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1956, mit 25 Jahren, kehrt Goytisolo seinem konservativen Elternhaus in Barcelona den Rücken und geht ins Pariser Exil. Spanien bleibt der Bezugspunkt seines politischen und kulturellen Engagements. Als Reporter wie als Schriftsteller setzt er sich immer wieder mit der Diktatur auseinander und wird dabei von den bedeutendsten französischen Autoren und Intellektuellen seiner Zeit unterstützt: von Sartre und Simone de Beauvoir, Bataille, Duras, Leiris und Genet. Große Reisen führen ihn 1962 nach Kuba und 1965 in die Sowjetunion. Er lernt berühmte Exilanten wie Jorge Semprun und die großen…mehr

Produktbeschreibung
1956, mit 25 Jahren, kehrt Goytisolo seinem konservativen Elternhaus in Barcelona den Rücken und geht ins Pariser Exil. Spanien bleibt der Bezugspunkt seines politischen und kulturellen Engagements. Als Reporter wie als Schriftsteller setzt er sich immer wieder mit der Diktatur auseinander und wird dabei von den bedeutendsten französischen Autoren und Intellektuellen seiner Zeit unterstützt: von Sartre und Simone de Beauvoir, Bataille, Duras, Leiris und Genet. Große Reisen führen ihn 1962 nach Kuba und 1965 in die Sowjetunion. Er lernt berühmte Exilanten wie Jorge Semprun und die großen Autoren Lateinamerikas kennen: Fuentes, Paz, Marquez. Goytisolo, der intellektuelle Selbstzweifler und zwiespältige Homosexuelle, spürt aber auch, daß der sozialistische Traum keine Erlösung bringt. Erst die Reise nach Marokko und die Entdeckung der arabischen Welt verändern sein Leben von Grund auf.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.1995

Die Verheimlichung einer Schlange
Juan Goytisolo berichtet von vergessenen Fronten und sucht ein Bekenntnis / Von Hans Scherer

Es dauerte fast zehn Jahre, bis die zweibändige Autobiographie von Juan Goytisolo auf deutsch erschien. Der 1985 zuerst in Spanien und Frankreich erschienene erste Band kam 1994 heraus; den zweiten Band von 1986 legt der Hanser Verlag erst in diesem Herbst vor. Das ist einerseits verdienstvoll, denn die Bücher werden in diesem Jahr kaum mehr deutsche Leser finden als vor zehn Jahren, aber es ist andererseits auch traurig. Denn es zeigt, mit welch oberflächlicher Aufmerksamkeit der von der Kritik regelmäßig gelobte Autor in Deutschland behandelt wird.

In den beiden Bänden der Autobiographie spielt die angehaltene, dann wieder vorangetriebene und stets seltsam hinkende und schlingernde Zeit die eigentliche Hauptrolle. Die Bücher sind mit Bedacht verspätet geschrieben und verspätet erschienen, in Deutschland aber sogar mit doppelter Verspätung, so daß der Leser zuweilen den Atem anhält: Wie kann er heute so etwas schreiben? Bis man sich klarmacht, er hat es nicht heute geschrieben. Die Zeit vielmehr, von der er erzählt, war schon damals eine vergangene Gegenwart, die heute längst zu Geschichte zerronnen ist. Er liefert gleichsam Kriegsberichte von Fronten, an die sich keiner mehr erinnert.

Spanischer Katholizismus, spanischer Bürgerkrieg, Franco-Regime sind die drei Schlüsselwörter, die die Biographie Goytisolos bestimmen. Das Schicksal wird er vermutlich mit den meisten Spaniern teilen. In den fünfziger und sechziger Jahren galt die "spanische Frage" im Nachbarland Frankreich als eine Art Mode unter Intellektuellen - spanische Literatur, spanische Geschichte, auch die Hilfe für die vielen spanischen Exilanten und Emigranten. Der Erfolg Jorge Semprúns in Frankreich war bezeichnend für die Stimmung. Ein Film wie "La guerre est finie" etwa konnte nicht spanisch, sondern mußte französisch sein. In Deutschland stand man indessen der "spanischen Frage" etwas hilflos gegenüber, fast desinteressiert, weniger aus Gleichgültigkeit, sondern in der Erinnerung an die eigene Verstrickung und an weit schlimmere Verbrechen, als sie in Spanien geschahen. Die zweibändige Autobiographie Goytisolos ist nicht nur eine private Bestandsaufnahme, sondern eine europäische.

Wie im ersten Band, "Jagdverbot", finden sich auch im zweiten Band, "Die Häutung der Schlange", wieder brillant geschriebene Passagen eines verzweifelten, selbstquälerischen Bekenntnisses, einer mühsam gebändigten Leidenschaft. Wie im ersten Band begeistern den Leser auch im zweiten lange Strecken einer ungewöhnlich konzentrierten, dichten, geschlossenen Prosa. Nur in einem Punkt unterscheidet sich der zweite Band grundsätzlich vom ersten: Es fehlt ihm an Stoff. Der Autor, der sich zu Beginn des Berichts gerade als jugendlicher Intellektueller in Paris niedergelassen hat, hilft sich über die Stofflücken durch ein Name-Dropping hinweg, wen er getroffen und mit wem er gesprochen hat, von Marguerite Duras bis Roland Barthes und von Simone de Beauvoir bis Jean Genet. Er betet ganze Listen sogenannter Prominenter herunter. Aber es spricht auch wieder für seine besessene Ehrlichkeit, daß er nach einiger Zeit - das heißt, nach ein paar Jahren - die ganze "Bande" aus seinem Haus und seinem Kopf verjagt. Er hat eingesehen, sie, die Prominenten, haben ihn im Leben nicht weitergebracht.

An einer anderen Stelle, an der ihm wieder der Stoff ausgegangen ist, veröffentlicht er ein Reisetagebuch aus der Sowjetunion. Ganz nett, aber kein Meisterwerk, im Buch ein Fremdkörper ohne Legitimation. Dazwischen immer wieder Spanien, das Spanien Francos, das Goytisolo mit allen Zeichen des Schreckens schildert, das Reich des Bösen, obwohl das Aus- und Einreisen doch recht harmlos gewesen zu sein scheint. Mit Kuba macht Goytisolo die gleichen Erfahrungen wie nahezu alle europäischen Intellektuellen: Zuerst waren sie von Castro begeistert, dann entsetzt. Kuba blieb eine unerwiderte Liebe.

Auf dem Umschlag des Buches ist ein Foto zu sehen, das Goytisolo und Genet zusammen am Tisch eines Bistros zeigt. Soweit Genet zu einer unverbindlichen Freundschaft überhaupt fähig war, war er mit Goytisolo befreundet. Ein Kapitel des Buches ("Das Territorium des Dichters") handelt davon. Man freut sich darauf, mehr über Werk und Leben des Dichters zu erfahren. Aber das Kapitel ist eine Enttäuschung. Das Biographische geht nicht über die Biographien von Jean-Bernard Moraly, Edmund White und Albert Dichy/Pascal Fouché hinaus. Das konnte Goytisolo, als er das Buch schrieb, natürlich nicht wissen, und da sein Buch in Wahrheit vor den Biographien erschienen ist, könnte man sogar schließen, daß die Biographen von seinem Buch profitiert haben. Aber trotz aller angeblichen Freundschaft fällt Goytisolo zu Genet kein tiefer gehender Gedanke ein. Aus dem Text glaubt man sogar herauslesen zu können, daß er Genet auf Distanz hielt. Er schien ihm in mancherlei Hinsicht zu gefährlich. Erst nach Genets Tod nahm er ihn in Besitz.

Die elementare Vorsicht gegenüber Genet, dieses Sichannähern und Wiederzurückweichen, das dem geistigen Draufgängertum Goytisolos widerspricht, hängt eng zusammen mit dem quälend breit beschriebenen Coming-out des Autors, das ihm selbst das wichtigste Thema des Buches ist. Das liest sich über weite Strecken unfreiwillig komisch und tragisch zugleich. Diesen Tanz, den er aufführt, um vor seiner Freundin, der Schriftstellerin Monique Lange, seine Homosexualität zu verbergen. Oder daß ein Fünfunddreißigjähriger sich immer noch nicht traut zu sagen: Ich bin homosexuell.

Bevor man jedoch darüber lacht, muß man sich noch einmal daran erinnern: Diese Szenen spielen 1966. In Deutschland wurde erst im Herbst 1969 der Paragraph 175 "liberalisiert", so daß es damals also noch viele Gründe zur Verheimlichung gab. Dennoch bleibt das immer wieder aufgeschobene Coming-out oder die heldenhafte Pose, die Goytisolo an dieser Stelle einnimmt, merkwürdig unverständlich, denn im ersten Band hat der Autor schon viel unbefangener über seine Homosexualität gesprochen, und der Leser des zweiten Bandes weiß sowieso nach den ersten Zeilen Bescheid. Deshalb kann er das mühsam erkämpfte Bekenntnis auch nicht gar so ernst nehmen wie der Autor.

Wenn hier von diesen oder jenen Mängeln des Buches die Rede war, so bedeutet das nicht, daß man darauf verzichten möchte. Man liest das Buch in einem Schub durch, schüttelt über diese oder jene spanische Merkwürdigkeit zuweilen den Kopf, ist aber immer gefesselt von der naiven Unschuld des Autors, der sich auch in unvorteilhaften Situationen zur Disposition stellt. Man möchte immer weiter seiner Stimme lauschen und den von ihm gezeichneten Bildern folgen. Juan Goytisolo faßt zusammen: "Keine Möglichkeit, dem Dilemma zu entkommen. Die Vergangenheit zu rekonstruieren ist immer die sicherste Art und Weise, sie zu verraten, und zwar in dem Maße, in dem man ihr im nachhinein eine Kohärenz verleiht, sie bearbeitet, um ihr eine künstlerische Kontinuität zu geben."

Juan Goytisolo: "Die Häutung der Schlange. Ein Leben im Exil". Zweiter Band der Autobiographie. Carl Hanser Verlag, München 1995. 369 Seiten, geb., 36,- DM.

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