Die Hälfte der Erfahrung versammelt Essays und Reden, die zwischen 1972 (dem Jahr von E. Y. Meyers erster Buchveröffentlichung) bis 1980 entstanden sind. Es sind Reflexionen über Lebens-, Schreib- und Lese-Erfahrungen und über deren Wechselwirkung untereinander. Die Texte zeigen, wie jemand, vom Leben bestimmt, zum Schreiben kommt, und wie nun seinerseits das Abenteuer des Schreibens und der zum Beruf gewordenen Schriftstellerei das Leben zu bestimmen beginnt: den Weg einer beginnenden Identitätsfindung und deren Behauptung in einer Welt, in welcher der Druck der Anonymität, der die Identität des Einzelnen zu zerstören droht, immer stärker wird. Die Essays »Ach Egon, Egon, Egon« und vor allem »Das Zerbrechen der Welt« - letzteres befasst sich mit der am Anfang von Meyers Schreiben stehenden »Kantkrise« - sind von der Kritik und in wissenschaftlichen Arbeiten zu Meyers Werk immer wieder als »Schlüsseltexte« bezeichnet worden. Die Auseinandersetzung mit dem Leben und Werk anderer Schriftsteller - in welcher in einem Prozess von Wiedererkennen und Befremdungsspüren, in einem Entdecken von Ähnlichkeiten und in einer Vornahme von Abgrenzungen die eigene Identität Konturen anzunehmen beginnt - umfasst ein Spektrum, das von Kant und Voltaire bis zum modernen Kriminalroman (oder im Musikbereich bis zum King of Rock'n'Roll Elvis Presley) hin reicht. Weitere Schwerpunkte sind Robert Walser, Hermann Hesse, Robert Louis Stevenson. Neben Texten, die sich mit der Schweiz und Schweizer Verhältnissen befassen, stehen Texte, die sich zur Welt hin öffnen - ja sich ausdrücklich um eine bessere Kenntnis und ein besseres Verständnis unserer selbst und der Welt, in der wir leben, bemühen. Um eine unromantische, unsentimentale, nüchtern realistische Sicht der Welt, deren unsere - ob wir das wollen oder nicht - von den Naturwissenschaften geprägte Zeit so dringend zu bedürfen scheint. Im Eingespanntsein zwischen Zufall und Notwendigkeit, zwischen Freiheit und naturgegebener und deshalb wohl unüberwindbarer Begrenztheit sieht Meyer ein Grundparadoxon der menschlichen Situation. Im Sinne von Goethes Wort, »dass die Erfahrung nur die Hälfte der Erfahrung ist« endet das Buch mit einer Kritik der Auswüchse des gegenwärtigen Kulturbetriebs und mit der Forderung nach einer neuen Aufklärung über die Natur des Menschen und der Welt - der Aufforderung, die falschen Paradiese, die wir uns aufgebaut haben, zu verlassen.