaufs, des für die Verurteilung maßgeblichen Gutachtens und des Todesurteils. Er prangerte eine Mitschuld der Behörden daran an, dass Haarmann so spät überführt wurde und die Zahl der Opfer deshalb so groß werden konnte.
Lessing war zunächst als Prozessbeobachter zugelassen, am 11. Prozesstag wurde ihm jedoch aufgrund seiner kritischen Anmerkungen die weitere Teilnahme untersagt. (»Wir können hier keinen Herrn dulden, der Psychologie treibt.«) Es folgte ein Disziplinarverfahren, Lessing floh in die Tschechoslowakei, wurde dort aber 1933 von einem SS-Kommando aufgespürt und ermordet.
Die Krankenakte Haarmanns setzt zu einem Zeitpunkt ein, an dem er ungefähr 16 Jahre alt war. Es gab reichlich Auffälligkeiten, Diagnosen wie „epileptisches Irresein“, „Nervenschwäche“, „Jugendirresein“ und „krankhafte Neigung zu unzüchtigen Handlungen“, weswegen er als gemeingefährlich eingestuft und in die „Idiotenanstalt Langenhagen“ eingewiesen wurde. Kopfschüttelnd blätterte ich hierhin zurück, als ich später das abschließende Gutachten las.
Sehr umfangreich sind schließlich die Protokolle der psychiatrischen Gespräche. Ein kurzer Eindruck aus über 350 Seiten:
»Ich weiß doch gar nicht, wie viele es waren. Nun sagen die Kriminalbeamten, es waren siebenundzwanzig. Sie zeigen mir Bilder und sagen, den hast du auch aufm Gewissen. Aber ich kenne den nicht. Und dann sage ich: „Vielleicht habe ich nicht siebenundzwanzig umgebracht, sondern dreißig oder vierzig. Aber den auf dem Bild da bestimmt nicht. Doch wenn es Sie beruhigt“, sage ich, „dann schreiben Sie ihn dazu.“ Hahaha!«
Das Gerichtsurteil schließt sich an mit vollständiger Urteilsbegründung.
Der Gutachter Ernst Schulze war Leiter der Heil- und Pflegeanstalt in Göttingen. Über einen Zeitraum von sechs Wochen führte er dort Gespräche mit Haarmann und bescheinigte ihm anschließend volle Zurechnungsfähigkeit. Das Todesurteil wurde vollstreckt am 15. April 1925.