Produktdetails
- Verlag: Dietz, Berlin
- Seitenzahl: 480
- Deutsch
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 588g
- ISBN-13: 9783320019686
- Artikelnr.: 21150824
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.1999Honeckers Ohr
Mit operativer Akte: Was Herbert Häber im Westen zu hören bekam
Detlef Nakath, Gerd-Rüdiger Stephan: Die Häber-Protokolle. Schlaglichter der SED-Westpolitik 1973-1985. Karl Dietz Verlag, Berlin 1999. 480 Seiten, 48,- Mark.
Herbert Häber aus Ostdeutschland war zehn Jahre - von 1975 bis 1985 - in Westdeutschland ein gefragter Mann. Bedeutende Politiker und solche, die es werden wollten, suchten seine Nähe, wann immer er in Bonn und anderen bundesdeutschen Provinzstädten weilte. Häber galt als Erich Honeckers Ohr. 1984 wurde er Politbüromitglied, im November 1985 verschwand er sang- und klanglos von der Bildfläche und landete in der Psychiatrie. Die KPdSU-Führung hatte im August 1984 Erich Honecker gezwungen, seinen geplanten Besuch in der Bundesrepublik abzusagen. Häber, der die Westreise des SED-Chefs vorbereitet hatte, mußte ausbaden, was Moskau an der mit westdeutschen Milliardenkrediten erkauften "Verständigungsbereitschaft" der SED-Führung mißfiel.
Für den Fall, daß sich Häber nicht in seine Rolle als Sündenbock geschickt hätte, hatte Stasi-Chef Erich Mielke nach allen Regeln innerkommunistischer Konfliktbewältigung eine "operative" Akte anlegen lassen. Häber wurde darin in unmittelbaren Zusammenhang mit der Organisation Gehlen, dem BND und der CIA gerückt. Ein Politbüromitglied als Informant westlicher Dienste, das reichte für mehr als nur ein politisches Todesurteil.
Der vorliegende Band enthält drei kurze Dokumentenauszüge dieser hinterhältigen Mielke-Intrige. Die Herausgeber fügten den umfänglichen Schwärzungen (Anonymisierungen) des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen unverständlicherweise noch weitere Verwirrung hinzu, indem sie aus einem SED-Dokument den Betrag der Ruhestandsbezüge für SED-Politbüromitglieder strichen. Sie beliefen sich, was hiermit nachgetragen sei, auf 90 Prozent des Bruttoverdienstes und betrugen 5850 Ostmark zuzüglich einiger von Erich Honecker persönlich zu genehmigender, recht bescheidener Privilegien, die in keinem Verhältnis dazu standen, was Häbers westdeutsche Gesprächspartner am Ende ihres Berufslebens erwartete.
Auch an anderen Stellen verheddern sich die Herausgeber, zwei ehemalige SED-Nachwuchskader, in ihrer unbewältigten Vergangenheit. So schreiben sie in dem stark DDR-deutsch und weltanschaulich gehaltenen Vorwort von einer "den Interessen beider deutscher Staaten dienenden Deutschlandpolitik der SED" und verklausulieren Mord und Totschlag an der innerdeutschen Grenze als "tragische Vorfälle".
Nach allem, was SPD- und PDS-nahe Parteihistoriker bislang an deutsch-deutschen Gesprächsprotokollen und Zeitzeugenerinnerungen schon veröffentlicht haben, um das Ausmaß der Kooperation von SED und SPD zu relativieren, bietet der vorliegende Band nichts Neues aus dem Westen. Die Niederschriften zeitgenössischer Äußerungen von bundesdeutschen Politikern, die Herbert Häber in seinen aktiven Jahren von 1973 bis 1985 angefertigt hat, füllen knapp 400 engbedruckte Seiten. Mit Geduld und Ausdauer kann nachgelesen werden, was unvergessene Männer der legendären Westrepublik seinerzeit dem SED-Politiker zu Protokoll gaben; enthalten sind Ansichten zu Welt- und deutschen Fragen von Hans-Günter Hoppe, Gerhard Jahn, Walther Leisler Kiep, Karl Liedtke, Helmut Becker, Karl Ravens, Norbert Blüm, Karsten D. Voigt, Hans Büchler, Peter Corterier, Günter Huonker, Lothar Späth, Holger Börner, Horst Ehmke, Egon Bahr, Dirk Schneider, Herbert Mies, Wiliam Borm, Wolfgang Mischnik, Olaf von Wrangel, Uwe Ronneburger, Richard von Weizsäcker, Volker Rühe, Hans Schuhmacher, Theodor Waigel, Peter Ulrich, Otto Schily, Wolfgang Schäuble, Erhard Eppler, Gerhard Stoltenberg, Hans-Jürgen Wischnewski, Harry Ristock, Gerhard Reddemann, Gerhard Heilmann, Hermann Gautier, Alexander Longolius, Eberhard Diepgen, Martin Bangemann, Helmut Schäfer, Kurt Fritsch, Günter Verheugen, Hans Koschnik, Ernst Albrecht, Walter Wallmann, Klaus von Dohnanyi, Karl Heinz Schröder und Oskar Lafontaine.
Neben diesen Männern sind nur zwei Politikerinnen von damals - Marie Schlei und Birgit Breuel - mit eigenen Äußerungen präsent, womit die Quote allerdings noch schlechter ausfällt, als sie die SED zu verantworten hat. Die Herausgeber behaupten schlechterdings in ihrem Vorwort, Häbers Unterredung mit Antje Vollmer sei in den einschlägigen Archiven "nicht auffindbar". Die Notizen über eine Unterredung, die Häber am 9. November 1984 mit den Grünen-Politikern Antje Vollmer und Dirk Schneider führte, wurden bereits 1995 in den Materialien der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages zur "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" veröffentlicht. Heute passen die darin enthaltenen peinlichen Anbiederungsversuche an die SED-Diktatur schlecht ins aufrechte Bild der Menschenrechtspartei, weswegen man sie lieber vergessen machen will. Von "nicht auffindbar" kann aber keine Rede sein.
Auch Johannes Rau fehlt in den gesammelten Reden, obwohl das einschlägige Archivgut auch seine Gespräche mit SED-Funktionären enthält. Eines, an dem auch Herbert Häber teilnahm, fand im November 1983 statt. Rau erzählte seinen ostdeutschen Zuhörern, er sei "bekanntlich über die Frage der Wiederbewaffnung der BRD in die Politik gekommen. Er komme von der Gesamtdeutschen Volkspartei Heinemanns, er habe sogar seine Enkelin geheiratet. Er sei auch jetzt in allen Fragen der Friedenssicherung sehr engagiert. Dieses Engagement sei für ihn ungebrochen. Er müsse hier nicht erklären, wie er zur ,Nachrüstung' und zum Doppelbeschluß stehe. Er habe seinerzeit dafür gekämpft, daß die BRD keine Verfügungsgewalt über Atomwaffen erhalte."
Das kam damals gut an in der Hauptstadt der DDR, weswegen Erich Honecker sich einiges von Johannes Rau erwartete, als er ihn drei Jahre später schon als den "Bundeskanzler von morgen" begrüßte. Als Wahlhilfe für Raus Kanzlerkandidatur stoppte die SED-Führung im September 1986 den Zustrom von Asylbewerbern, die via Flughafen Berlin-Schönefeld über West-Berlin in die Bundesrepublik einreisten. Egon Bahr, der als fliegender Bote für Rau die Angelegenheit ausgehandelt hatte, versprach in Raus Namen im Falle eines SPD-Wahlsieges als Gegenleistung die Respektierung der DDR-Staatsbürgerschaft. Rau durfte dafür den Asylbewerberstopp vor der westdeutschen Presse bekanntgeben.
Als Bundespräsident will Rau, wie er in seiner ersten Rede nach der Wahl ausführte, die früheren DDR-Staatsbürger nun gesamtdeutsch respektieren. Vielleicht hilft das auch Herbert Häber, der wegen seiner 18 Monate im SED-Politbüro seit Jahren unter Anklage steht, ohne daß es bislang zum Prozeß kam. Häber erhält keinen Reisepaß, muß sich regelmäßig bei der Polizei melden und kann seine Familienangehörigen in den Vereinigten Staaten nicht besuchen. Erich Mielke hingegen, der für seine Bespitzelung und Psychiatrisierung Sorge trug, wurde wegen seiner Staatsverbrechen nicht zur Verantwortung gezogen und ist heute ein freier Mann.
JOCHEN STAADT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit operativer Akte: Was Herbert Häber im Westen zu hören bekam
Detlef Nakath, Gerd-Rüdiger Stephan: Die Häber-Protokolle. Schlaglichter der SED-Westpolitik 1973-1985. Karl Dietz Verlag, Berlin 1999. 480 Seiten, 48,- Mark.
Herbert Häber aus Ostdeutschland war zehn Jahre - von 1975 bis 1985 - in Westdeutschland ein gefragter Mann. Bedeutende Politiker und solche, die es werden wollten, suchten seine Nähe, wann immer er in Bonn und anderen bundesdeutschen Provinzstädten weilte. Häber galt als Erich Honeckers Ohr. 1984 wurde er Politbüromitglied, im November 1985 verschwand er sang- und klanglos von der Bildfläche und landete in der Psychiatrie. Die KPdSU-Führung hatte im August 1984 Erich Honecker gezwungen, seinen geplanten Besuch in der Bundesrepublik abzusagen. Häber, der die Westreise des SED-Chefs vorbereitet hatte, mußte ausbaden, was Moskau an der mit westdeutschen Milliardenkrediten erkauften "Verständigungsbereitschaft" der SED-Führung mißfiel.
Für den Fall, daß sich Häber nicht in seine Rolle als Sündenbock geschickt hätte, hatte Stasi-Chef Erich Mielke nach allen Regeln innerkommunistischer Konfliktbewältigung eine "operative" Akte anlegen lassen. Häber wurde darin in unmittelbaren Zusammenhang mit der Organisation Gehlen, dem BND und der CIA gerückt. Ein Politbüromitglied als Informant westlicher Dienste, das reichte für mehr als nur ein politisches Todesurteil.
Der vorliegende Band enthält drei kurze Dokumentenauszüge dieser hinterhältigen Mielke-Intrige. Die Herausgeber fügten den umfänglichen Schwärzungen (Anonymisierungen) des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen unverständlicherweise noch weitere Verwirrung hinzu, indem sie aus einem SED-Dokument den Betrag der Ruhestandsbezüge für SED-Politbüromitglieder strichen. Sie beliefen sich, was hiermit nachgetragen sei, auf 90 Prozent des Bruttoverdienstes und betrugen 5850 Ostmark zuzüglich einiger von Erich Honecker persönlich zu genehmigender, recht bescheidener Privilegien, die in keinem Verhältnis dazu standen, was Häbers westdeutsche Gesprächspartner am Ende ihres Berufslebens erwartete.
Auch an anderen Stellen verheddern sich die Herausgeber, zwei ehemalige SED-Nachwuchskader, in ihrer unbewältigten Vergangenheit. So schreiben sie in dem stark DDR-deutsch und weltanschaulich gehaltenen Vorwort von einer "den Interessen beider deutscher Staaten dienenden Deutschlandpolitik der SED" und verklausulieren Mord und Totschlag an der innerdeutschen Grenze als "tragische Vorfälle".
Nach allem, was SPD- und PDS-nahe Parteihistoriker bislang an deutsch-deutschen Gesprächsprotokollen und Zeitzeugenerinnerungen schon veröffentlicht haben, um das Ausmaß der Kooperation von SED und SPD zu relativieren, bietet der vorliegende Band nichts Neues aus dem Westen. Die Niederschriften zeitgenössischer Äußerungen von bundesdeutschen Politikern, die Herbert Häber in seinen aktiven Jahren von 1973 bis 1985 angefertigt hat, füllen knapp 400 engbedruckte Seiten. Mit Geduld und Ausdauer kann nachgelesen werden, was unvergessene Männer der legendären Westrepublik seinerzeit dem SED-Politiker zu Protokoll gaben; enthalten sind Ansichten zu Welt- und deutschen Fragen von Hans-Günter Hoppe, Gerhard Jahn, Walther Leisler Kiep, Karl Liedtke, Helmut Becker, Karl Ravens, Norbert Blüm, Karsten D. Voigt, Hans Büchler, Peter Corterier, Günter Huonker, Lothar Späth, Holger Börner, Horst Ehmke, Egon Bahr, Dirk Schneider, Herbert Mies, Wiliam Borm, Wolfgang Mischnik, Olaf von Wrangel, Uwe Ronneburger, Richard von Weizsäcker, Volker Rühe, Hans Schuhmacher, Theodor Waigel, Peter Ulrich, Otto Schily, Wolfgang Schäuble, Erhard Eppler, Gerhard Stoltenberg, Hans-Jürgen Wischnewski, Harry Ristock, Gerhard Reddemann, Gerhard Heilmann, Hermann Gautier, Alexander Longolius, Eberhard Diepgen, Martin Bangemann, Helmut Schäfer, Kurt Fritsch, Günter Verheugen, Hans Koschnik, Ernst Albrecht, Walter Wallmann, Klaus von Dohnanyi, Karl Heinz Schröder und Oskar Lafontaine.
Neben diesen Männern sind nur zwei Politikerinnen von damals - Marie Schlei und Birgit Breuel - mit eigenen Äußerungen präsent, womit die Quote allerdings noch schlechter ausfällt, als sie die SED zu verantworten hat. Die Herausgeber behaupten schlechterdings in ihrem Vorwort, Häbers Unterredung mit Antje Vollmer sei in den einschlägigen Archiven "nicht auffindbar". Die Notizen über eine Unterredung, die Häber am 9. November 1984 mit den Grünen-Politikern Antje Vollmer und Dirk Schneider führte, wurden bereits 1995 in den Materialien der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages zur "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" veröffentlicht. Heute passen die darin enthaltenen peinlichen Anbiederungsversuche an die SED-Diktatur schlecht ins aufrechte Bild der Menschenrechtspartei, weswegen man sie lieber vergessen machen will. Von "nicht auffindbar" kann aber keine Rede sein.
Auch Johannes Rau fehlt in den gesammelten Reden, obwohl das einschlägige Archivgut auch seine Gespräche mit SED-Funktionären enthält. Eines, an dem auch Herbert Häber teilnahm, fand im November 1983 statt. Rau erzählte seinen ostdeutschen Zuhörern, er sei "bekanntlich über die Frage der Wiederbewaffnung der BRD in die Politik gekommen. Er komme von der Gesamtdeutschen Volkspartei Heinemanns, er habe sogar seine Enkelin geheiratet. Er sei auch jetzt in allen Fragen der Friedenssicherung sehr engagiert. Dieses Engagement sei für ihn ungebrochen. Er müsse hier nicht erklären, wie er zur ,Nachrüstung' und zum Doppelbeschluß stehe. Er habe seinerzeit dafür gekämpft, daß die BRD keine Verfügungsgewalt über Atomwaffen erhalte."
Das kam damals gut an in der Hauptstadt der DDR, weswegen Erich Honecker sich einiges von Johannes Rau erwartete, als er ihn drei Jahre später schon als den "Bundeskanzler von morgen" begrüßte. Als Wahlhilfe für Raus Kanzlerkandidatur stoppte die SED-Führung im September 1986 den Zustrom von Asylbewerbern, die via Flughafen Berlin-Schönefeld über West-Berlin in die Bundesrepublik einreisten. Egon Bahr, der als fliegender Bote für Rau die Angelegenheit ausgehandelt hatte, versprach in Raus Namen im Falle eines SPD-Wahlsieges als Gegenleistung die Respektierung der DDR-Staatsbürgerschaft. Rau durfte dafür den Asylbewerberstopp vor der westdeutschen Presse bekanntgeben.
Als Bundespräsident will Rau, wie er in seiner ersten Rede nach der Wahl ausführte, die früheren DDR-Staatsbürger nun gesamtdeutsch respektieren. Vielleicht hilft das auch Herbert Häber, der wegen seiner 18 Monate im SED-Politbüro seit Jahren unter Anklage steht, ohne daß es bislang zum Prozeß kam. Häber erhält keinen Reisepaß, muß sich regelmäßig bei der Polizei melden und kann seine Familienangehörigen in den Vereinigten Staaten nicht besuchen. Erich Mielke hingegen, der für seine Bespitzelung und Psychiatrisierung Sorge trug, wurde wegen seiner Staatsverbrechen nicht zur Verantwortung gezogen und ist heute ein freier Mann.
JOCHEN STAADT
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