Strategien der Macht
Wenn immer mehr Menschen glauben, Politik werde über ihre Köpfe hinweg gemacht und sei ihrem Einfluss entzogen - ist das ein populistischer Trugschluss? Oder ist der Eindruck der Bürger, sie seien entmachtet, womöglich zutreffend?
Soviel Sprengstoff diese Fragen bergen, so analytisch-nüchtern geht der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim in seiner Systemdiagnose vor. Er belegt: Die Parteienherrschaft hat eine neue Qualität erreicht. Hinter der demokratischen Fassade haben die Parteien einen Machtapparat installiert, der der Volkssouveränität Hohn spricht und absolutistische Züge trägt.
Arnim deckt auf, welcher Mittel und Methoden sich die politische Klasse bedient, um die Regeln zu ihrem eigenen Vorteil umzugestalten. Parteienherrschaft und Willkür wirksam zu begrenzen ist dringend geboten!
Wenn immer mehr Menschen glauben, Politik werde über ihre Köpfe hinweg gemacht und sei ihrem Einfluss entzogen - ist das ein populistischer Trugschluss? Oder ist der Eindruck der Bürger, sie seien entmachtet, womöglich zutreffend?
Soviel Sprengstoff diese Fragen bergen, so analytisch-nüchtern geht der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim in seiner Systemdiagnose vor. Er belegt: Die Parteienherrschaft hat eine neue Qualität erreicht. Hinter der demokratischen Fassade haben die Parteien einen Machtapparat installiert, der der Volkssouveränität Hohn spricht und absolutistische Züge trägt.
Arnim deckt auf, welcher Mittel und Methoden sich die politische Klasse bedient, um die Regeln zu ihrem eigenen Vorteil umzugestalten. Parteienherrschaft und Willkür wirksam zu begrenzen ist dringend geboten!
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2017Deren Deutschland
Hans Herbert von Arnim rügt wieder einmal die Parteienherrschaft. Doch diesmal geht er weiter. Er übt Fundamentalkritik am politischen System
und klagt über das entmachtete Volk. Dabei sind ihm allerdings einige wichtige Aspekte aus dem Blick geraten
VON CHRISTIAN NÜRNBERGER
Wenn in einem halben Jahr der Bundestag gewählt wird, dann ist diesmal etwas grundsätzlich anders als sonst. Grübelte man früher, welche Partei wohl das kleinste Übel sei, werden im Herbst viele Wähler denken: Fast schon egal, was ich ankreuze und was die anderen tun, Hauptsache, das große Übel AfD bleibt draußen oder zumindest klein.
Der Ausgang ist heute dank des „Schulz-Faktors“ erstaunlich ungewiss. Gewiss ist aber, was die Vertreter der „Altparteien“ am Wahlabend in der Elefantenrunde wiederkäuen werden, wenn die AfD wie zu erwarten in den Bundestag einzieht: „Vertrauen zurückgewinnen“, „Sorgen und Nöte der Menschen ernst nehmen“, „Dialog mit dem Bürger“ und so weiter. Aber, so werden sie mit Tremolo in der erhobenen Stimme betonen: „Die überwältigende Mehrheit der Bundesbürger hat die AfD nicht gewählt“ – woraus die Elefanten abermals den selbstzufriedenen Schluss ziehen werden, die überwältigende Mehrheit der Stimmen bedeute eine überwältigende Zustimmung zu ihrer Politik und der gesamten politischen Klasse.
Einer, der seit Jahrzehnten beobachtet, wie sich die regelmäßig am Wahlabend zur Schau gestellte Zerknirschung der Parteien schon kurz danach in den Koalitionsverhandlungen und der damit verbundenen Postenverteilung regelmäßig in nichts auflöst, ist der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler Hans Herbert von Arnim, den Deutschen bekannt als der „Parteienkritiker“. Seit Jahrzehnten schreibt er an gegen eine politische Klasse, die in ihrer Selbstherrlichkeit die Sorgen der Bürger gerade nicht ernst nimmt. Er ist so etwas wie der Stachel im Fleisch der Parteien und hat sich in dieses gerade wieder ein Stück tiefer hineingebohrt mit einem neuen Buch, rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl: „Die Hebel der Macht“.
Darin erinnert der Autor ans Grundgesetz, in dem nur steht, die Parteien „wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“. Von „Parteienherrschaft“ war nie die Rede. Das ganze Buch handelt von diesem Missverhältnis zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit und jenem Kleingedruckten, das nicht auf dem Wahlzettel steht und von den Parteien dennoch als unterschrieben betrachtet wird. Der Wähler stimmt aber mit seinem Kreuz weder allen Programmpunkten der gewählten Partei hundertprozentig zu noch dem Procedere der Kandidatenauswahl und dem undurchsichtigen Treiben der Hinterzimmer-Strippenzieher, nicht dem Postengeschacher, den Machtspielchen und der Selbstprivilegierung der Parteien.
Nur fehlt leider jegliche Möglichkeit, den Verdruss darüber in der Wahlkabine zum Ausdruck zu bringen. Man kann nur zähneknirschend sein Kreuzchen machen. Den Lärm dieses massenhaften Zähneknirschens hören längst alle, außer den Parteien. Die zahlreichen Bücher Arnims haben daran bis heute nichts geändert. Noch immer verhandeln Parteien mit sich selbst, wenn im Bundestag über die Entlohnung der Arbeit von Abgeordneten, Ausschussvorsitzenden, Fraktionssprechern, Parlamentsmitarbeitern zu entscheiden ist. So etwas wie einen Arbeitgeberverband, der ihnen Grenzen setzt bei der Altersversorgung, dem Geld für die Fraktionen, den Dienstwagenregeln, der Parteienfinanzierung oder der Finanzierung parteinaher Stiftungen, gibt es nicht.
Dass die Parteien der Versuchung, sich ungeniert selbst zu bedienen, nicht vollständig erliegen, ist vor allem bremsenden Gesetzen, Gerichtsurteilen und der Furcht vor einer gar zu schlechten Presse zu verdanken. Aber Gesetze und Urteile kann man umgehen. Die Presse kann man hinters Licht führen. Bei der Verfolgung des eigenen Vorteils kann man tricksen, tarnen und täuschen – und genau dies geschehe andauernd, wird Arnim nicht müde zu betonen.
Wie die Parteien das machen, dafür liefert er eine Fülle von Beispielen, die allerdings auch schon aus seinen früheren Büchern bekannt sind. Neu am neuen Buch ist diesmal, dass sich seine Kritik an den Parteien zur Fundamentalkritik an unserem gesamten politischen System auswächst.
Jetzt geht es ihm nicht mehr nur um die Selbstbedienung der Parteien, jetzt geißelt er einen „bürgerfernen Parteien-Absolutismus“, der das Volk entmachtet. Dafür nennt er mehrere Entwicklungen, die sich in ihrem Zusammenwirken gegenseitig verstärken in einem Ausmaß, das „bisher noch nicht erkannt“ sei, und zählt auf: große Koalitionen, programmatische Angleichung der Parteien, unvorhersehbare Koalitionen, Dominanz der Regierungen, pervertierte Landtagswahlen, denaturierte Europawahlen, Kartelle der politischen Klasse, Abschottung gegen außerparlamentarische Konkurrenz durch Sperrklauseln.
Und: Die Kontrollen versagen. Das Verfassungsgericht könne nicht unbefangen Recht sprechen, weil die Verfassungsrichter von Politikern ausgesucht werden. Ebenso befangen sei der Bundesrechnungshof, dessen leitende Positionen regelmäßig von ehemaligen Fraktionsmitarbeitern besetzt würden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Teil der „vierten Gewalt“ falle als kritisches Korrektiv aus, weil er selbst von Politikern dominiert werde. Schließlich die etablierte Politikwissenschaft: Sie neige „in affirmativer Weise dazu, Demokratiedefizite in Abrede zu stellen“ und sei Teil des politisch-wissenschaftlichen Machtkomplexes, dessen Mitglieder sich Reputation und Zusatzeinkommen verschafften durch Sitze in wissenschaftlichen Beiräten, Expertenkommissionen und privilegierten Forschungseinrichtungen.
Am Ende der Lektüre drängen sich drei Einwände auf. Erstens: Des Autors Behauptung, dass dies alles „bisher noch nicht erkannt“ sei, ist übertrieben. Er ist nicht der Einzige, der die Probleme unserer Demokratie benennt. Die Diskussion darüber wird längst geführt, Lösungen sind schwierig, und Arnim diskutiert auch nur Vorschläge, wie etwa mehr Bürgerbeteiligung und mehr direkte Demokratie, von denen man schon mal gehört und gelesen hat.
Zweitens: So erfrischend es ist, dass da ein Wissenschaftler den Mut zu kühnen Thesen aufbringt, statt sich, wie üblich, nach allen Seiten abzusichern, so fatal ist es, wenn dieser Mut durch keinerlei selbstkritisches Innehalten gebremst wird und er unversehens in die Nähe der AfD gerät. In dieser Partei wird ja auch erzählt, dass wir hier in einem ganz üblen System leben. Hätte sich der Autor einmal gefragt, warum Deutschland in der Welt ziemlich gut dasteht, Heerscharen von Zuwanderern anzieht und selbst die schärfsten Kritiker aus dem AfD-Milieu nicht vorhaben, massenhaft auszuwandern, hätte er ehrlicherweise antworten müssen, dass die Probleme, die er anspricht, für einen Volksaufstand nicht ganz ausreichen.
Drittens und vor allem: Durch seine Konzentration auf die politische Klasse gerät ihm diese eine Sache so groß, dass er die zahlreichen anderen Plagen, unter denen die Demokratie leidet, übersieht, beispielsweise den Terror, die Flüchtlingskrise und den Populismus. Oder Desinformation, Lobbyismus, Demografie, Klimawandel, Überwachungsstaat, Herrschaft der Datenkraken, Desintegration oder Disruption durch die digitale Technik.
Als Demokratiegefährder sieht Hans Herbert von Arnim immer nur den Parteifunktionär, aber nicht dessen Pendants, wie etwa den vaterlandslosen, moralfreien Manager, den Geiz-ist-geil-Charakter und den Alles-sofort-Konsumbürger, der statt sich politisch zu informieren, geschweige denn sich in einer Partei, einem Verein oder der Kirche zu engagieren, lieber vor dem Computer hockt und zwischen seinen Bestellungen bei Amazon und Zalando mit argumentationsschwachen, aber meinungsstarken Beleidigungen in den sozialen Medien herumkoffert. Gerade angesichts dieser vielen anderen Probleme, mit denen sich Politiker, Gerichte, Medien, die Polizei und der Staat täglich herumschlagen müssen, ist es fast ein Wunder, wie gut alles – noch? – funktioniert unter dieser schlimmen Parteienherrschaft.
Es ist trotzdem gut, dass Hans Herbert von Arnim dieses Buch geschrieben hat. Bücher wie dieses befeuern die notwendige Dauer-Diskussion über die Fehler und Schwächen unserer Demokratie und können so dazu beitragen, dass sie besser oder zumindest nicht schlechter wird.
Christian Nürnberger, Publizist, engagierte sich 2013 in Bayern als Bundestagskandidat für die SPD auf einem aussichtslosen Listenplatz. Zuletzt erschien von ihm: Die verkaufte Demokratie. Wie unser Land dem Geld geopfert wird (Ludwig-Verlag).
Dem Autor geht es um den
Unterschied von Verfassung
und Verfassungswirklichkeit
Als Demokratiegefährder
treten immer nur Funktionäre
auf – es gibt aber noch andere
Da die Macht, überall anders die Ohnmächtigen. So sieht es Hans Herbert von Arnim. Im Bild ein Plakat der Kanzlerin am Adenauerhaus im Jahr 2013.
Foto: Regina Schmeken
Hans Herbert von Arnim:
Die Hebel der Macht und wer sie bedient – Parteienherrschaft statt Volkssouveränität. Heyne-Verlag München 2017, 448 Seiten, 21,99 Euro.
E-Book: 17,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Hans Herbert von Arnim rügt wieder einmal die Parteienherrschaft. Doch diesmal geht er weiter. Er übt Fundamentalkritik am politischen System
und klagt über das entmachtete Volk. Dabei sind ihm allerdings einige wichtige Aspekte aus dem Blick geraten
VON CHRISTIAN NÜRNBERGER
Wenn in einem halben Jahr der Bundestag gewählt wird, dann ist diesmal etwas grundsätzlich anders als sonst. Grübelte man früher, welche Partei wohl das kleinste Übel sei, werden im Herbst viele Wähler denken: Fast schon egal, was ich ankreuze und was die anderen tun, Hauptsache, das große Übel AfD bleibt draußen oder zumindest klein.
Der Ausgang ist heute dank des „Schulz-Faktors“ erstaunlich ungewiss. Gewiss ist aber, was die Vertreter der „Altparteien“ am Wahlabend in der Elefantenrunde wiederkäuen werden, wenn die AfD wie zu erwarten in den Bundestag einzieht: „Vertrauen zurückgewinnen“, „Sorgen und Nöte der Menschen ernst nehmen“, „Dialog mit dem Bürger“ und so weiter. Aber, so werden sie mit Tremolo in der erhobenen Stimme betonen: „Die überwältigende Mehrheit der Bundesbürger hat die AfD nicht gewählt“ – woraus die Elefanten abermals den selbstzufriedenen Schluss ziehen werden, die überwältigende Mehrheit der Stimmen bedeute eine überwältigende Zustimmung zu ihrer Politik und der gesamten politischen Klasse.
Einer, der seit Jahrzehnten beobachtet, wie sich die regelmäßig am Wahlabend zur Schau gestellte Zerknirschung der Parteien schon kurz danach in den Koalitionsverhandlungen und der damit verbundenen Postenverteilung regelmäßig in nichts auflöst, ist der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler Hans Herbert von Arnim, den Deutschen bekannt als der „Parteienkritiker“. Seit Jahrzehnten schreibt er an gegen eine politische Klasse, die in ihrer Selbstherrlichkeit die Sorgen der Bürger gerade nicht ernst nimmt. Er ist so etwas wie der Stachel im Fleisch der Parteien und hat sich in dieses gerade wieder ein Stück tiefer hineingebohrt mit einem neuen Buch, rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl: „Die Hebel der Macht“.
Darin erinnert der Autor ans Grundgesetz, in dem nur steht, die Parteien „wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“. Von „Parteienherrschaft“ war nie die Rede. Das ganze Buch handelt von diesem Missverhältnis zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit und jenem Kleingedruckten, das nicht auf dem Wahlzettel steht und von den Parteien dennoch als unterschrieben betrachtet wird. Der Wähler stimmt aber mit seinem Kreuz weder allen Programmpunkten der gewählten Partei hundertprozentig zu noch dem Procedere der Kandidatenauswahl und dem undurchsichtigen Treiben der Hinterzimmer-Strippenzieher, nicht dem Postengeschacher, den Machtspielchen und der Selbstprivilegierung der Parteien.
Nur fehlt leider jegliche Möglichkeit, den Verdruss darüber in der Wahlkabine zum Ausdruck zu bringen. Man kann nur zähneknirschend sein Kreuzchen machen. Den Lärm dieses massenhaften Zähneknirschens hören längst alle, außer den Parteien. Die zahlreichen Bücher Arnims haben daran bis heute nichts geändert. Noch immer verhandeln Parteien mit sich selbst, wenn im Bundestag über die Entlohnung der Arbeit von Abgeordneten, Ausschussvorsitzenden, Fraktionssprechern, Parlamentsmitarbeitern zu entscheiden ist. So etwas wie einen Arbeitgeberverband, der ihnen Grenzen setzt bei der Altersversorgung, dem Geld für die Fraktionen, den Dienstwagenregeln, der Parteienfinanzierung oder der Finanzierung parteinaher Stiftungen, gibt es nicht.
Dass die Parteien der Versuchung, sich ungeniert selbst zu bedienen, nicht vollständig erliegen, ist vor allem bremsenden Gesetzen, Gerichtsurteilen und der Furcht vor einer gar zu schlechten Presse zu verdanken. Aber Gesetze und Urteile kann man umgehen. Die Presse kann man hinters Licht führen. Bei der Verfolgung des eigenen Vorteils kann man tricksen, tarnen und täuschen – und genau dies geschehe andauernd, wird Arnim nicht müde zu betonen.
Wie die Parteien das machen, dafür liefert er eine Fülle von Beispielen, die allerdings auch schon aus seinen früheren Büchern bekannt sind. Neu am neuen Buch ist diesmal, dass sich seine Kritik an den Parteien zur Fundamentalkritik an unserem gesamten politischen System auswächst.
Jetzt geht es ihm nicht mehr nur um die Selbstbedienung der Parteien, jetzt geißelt er einen „bürgerfernen Parteien-Absolutismus“, der das Volk entmachtet. Dafür nennt er mehrere Entwicklungen, die sich in ihrem Zusammenwirken gegenseitig verstärken in einem Ausmaß, das „bisher noch nicht erkannt“ sei, und zählt auf: große Koalitionen, programmatische Angleichung der Parteien, unvorhersehbare Koalitionen, Dominanz der Regierungen, pervertierte Landtagswahlen, denaturierte Europawahlen, Kartelle der politischen Klasse, Abschottung gegen außerparlamentarische Konkurrenz durch Sperrklauseln.
Und: Die Kontrollen versagen. Das Verfassungsgericht könne nicht unbefangen Recht sprechen, weil die Verfassungsrichter von Politikern ausgesucht werden. Ebenso befangen sei der Bundesrechnungshof, dessen leitende Positionen regelmäßig von ehemaligen Fraktionsmitarbeitern besetzt würden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Teil der „vierten Gewalt“ falle als kritisches Korrektiv aus, weil er selbst von Politikern dominiert werde. Schließlich die etablierte Politikwissenschaft: Sie neige „in affirmativer Weise dazu, Demokratiedefizite in Abrede zu stellen“ und sei Teil des politisch-wissenschaftlichen Machtkomplexes, dessen Mitglieder sich Reputation und Zusatzeinkommen verschafften durch Sitze in wissenschaftlichen Beiräten, Expertenkommissionen und privilegierten Forschungseinrichtungen.
Am Ende der Lektüre drängen sich drei Einwände auf. Erstens: Des Autors Behauptung, dass dies alles „bisher noch nicht erkannt“ sei, ist übertrieben. Er ist nicht der Einzige, der die Probleme unserer Demokratie benennt. Die Diskussion darüber wird längst geführt, Lösungen sind schwierig, und Arnim diskutiert auch nur Vorschläge, wie etwa mehr Bürgerbeteiligung und mehr direkte Demokratie, von denen man schon mal gehört und gelesen hat.
Zweitens: So erfrischend es ist, dass da ein Wissenschaftler den Mut zu kühnen Thesen aufbringt, statt sich, wie üblich, nach allen Seiten abzusichern, so fatal ist es, wenn dieser Mut durch keinerlei selbstkritisches Innehalten gebremst wird und er unversehens in die Nähe der AfD gerät. In dieser Partei wird ja auch erzählt, dass wir hier in einem ganz üblen System leben. Hätte sich der Autor einmal gefragt, warum Deutschland in der Welt ziemlich gut dasteht, Heerscharen von Zuwanderern anzieht und selbst die schärfsten Kritiker aus dem AfD-Milieu nicht vorhaben, massenhaft auszuwandern, hätte er ehrlicherweise antworten müssen, dass die Probleme, die er anspricht, für einen Volksaufstand nicht ganz ausreichen.
Drittens und vor allem: Durch seine Konzentration auf die politische Klasse gerät ihm diese eine Sache so groß, dass er die zahlreichen anderen Plagen, unter denen die Demokratie leidet, übersieht, beispielsweise den Terror, die Flüchtlingskrise und den Populismus. Oder Desinformation, Lobbyismus, Demografie, Klimawandel, Überwachungsstaat, Herrschaft der Datenkraken, Desintegration oder Disruption durch die digitale Technik.
Als Demokratiegefährder sieht Hans Herbert von Arnim immer nur den Parteifunktionär, aber nicht dessen Pendants, wie etwa den vaterlandslosen, moralfreien Manager, den Geiz-ist-geil-Charakter und den Alles-sofort-Konsumbürger, der statt sich politisch zu informieren, geschweige denn sich in einer Partei, einem Verein oder der Kirche zu engagieren, lieber vor dem Computer hockt und zwischen seinen Bestellungen bei Amazon und Zalando mit argumentationsschwachen, aber meinungsstarken Beleidigungen in den sozialen Medien herumkoffert. Gerade angesichts dieser vielen anderen Probleme, mit denen sich Politiker, Gerichte, Medien, die Polizei und der Staat täglich herumschlagen müssen, ist es fast ein Wunder, wie gut alles – noch? – funktioniert unter dieser schlimmen Parteienherrschaft.
Es ist trotzdem gut, dass Hans Herbert von Arnim dieses Buch geschrieben hat. Bücher wie dieses befeuern die notwendige Dauer-Diskussion über die Fehler und Schwächen unserer Demokratie und können so dazu beitragen, dass sie besser oder zumindest nicht schlechter wird.
Christian Nürnberger, Publizist, engagierte sich 2013 in Bayern als Bundestagskandidat für die SPD auf einem aussichtslosen Listenplatz. Zuletzt erschien von ihm: Die verkaufte Demokratie. Wie unser Land dem Geld geopfert wird (Ludwig-Verlag).
Dem Autor geht es um den
Unterschied von Verfassung
und Verfassungswirklichkeit
Als Demokratiegefährder
treten immer nur Funktionäre
auf – es gibt aber noch andere
Da die Macht, überall anders die Ohnmächtigen. So sieht es Hans Herbert von Arnim. Im Bild ein Plakat der Kanzlerin am Adenauerhaus im Jahr 2013.
Foto: Regina Schmeken
Hans Herbert von Arnim:
Die Hebel der Macht und wer sie bedient – Parteienherrschaft statt Volkssouveränität. Heyne-Verlag München 2017, 448 Seiten, 21,99 Euro.
E-Book: 17,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Seit Jahrzehnten klagt der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler Hans Herbert von Arnim über die Parteienherrschaft, über Postengeschacher, Strippenziehen im Hinterzimmer und Machtspielchen. Das kennt Christian Nürnberger aus etlichen Büchern. Auffällig findet der Kritiker am neuen Buch, dass Arnim seine Kritik an den Parteien zu einer Fundamentalkritik am System ausweitet. Schwer zu sagen allerdings, ob die verbiesterte Wortwahl auf den Autor oder den Kritiker zurückgeht, Vokabeln wie "denaturiert" und "pervertiert" sind nicht als Zitat markiert. Nürnberger stört sich allerdings an Arnims Übertreibungen und an der Einseitigkeit seiner Kritik. Als große Gefahr für die Demokratie sehe Arnim einzig und allein den Parteifunktionär, nie Terror, Populismus, Überwachung oder gesellschaftliche Desintegration.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Er ist so etwas wie der Stachel im Fleisch der Parteien und hat sich in dieses gerade wieder ein Stück tieferhineingebohrt mit einem neuen Buch.« Süddeutsche Zeitung, Christian Nürnberger