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"Jesus Diaz verbindet höchste literarische Ansprüche mit gesellschaftlichem Engagement und serviert diese Mischung auf die unterhaltsamste Art", schrieb der "Tages-Anzeiger", Zürich, über den heute im Exil lebenden kubanischen Autor. Im vorliegenden Roman schildert Diaz die Entwurzelung und Zerrissenheit des kubanischen Volkes und vermittelt fast beiläufig authentische Einblicke ins Film- und Schauspielermilieu.

Produktbeschreibung
"Jesus Diaz verbindet höchste literarische Ansprüche mit gesellschaftlichem Engagement und serviert diese Mischung auf die unterhaltsamste Art", schrieb der "Tages-Anzeiger", Zürich, über den heute im Exil lebenden kubanischen Autor. Im vorliegenden Roman schildert Diaz die Entwurzelung und Zerrissenheit des kubanischen Volkes und vermittelt fast beiläufig authentische Einblicke ins Film- und Schauspielermilieu.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.1997

Ein Bär brummt auch bei Stromausfall
"Die Haut und die Maske": Der Kubaner Jesús Díaz dreht einen Film / Von Max Grosse

Die meisten kubanischen Autoren suchten das Weite, auch wenn sie die Revolution von 1959 früher einmal freudig begrüßt hatten. Die "Castroenteritis", jene merkwürdige, die politische Urteilskraft lähmende Krankheit, die Guillermo Cabrera Infante noch vor einigen Jahren nicht nur bei seinen Landsleuten, sondern auch bei manchen Intellektuellen und Politikern beider Hemisphären diagnostizierte, hat ebenso wie die Herrschaft Fidel Castros selbst ihren Höhepunkt längst überschritten. Kuba ist nicht mehr das vermeintliche Subjekt der Weltrevolution. Es gerät nur noch als Objekt nordamerikanischer Politik in die Schlagzeilen, wenn der Ring des Embargos etwa durch die strikte Anwendung des Helms-Burton-Gesetzes, das jegliche Geschäfte mit Castros Anhängern verbietet, weiter abgedichtet werden soll.

Denn auch nach dem Untergang des sowjetischen Reiches reizt die rote Gefahr als Phantombild die Netzhaut der Falken im Kongreß. Zunächst sind die exilierten Schriftsteller froh, der Unterdrückung durch den kommunistischen Staatsapparat und der Verwaltung des Mangels entronnen zu sein. Doch mehr oder weniger glücklich in Miami, Madrid, Paris, London oder Berlin angekommen, umkreisen sie in ihren Büchern mit geradezu manischer Ausschließlichkeit die Insel, die sie verlassen mußten. Das gegenläufige Verhältnis zwischen Flucht und Sehnsucht bezeichnet das Dilemma jeglicher Exilliteratur, die im Ausland erscheint und sich eigentlich an die Daheimgebliebenen wendet. Aus der Erfahrung des Verlustes heraus erschafft sie die verlorene Heimat mit Worten neu. Erst durch Nostalgie gelangten das Dublin von Joyce, das Sankt Petersburg von Nabokov oder das Havanna von Carpentier, Sarduy und Cabrera Infante auf die Landkarte der Weltliteratur.

Auch der Filmregisseur und Schriftsteller Jesús Díaz macht keine Ausnahme von den Gesetzen des Exils. Seit 1992 ist er nicht in die Karibik zurückgekehrt und hat erst in Berlin, dann in Madrid gelebt. Sein jüngster Roman "Die Haut und die Maske" spielt ausschließlich auf Kuba, scheint ausschließlich von Kuba zu handeln und somit ausschließlich Kubaner etwas anzugehen. Störrisch widersetzt sich der Autor dann auch noch dem europäischen Begehren nach Exotik und dem vielbeschworenen, auf Carpentier zurückgehenden "magischen Realismus" - "jener so gut verkäuflichen Scheußlichkeit, die von der Kritik der ersten Welt mit unserer Ausdruckswelt gleichgesetzt worden war, so als wären wir nur moderne Affen, dazu verdammt, für sie in einem Elendskäfig zu tanzen und dabei Bananen zu essen, die sich per Hokuspokus in einen Penis oder ein Gewehr verwandeln".

Der Seitenhieb auf Gabriel García Márquez, Castros Intimus unter den lateinamerikanischen Schriftstellern, sitzt. Warum sollte man also hierzulande Díaz lesen, wenn man sich nicht gerade den welken Imperativen eines Multikulturalismus verpflichtet fühlt, auf dessen wortreiche Bekenntnisse ohnehin nur selten Taten folgen, und wenn man nicht einmal ausreichend mit Levitationen, breithüftigen Mulattinnen und afro-kubanischen Santería-Ritualen versorgt wird? Ganz einfach - weil der Schein trügt. Der Roman hat seine geheime Mitte in der Reflexion über Schein und Sein, über Lug und Trug, über Schauspielerei und Spitzeldienst. Die Turbulenzen in der dünnen Luftschicht zwischen Haut und Maske dürften auch die deutschen Leser in ihren Bann schlagen, zumal da der Romancier die Selbstbespiegelung der Kunst originell in einen politischen Rahmen rückt und gleichzeitig elegant die Souveränität der beweglichen Lettern im Umgang mit den bewegten Bildern demonstriert.

Jesús Díaz hat seine alte Leidenschaft fürs Kino in der Literatur aufgehoben: Die Erzählung erzeugt den Film im Kopf des Lesers und kontrastiert ihn gleichzeitig mit einer nicht minder scheinhaften Wirklichkeit. Die 32 Kapitel berichten von den Dreharbeiten zu einem Film, dessen Titel mit dem des Romans übereinstimmt. Der Regisseur trägt den Spitznamen "der Bär", weil er vor langen Jahren mit seinem Erstling "Unter einer Glocke" beim Berliner Filmfestival die begehrte goldene Trophäe errang. Dann rieb er sich in Streitereien mit Castros Kultusbürokratie auf, verlor seinen Glauben an die Revolution, schreckte aber vor dem Exil und einer eventuellen Arbeit als Seifenopernproduzent in Miami zurück. Jedenfalls hat er lange keine internationale Anerkennung mehr erhalten und möchte nun sein Lebenswerk mit einem Spielfilmepos krönen, das keine geringeren Ziele verfolgt, als die jüngere kubanische Geschichte in der Sammellinse einer Familiengeschichte zu bündeln und gleichzeitig den Mitwirkenden den Weg ins Ausland zu ebnen.

Jedes Kapitel macht sich jeweils die Sichtweise von einem der fünf Hauptdarsteller zu eigen und referiert die Sequenzen des Films im Wechsel mit dem nicht minder dramatischen Privatleben der Schauspieler. Der Überblick über das wuchernde Beziehungsgeflecht bleibt nur durch die eigentlich unwahrscheinliche Voraussetzung erhalten, daß die Einstellungen weitgehend in der Reihenfolge abgedreht werden, in der sie später auf der Leinwand erscheinen sollen. Jeder hat sechs Abschnitte zur Verfügung; nur der Bär darf noch mit zwei zusätzlichen Tatzenhieben den Anfang und das Ende des Romans, Vorspann und Abspann signieren.

Dabei wirkt die im Film erzählte Geschichte auf den ersten Blick ganz einfach: Nach zehn Jahren in Miami und nach dem Tod ihres Mannes kehrt die Exilkubanerin Iris in Begleitung ihrer Nichte Lidia zum erstenmal wieder nach Havanna zurück. Sie will ihre beiden Söhne Orestes und Omar wiedersehen, sie trifft außerdem auf ihren Schwager Fernando, den sie eigentlich immer geliebt hatte. Orestes verheimlicht seiner Mutter den Tod von Omar, der bei dem Versuch ertrunken war, mit einem selbstgebastelten Boot in die Vereinigten Staaten zu fliehen. Während Orestes seine Frau Elena mit Lidia betrügt, erfährt Iris vom Tod ihres Lieblingssohnes und schneidet sich die Pulsadern auf. Was mit einem vergilbten Familienfoto begann, endet mit einem Begräbnis. Das Melodram gestattet Einblicke in den kubanischen Alltag, auch in das Mißtrauen zwischen Exilanten und Daheimgebliebenen. Weiter gibt es das Gerüst ab, auf dem die Romanfiguren ihre Kapriolen vollführen.

Zusehends gerät man über jene ach so harmlosen Schrägstriche ins Grübeln, welche "Wirklichkeit" und "Fiktion" auseinanderhalten, die Namen der Schauspieler von denen der Filmfiguren trennen sollen. Denn mannigfache Erfahrungen, Wünsche, Illusionen, Spiegelungen verbinden den Bären und Fernando, Ofelia und Iris, Mario und Orestes, Mayra und Elena, Ana und Lidia. Der Bär, der große Puppenspieler und Menschenschinder, hat diese Parallelen maliziös im Drehbuch ausgelegt, um den Schauspielern die Identifikation mit ihren Rollen zu erleichtern und ihre Gefühle zu manipulieren. Seine Psychotechnik orientiert sich am frühen Stanislawski und an Strasbergs method acting; sie soll durch Einfühlung in die Rolle ein naturalistisch wirkendes Spiel gewährleisten: "Sie war jetzt vollkommen in Iris aufgegangen; sie befand sich in diesem überaus schwierig zu erreichenden Zustand, der es ihr ermöglichte, eigene Erfahrungen mit ihren Wahnvorstellungen zu vermengen und durch ihr handwerkliches Können zu filtern und so wahrhaftiger und eindringlicher zu agieren, als es einem für gewöhnlich in dieser Summe von Sinnlosigkeiten, die wir Wirklichkeit nennen, vorgeführt wird."

Wie die fiktive Iris hat auch die reale Ofelia ihren Sohn Ricardo verloren, nur lebt dieser anders als der erfundene Omar bei ihrem ersten Mann in Miami; das Verhältnis zwischen Heimat und Exil ist hier also spiegelverkehrt. Als Mario und Ofelia privat eine Szene zwischen Orestes und Iris proben, mündet das im Drehbuch nur unterschwellig inzestuöse Verhältnis zwischen Mutter und Sohn in einen wirklichen Liebesakt. Der kommt auf der "realen" Ebene insofern einem symbolischen Inzest gleich, als Ofelia das Parfum von Marios Mutter benutzt und ihn "Ricardo" nennt. Dabei beobachtet Mario Ofelia jedoch auch im Dienste der Staatssicherheit, die ihrerseits sämtliche Unterhaltungen des Paares mitschneidet, um Mario erpressen zu können. Der Bär wiederum läßt als Ofelias eifersüchtiger Ehemann Mario beschatten und findet sowohl den Ehebruch wie auch die Spitzeltätigkeit heraus. Der nordamerikanische Journalist Max Donahue filmt seinerseits den Bären bei den Dreharbeiten und gefährdet ihn durch die vorzeitige Veröffentlichung eines Interviews.

Alle Figuren bewegen sich in einer systemtheoretischen Hölle ineinander verschachtelter Beobachtungshierarchien und Wirklichkeitsebenen, fast alle üben sich in Verrat, Demütigung und Voyeurismus. Im gleißenden Licht der kubanischen Sonne wie im Kerzengeflacker bei Stromsperre entsteht ein neues Cabinet des Dr. Caligari, unter den tausend Augen eines karibischen Dr. Mabuse. Die deutsche Übersetzung wird dem Original zumindest an einer Stelle nicht gerecht: In der Danksagung des Autors beraubt Wilfried Böhringer aus Bescheidenheit den "Starübersetzer" seines Sterns. Er hat ihn aber verdient.

Jesús Díaz: "Die Haut und die Maske". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Wilfried Böhringer. Piper Verlag, München 1997. 320 S., geb., 44,- DM.

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