Mitte des neunzehnten Jahrhunderts tingeln zwei Frauen durch Europa. Die eine ist als "die Affenfrau" der Star einer Freakshow, die andere ist eine junge Tänzerin, deren Schönheit dazu dient, die Abnormität des Stars noch zu steigern. Margrit Schriber erzählt stilsicher und einfühlsam. Die Autorin aus der Schweiz schildert in ihrem neuen historischen Roman eine berührende Freundschaft, aber auch die Gewalttätigkeit von Sensationslust und wissenschaftlichem Forschungseifer.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2010Immer diese Biester
Eine Mischung zwischen Tiermenschen und Ungeheuer steht im Zentrum des neuen Romans der Schweizer Schriftstellerin Margrit Schriber, "Die hässlichste Frau der Welt". Die Affenfrau Julia Pastrana ist behaart wie ein Schimpanse. Vom Impresario und späteren Ehemann Theodor Lent entdeckt, wird die unglückliche Kreatur, die halb Tier, halb Mensch ist, als schaudererregende Attraktion in einem Varieté in halb Europa ausgestellt. Um den wohligen Schrecken der Zuschauer zu konterkarieren, engagiert der Schausteller das junge hübsche Mädchen Rosie la Belle, ein Verdingkind von der Fronalp, das nach Amerika auswandern wollte und in Southampton das Schiff verpasste. Wider Erwarten werden die Schöne und die Hässliche Freundinnen. Die "Königin der Absonderlichkeiten" erregt das Mitleid der Tänzerin - beide zusammen avancieren zu Lieblingen des Publikums, das in Scharen zu den Vorstellungen strömt, um sich der Angstlust angesichts des Unfassbaren hinzugeben. Margrit Schriber tritt mit ihrem Stoff in die Fußtapfen der Schweizer Schriftstellerin Eveline Hasler, die in ihrem Werk immer wieder das Schicksal von Hexen, Riesen, Sonderlingen und Exoten beleuchtete und damit eine große Leserschaft erreichen konnte. "Die hässlichste Frau der Welt" ist ein ordentlich erzählter Roman, der sich halb als Heimatgeschichte, halb als volkskundliche Recherche lesen lässt. Seine Qualitäten liegen in der ausschmückend detaillierten Beschreibung seines Personals und der präzisen Evokation historischer Schauplätze. (Margrit Schriber: "Die hässlichste Frau der Welt". Roman. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2009. 190 S., geb., 19,90 [Euro].) pire
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Mischung zwischen Tiermenschen und Ungeheuer steht im Zentrum des neuen Romans der Schweizer Schriftstellerin Margrit Schriber, "Die hässlichste Frau der Welt". Die Affenfrau Julia Pastrana ist behaart wie ein Schimpanse. Vom Impresario und späteren Ehemann Theodor Lent entdeckt, wird die unglückliche Kreatur, die halb Tier, halb Mensch ist, als schaudererregende Attraktion in einem Varieté in halb Europa ausgestellt. Um den wohligen Schrecken der Zuschauer zu konterkarieren, engagiert der Schausteller das junge hübsche Mädchen Rosie la Belle, ein Verdingkind von der Fronalp, das nach Amerika auswandern wollte und in Southampton das Schiff verpasste. Wider Erwarten werden die Schöne und die Hässliche Freundinnen. Die "Königin der Absonderlichkeiten" erregt das Mitleid der Tänzerin - beide zusammen avancieren zu Lieblingen des Publikums, das in Scharen zu den Vorstellungen strömt, um sich der Angstlust angesichts des Unfassbaren hinzugeben. Margrit Schriber tritt mit ihrem Stoff in die Fußtapfen der Schweizer Schriftstellerin Eveline Hasler, die in ihrem Werk immer wieder das Schicksal von Hexen, Riesen, Sonderlingen und Exoten beleuchtete und damit eine große Leserschaft erreichen konnte. "Die hässlichste Frau der Welt" ist ein ordentlich erzählter Roman, der sich halb als Heimatgeschichte, halb als volkskundliche Recherche lesen lässt. Seine Qualitäten liegen in der ausschmückend detaillierten Beschreibung seines Personals und der präzisen Evokation historischer Schauplätze. (Margrit Schriber: "Die hässlichste Frau der Welt". Roman. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2009. 190 S., geb., 19,90 [Euro].) pire
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Beatrice Eichmann-Leutenegger staunt über die unsentimentale Einfühlsamkeit, mit der Margrit Schriber ihren Stoff um eine als Sensation missbrauchte Tierfrau in der Mitte des 19. Jahrhunderts so plausibel wie anschaulich erzählt. Den Schmerz der "duldsamen Kreatur" kann Schriber der Rezensentin spürbar machen. Allerdings verliert Eichmann-Leutenegger während der Lektüre leider die zeitliche Orientierung. Zu handlungsarm findet sie den Stoff und zu einfallslos die Autorin, wenn diese, statt wirklich zu erzählen, historische Ereignisse bloß anreißt und ihren Roman dekoriert und ausstaffiert. Vielleicht, so mutmaßt die Rezensentin, hätte der Text als geraffte Erzählung besser funktioniert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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